Mikrokriminalität

Aus Krimpedia – das Kriminologie-Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Während der von Herbert Jäger geprägte Begriff der Makrokriminalität Verbrechen besonders großen Ausmaßes bezeichnet, sind das herkömmliche Strafrecht ebenso wie die herkömmliche Kriminologie auf die Rechtsbrüche einzelner und kleiner Gruppen fokussiert, also auf jene Formen individuell abweichenden Verhaltens, die Jäger selbst im Gegensatz zu dem von ihm bearbeiteten Phänomen der Makrokriminalität als Mikrokriminalität - von gr. μικρός mikrós für „klein“ oder „eng“ - bezeichnete (Jäger 1989: 14). Oder, in den Worten von Kai Bongard (2001: 281): "Das klassische Strafrecht ist auf Mikrokriminalität ausgelegt: Einzelner Täter schädigt individuelle Opfer."

Klassifikation und Abgrenzung zur Makrokriminalität

Makrokriminalität bezeichnet Verbrechen von besonders großem Ausmaß, wohingehen sich die Mikrokriminalität des Einzelnen oder kleinen Tätergruppen annimmt.

Thomas Horstmann und Heike Litzinger publizierten in "An den Grenzen des Rechts", das ein Unterschied zwischen Makro- und Mikrokriminalität auch auf der kriminalpolitischen Ebene getroffen werden muss. Die Sinnhaftigkeit von Sanktionen für jugendliche Straftäter und für Täter des Alltagsbereichs, seien im Makrobereich nicht zielführend.

"Wenn wir zunächst vereinfachend unterstellen, dass der Verhaltensaspekt von Kriminalität als solcher studiert werden kann, bleibt zu klären, mit welcher Brennweite wir uns diesen vor Augen führen wollen: In der Mikroebene des Zusammenhanges einzelner krimineller Handlungen mit individuellen Fähigkeiten und Neigungen ihrer Urheber, in der Mesoebene der Institutionen sozialer Kontrolle oder in der Makroebene der Gesellschaftsstruktur und ihres Einflusses auf die Entwicklung des Volumens als kriminell dokumentierter Handlungen? (Kunz, 2008:9)

Kriminologische Einordnung

Stellt man Makro- und Mikrokriminalität gegenüber, hat dies nicht dieselbe zentrale Bedeutung wie sie in der Hess'schen Unterteilung des Verbrechens deutlich wird, wo funktionsgemäß eine Unterscheidung in revoltierend und repressiv vorgenommen wird. Carolin Reese schreibt 2004 in ihrem Buch "Großverbrechen und kriminologische Konzepte - Versuch einer theoretischen Integration" auf Seite 181 über Herbert Jäger, das er in seinen Arbeiten über Mikrokriminalität die Meinung vertrete: "dies seien Rechtsbrüche (...) einzelner und kleiner Gruppen, also Formen individuellen abweichenden Verhaltens". Die Gegenüberstellung der Begriffe verdeutlicht ihrer Meinung nach das Dimensionsproblem und er fragt sich, ob eine nach oben offene Kriminalitätsskala denkbar ist.

Kriminologische Relevanz

Kriminalpolitisch wird die Entkriminalisierung der Mikrokriminalität gefordert. Als Argument werden Beispiele, wie Staatsterrorismus, Kriegsverbrechen und nukleare Massenvernichtung angeführt. Sie verdeutlichen den Unterschied zur Mikrokriminalität, da durch sie sogenannte "Alltagsdelikte" repräsentiert werden. Gleichzeitig wird eine intensivere Verfolgung und härtere Bestrafung der Makrokriminalität gefordert.

Bedeutung im Strafrecht

Die Dikussion um die Beweislastumkehr, spiegelt die Probleme und Entwicklungen im aktuellen Strafrecht wieder. Das klassische Strafrecht ist auf Mikrokriminalität ausgelegt, in dem einzelne Täter, individuelle Opfer schädigen. Das modernen Strafrecht hingegen, orientiert sich an der jeweiligen Folge und es muss den Zielen einer zunehmend effektiven Kriminalpolitik genügen. Der Täter wird dort als ein rechtliches Gebilde der organisierten Kriminalität gesehen. Er handelt demnach nicht als Einzeltäter. Bei einem Opfer handelt es sich dementsprechend auch nicht um eine einzelne Person. Geschädigt wird ein Finanzsysem oder eine Rechtsordnung in corpore.

Seit jeher muss sich das Strafrecht mit dem Vorwurf auseinandersetzen, das es ein Klassenstrafrecht wäre. Es würde nur ein Recht gegen Mikrokriminalität sein, in dem es den Schwarzfahrer, den Räuber und den Heiratsschwindler abstrafe. Dabei würde es sich der Makrokriminalität nur näheren.

Für Mord und Totschlag wird üblicherweise die Bezeichnung Kapitalverbrechen benutzt. Der Experte spricht dabei von sogenannten Kapitaldelikten, wenn er Straftaten gegen Leib und Leben bezeichnet. Die genannte Wörter "Kapitaldelikte" und "Kapitalverbrechen" bekommen derzeit eine neue Bedeutung. Seit der Finanzkrise steht die Frage im Raum, ob es sich bei dubiosen Machenschaften durch die hohe Summen verdient wurden und anschließend zum Zusammenbruch der Märkte führten, nicht um die wahren Kapitaldelikte handelt? Schließlich griff der Staat mit ungeheuren Summen unterstützend in das Geschehen ein.

Problemfelder

Es mehren sich die Stimmen im Wirtschaftsstrafrecht, die für den Ausstieg aus der Individualverantwortung plädieren. Die Verantwortung des Einzelnen wird schlicht für uninteressant erklärt. In geeigneten Fällen wird eine strafrechtliche Haftbarmachung eines Unternehmen gefordert. Es existieren entsprechende Vorschläge, in denen der Zusammenhang zwischen Zurechnung und Verurteilung aufgelöst wird. Diese Vorschläge werden kritisch betrachtet. Demgegenüber gibt es Versuche ein Haftungsmodell als Grundlage eines neu zu konzipierenden Unternehmensstrafrechts ins Gespräch zu bringen. Das Ziel ist es, eine bessere Bekämpfung der Mesokriminalität zu möglichen.

Die Globalisierung als wirtschaftliches Phänomen provoziert oder fördert Makrokriminalität. In Form der Massenkriminalität beeinflusst sie auch die Mikrokriminalität. In Westeuropa führen die Bewegungen von Kapital und Arbeitskräften so zur Entstehung von Subproletariaten. Von ihnen kann ein Anstieg der Gewaltkriminalität sowie der kleineren Vermögenskriminalität ausgehen.

Weblinks

Literatur

  • Bongard, Kai (2001) Wirtschaftsfaktor Geldwäsche: Analyse und Bekämpfung. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag
  • Valentin Golbert, "Innere Sicherheit in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten - Ausgewählte Aspekte des Verbrechensproblems im Spätkapiatlismus, Real- und Postsozialismus LIT Verlag Münster-Hamburg-London 2003
  • Carolin Reese, "Großverbrechen und kriminologische Konzepte - Versuch einer theoretischen Integration", LIT Verlag Münster, 2004
  • Günther Kaiser, "Kaiser Kriminologie", C. F. Müller Verlag, Heidelberg, 1996
  • Franziska Schößler, "Augen-Blicke - Erinnerung, Zeit und Geschichte in Dramen der neunziger Jahre", Gunter Narr Verlag Tübingen, 2004
  • Cornelius Prittwitz, "Strafrecht und Risiko - Untersuchungen zur Krise von Strafrecht und Kriminalpolitik in der Risikogesellschaft", Vittorio Kostermann GmbH Frankfurt am Main 1993
  • Heiner Alwart, Jenaer Schriften zum Recht, Band 6, "Zurechnen und Verurteilen", Boorberg-Verlag Stuttgart, 1998