Der griechische Dichter Simonides singt: »Gesundheit ist das edelste Gut dem sterblichen Menschen, das Nächste nach diesem ist Schönheit, das dritte Reichtum ohne Tücke erlanget, das vierte geselliger Freuden Genuss in junger Freunde Gesellschaft.« Das sind alles Lebensgüter, Lebensfreuden. Wonach anders suchte Diogenes von Sinope, als nach dem wahren Lebensgenuss, den er in der möglichst geringen Bedürftigkeit entdeckte? Wonach anders Aristipp, der ihn im heiteren Mute unter allen Lagen fand? Sie suchen den heitern, ungetrübten Lebensmut, die Heiterkeit, sie suchen »guter Dinge zu sein«.

Sei Du steinreich oder blutarm - das überlässt der Staat des Bürgertums Deinem Belieben; habe aber nur eine »gute Gesinnung«. Sie verlangt er von Dir und hält es für seine dringendste Aufgabe, dieselbe bei allen herzustellen. Darum wird er vor »bösen Einflüsterungen« Dich bewahren, indem er die »Übelgesinnten« im Zaume hält und ihre aufregenden Reden unter Zensurstrichen oder Pressstrafen und hinter Kerkermauern verstummen lässt, und wird anderseits Leute von »guter Gesinnung« zu Zensoren bestellen und auf alle Weise von »Wohlgesinnten und Wohlmeinenden« einen moralischen Einfluss auf Dich ausüben lassen. Hat er Dich gegen die bösen Einflüsterungen taub gemacht, so öffnet er Dir um so emsiger die Ohren wieder für die guten Einflüsterungen. Mit der Zeit der Bourgeoisie beginnt die des Liberalismus. Man will überall das »Vernünftige«, das »Zeitgemässe« usw. hergestellt sehen. Folgende Definition des Liberalismus, die ihm zu Ehren gesagt sein soll, bezeichnet ihn vollständig: »Der Liberalismus ist nichts anders, als die Vernunfterkenntnis angewandt auf unsere bestehenden Verhältnisse.« (32) Sein Ziel ist eine »vernünftige Ordnung«, ein »sittliches Verhalten«, eine »beschränkte Freiheit«, nicht die Anarchie, die Gesetzlosigkeit, die Eigenheit. Herrscht aber die Vernunft, so unterliegt die Person. Die Kunst hat längst das Hässliche nicht nur gelten lassen, sondern als zu ihrem Bestehen notwendig erachtet und in sich aufgenommen: sie braucht den Bösewicht usw. Auch im religiösen Gebiete gehen die extremsten Liberalen so weit, dass sie den religiösesten Menschen für einen Staatsbürger angesehen wissen wollen, d.h. den religiösen Bösewicht; sie wollen nichts mehr von Ketzergerichten wissen. Aber gegen das »vernünftige Gesetz« soll

[116] sich Keiner empören, sonst droht ihm die härteste - Strafe. Man will nicht eine freie Bewegung und Geltung der Person oder Meiner, sondern der Vernunft, d.h. eine Vernunftherrschaft, eine Herrschaft. Die Liberalen sind Eiferer, nicht gerade für den Glauben, für Gott usw., wohl aber für die Vernunft, ihre Herrin. Sie vertragen keine Ungezogenheit und darum keine Selbstentwicklung und Selbstbestimmung: sie bevormunden trotz den absolutesten Herrschern. »Politische Freiheit«, was soll man sich darunter denken? Etwa die Freiheit des Einzelnen vom Staate und seinen Gesetzen? Nein, im Gegenteil die Gebundenheit des Einzelnen im Staate und an die Staatsgesetze. Warum aber »Freiheit«? Weil man nicht mehr vom Staate durch Mittelspersonen getrennt wird, sondern in direkter und unmittelbarer Beziehung zu ihm steht, weil man - Staatsbürger ist, nicht Untertan eines anderen, selbst nicht des Königs als einer Person, sondern nur in seiner Eigenschaft als »Staatsoberhaupt«. Die politische Freiheit, diese Grundlehre des Liberalismus, ist nichts als eine zweite Phase des - Protestantismus und läuft mit der »religiösen Freiheit« ganz parallel. (33) Oder wäre etwa unter letzterer eine Freiheit von der Religion zu verstehen? Nichts weniger als das. Nur die Freiheit von Mittelspersonen soll damit ausgesprochen werden, die Freiheit von vermittelnden Priestern, die Aufhebung der »Laienschaft«, also das direkte und unmittelbare Verhältnis zur Religion oder zu Gott. Nur unter der Voraussetzung, dass man Religion habe, kann man Religionsfreiheit geniessen, Religionsfreiheit heisst nicht Religionslosigkeit, sondern Glaubensinnigkeit, unvermittelter Verkehr mit Gott. Wer »religiös frei« ist, dem ist die Religion eine Herzens-Sache, ist ihm seine eigene Sache, ist ihm ein »heiliger Ernst«. So auch ist's dem »politisch Freien« ein heiliger Ernst mit dem Staate, er ist seine Herzenssache, seine Hauptsache, seine eigene Sache.

wollen Schreibefreiheit für sich; denn da sie gesetzlich sind, werden sie durch ihre Schriften nicht dem Gesetze verfallen. Nur Liberales d.h. nur Gesetzliches soll gedruckt werden dürfen; sonst drohen die »Pressgesetze« mit »Pressstrafen«. Sieht man die persönliche Freiheit gesichert, so merkt man gar nicht, wie, wenn es nun zu etwas Weiterem kommt, die grellste Unfreiheit herrschend wird. Denn den Befehl ist man zwar los, und »Niemand hat Uns was zu befehlen«, aber um so unterwürfiger ist man dafür geworden dem - Gesetze. Man wird nun in aller Form Rechtens geknechtet.

Man sagt, die Strafe sei das Recht des Verbrechers. Allein die Straflosigkeit ist ebenso sein Recht. Gelingt ihm sein Unternehmen, so geschieht ihm Recht, und gelingt's nicht, so geschieht ihm gleichfalls Recht. Wie Du Dich bettest, so schläfst Du. Begibt sich Jemand tollkühn in Gefahren und kommt darin um, so sagen Wir wohl: es geschieht ihm Recht, er hat's nicht besser gewollt. Besiegte er aber die Gefahren, d.h. siegte seine Macht, so hätte er auch Recht. Spielt ein Kind mit dem Messer und schneidet sich, so geschieht ihm Recht; aber schneidet sich's nicht, so geschieht ihm auch Recht. Dem Verbrecher widerfährt daher wohl Recht, wenn erleidet, was er riskierte; warum riskierte er's auch, da er die möglichen Folgen kannte! Aber die Strafe, welche Wir über ihn verhängen, ist nur unser Recht, nicht das seine. Unser Recht reagiert gegen das seinige, und er »behält Unrecht«, weil - Wir die Oberhand gewinnen.

Der Heiligkeit des Staates gegenüber ist der Einzelne nur ein Gefäss der Unehre, in welchem »Übermut, Böswilligkeit, Spott- und Schmähsucht, Frivolität usw.« übrigbleiben, sobald er jenes Heiligtum, den Staat, nicht anerkennenswert findet. Der geistliche Hochmut der Staats-Diener und Staats-Untertanen hat köstliche Strafen gegen den ungeistlichen »Übermut«. Wenn die Regierung alles Spiel des Geistes gegen den Staat als strafbar bezeichnet, so kommen die gemässigten Liberalen und meinen: Laune, Satire, Witz, Humor usw. müssten doch sprudeln dürfen, und das Genie müsse Freiheit geniessen. Also zwar nicht der einzelne Mensch, aber doch das Genie soll frei sein. Ganz in seinem Rechte sagt da der Staat, oder im Namen desselben die Regierung: Wer nicht für mich ist, ist wider mich. Die Laune, der Witz usw., kurz die Komödierung des Staatswesens hat die Staaten von jeher untergraben: sie ist nicht »unschuldig«. Und ferner, welche Grenzen sollen zwischen schuldigem und unschuldigem Witze usw. gezogen werden? Die Gemässigten kommen bei dieser Frage in grosse Verlegenheit und es reduziert sich Alles auf die Bitte, der Staat (Regierung) möge doch nicht so emp-

[218] findlich, so kitzlig sein; er möge in »harmlosen« Dingen nicht gleich Böswilligkeit wittern und überhaupt ein wenig »toleranter« sein. Übertriebene Empfindlichkeit ist allerdings eine Schwäche, ihre Vermeidung mag eine lobenswerte Tugend sein; allein in Kriegszeiten kann man nicht schonend sein, und was unter ruhigen Verhältnissen verstattet sein mag, hört auf erlaubt zu sein, sobald der Belagerungszustand erklärt ist.

Lässt Du Dir von einem anderen Recht geben, so musst Du nicht minder Dir von ihm Unrecht geben lassen; kommt Dir von ihm die Rechtfertigung und Belohnung, so erwarte auch seine Anklage und Strafe. Dem Rechte geht das Unrecht, der Gesetzlichkeit das Verbrechen zur Seite. Was bist Du? - Du bist ein - Verbrecher! »Der Verbrecher ist des Staates eigenstes Verbrechen!« sagt Bettina. (62) Man kann dieses Wort gelten lassen, wenn auch Bettina selbst es nicht gerade so versteht. Im Staate vermag nämlich das zügellose Ich, Ich, wie Ich Mir allein angehöre, nicht zu meiner Erfüllung und Verwirklichung zu kommen. Jedes Ich ist von Geburt schon ein Verbrecher gegen das Volk, den Staat. Daher überwacht er auch wirklich Alle, er sieht in jedem einen - Egoisten, und vor dem Egoisten fürchtet er sich. Er setzt von jedem das Schlimmste voraus, und hat Acht, polizeilich Acht, dass »dem Staat kein Schaden geschieht«, ne quid respublica detrimenti capiat. Das zügellose Ich - und das sind Wir ursprünglich, und in unserem geheimen Inneren bleiben Wir's stets - ist der nie aufhörende Verbrecher im Staate. Der Mensch, den seine Kühnheit, sein

[220] Wille, seine Rücksichtslosigkeit und Furchtlosigkeit leitet, der wird vom Staate, vom Volke mit Spionen umstellt. Ich sage, vom Volke! Das Volk - Ihr gutherzigen Leute, denkt Wunder, was Ihr an ihm habt - das Volk steckt durch und durch voll Polizeigesinnung. - Nur wer sein Ich verleugnet, wer »Selbstverleugnung« übt, ist dem Volke angenehm. Bettina ist im angeführten Buche durchweg gutmütig genug, den Staat nur für krank zu halten und auf seine Genesung zu hoffen, eine Genesung, welche sie durch die »Demagogen« (63) bewirken will; allein er ist nicht krank, sondern in voller Kraft, wenn er die Demagogen, die für die Einzelnen, für »Alle« etwas erwerben wollen, von sich weist. Er ist in seinen Gläubigen mit den besten Demagogen, Volksführern, versehen. Nach Bettina soll (64) »der Staat den Freiheitskeim der Menschheit entwickeln, sonst ist er Rabenmutter und sorgt auch für Rabenfutter!

[224] von jedem, dass ihm dies Gesetz Norm und Ideal werde, widrigenfalls er sich als »Sünder und Verbrecher« ausweise. Den »Schuldigen« aber trifft die »Strafe des Gesetzes«! Man sieht hier, wie es wieder »der Mensch« ist, der auch den Begriff des Verbrechens, der Sünde, und damit den des Rechts zu Wege bringt. Ein Mensch, in welchem Ich nicht »den Menschen« erkenne, ist »ein Sünder, ein Schuldiger«. Nur gegen ein Heiliges gibt es Verbrecher; Du gegen Mich kannst nie ein Verbrecher sein, sondern nur ein Gegner. Aber den, der ein Heiliges verletzt, nicht hassen, ist schon ein Verbrechen, wie St. Just gegen Danton ausruft: »Bist Du nicht ein Verbrecher und verantwortlich, dass Du nicht die Feinde des Vaterlandes gehasst hast?« (67) Wird, wie in der Revolution, das, was »der Mensch« sei, als »guter Bürger« gefasst, so gibt es von diesem Begriffe »des Menschen« die bekannten »politischen Vergehen und Verbrechen«. In alledem wird der Einzelne, der einzelne Mensch, als Auswurf betrachtet, und dagegen der allgemeine Mensch, »der Mensch« honoriert. Je nachdem nun dies Gespenst benannt wird, wie Christ, Jude, Muselmann, guter Bürger, loyaler Untertan, Freier, Patriot usw., je nachdem fallen sowohl die, welche einen abweichenden Begriff vom Menschen durchführen möchten, als diejenigen, welche sich durchsetzen wollen, vor dem siegreichen »Menschen«. Und mit welcher Salbung wird hier im Namen des Gesetzes, des souveränen Volkes, Gottes usw. geschlachtet. [225] Aus fixen Ideen entstehen die Verbrechen. Die Heiligkeit der Ehe ist eine fixe Idee. Aus der Heiligkeit folgt, dass die Untreue ein Verbrechen ist, und es setzt daher ein gewisses Ehegesetz eine kürzere oder längere Strafe darauf. Aber diese Strafe muss von denen, welche die »Freiheit als heilig« ausrufen, als ein Verbrechen wider die Freiheit angesehen werden, und nur in diesem Sinne hat auch die öffentliche Meinung das Ehegesetz gebrandmarkt. Die Gesellschaft will zwar haben, dass jeder zu seinem Rechte komme, aber doch nur zu dem von der Gesellschaft sanktionierten, dem Gesellschaftsrechte, nicht wirklich zu seinem Rechte. Ich aber gebe oder nehme Mir das Recht aus eigener Machtvollkommenheit, und gegen jede Übermacht bin Ich der unbussfertigste Verbrecher. Eigener und Schöpfer meines Rechts - erkenne Ich keine andere Rechtsquelle als - Mich, weder Gott, noch den Staat, noch die Natur, noch auch den Menschen selbst mit seinen »ewigen Menschenrechten«, weder göttliches noch menschliches Recht. Recht »an und für sich«. Also ohne Beziehung auf Mich! »Absolutes Recht«. Also getrennt von Mir! Ein an und für sich Seiendes! Ein Absolutes! Ein ewiges Recht, wie eine ewige Wahrheit!

Heutigen Tages indessen reicht der Arm der Familiengewalt selten weit genug, um den Abtrünnigen ernstlich in Strafe zu nehmen (selbst gegen Enterbung schützt der Staat in den meisten Fällen). Der Verbrecher an der Familie (Familien-Verbrecher) flüchtet in das Gebiet des Staates und ist frei, wie der Staatsverbrecher, der nach Amerika entkommt, von den Strafen seines Staates nicht mehr erreicht wird. Er, der seine Familie geschändet hat, der ungeratene Sohn, wird gegen die Strafe der Familie geschützt, weil der Staat, dieser Schutzherr, der Familienstrafe ihre »Heiligkeit« benimmt und sie profaniert, indem er dekretiert, sie sei nur - »Rache«: er verhindert die Strafe, dies heilige Familienrecht, weil vor seiner, des Staates, »Heiligkeit« die untergeordnete Heiligkeit der Familie jedesmal erbleicht und entheiligt wird, so-

[245] Zwei Menschen, die beide darüber einig sind, dass sie ihr Leben für eine Sache (gleichviel welche) einsetzen wollen, sollen dies nicht dürfen, weil's der Staat nicht haben will: er setzt eine Strafe darauf. Wo bleibt da die Freiheit der Selbstbestimmung? Ganz anders verhält es sich schon, wann, wie z.B. in Nordamerika, sich die Gesellschaft dazu bestimmt, die Duellanten gewisse üble Folgen ihrer Tat tragen zu lassen, z.B. Entziehung des bisher genossenen Kredits. Den Kredit zu verweigern, das ist jedermanns Sache, und wenn eine Sozietät ihn aus diesem oder jenem Grunde entziehen will, so kann sich der Betroffene deshalb nicht über Beeinträchtigung seiner Freiheit beklagen: die Sozietät macht eben nur ihre eigene Freiheit geltend. Das ist keine Sündenstrafe, keine Strafe für ein Verbrechen. Das Duell ist da kein Verbrechen, sondern nur eine Tat, wider

[264] welche die Sozietät Gegenmassregeln ergreift, eine Abwehr statuiert. Der Staat hingegen stempelt das Duell zu einem Verbrechen, d.h. zu einer Verletzung seines heiligen Gesetzes: er macht es zu einem Kriminalfall. Überlässt jene Sozietät es dem Beschlusse des Einzelnen, ob er sich üble Folgen und Ungelegenheiten durch seine Handlungsweise zuziehen wolle, und erkennt sie hierdurch seinen freien Entschluss an, so verfährt der Staat gerade umgekehrt, indem er dem Entschlusse des Einzelnen alles Recht abspricht, und dafür dem eigenen Beschlusse, dem Staatsgesetze, das alleinige Recht zuerkennt, so dass, wer gegen das Gebot des Staates sich vergeht, so angesehen wird, als handle er wider Gottes Gebot; eine Ansicht, welche gleichfalls von der Kirche eingehalten wurde. Gott ist da der Heilige an und für sich, und die Gebote der Kirche wie des Staates sind die Gebote dieses Heiligen, die er der Welt durch seine Gesalbten und Gottesgnaden-Herrn zustellt. Hatte die Kirche Todsünden, so hat der Staat todeswürdige Verbrechen, hatte sie Ketzer, so hat er Hochverräter, jene Kirchenstrafen, er Kriminalstrafen, jene inquisitorische Prozesse, er fiskalische, kurz dort Sünden, hier Verbrechen, dort Sünder, hier Verbrecher, dort Inquisition und hier - Inquisition. Wird die Heiligkeit des Staats nicht gleich der kirchlichen fallen? Der Schauer seiner Gesetze, die Ehrfurcht vor seiner Hoheit, die Demut seiner »Untertanen«, wird dies bleiben? Wird das »Heiligengesicht« nicht verunziert werden? Welch' eine Torheit, von der Staatsgewalt zu verlangen, dass sie mit dem Einzelnen einen ehrlichen Kampf eingehen und, wie man bei der Pressfreiheit sich ausdrückt, Sonne und Wind gleich teilen solle. Wenn der Staat, dieser Gedanke, eine geltende Macht sein soll, so muss er eben eine höhere Macht gegen den Einzelnen sein. Der Staat ist »heilig« und darf sich den »frechen Angriffen« der Einzelnen nicht aussetzen. Ist der Staat heilig, so muss Zensur sein. Die politischen Liberalen geben das erstere zu und bestreiten die Konsequenz. Jedenfalls aber räumen sie ihm die Repressivmass-

[265] regeln ein, denn - sie bleiben dabei, dass Staat mehr sei als der Einzelne und eine berechtigte Rache ausübe, Strafe genannt. Strafe hat nur dann einen Sinn, wenn sie die Sühne für die Verletzung eines Heiligen gewähren soll. Ist einem etwas heilig, so verdient er allerdings, wo er es anfeindet, Strafe. Ein Mensch, der ein Menschenleben bestehen lässt, weil es ihm heilig ist, und er eine Scheu vor seiner Antastung trägt, ist eben ein - religiöser Mensch. Weitling legt die Verbrechen der »gesellschaftlichen Unordnung« zur Last und lebt der Erwartung, dass unter kommunistischen Einrichtungen die Verbrechen unmöglich werden, weil die Versuchungen zu denselben, z.B. das Geld, wegfallen. Da indes seine organisierte Gesellschaft auch zur heiligen und unverletzlichen erhoben wird, so verrechnet er sich bei jener gutherzigen Meinung. Solche, die sich mit dem Munde zur kommunistischen Gesellschaft bekenneten, unter der Hand hingegen an ihrem Ruin arbeiteten, würden nicht fehlen. Bei »Heilmitteln gegen den natürlichen Rest menschlicher Krankheiten und Schwächen« muss Weitling ohnehin verbleiben, (80) und »Heilmittel« kündigen immer schon an, dass man die Einzelnen als zu einem bestimmten »Heil berufen« ansehen, mithin sie nach Massgabe dieses »menschlichen Berufes« behandeln werde. Das Heilmittel oder die Heilung ist nur die Kehrseite der Strafe, die Heiltheorie läuft parallel mit der Straftheorie; sieht diese in einer Handlung eine Versündigung gegen das Recht, so nimmt jene sie für eine Versündigung des Menschen gegen sich, als einen Abfall von seiner Gesundheit. Das Richtige aber ist, dass Ich sie entweder als eine ansehe, die Mir recht oder Mir nicht recht ist, als Mir feindlich oder freundlich, d.h. dass Ich sie als Mein Eigentum behandle, welches Ich pflege oder zertrümmere. »Verbrechen« oder »Krankheit« ist beides keine egoistische Ansicht der Sache, d.h. keine Beurteilung von

[266] Mir aus, sondern von einem anderen aus, ob sie nämlich entweder das Recht, das allgemeine, oder die Gesundheit teils des Einzelnen (des Kranken), teils des Allgemeinen (der Gesellschaft) verletzt. Das »Verbrechen« wird mit Unerbittlichkeit behandelt, die »Krankheit« mit »liebreicher Milde, Mitleid« u. dergl. Dem Verbrechen folgt die Strafe. Fällt das Verbrechen, weil das Heilige verschwindet, so muss nicht minder die Strafe in dessen Fall hineingezogen werden; denn auch sie hat nur einem Heiligen gegenüber Bedeutung. Man hat die Kirchenstrafen abgeschafft. Warum? Weil, wie Jemand sich gegen den »heiligen Gott« benehme, jedermanns eigene Sache sei. Wie aber diese eine Strafe, die Kirchenstrafe, gefallen ist, so müssen alle Strafen fallen. Wie die Sünde gegen den sogenannten Gott des Menschen eigene Sache ist, so die gegen jede Art des sogenannten Heiligen. Nach unsern Strafrechtstheorien, mit deren »zeitgemässer Verbesserung« man sich vergeblich abquält, will man die Menschen für diese oder jene »Unmenschlichkeit« strafen und macht dabei das Alberne dieser Theorien durch ihre Konsequenz besonders deutlich, indem man die kleinen Diebe hängt und die grossen laufen lässt. Für Eigentumsverletzung hat man das Zuchthaus, und für »Gedankenzwang«, Unterdrückung »natürlicher Menschenrechte«, nur - Vorstellungen und Bitten. Der Kriminalkodex hat nur durch das Heilige Bestand und verkommt von selbst, wenn man die Strafe aufgibt. Allerwärts will man gegenwärtig ein neues Strafgesetz schaffen, ohne sich über die Strafe selbst ein Bedenken zu machen. Gerade die Strafe aber muss der Genugtuung den Platz räumen, die wiederum nicht darauf abzielen kann, dem Rechte oder der Gerechtigkeit genug zu tun, sondern Uns ein Genüge zu verschaffen. Tut Uns einer, was Wir Uns nicht gefallen lassen wollen, so brechen Wir seine Gewalt und bringen die Unsere zur Geltung: Wir befriedigen Uns an ihm und verfallen nicht in die Torheit, das Recht (den Spuk) befriedigen zu wollen. Nicht das Heilige soll sich gegen den

Mir aus, sondern von einem anderen aus, ob sie nämlich entweder das Recht, das allgemeine, oder die Gesundheit teils des Einzelnen (des Kranken), teils des Allgemeinen (der Gesellschaft) verletzt. Das »Verbrechen« wird mit Unerbittlichkeit behandelt, die »Krankheit« mit »liebreicher Milde, Mitleid« u. dergl. Dem Verbrechen folgt die Strafe. Fällt das Verbrechen, weil das Heilige verschwindet, so muss nicht minder die Strafe in dessen Fall hineingezogen werden; denn auch sie hat nur einem Heiligen gegenüber Bedeutung. Man hat die Kirchenstrafen abgeschafft. Warum? Weil, wie Jemand sich gegen den »heiligen Gott« benehme, jedermanns eigene Sache sei. Wie aber diese eine Strafe, die Kirchenstrafe, gefallen ist, so müssen alle Strafen fallen. Wie die Sünde gegen den sogenannten Gott des Menschen eigene Sache ist, so die gegen jede Art des sogenannten Heiligen. Nach unsern Strafrechtstheorien, mit deren »zeitgemässer Verbesserung« man sich vergeblich abquält, will man die Menschen für diese oder jene »Unmenschlichkeit« strafen und macht dabei das Alberne dieser Theorien durch ihre Konsequenz besonders deutlich, indem man die kleinen Diebe hängt und die grossen laufen lässt. Für Eigentumsverletzung hat man das Zuchthaus, und für »Gedankenzwang«, Unterdrückung »natürlicher Menschenrechte«, nur - Vorstellungen und Bitten. Der Kriminalkodex hat nur durch das Heilige Bestand und verkommt von selbst, wenn man die Strafe aufgibt. Allerwärts will man gegenwärtig ein neues Strafgesetz schaffen, ohne sich über die Strafe selbst ein Bedenken zu machen. Gerade die Strafe aber muss der Genugtuung den Platz räumen, die wiederum nicht darauf abzielen kann, dem Rechte oder der Gerechtigkeit genug zu tun, sondern Uns ein Genüge zu verschaffen. Tut Uns einer, was Wir Uns nicht gefallen lassen wollen, so brechen Wir seine Gewalt und bringen die Unsere zur Geltung: Wir befriedigen Uns an ihm und verfallen nicht in die Torheit, das Recht (den Spuk) befriedigen zu wollen. Nicht das Heilige soll sich gegen den

[267] Menschen wehren, sondern der Mensch gegen den Menschen, so wie ja auch nicht mehr Gott sich gegen den Menschen wehrt, dem sonst und zum Teil freilich noch jetzt alle »Diener Gottes« die Hand boten, um den Lästerer zu strafen, wie sie eben heute noch dem Heiligen ihre Hand leihen. Jene Hingebung an das Heilige bewirkt denn auch, dass man, ohne lebendigen, eigenen Anteil, die Übeltäter nur in die Hände der Polizei und Gerichte liefert: ein teilnahmsloses Überantworten an die Obrigkeit, »die ja das Heilige aufs Beste verwalten wird«. Das Volk ist ganz toll darauf, gegen Alles die Polizei zu hetzen, was ihm unsittlich, oft nur unanständig zu sein scheint, und diese Volkswut für das Sittliche beschützt mehr das Polizeiinstitut, als die Regierung es nur irgend schützen könnte. Im Verbrechen hat sich seither der Egoist behauptet und das Heilige verspottet: der Bruch mit dem Heiligen, oder vielmehr des Heiligen kann allgemein werden. Eine Revolution kehrt nicht wieder, aber ein gewaltiges, rücksichtsloses, schamloses, gewissenloses, stolzes - Verbrechen, grollt es nicht in fernen Donnern, und siehst Du nicht, wie der Himmel ahnungsvoll schweigt und sich trübt?

Solange auch nur für Ein geistiges Wesen noch Respekt gefordert wird, muss die Rede und Presse im Namen dieses Wesens geknechtet werden; denn ebenso lange könnte der Egoist durch seine Äusserungen sich gegen dasselbe »vergehen«, woran er eben wenigstens durch die »gebührende Strafe« verhindert werden muss, wenn man nicht lieber das richtigere Mittel dagegen ergreifen will, die vorbeugende Polizeigewalt, z.B. der Zensur. Welch ein Seufzen nach Freiheit der Presse! Wovon soll die Presse denn befreit werden? Doch wohl von einer Abhängigkeit, Angehörigkeit und Dienstbarkeit! Davon aber sich zu befreien, ist eben die Sache eines jeden, und es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass wenn Du Dich aus der Dienstbarkeit erlöst hast, auch das, was Du verfassest und schreibst, Dir eigen gehören werde, statt im Dienste irgend einer Macht gedacht und aufgesetzt worden zu sein. Was kann ein Christgläubiger sagen und drucken lassen, das freier wäre von jener Christgläubigkeit, als er selbst es ist? Wenn Ich etwas nicht schreiben kann und darf, so liegt die nächste Schuld vielleicht an Mir. So wenig dies die Sache zu treffen scheint, so nahe findet sich dennoch die Anwendung. Durch ein Pressgesetz ziehe oder lasse Ich meinen Veröffentlichungen eine Grenze ziehen, über welche hinaus das Unrecht und dessen Strafe folgt. Ich selbst beschränke Mich. Sollte die Presse frei sein, so wäre gerade nichts so wichtig, als ihre Befreiung von jedem Zwange, der ihr im Namen eines Gesetzes angetan werden könnte. Und dass es dazu komme, müsste eben Ich selbst vom Gehorsam gegen das Gesetz Mich entbunden haben. Freilich, die absolute Freiheit der Presse ist wie jede absolute Freiheit ein Unding. Von gar Vielem kann sie frei werden, aber immer nur von dem, wovon auch Ich frei bin. Machen Wir Uns vom Heiligen frei, sind Wir heillos und gesetzlos geworden, so werden's auch unsere Worte werden.