Max Flesch

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Max Flesch mit seiner Frau Hella

Maximilian H. Johann Flesch (* am 01.01.1852 in Frankfurt am Main; † am 06.05.1943 im KZ Theresienstadt)

war ein deutscher Anatom und Gynäkologe sowie Kriminalanthropologe, Sozial- und Sexualreformer. Sein kriminologisches Schaffen beinhaltete diverse Untersuchungen von Gehirnen ehemalig zum Tode Verurteilter so wie auch kriminal- und strafrechtspolitische Überlegungen, welche allesamt die Einbindung biologischer und psychopathologischer Forschung in die justizielle Entscheidungsfindung zur Grundlage hatten.

Max Flesch galt als Gegner der Todesstrafe und Befürworter der lebenslangen Freiheitsstrafe.

Leben

Max Flesch wurde am 1. Januar 1852 als Sohn eines jüdischen Kinderarztes geboren. Er ist der Bruder von Karl Flesch, einem ehemaligen Stadtrat für den linksliberalen Demokratischen Verein und Vorsteher des Frankfurter Waisen- und Armenamts.

Ab 1869 studierte Max Flesch in Bonn, Würzburg und Berlin Medizin, was er 1872 mit Promotion abschloß. In den Jahren 1870/71 nahm er als Krankenpfleger am Deutsch-Französischen Krieg teil. 1879 habilitierte Flesch an der Universität Würzburg. 1882 wurde er zum Professor für Anatomie, Histologie und Embryologie an der Tierarzneischule in Bern berufen. 1887 erfolgte seine Rückkehr nach Deutschland, was die Folge einer Eheschließung mit seiner Frau Hella war. In Frankfurt am Main führte Flesch nun eine zunächst allgemeinärztliche, dann chirurgische und frauenärztliche Praxis. Während des Ersten Weltkrieges leitete er zudem ein Kriegslazarett.

Später, nach der nationalsozialistischen Machtübernahme, zogen sich die Fleschs nach Hochwaldhausen im hessischen Vogelsberg zurück. Aufgrund seiner jüdischen Abstammung konnte er nun nicht mehr publizieren. 1942 wurde das Ehepaar Flesch von der Gestapo abgeholt und einige Monate später in das KZ Theresienstadt deportiert. Hier starb Max Flesch am 6. Mai 1943.

Geschichtliche Einordnung

Max Fleschs Wirken fällt in die Zeit der Jahrhundertwende und des wissenschaftlichen Umdenkens in der Kriminologie nach dem Ersten Weltkrieg und in der Weimarer Republik. Die Forderung nach systematischer und aufwändiger Forschung zur Auffindung der ätiologischen "kriminellen Natur" von Verbrechern führte zu einem Durchbruch der Psychopathologie und Konstitutionsbiologie. Flesch gehörte zu den Verfechtern der damals mehr und mehr in Erscheinung tretenden Vorstellung eins posititvistischen Determinismus, welche in den kommenden Jahrzehnten eine täterorientierte und auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen aufbauende kriminologisch-ätiologische Forschung verbreiten sollte.

Kriminalanthropologie

Im Unterschied zu Cesare Lombroso und vielen anderen Kriminologen seiner Zeit ging Flesch nicht vom atavistischen und zum Verbrechen zwangsläufig geborenen Kriminellen aus, sondern von der Verbindung dreier Faktoren, welche den Verbrecher als solchen begründet und konstituiert:

  1. Veranlagung (z.B. verminderte körperliche Bildung, ererbte Einflüsse)
  2. Erziehung (z.B. uneheliche Geburt, häusliche Misere)
  3. Erregung des Augenblicks (z.B. momentane soziale Notlage, sexuelle Erregeung)

Demnach sei es nicht möglich, nur anhand der biologischen Konstitution Kriminelle von Nicht-Kriminellen zu unterscheiden, geschweige denn Verbrechertypen im Sinne Lombrosos auszumachen. Das Verbrechen sei nicht die direkte Folge bestimmter Anlagen; es gäbe keine spezifischen Arten von Gehirnen, die zwingend zum Verbrechen führen, sondern es gäbe auch andere Faktoren außerhalb der Konstitutionsbiologie, die ein Verbrechen verursachen (z.B. Krankheiten wie Syphillis und Epilepsie, Alkoholismus, wirtschaftliche und soziale Notlagen sowie schlechte Bildung).

Dennoch bestand für Flesch ein unübersehbarer Zusammenhang zwischen "irregulärer sozialer und atypischer somatischer Entwicklung". Die anatomische Beschaffenheit des Gehirns sei demnach die vorherrschende Komponente bei der Identifikation von Kriminalitätsursachen. Verbrechergehirne würden im Vergleich zu Gehirnen nicht kriminell auffälliger Personen eindeutige anatomische Bildungsanomalien aufweisen. Zu unterscheiden sei dabei zwischen angeborenen, also vererbten Unregelmäßigkeiten, und erworbenen, also krankhaften Anomalien. In seiner Rolle als Arzt und Anthropologe sah es Flesch als seine Aufgabe an, diese Unregelmäßigkeiten zu studieren, um die seiner Meinung nach bisher noch nicht bewiesene These untermauern zu können, aus dem Gehirnbau des Menschen ließe sich eine kausale Beziehung zu normabweichendem Verhalten herstellen.

Flesch interessierte sich dabei nicht nur für den Verbrecher oder Kriminellen, sondern auch für denjenigen, der in nicht-strafrechtlicher Form von Normen abwich (z.B. Selbstmörder, Trinker oder Schwachsinnige). Für jede Art der Normdevianz glaubte Flesch, entscheidende Gehirnanomalien ausmachen zu können.

Kriminalpolitische Forderungen

Aus seinen Forschungsergebnissen heraus schlussfolgerte Max Flesch, dass das damalige, auf Sühne und Vergeltung aufbauende Strafrecht überholt und durch ein Verwahrungsgesetz auszutauschen sei. Im Vordergrund müsse die täterorientierte Bekämpfung des Verbrechens stehen und nicht das rein tatorientierte, stumpf-justizielle Verfahren nach einem Verbrechen.

Nach Flesch dürfe der Verbrecher nicht mehr unter der Prämisse individueller Verantwortlichkeit behandelt werden. Nicht nur der Schwachsinnige und der Psychopath, sondern auch der Kriminelle sei wie ein Kranker zu sehen, dessen Zurechnungsfähigkeit im Augenblick seiner Tat durch seine eigene pathologische Beschaffenheit beeinflusst sei. Flesch forderte daher:

  1. Die Miteinbeziehung psychischer und innerer Vorgänge des Täters bei der gerichtlichen Entscheidungsfindung
  2. Daraus folgende, mögliche Strafmilderungen aufgrund einer im Gesetz noch zu verankernden verminderten Zurechnungsfähigkeit
  3. Die weitgehende Abschaffung der Todesstrafe als ein Resultat solcher Strafmilderungen, denn eine Todesstrafe sei eine immer vorsätzliche und mit Überlegung ausgeführte Tötung einer Person, die ihrerseits jedoch unter pathologischer Beeinflussung des eigenen Selbstbehrrschungsvermögens zum Täter geworden ist. Außerdem sei die Todesstrafe auch nicht das geeignetste Mittel zur Ausschaltung krimineller Schädlinge, sondern
  4. Die konsequente Erforschung der Ursachen der verbrecherischen Veranlagung um sowohl zu einer Behandlung zu gelangen, die das Verbrechen austilgen kann, als auch um zu einer wissenschaftlichen Wahrheit zugunsten einer rein formal-juristischen Darstellung zu gelangen
  5. Die Erziehung jener Täter in geeigneten Anstalten, welche ihre Gehirnanomalien erworbenen haben und damit zu den Besserungsfähigen zählen, aber auch
  6. Die Unschädlichmachung der unheilbar defekten Individuen, welche ihre atypischen Beschaffenheiten geerbt haben, und zwar durch radikale Wegschließung und lebenslängliche Verwahrung zum Schutz der Gesellschaft.

Dieses Argument des Gesellschaftsschutzes war für Fleschs Rechtsdenken äußerst entscheidend. Er wehrte sich damit gegen den Vorwurf seitens der Justiz, die positivistische und deterministische Darstellung des Täters seitens der Ärzte und Anthropologen führe zwangläufig zur Abschaffung jeglicher Strafe, da dem kriminell Handelnden keine Schuld mehr zugewiesen werden könnte. Nach Max Flesch müsse zwar die verminderte Zurechnungsfähigkeit des Verbrechers berücksichtigt werden, jedoch gäbe es keinen Grund, die Interessen weniger anormaler Individuen über die Interessen einer ganzen Gesellschaft zu stellen. Letztere habe zwar nicht das Recht, Verbrecher zu bestrafen, aber durchaus das Recht, sich vor Kriminellen zu schützen.

Fleschs zentrale Forderung an das Rechtssystem lag somit in der lebenslänglichen Ausgrenzung gemeingefährlicher Personen als Ersatz für deren Exekution. Er erkannte hierin auch einen praktischen Vorteil, nämlich die Möglichkeit des Studierens und Katalogisierens von Verbrechern noch zu deren Lebzeiten.

Publikationen

  • Untersuchungen über Verbrecher-Gehirne, I. Theil, Die pathologischen Befunde an Verbrecher-Leichen. Würzburg, 1882.
  • Zur Casuistik anomaler Befunde an Gehirnen von Verbrechern und Selbstmördern. In: Archiv für Psychiatrie 16 (1885), S. 689-697.
  • Zur Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten in den Städten: Gemeinverständliche hygienische Betrachtungen. Frankfurt a. M. 1890.
  • Prostitution und Frauenkrankheiten: Hygienische und volkswirthschaftliche Betrachtungen. Frankfurt a. M. 1898.
  • Der Thierversuch in der Medizin und seine Gegner. Leipzig 1901.
  • (mit Ludwig Wertheimer): Geschlechtskrankheiten und Rechtsschutz: Betrachtungen vom ärztlichen, juristischen und ethischen Standpunkt aus, Jena 1903.
  • (als Herausgeber): Eugène Brieux: Die Schiffbrüchigen: ein Theaterstück in 3 Akten. Berlin 1903.
  • (mit Carl Grünwald): Geschlechtskrankheiten und Prostitution in Frankfurt a. M.; Festschrift zum 1. Congreß der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten in Frankfurt a. M. 1903.
  • Untersuchungen zur Dynamik der Steckschüsse. Jena 1917.
  • Zum 25-jährigen Bestehen der Ortsgruppe Frankfurt a. M. der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten (D.G.B.G.): 1903 bis 1928. Frankfurt a. M. 1928.
  • Gehirn und Veranlagung des Verbrechers: Beiträge zur Aufhebung der Todesstrafe und zur Einführung eines Verwahrungsgesetzes. Berlin 1929.
  • 1870-1871 und 1914-1918: Von der Verwundeten- und Krankenpflege in Zwei Kriegen. Aus Eigenen Erinnerungen. Frankfurt a. M. 1930.


Weblinks und Literatur

  • Flesch, Max (1882): "Untersuchungen über Verbrecher-Gehirne, I. Theil, Die pathologischen Befunde an Verbrecher-Leichen". Würzburg.
  • Literatur von und über Max Flesch im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek