Kriminologische Regionalanalyse

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Begriff

Die Kriminologische Regionalanalyse (KRA) ist eine fortzuschreibende Dokumentation mit zeitlich und räumlich eingegrenzter Aussagekraft über eine bestimmte Untersuchungsregion, die Kriminalität und ihren Entstehungszusammenhang sowie die Kriminalitätskontrolle und ihre Prognose. Man könnte sagen, die KRA ist eine Art Marktanalyse im Bereich der Sicherheit. Kriminologische Regionalanalysen gelten als Explorations- und Erkenntnisinstrumente zur Vorbereitung und Absicherung kriminalpolitischer Entscheidungen bis auf Gemeindeebene.


Einordnung der KRA

Die KRA steht in folgendem Kontext: Als theoretische Perspektive ist die Kriminalgeographie zu sehen. Die Kriminologische Regionalanalyse (KRA) ist die Methode und die Kommunale Kriminalprävention ist die dazu gehörige Strategie.

Entstehung

1976 wurde die KRA begrifflich eingeführt. Die KRA wurde aus der Kriminalgeographie entwickelt. Sie ist somit eine Weiterentwicklung der kriminalgeographischen Städtestudien zur stadtteil- und wohnquartierbezogenen Ursachenforschung. Die erste KRA wurde in Neumünster durchgeführt. Viele andere Städte folgten. In Hamburg wurde die erste KRA 1990 vom LKA Hamburg (Ingeborg Legge) für die Region Altona erstellt.


Bedeutung

Für einen begrenzten Bereich kann ein lokales Sicherheits- und Kriminalitätslagebild entwickelt werden, das u.a. auf der Analyse der polizeilich registrierten Kriminalität (Hellfelddaten) und der Analyse subjektiver Sicherheit und Erhellung des lokalen Dunkelfeldes (Bevölkerungsbefragungen) beruht. Die KRA dient der Informationsgrundlage für die vernetzte Kommunale Kriminalprävention. Es gelingt dadurch allen an der Kommunalen Kriminalprävention beteiligten Institutionen einen annähernd gleichen Informationsstand zur Region zu geben. Es handelt sich aus polizeilicher Sicht um ein kriminologisch angereichertes Lagebild, welches unter anderem für die Polizei zur strategischen Planung genutzt wird. Bei der Planung der so genannten Kriminalitätskontrolle kann darauf zurückgegriffen werden. Es ist möglich, eine Prognose über zukünftige Entwicklungen im Kriminalitätsbereich zur Effektivierung der Kriminalitätskontrolle zu treffen.

Kriminologische Relevanz

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Kriminologische Regionalanalysen das Ziel haben, die Kriminalitätswirklichkeit in einer Kommune möglichst umfassend und differenziert zu beschreiben und einzelne Erklärungsangebote für spezielle Auffälligkeiten und Besonderheiten anzubieten, die dann als Grundlage für ein weitgehend rational bestimmtes Vorgehen im Bereich kommunalrer und kriminalpräventiver Aktivitäten dienen können.

In der wissenschaftlichen Erkenntnistheorie und in der kriminologischen Diskussion gilt es als mehr oder weniger selbstverständlich, dass es so etwas wie die (Kriminalitäts-)Wirklichkeit nicht gibt, sondern dass vor allem auch die Kriminalität und die Kriminalitätsfurcht als soziale Phänomene und soziale Konstrukte aufzufassen sind, welche in einer Gesellschaft und speziell in einer Kommune durch verschiedene Aktionen, Sichtweisen, Definitionen und Selektionen in unterschiedlicher Weise und durch die Beteiligung zahlreicher Akteure definiert und beeinflusst werden.


Adressaten der KRA

Adressaten der KRA sind alle Akteure der Kommunalen Kriminalprävention, die diese als Grundlage für strategische Entscheidungen und koordinierte Zielausrichtungen der unterschiedlichen Organisationen nutzen. Beispielhaft seien hier neben der Polizei Schulen, Jugendämter, Kommunen, private Vereine genannt.

Aufbau und Inhalte der KRA

Untersuchungsregion

  • Regionale Gliederung
  • Bebauung/Nutzung (Gebietsfunktionen, Verkehrsstruktur)
  • Organisationen, Einrichtungen, Objekte mit sicherheits- und kriminalitätsrelevanten Bezügen
  • Sozioökonomische Faktoren (Soziale Einrichtungen und Faktoren, Bildungsstätten, Wirtschaftliche Lage)
  • Andere Behörden
  • Bevölkerungsstruktur (Einwohnerzahlen, Bevölkerungsdichte, Bevölkerungsstruktur, ethnische Zusammensetzung)
  • Spezielle Indikatoren

Kriminalität

  • registrierte Kriminalität (Fallerfassung, Umfang gem. Eingangsstatistik/PKS, Beschreibung der Kriminalität, Kriminalitätsstruktur, räumliche und zeitliche Verteilung, Tatmittel, Schaden)
  • Tatverdächtige (Gesamtzahl, Aufgliederung deutsche/nichtdeutsche TV, Rand- und Problemgruppen, Täterwohnsitze, Tätermobilität, Tätergruppierungen, Wiederholungstäter)
  • Opfer
  • Dunkelfelduntersuchungen/spezielle Analysen

Kriminalitätskontrolle

  • Zielsystem (Vorgaben, Hierarchien, Konkurrenzen)
  • Polizei (organisiatorische Struktur, Personalsituation, materielle Ausstattung, Schwerpunktsetzung, präventive und repressive Ausrichtung von organisationseinheiten, Informations- und Kommunikationssysteme)
  • Zusammenarbeit mit anderen Behörden
  • Medien

Vorgehen und Methoden

Zu Beginn der Erstellung einer KRA besteht die Schwierigkeit, die Ausgangslage und die Einflussfaktoren zu bestimmen. Am Anfang hat die Definition der Ausgangslage zu stehen. Dabei muss erneut beachtet werden, dass die objektive und die subjektive Sicherheit nicht voneinander zu trennen sind. Das komplizierte Gebilde der Inneren Sicherheit, welches sich aus verschiedenen Elementen zusammensetzt ist ebenfalls zu definieren. Zu diesen Elementen gehören die objektive oder besser die objektivierte (Stock, 2000) Kriminalitätslage, das subjektive Sicherheitsgefühl, aber auch andere Faktoren, die die Sicherheit konstituieren oder destabilisieren. Es werden vier Säulen der Lagebestimmung zugeordnet. Diese Bestimmung der Sicherheitslage in einer Gemeinde setzt von Seiten der Polizei eine Auswertung der regionalen PKS, der Verkehrsunfallstatistik, einer Analyse von Notrufen und Funkstreifenwagen sowie eine Opfer- bzw. Bürgerbefragung voraus. Diese vier Säulen fließen in die KRA ein. Da es sich um eine Regionalanalyse handelt, muss der einbezogene Bereich möglichst kleinräumig gewählt werden, ohne dabei übergreifende Aspekte zu vernachlässigen (z.B. Mobilitätsverhalten von Jugendlichen, Oram 1995). Ferner muss sichergestellt werden, dass tatsächlich eine Analyse durchgeführt wird. Darunter ist zu verstehen, dass die Daten nicht nur zusammengetragen, sondern auch interpretiert werden. In einem weiteren Schritt müssen angemessene Vergleichsmöglichkeiten herangezogen werden. Dabei ist zu beachten, dass ein bestimmtes Niveau von Kriminalität oder Ordnungstörungen in einem Bereich noch akzeptiert werden, in einem anderen aber schon lange inakzeptabel sind. Anschließend geht es um die Bestimmung möglicher Einflussfaktoren und um die Ermittlung von Veränderungsmöglichkeiten. Zu den Daten aus den oben genannten vier Säule, die von der Polizei geliefert werden, kommen weitere aus der Gemeinde hinzu. Beispielhaft seien hier die Sozialhilfedaten, regionale Planungsdaten und Daten aus der Infrastruktur genannt. Auch hier stellt sich wieder die Frage nach einer verlässlichen Interpretation. In bestimmten zu untersuchenden Bereichen sind zusätzliche Auswertungen und Interpretationen durch Wissenschaftler sinnvoll. Exemplarisch seien hier die mögliche Interpretation der Bestimmung und der Umgang mit Intensivtätern genannt, wenn es in der Analyse zu einer Auffälligkeit dieser Gruppe kam.

Nach der Bestandsaufnahme ist die Analyse der entscheidende Schritt für das weitere Vorgehen. Nur wenn festgestellt wurde, wer auf was möglichen Einfluss hat, können dauerhafte Veränderungen erwartet werden. Wenn die möglichen Einflussfaktoren bestimmt und Verantwortlichkeiten festgelegt sind, erfolgt die Umsetzung. Das kann z.B. bedeuten, dass Faktoren verändert werden müssen, die die innere Sicherheit negativ beeinflussen oder dass Faktoren verstärkt werden müssen, die diese Sicherheit positiv beeinflussen. Sind die entscheidenden Faktoren benannt, müssen Strategien entwickelt werden, auf denen Handlungskonzepte, so genannte Umsetzungspläne, fußen. Ferner ist ein Zeitrahmen festzulegen, der z.B. auch regelmäßige Bestandsaufnahmen enthält. Wenn die Umsetzung erfolgt ist, muss der Erfolg gemessen werden (Evaluation). Es sollte sowohl eine Prozess-, als auch eine Ergebnisevaluation sein, die die Effektivität, die Effizienz und die Rechtsstaatlichkeit der Maßnahmen beurteilt.

Methodenkombination Die Methode stammt aus dem Bereich der empirischen Sozialforschung und ist hinsichtlich der Erhebung häufig eine statistisch repräsentative Befragung von Menschen in Kombination der Ergebnisse mit objektivier- und oder messbaren Daten/Erkenntnissen.

  • Dokumentenanalyse (z.b. Hellfelddaten anhand PKS, Meldedaten etc.)
  • Bürgerbefragungen (z.b. zum Sicherheitsgefühl, zum Anzeigeverhalten, zur Opferwerdung, etc.)
  • Computerkartographie (z.b.GIS-Systeme, Crime mapping Systeme etc.)
  • Inhaltsanalysen (z.b.Tagespresse, Krimalakten etc.)


Problemfelder

Es wird eine Reihe von geografischen Lagebildern als KRA bezeichnet, die aber faktisch keine sind. Häufig fußen solche Lagebildern lediglich auf einer Datenquelle. Reine Kriminalitätsdaten reichen nicht aus. Um die Bezeichnung KRA zu verdienen, müssen unterschiedliche Datenquellen herangezogen und analysiert werden. In vielen Analysen, die sich als KRA bezeichnen, fehlen zum Beispiel die Bevölkerungsdaten. Ferner fehlt häufig eine entwickelte Theorie. Die Überbewertung von Entwicklungen aus der Vergangenheit wird neben der einseitigen Ausrichtung auf Erkenntnisse der Polizei als Prognosefehler gesehen (Schröder, 2002). Ein zu hoher Validitätsanspruch mit ungenügender Berücksichtigung von Unsicherheitsfaktoren ist ein möglicher weiterer Prognosefehler (Hübner 2001).


Literatur

  • Feltes, Th., Dreher, G., (1996) Kommunale Kriminalprävention in Theorie und Praxis - Das Modell Baden-Württemberg. In: Vereint gegen Kriminalität - Wege der kommunalen Kriminalprävention in Deutschland, hrsg. von E. Kube, H. Schneider, J. Stock, Lübeck , S.137-163
  • Feltes, Th., Gemeinschaftliche statt kommunaler Kriminalprävention: Ein neuer Weg? Erscheint in: Forum Kriminalprävention Heft 1, 2004
  • Feltes, Th., Kriminologische Regionalanalyse und Lagebilder als Datenbasis polizeilicher Bekämpfungskonzepte. In: Jürgen Stock/ Heinz Büchler (Hrsg.), Erfassung und Bewertung von Konzepten repressiver Kriminalitätskontrolle, Aschersleben 2000, S.43-54 (Ascherslebener Polizeiwissenschaftliche Schriften, Bd. 1)
  • Feltes, Th., Polizeiliches Alltagshandeln - Ergebnisse einer Analyse von Notrufen und Funkstreifenwageneinsätzen. Arbeitspapier Institut für Kriminologie der Universität Heidelberg, 1990 (Kurzfassung im Internet unter www.thomasfeltes.de)
  • Frevel, Bernhard (1999) Kriminalität- Gefährdung der inneren Sicherheit?
  • Hübner, Eckhard (2001) Planung der Kriminalitätskontrolle
  • Jäger, Joachim (1981) Kriminologie und Kriminalitätskontrolle: Grundriss einer anwendungsorientierten Kriminologie
  • Oram, Melanie (1995) KRA Harsewinkel
  • Schwind, Hans-Dieter (2001) Kriminologie: Eine praxisorientierte Einführung mit Beispielen,13.Auflage
  • Schröder, Detlev in Deutsches Polizeiblatt, Heft 5 /2002, Seite 14-17
  • Stock, Jürgen/Büchler, Heinz (2000), Erfassung und Bewertung von Konzepten repressiver Kriminalitätskontrolle, Polizeiwissenschaften Schriften Bd.1