Kriegsgericht

Nach Walter Transfeldt (vgl. Blasius 2009) leitet sich der Name Kriegsgericht nicht von der Situation des Krieges, sondern davon ab, dass ursprünglich nicht Juristen, sondern "Kriegsleute" untereinander das im Kriege geltende Recht anwandten - Kriegsgerichte wären dann also unabhängig von der Frage, ob gerade Krieg oder Frieden herrschte, eine Art militärisches Zunftgericht, vergleichbar den internen Gerichtsbarkeiten anderen "Zünfte" oder Berufsgruppen.

Kriegsgerichte in Deutschland

Dreißigjähriger Krieg

Gerichtsherr für sein Regiment war der Oberst. Ausführend: Feldgerichtsschultheiße.

Preußen

Militärgerichtsbarkeit unterstand der Kommandogewalt des Königs, nicht der Justiz. Der König delegierte seine Richterfunktion an die ihm unterstelleten Befehlshaber: "Der Gerichtsherr berief das Gericht, bestätigte das Urteil und verfügte seine Vollstreckung oder hob es auf" (Blasius 2009).

Kaiserreich

1872: Militärstrafgesetzbuch. 1900: Militärstrafgerichtsordnung (MStGO) unterscheidet zwischen Gerichtsherren niederer und höherer Gerichtsbarkeit. Während im Ersten Weltkrieg in Großbritannien und Frankreich jeweils über 300 Todesurteile vollstreckt wurden, waren es in den USA 35, in Deutschland 48.

Drittes Reich

1933: Die 1920 aufgehobene Militärgerichtsbarkeit wurde am 12.05.1933 durch die Etablierung von Kriegs- und Oberkriegsgerichten (und 1936: des Reichskriegsgerichts) wieder eingeführt.

17.08.1938: Kriegssonderstrafrechtsverordnung (KSS-VO) 26.08.1939: Kriegsstrafverfahrensordnung (KStVO) 01.11.1939: Verkündung der ersten Ergänzungsverordnung zur KStVO lässt Erhöhung der Strafe zu bei Verstößen gegen "die Manneszucht oder das Gebot des soldatischen Mutes".

Februar 1945: Vom Oberkommando der Wehrmacht eingerichtete Sonderstandgerichte dürfen ihre Urteile selbst für vollstreckbar erklären, wenn der Gerichtsherr "nicht auf der Stelle" erreichbar ist.

März 1945: "Fliegende Standgerichte" unter Vorsitz des dienstältesten Offiziers können Urteile gegen Soldaten gleich welchen Ranges umgehend vollziehen lassen.

Verhängte Todesurteile der Wehrmachtsjustiz 1933-1945: ca. 30.000. Vollstreckte Todesurteile im Bereich des Heeres: Deutschland 19.600, Japan 22.253, USA 146, GB 30, Frankreich 104, Sowjetunion laut früherem Gorbatschow-Berater Jakowlew ca. 150.000 (Messerschmidt 2005).

Bewertung

2002: Bundestag rehabilitiert die bis dahin als vorbestraft geltenden Wehrmachtdeserteure. 2009: Für den 26.08.09 (= 70 Jahre KStVO) plant der Bundestag eine Sondersitzung zur Rehabilitierung der sog. Kriegsverräter.


Bundesrepublik Deutschland

Im Gegensatz zur Nationalen Volksarmee der DDR verfügt die Bundeswehr nicht über eine eigene Kriegs- oder Militärgerichtsbarkeit. Ausnahmegerichte sind laut Artikel 101 des Grundgesetzes verboten. Die Todesstrafe ist abgeschafft. Erlaubt wäre allerdings die Einrichtung von Kriegsgerichten unter der Bezeichnung von Wehrstrafgerichten. Artikel 96 des Grundgesetzes erklärt, dass Wehrstrafgerichte für die Streitkräfte als Bundesgerichte die Strafgerichtsbarkeit nur im Verteidigungsfalle sowie über Angehörige der Streitkräfte ausüben können, die "in das Ausland entsandt oder an Bord von Kriegsschiffen eingeschifft" sind. Solche Gerichte würden dem Justizministerium unterstehen, nicht dem Verteidigungsministerium. Ihre hauptamtlichen Richter müssen die Befähigung zum Richteramt besitzen.

2009 wird in Deutschland lediglich die Einrichtung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft in Potsdam diskutiert, die für alle Straftat-Verdachtsfälle von Bundeswehrangehörigen im Ausland zuständig sein soll.


Zitate

Kurt Tucholsky: Militärjustiz ist in allen Fällen von Übel, nicht nur, weil sie vom Militär kommt, sondern weil sie sich als Justiz gibt, was sie niemals sein kann.

Quellen

  • Blasius, Rainer (2009) Vom Gerichtsherrn zum Disziplinarvorgesetzten. Eigene Strafgerichte gibt es für die Bundeswehr nicht, obwohl das Grundgesetz sie zulässt. FAZ 06.07.09: 10.
  • Messerschmidt, Manfred (2005) Die Wehrmachtsjustiz 1933-1945. Paderborn: Schöningh.