Korrupte Polizei in Lateinamerika

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Die Polizei gilt in vielen Ländern Lateinamerikas als korrupt. Es kommt täglich zu zahlreichen Vorfällen, bei denen Polizisten ihr Amt für private Zwecke ausnutzen und "von Hütern der Rechtsordnung zu Straftätern" werden. In vielen Fällen haben Polizeibeamte Kontakt zu Kriminellen. Die Zusammenarbeit zeigt sich in Form des Wegsehens über unterstützende Tätigkeiten bis zu aktiver Beteiligung der Polizisten. In der Ausprägung und Häufigkeit gibt es jedoch Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern. Als augenfälligster Repräsentant staatlicher Gewalt hat die Polizei im Bewusstsein der Öffentlichkeit aufgrund der Missachtung rechtsstaatlicher Normen und Prinzipien einen problematischen Ruf. Die Demokratisierungswelle in den 80er und 90er Jahren scheint nicht viel an der Korruptionsanfälligkeit der Polizisten geändert zu haben.

Polizeiliche Korruption

Polizeiliche Korruption findet vor allem in Form von Bestechung und Erpressung statt. Bei der einfachen Bestechung willigen beide Beteiligten freiwillig in die Korruptionshandlung ein. Bei Verkehrsdelikten wird eine Geldstrafe unter dem offiziellen Satz ausgehandelt, sodass beide einen Vorteil daraus schlagen können. Die Bestechungssumme kann der Beamte privat einstreichen und der Beschuldigte hat weniger gezahlt als bei einem legalen Vorgehen des Polizisten. Andere Erscheinungsformen der Bestechung können sowohl die Beschleunigung einer Amtshandlung als auch ihre Verzögerung oder Unterlassung sein. Bei der Erpressung setzen korrupte Polizeibeamte ihren Machtvorteil als Träger der Staatsgewalt ein, um ihr Gegenüber zur Erbringung einer Leistung zu bewegen. Es werden Gegenleistungen für Dienste verlangt, für die die Polizisten eigentlich ihren Lohn beziehen. Dazu zählt die Entgegennahme von Anzeigen, das präventive Auftreten vor Geschäften und die Abwicklung von Verkehrsverstößen und -unfällen. Im amerikanischen Polizeijargon wird zwischen grass eaters und meat eaters unterschieden. Die "Pflanzenfresser" nehmen dabei Gelder an und sehen von einer Strafe ab, während die "Fleischfresser" das Geld aktiv einfordern.

Korruption ist in Lateinamerika institutionalisiert. Die Beträge, die durch die korrupten Akte der Straßenpolizisten eingenommen werden, werden polizeiintern umverteilt. Zum einen geht ein Teil der erzwungenen Gelder an die jeweiligen Vorgesetzte, zum anderen an Beamte im Innendienst. Da diese kaum Gelegenheit haben, ihr Einkommen auf dieselbe Art und Weise wie die Polizeibeamten im Außendienst aufzubessern, ziehen sie sog. "Bearbeitungsgebühren" bei der Ausgabe von Waffen, Gehältern und Polizeifahrzeugen ab. Die Straßenpolizisten fügen sich diesem Vorgehen, da sie einerseits selbst nach einem beruflichen Aufstieg davon profitieren wollen und andererseits bei Widerstand die Gebühr von ihrem Gehalt abgezogen werden würde. Die Polizei-Pyramide ist dadurch gekennzeichnet, dass Polizisten der unteren Ränge die erzwungenen Schmiergelder an die Beamten in höheren Rängen weitergeben bis sich an der Spitze der Hierarchie eine große Summe an Beträgen akkumuliert hat. In einigen Ländern Lateinamerikas sind Tarife für bestimmte Vorgänge festgelegt. In Kolumbien nennen alle Bürger den selben Betrag für das Vergessen von Ausweispapieren und in Venezuela existiert ein Wörterbuch der Korruption (Diccionario de corrupción).

Straflosigkeit

Korruption wird in den seltensten Fällen angezeigt. Der Grund dafür liegt in der Natur der Korruption. In der Regel machen sich beide beteiligten Parteien strafbar. Auf der einen Seite jene, die das Geld oder die Leistung anbietet, auf der anderen jene, die es annimmt. Die meisten Akteure bleiben straffrei. Es werden kaum Verfahren eröffnet, da auch die Justiz bestechlich sein soll oder teilweise selbst involviert ist. Die Straffreiheit wird sich erkauft. Die lateinamerikanische Polizei besitzt ein großes Maß an Autonomie. Sie entziehen sich der Kontrolle und die korrupten Handlungen bleiben oft unbemerkt. In bestimmten Fällen kann es zu rechtlichen Folgen kommen, aber oftmals wird im weiteren Verlauf der Vorgang anders gehandhabt. So wurden auf Druck einer internationalen Organisation 40 korrupte Polizisten entlassen, die wenig später wieder eingestellt wurden. Polizeiliche Korruption ist in manchen Ländern Lateinamerikas derart üblich, dass die Grenze zwischen Abweichung und Normalität verschwimmt.

Korruptionsfälle

Die alltägliche Korruption findet wenig Aufmerksamkeit, da sie weit verbreitet ist und mit einer hohen Toleranz und Akzeptanz einhergeht. Es kommen deshalb nur die größten Skandale an die Öffentlichkeit.

  • Im Jahr 1992 wurde In La Paz, Bolivien, ein hoher Polizeibeamter der Kriminalpolizei beschuldigt, Taten bewaffneter Banden gedeckt zu haben. Es konnte nachgewiesen werden, dass auch weitere Polizisten sich dem selben Handlungsmuster bedienten. Es konnte niemand verurteilt werden, da innerhalb der Polizei eisern geschwiegen wurde. Ein Polizist, der als Kronzeuge auftreten wollte, wurde daraufhin von seinen Kollegen verhaftet und gefoltert.
  • Im Jahr 1993 wurde der Fall der sog. "Phantompolizisten" (policias fantasmas) bekannt . Bei der bolivianischen Polizei haben real nicht existierende Beamte Gehälter bezogen. Allein in den höheren Rängen der Organisation soll es mehr als 500 solcher "Phantompolizisten" gegeben haben. Es wurden weder Steuern noch Sozialabgaben für sie entrichtet, dafür wurden aber Familienzuschläge und ähnliches überwiesen. Die Gelder wurden auf Konten fiktiver Personen eingezahlt, wobei es sich um einen Betrag in Höhe von US$ 1,5 Mio. handeln soll. Gegen keinen der Profiteure wurden rechtliche Schritte eingeleitet.
  • Im Jahr 1998 wurde beim bolivianischen Regierungssprecher eingebrochen und ein Betrag in Höhe von ca. US$ 200.000 erbeutet. Die Täter waren Polizisten, die spezielles Wissen darüber hatten, in welchen Gebäuden eine große Beute zu erwarten war. Die Taten werden systematisch geplant, wofür polizeiliche Ressourcen und Kenntnisse eingesetzt werden.
  • Skandal um den ehemaligen Comandante General der bolivianischen Polizei, Felipe Carvajal. Nachdem Polizisten illegale Machenschaften vorgeworfen wurden, verteidigte dieser General die Polizei mit folgenden Worten:

„Ich habe schon wiederholt darauf hingewiesen: die Institutionen sind weder kriminell noch korrupt, hier, bei der Polizei, wie in praktisch allen Sphären und Institutionen des sozialen Lebens, gibt es gute und schlechte Beamte. (…) Jetzt ist schon ein bisschen Zeit vergangen und wir können diese Vorfälle mit ein wenig Gelassenheit betrachten.“ Derselbe Comandante deckte ein halbes Jahr später Mitglieder der Polizei, die einen Parlamentarier unrechtmäßig festgenommen hatten. Es wurde seine Entlassung verlangt, doch Solidaritätsbekundungen innerhalb der Polizei haben dazu geführt, dass er nur für einige Tage vom Dienst suspendiert wurde. Ein weiteres halbes Jahr später konnten ihm Verwicklungen in Drogengeschäfte nachgewiesen werden, woraufhin er letztendlich entlassen wurde.

Auswirkungen

Korruption der Polizei hat nicht nur wirtschaftliche Folgen, sondern gefährdet auch die Bekämpfung des Drogenhandels und der Bandenkriminalität. Die Zusammenarbeit korrupter Polizisten mit den Drogenkartellen in Mexiko oder den Drogengangs in den Favelas Brasiliens erschwert den Kampf gegen das organisierte Verbrechen. Gegen Zahlung von Bestechungsgeldern tolerieren Polizeibeamte den Verkauf von Drogen und informieren die Verkäufer rechtzeitig über geplante Aktionen. In den von den Drogengeschäften betroffenen Städten und Gemeinden sind nicht selten ganze Einheiten der örtlichen Polizei mit den Kartellen verflochten. Entziehen sich korrupte Polizisten der Kooperation, kann dies zur Gefahr für ihr Leib und Leben werden. So wurden Polizeichefs, die neu eingestellt wurden und sich konsequent für die Bekämpfung des Drogenhandels einsetzten, von Killerkommandos der Drogenkartelle umgebracht.

Literatur

  • Charles H. Blake & Stephen D. Morris, Corruption & Democracy in Latin America, Pittsburgh 2009
  • Carola Schmid, Korruption, Gewalt und die Welt der Polizisten - Deutschland, Chile, Bolivien und Venezuela im Vergleich, Frankfurt am Main 2007

Weblinks