Kleingarten

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Ein Kleingarten ist eine vom Verein ("Schrebergartenverein") verpachtete Parzelle innerhalb einer Anlage ("Schrebergartenkolonie"), in der man sich zur Erholung gärtnerisch betätigt.

Kleingärten sind eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, gedacht als Gegengewicht zu den Belastungen und Entfremdungserscheinungen der Industrialisierung. Als ländliche Idylle en miniature wurden sie in der Folgezeit zum Symbol für eine als Spießigkeit bekannte Eigenschaft bestimmter (meist kleinbürgerlicher) Leutegruppen (Schimpfwort: "Schrebergärtner"; "Schrebergärtnermentalität").

In Deutschland gibt es mehr als eine Million Kleingärten mit einer Gesamtfläche von mehr als 46.000 Hektar.

Kleingärten haben mit Einbrüchen und anderen Normverletzungen durch Außenstehende (externe Kleingartenkriminalität) ebenso zu tun wie mit Normbrüchen seitens der Kleingärtner selbst (interne Kleingartenkriminalität). Allerdings ist die Kleingartenkriminalität bislang kaum erforscht.

In der internen Kleingartenkriminalität lassen sich satzungsverletzende Handlungen (z.B. Gerätediebstahl aus der Laube des Nachbarn) von satzungsverteidigenden Akten der Kleingarten-Selbst-Justiz unterscheiden (z.B. illegale Selbstjustiz des Vorsitzenden gegenüber satzungsverletzenden Mitgliedern).

Geschichte

Parzellierte Kleingärten sollten die negativen Folgen städtischer Armut und Entfremdung abmildern. Angeregt durch Carl von Hessen entstanden 1806 in Kappeln an der Schlei die ersten sog. Carlsgärten. 1826 gab es Carls- oder Armengärten in 19 Städten. 1930 errichtete in Kiel die „Gesellschaft freiwilliger Armenfreunde“ auf dem „Prüner Schlag“ Parzellen in der bis heute gültigen Größe von 400 Quadratmetern. Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden in Berlin und anderen Großstädten die Laubenkolonien des Roten Kreuzes („Rotkreuzgärten“), der Arbeiterbewegung („Arbeitergärten“) sowie der Bahnbediensteten („Eisenbahnergärten“). In die Zeit zwischen 1865 und 1869 fällt die Entstehung der Schrebergärten, benannt nach dem Leipziger Arzt Moritz Schreber. Initiatoren waren der Schuldirektor Ernst Innozenz Hauschild, der in Erinnerung an seinen verstorbenen Mitstreiter Schreber mit Eltern seiner Schüler den ersten "Schreberverein" gründete und 1865 den ersten "Schreberplatz" (am Johannapark in Leipzig) einweihte: eine Spielwiese, auf der Kinder von Fabrikarbeitern unter Betreuung eines Pädagogen spielen und turnen konnten. Die Gartenkomponente kam erst durch den Lehrer Heinrich Karl Gesell hinzu, der am Leipziger Schreberplatz Gärten anlegte. Zunächst als weitere Beschäftigungsmöglichkeit für die Kinder gedacht, entwickelten sich die Gärten rasch zu Refugien der Eltern bzw. der ganzen Familie. Aus den „Kinderbeeten“ am Rand des Schreberplatzes wurden „Familienbeete“, die man später parzellierte und umzäunte. Ab jetzt nannte man sie „Schrebergärten“. Bald gingen diese Gärtchen in die Obhut der Eltern über und 1869, als die Initiative bereits rund 100 Parzellen umfasste, gab sie sich eine Vereinssatzung. Geräteschuppen, Lauben und Zäune wurden errichtet, und 1891 waren bereits 14 weitere Schrebervereine in Leipzig gegründet worden. Die historische Kleingartenanlage „Dr. Schreber“ steht heute unter Denkmalschutz und beherbergt seit 1996 das Deutsche Kleingärtnermuseum. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Kleingärten eine wichtige Quelle für Lebensmittel, leisteten aber auch als Notunterkünfte wichtige Dienste. Sogenannte Schwarzbauten wurden von der Stadtverwaltung gelegentlich geduldet und legalisiert, so dass bis heute in alten Kleingartenanlagen noch kleine Wohnhäuser zu finden sind.

Soziale Funktionen

Ein internationaler Kleingartenverband (L'Office International du Coin de Terre et des Jardins Familiaux, gegr. 1926) hebt folgende Funktionen von Kleingärten hervor:

  • Für Kinder und Jugendliche: Spiel- und Kommunikationsfeld; biologischer Anschauungsunterricht
  • Für Berufstätige: Ausgleich zum Arbeitsstress bei Entlastung der Familienkasse durch Selbstversorgung mit Obst und Gemüse
  • Für ausländische Mitbürger: Kontakte knüpfen und Freunde im Gastland finden ("interkulturelle Gärten")
  • Für Arbeitslose: das Gefühl, gebraucht zu werden und noch dazuzugehören
  • Für alle: der direkte Kontakt mit der Natur und mit den anderen Vereinsmitgliedern dient der Förderung von harmonischen zwischenmenschlichen Beziehungen
  • Für Senioren bieten die Kleingärten einen Ort des Gesprächs und der Ruhe durch die Zusammenführung von Menschen mit gleichen Interessen - über Jahre gewachsene Kontakte stärken die Lebenszufriedenheit und ermöglichen individuelle Selbstverwirklichung und Beschäftigung im 3. Lebensabschnitt im eigenen Garten.

Normen

Der Regelung des Kleingartenlebens dienen auf verschiedenen Ebenen das Bundeskleingartengesetz (BKleingG) - das u.a. auch die Begriffe des Kleingartens und der kleingärtnerischen Nutzung definiert - sowie unterschiedliche Kleingartenordnungen und auf der Ebene der einzelnen Kolonien die Satzungen der jeweiligen Vereine. Für das Mit- und Gegeneinander in der jeweiligen Kolonie kommt den Satzungsbestimmungen und der Art und Weise ihrer Durchsetzung Bedeutung zu. Konflikte kreisen meist um:

  • Finanzen (Mitgliedsbeiträge, Wasser- und Stromrechnungen usw.)
  • Termine (für das Schneiden der Hecken usw.)
  • Bauten (Größe, Ausstattung und Nutzung der Lauben: Wasserleitungen; Küchen; Betten)
  • Grenzen (zwischen den Parzellen; zwischen Parzellen und Gehwegen etc.)
  • Gartenpflege und -gestaltung (Unkraut, Rasen, Zierpflanzen)
  • Wohnen (Dauernutzung statt Freizeitnutzung).

Abweichungen

Das Geflecht von Rechten und Pflichten auf der Ebene der Satzung macht es schwer, wenn nicht unmöglich, allen Anforderungen gerecht zu werden (Normenfallen). Typischerweise wissen die Kleingärtner, welche Regeln unbedingt eingehalten werden können und wo - unter welchen Bedingungen - auf Nachsicht gehofft werden kann. So gibt es Kleingartenkolonien, in denen Wasserleitungen für fließendes Wasser innerhalb der Lauben untersagt ist, aber ausnahmslos alle Lauben (einschließlich derjenigen des Vorsitzenden) über eine solche Versorgung verfügen. Die Differenz zwischen geschriebenen und gelebten Normen ist gleichwohl nicht unbedeutend, stehen doch alle Mitglieder unter dem dauernden latenten Druck, der von der Möglichkeit von Schwierigkeiten ausgeht, die daraus erwachsen könnten, dass diese oder eine andere Abweichung von der geschriebenen Norm "heraus kommt", d.h. von einem Nachbarn oder im Rahmen einer sonstigen Skandalisierung zum Thema gemacht wird. Das Erfordernis, solche Risiken frühzeitig zu erkennen und ihnen möglicherweise ausweichen oder ihnen offensiv begegnen zu können, führt zu präventivem Informationsmanagement durch informelle Austauschbeziehungen (Klatsch und Tratsch).

Wohnen

Die periodischen Krisen des 19. und 20. Jahrhunderts führten immer wieder zu Wohnsitzverlusten von Kleingärtnern in der Stadt und zum Versuch, sich dauerhaft auf der Kleingartenparzelle zu Wohnzwecken einzurichten. Dieses unerlaubte Wohnen führte wiederum zu Räumungsaktionen, gegen die gelegentlich kollektiver Protest organisiert wurde (für Hamburg vgl.: Schulz).

Kriminalität

Intern

Interne Kleingartenkriminalität = Summe strafbarer Handlungen von Vereinsmitgliedern gegenüber anderen Vereinsmitgliedern.

Bezogen auf die Satzungsnormen kann Kriminalität in zweierlei Richtung begangen werden: als Abweichung von den Regeln oder zwecks Durchsetzung der Regeln. So kann man sich des Betrugs zwecks Vermeidung finanzieller Verpflichtungen schuldig machen (Kriminalität als Abweichung von den Satzungsnormen) oder man kann eine Person töten, um ihre unerwünschten Abweichungen von den Satzungsnormen zu vergelten (=Reaktion auf unerwünschtes Verhalten), bzw. andere Vereinsmitglieder zur künftigen Normeinhaltung anzuspornen (=Vermeidung von Satzungsabweichungen). Beide Arten der Kleingartenkriminalität sind wenig erforscht.

Satzungsverletzend

Satzungsverteidigend

Normdurchsetzer verbinden ihre Aufgabe in unterschiedlichem Ausmaß mit ihrem Selbstwertgefühl und ihrer Identität. Von den Normadressaten werden sie zum Teil unterstützt, zum Teil gefürchtet und zum Teil auch (meist hinter vorgehaltener Hand) kritisiert. Die Ausübung sozialer Kontrolle in einer Kleingartenkolonie ist eine prekäre Angelegenheit. Der Versuch, den Normen auch gegen Widerstand zur Durchsetzung zu verhelfen, wird deshalb von den Akteuren gelegentlich in ihrer eigenen Definition der Situation überhöht. Was von außen wie eine Trivialität erscheint, ist für die Akteure die Darbringung eines persönlichen Opfers für höchste Werte von Recht, Ordnung und Rechtschaffenheit überhaupt. Die Höhe des so definierten Ziels erscheint dann - wie etwa im Kampf gegen den Terrorismus oder im Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen (Armaggedon) - den Einsatz extremer Mittel zu rechtfertigen, wenn nicht gar zu erzwingen. Bemühung um soziale Kontrolle kann Kriminalität generieren.

  • Der Fall Gifhorn. Jahrelang bemüht sich der Besitzer einer Schrebergartenanlage in der niedersächsischen Kreisstadt Gifhorn um die Durchsetzung der Regeln. Er hatte 42 Jahre bei VW gearbeitet - als ein von Kollegen und Vorgesetzten anerkannter Arbeiter. Im Ruhestand engagiert er sich besonders im Kleingartenverein. "Sauberkeit, Gerechtigkeit und Ordnung" sind ihm wichtig. Da sieht er sich selbst als "ziemlich pingelig" an. Zahlreiche Pächter sehen sich überfordert. Der Normdurchsetzer gibt aber nicht nach. Er drückt auch kein Auge zu. Die Differenz zwischen first und second Code wird nicht groß genug, um ein "Leben-Und-Leben-Lassen" möglich zu machen. Eines Tages nimmt sich der Normdurchsetzer einen 80 cm langen und 5 cm dicken Eichenholz-Knüppel und schlägt den 33-jährigen Martin Kaczmarek nieder. Als dessen Eltern ihm zu Hilfe kommen wollen, schlägt er auch die Eheleute Hans und Gisela Kaczmarek (64, 59) nieder. Er verlässt den Tatort, während die drei Opfer, deren Schädel weitgehend zertrümmert waren, qualvoll sterben. Als der Normdurchsetzer gegenüber dem Psychiater über die unmittelbare Tatausführung spricht, drücken Worte und Haltung tiefe Befriedigung und Genugtuung über das Geschehene aus. Der im Mai 2009 vom Landgericht Hildesheim zu lebenslanger Haft Verurteilte wehrt das Etikett "kriminell" ab: "Ich bin kein Mörder und Totschläger", hatte er noch im Gerichtssaal erklärt, "Eines Tages stehe ich vor dem Richterstuhl des Ewigen, und ich weiß, er spricht mich frei" (Holzhaider 2009).


Extern

Externe Kleingartenkriminalität = Summe strafbarer Handlungen von Außenstehenden gegenüber Vereinsmitgliedern. Ein häufiger Fall externer Kleingartenkriminalität liegt z.B. vor, wenn Nichtmitglieder nachts in eine Kleingartenlaube eindringen und dort übernachten, Gegenstände zerstören, verbrauchen oder entwenden.

  • 2008 Rheinland-Pfalz: Diebstahl von Rasenmähern, Stromaggregaten und Pumpen aus einem Dutzend Kleingärten innerhalb einer Kolonie in der Nähe von Mainz. Weitere Heckenscheren, Schubkarren und Rasenmäher, die schon aus den aufgebrochenen Schuppen hinter den Lauben herausgeholt worden waren, aber nicht mehr abtransportiert werden konnten, lagen am nächsten Morgen noch herum.
  • 2009, Mecklenburg-Vorpommern: nachdem ein wohnungsloser Mann aus fünf Gartenlauben Schnaps und Tabak entwendete, bereitete er sich in der sechsten Laube ein Essen aus einem Hasen, einer Ente und Bohnen zu und wurde daraufhin entdeckt und zur Polizei gebracht (FAZ 30.05.09: 7; Kurze Meldungen).


Spektakuläre Fälle

  • 2003 Dänemark: Sicherstellung von Haschisch im Wert von 6,7 Mio. Euro in einem Schrebergarten in Kopenhagen.
  • 2007 NRW: Sicherstellung einer selbstgebastelten Selbstschussanlage, mit der ein 79-jähriger Kleingärtners unabsichtlich seinen 71-jährigen Bekannten am Bein verletzt hatte.

Weblinks

Literatur

  • Stein, Hartwig (2000) Inseln im Häusermeer. Eine Kulturgeschichte des deutschen Kleingartenwesens bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Frankfurt u.a.: Peter Lang. 2. Aufl. ISBN 3-631-36632-9.
  • Verk, Sabine (1994) Laubenleben. Eine Untersuchung zum Gestaltungs-, Gemeinschafts- und Umweltverhalten von Kleingärtnern. Münster und New York: Waxmann ISBN 3-89325-272-X
  • Warnecke, Peter (2001) Laube, Liebe, Hoffnung. Kleingartengeschichte. Berlin: W. Wächter ISBN 3-00-007508-9
  • Wolf, André Christian (2008) Kleine bunte Gärten. Bürgerengagement und Integration in Kleingärtnervereinen. PNDonline, Heft 1. Text Online


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