Katholische Soziallehre

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Die katholische Soziallehre geht vom Grundgedanken einer Ordo Socialis aus, also einer vernünftigen Ordnung des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Je mehr die Rechts- und Marktordnung an diese Prinzipien angenähert werden, umso mehr entspricht die politische oder wirtschaftliche Realität dem prinzipiell erreichbaren Ideal sozialer und individueller Gerechtigkeit. Die kath. Kirche hat zu allen Zeiten bestimmte Tugenden für das Zusammenleben der Menschen gelehrt. Darin findet sich auch der Ursprung der Doktrin von "gottgewollten Ordnung" (im Blick auf das Ancien regime aus der Zeit vor 1789 in Misskredit geraten).

Die neuere Soziallehre kam mit der Enzyklika "Rerum novarum" von Papst Leo XIII. 1891 zum Durchbruch, v.a. unter dem Eindruck der unübersehbar negativen Auswirkungen der industriellen Revolution und der Verstädterung für die soziale Lage der Arbeiterschaft.

Die Sozialethik ergibt sich - unter praktischer Anwendung theologischer Vorgaben - aus den vom kirchlichen Lehramt erarbeiteten Prinzipien der Personalität, Solidarität und Subsidiarität. Zur Gesamtschau der Lehrschriften der römisch-katholischen Kirche treten die Päpstlichen Lehrschreiben hinzu, die so genannten Sozialenzykliken:

  1. Rerum Novarum 1891
  2. Quadragesimo Anno 1931
  3. Mater et Magistra 1961
  4. Pacem in terris 1963
  5. Populorum Progressio 1967
  6. Laborem exercens 1981
  7. Sollicitudo Rei Socialis 1987
  8. Centesimus Annus 1991.

Papst Pius XII. (1939-1958) widmete der Soziallehre zwar keine eigene Enzyklika, traf jedoch bedeutende Entscheidungen (Hinwendung zur Demokratie, 1944) und hielt zahlreiche sozialethische Ansprachen (sog. "Soziale Summe" Pius XII.). Papst Paul VI. veröffentlichte zwar nur die Enzyklika von 1967, mit der er die Soziallehre in die Dimension der Globalisierung hob, verfasste jedoch 1971 noch den Apostolischen Brief Octogesima Adveniens und etliche kürzere Stellungnahmen zu sozialen und politischen Fragen. Insbesondere führte Paul VI. ein, dass der Neujahrstag in der kath. Kirche seit 1968 zugleich als Hochfest der Gottesmutter Maria und als Weltfriedenstag gefeiert wird.

Die wohl größte Aufmerksamkeit erzielte die Friedensenzyklika "Pacem in terris" von Papst Johannes XXIII. im Jahre 1963. Manche Chronisten schreiben diesem Papst und seinem Nachfolger zu, dass die Welt vom III. Weltkrieg verschont blieb. Auf dieser Ebene war das Pontifikat von Johannes Paul II. vermutlich das wirkungsmächtigste der gesamten Kirchengeschichte, wenn auch die Forderungen seiner umfassenden Sozialdoktrin im politischen Alltag immer noch wenig Resonanz findet.

Deren praktische Umsetzung ist wohl auch dadurch erschwert, dass die wissenschaftlich und praktisch erarbeiteten Konzepte jener katholischen Sozialethiker, die entweder an Hochschulen forschen und lehren oder in kirchlichen Kommissionen arbeiten, stets mit der Vernunft und dem Naturrecht argumentieren und entsprechende Prinzipien aufstellen, ohne dabei politische Handlungsanweisungen zu geben.

Solche Prinzipien der katholischen Soziallehre sind traditionell Personalität, Solidarität, Subsidiarität, deren Auslegung im Einzelfall stets größere Anstrengung erfordert als im politischen Alltagsgeschäft häufig zugebilligt wird. Vom Gemeinwohl und der Gerechtigkeit wird man ebenso sprechen können. Hinzu kommen heute die Prinzipien der Nachhaltigkeit und der Option für die Armen, die ebenfalls in die Soziallehre integriert wurden. Über die Grenzen der Kirche hinaus wird der kath. Soziallehre zugebilligt, dass sie sich überhaupt mit der ganzen Bandbreite des Zusammenlebens der Menschen unter übergeordneter Perspektive abmüht, sich also weder auf prophetische Agitation noch auf kurzfristige Tagesparolen einlässt. Daher wurden die "Väter" der kath. Soziallehre von diversen politischen Richtungen gern zitiert, z.B. der namhafte Jesuit Oswald von Nell-Breuning.

Wegen der in Deutschland geringer werdenden faktischen Relevanz des kath. Bevölkerungssegments wird die kath. Soziallehre inzwischen aber weniger beachtet als in der unmittelbaren Nachkriegszeit der Bundesrepublik (1949-1989). In der Schweiz hat die kath. Sozialdoktrin keine nenennswerte Bedeutung gehabt; in Österreich führen unangenehme Erinnerungen an den Austrofaschismus vor 1938, der fälschlich zum kath. Modellstaat ausgerufen wurde, zu Vorbehalten.