Justizvollzugsanstalt Hünfeld

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Dieser Artikel beschäftigt sich im Allgemeinen mit der aktuellen Thematik „Privatisierung des deutschen Strafvollzugs“, insbesondere mit der bundesweit ersten teilprivatisierten Justizvollzugsanstalt im hessischen Hünfeld. Ausgehend von den allgemeinen Privatisierungstendenzen im Strafvollzug soll hier ein kurzer, jedoch nicht unkritischer Blick auf die Justizvollzugsanstalt Hünfeld gewährt werden.

Privatisierungstendenzen im Strafvollzug

Entwicklungen im Ausland

Die USA nehmen eine Vorreiterrolle bei der Privatisierung des Strafvollzugs ein. In den 80er Jahren gab es in den USA die ersten Privatisierungen von Gefängnissen. Inzwischen haben Regierungen in England, Wales, Schottland, Neuseeland, Australien Kanada, Südafrika und Chile private oder teilprivatisierte Vollzugsanstalten in Betrieb. Frankreich betrieb in den 80er Jahren als erstes Land teilprivatisierte Gefängnisse. In England und Wales werden seit 1992 alle neuen Vollzugsanstalten privat finanziert, geplant, gebaut und betrieben. Knapp ein Fünftel der Gefängnisse in England ist privatisiert. Es gibt auch privat betriebene Ausbildungseinrichtungen für jugendliche Straftäter zwischen 12 und 17 Jahren, Hafteinrichtungen und Unterkünfte der Einwanderungsbehörde und Resozialisierungsheime.

Entwicklungen in Deutschland

In Deutschland sind der Privatisierung von Gefängnissen grundgesetzliche Grenzen gesetzt. Es ist jedoch möglich einen Teil des Strafvollzugssystems zu privatisieren. Zunehmend werden beispielsweise private Unternehmen mit der Planung und dem Bau von Haftanstalten beauftragt. § 155 Abs. 2 StVollzG ermöglicht außerdem den hoheitlichen Einsatz von Privaten, wenn dies aus Behandlungsgründen bzw. zur Erreichung des Vollzugsziels notwendig ist und den Vollzugsbeamten die erforderliche Fachkompetenz fehlt. Somit kann für fachlich fundierte Aufgaben, wie ärztliche Versorgung, psychologische und soziale Betreuung, schulische und berufliche Bildung sowie Seelsorge, auch auf nichtbeamtete oder nebenamtliche Kräfte zurückgegriffen werden. Im Rahmen des § 155 StVollzG ist ferner eine Übertragung einzelner Teilaufgaben im Rahmen von Landeseigenbetrieben an einen privaten Träger möglich. Dieser Vorgang, indem ein Staatsunternehmen in eine Rechtsform des Privatrechts umgewandelt wird, ohne dass sich aber die Eigentumsverhältnisse ändern, wird als formale Privatisierung bezeichnet.
Im Jahr 2006 wurden in der bundesweit ersten teilprivatisierten Justizvollzugsanstalt Hünfeld die ersten Haftplätze belegt.

Die Justizvollzugsanstalt Hünfeld

Nach der Durchführung eines Standortwettbewerbes wurde die osthessische Stadt Hünfeld mit ca. 16.200 Einwohnern aus zuletzt sieben Bewerbern ausgewählt. Im März 2004 wurde in Hünfeld der Grundstein zum Bau der ersten teilprivatisierten Justizvollzugsanstalt (JVA) in der Bundesrepublik Deutschland gelegt. Dieser Grundsteinlegung gingen Bürgerinitiativen sowohl für als auch gegen den Bau der JVA in Hünfeld voraus. Letztendlich kam es zu einem Bürgerentscheid, in dem sich 51,74 Prozent der Wähler für den Bau der Justizvollzugsanstalt in ihrer Stadt entschieden. Das Land Hessen hatte der künftigen Standortgemeinde einer Justizvollzugsanstalt zuvor u. a. ein 5 Millionen DM Sonderinvestitionsprogramm, die Bestandssicherung aller Landesbehörden, die Berücksichtigung der Inhaftierten im Finanzausgleich angeboten. Am 02.01.2006 nahm die Justizvollzugsanstalt Hünfeld ihren Betrieb auf. Es handelt sich um einen geschlossenen Vollzug für männliche Erwachsene. Es gilt die Sicherheitsstufe II. Die JVA Hünfeld ist seit dem 01.12.2006 für den Vollzug von Erstverbüßern mit einer Vollzugsdauer von mehr als 24 Monaten bis zu 60 Monaten, gegen die keine Strafe wegen grober Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) zu vollstrecken ist, zuständig. In Hünfeld sind keine Personen untergebracht, gegen die Freiheitsstrafen wegen Sexual -und/oder versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten zu vollstrecken oder die entsprechend vorbestraft sind. In der JVA sind 115 staatliche Bedienstete und 102 Mitarbeiter der Serco GmbH beschäftigt. Die Firma Serco erhielt den Zuschlag nach vorheriger europaweiter Ausschreibung.

Die Firma Serco

Die Serco GmbH ist eine Tochtergesellschaft des weltweit agierenden britischen Konzerns Serco Group plc. Die börsennotierte Serco Group plc wurde 1929 gegründet. Hauptaufgabe der Firma Serco ist die Übernahme von öffentlichen Dienstleistungen. Dies erfolgt im Rahmen sogenannter Public - Private - Partnerships (öffentlich - private - Partnerschaften). Bei den Partnern handelt es sich um Behörden, Institutionen und Unternehmen aus den Bereichen Justiz und Sicherheit, Schulen und Hochschulen, Gesundheit, Verkehr, Verteidigung, Luft- und Raumfahrt sowie Handel und Industrie. Die Serco Group plc ist in 36 Ländern mit 46.000 Mitarbeitern tätig. Serco betreibt in Großbritannien seit mehreren Jahren fünf Justizvollzugsanstalten, sowie Jugend- und Abschiebehaftanstalten. Außerdem gehört der Transport der Gefangenen zu ihren Aufgaben. Serco verzeichnete in der Vergangenheit bei Umsatz, Ergebnis und Mitarbeiterzahl jährliche Zuwachsraten von durchschnittlich über 20 Prozent. Die deutsche Serco GmbH hat ihren Sitz in Bonn. Das Unternehmen beschäftigt mehr als 1.100 Mitarbeiter an 35 Standorten.

Bauliche Konzeption der JVA Hünfeld

Die bauliche Gliederung der Justizvollzugsanstalt beruht auf dem "Konzept der kurzen Wege". Es wurde versucht alle Abteilungen miteinander zu verbinden, so dass lange Wege erspart bleiben. Auf dem insgesamt 86.000m² großen Grundstück befindet sich ein Gebäude für Arbeit- und Ausbildung, Vollzugsmagistrale, vier Unterkunftsgebäude und eine Sporthalle. Die Nutzfläche beträgt 13.914m². Die Justizvollzugsanstalt verfügt über 502 Haftplätze, davon 422 Einzel- und 40 Doppelhafträume. Des Weiteren existiert eine Krankenstation mit 15 Belegbetten.

Einrichtungen/Angebote der JVA Hünfeld

Die Justizvollzugsanstalt bietet 370 Arbeitsplätze für Gefangene (www.hmdj.hessen.de, Stand 2008-07-12). Davon


  • 233 Arbeitsplätze in Unternehmerbetrieben
  • 24 Arbeitsplätze in der Arbeitstherapie
  • 25 Ausbildungsplätze
  • 88 Arbeitsplätze in den Hilfsbetrieben (Küche, Reinigung, Anlagenpflege, Bücherei, Kammer, etc.).


Neben den Werkstätten mit Metallverarbeitung, Konfektionierung und Elektroarbeiten gibt es eine Kaffeerösterei. Die Produkte der Werkstätten (z.B. Multi - Zaun sowie Arbeiten der Arbeitstherapie) und der Rösterei werden über einen Online - Shop zum Verkauf angeboten. Die Beschäftigungsquote liegt bei 76 Prozent. Die medizinische Betreuung der Gefangenen wird durch einen Anstaltsarzt gewährleistet. Der ärztliche Dienst ist von der Firma Serco angestellt. Ausführungen für ärztliche Untersuchungen sind unter bestimmten Voraussetzungen mit Fuss- und Handfessel möglich. Eine Gefangenenbibliothek (keine Präsenzbibliothek) ist vorhanden. Es gibt einen evangelischen und einen katholischen Pfarrer. Zwei Hodschas/Imame eines islamischen Vereines kommen zu einem Gesprächskreis in die JVA. Die Gefangenen sind in einer Interessenvertretung organisiert. Außerdem wird eine Gefangenenzeitung mit dem Namen "Einblick" herausgegeben.

Welche Tätigkeiten werden von den Privaten ausgeführt?

Die Tätigkeit der Privaten ist auf Dienstleistungen im weiteren Sinne ohne Eingriffsbefugnisse gegenüber Gefangenen begrenzt. Eine Privatisierung des Strafvollzuges als Ganzes ist gemäß Artikel 33 Abs. 4 Grundgesetz unzulässig, da der Strafvollzug zum sogenannten Kernbereich staatlicher Aufgabenwahrnehmung gehört. Als solcher ist der Strafvollzug „in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen“ und daher nicht privatisierungsfähig. Eine vollständige Privatisierung wäre nur bei einer Änderung im Grundgesetz möglich. Folgende Leistungen werden derzeit von dem privaten Betreiber Serco erbracht:


  • die Reinigung innerhalb der Gebäude (Haftbereiche ausgenommen)
  • die Pflege der Außenanlagen
  • die Wartung und Instandhaltung technischer Anlagen, Maßnahmen der Bauunterhaltung
  • die Reinigung und Instandhaltung der Dienstfahrzeuge
  • der Betrieb der Anstaltsküche und die Versorgung der Gefangenen mit Verpflegung
  • die Organisation des Gefangeneneinkaufs
  • die medizinische Versorgung der Gefangenen
  • die Organisation und Betrieb der Werkstätten
  • die Organisation und Durchführung der arbeitstherapeutischen Beschäftigung und der Maßnahmen der schulischen und beruflichen Bildung der Gefangenen
  • die Beratungsleistungen für die Gefangenen (Drogen-, Ausländer- und Schuldnerberatung)
  • Teile der Verwaltungstätigkeiten (Zahlstelle, Rechnungswesen, Versorgungswesen, Poststelle, Telefonzentrale, Schreibdienst)
  • Hilfsdienste für die Stationen und den Besuchsbereich
  • Überwachung der Monitore der Videoüberwachungsanlage der Liegenschaft.


Nach Angaben des Justizministeriums beträgt die Privatisierungsquote ca. 45 Prozent. Die Gesamtverantwortung für die Anstalt wie auch die Verantwortung für die Sicherheit bleiben hingegen in staatlicher Hand. Der Vertrag mit dem privaten Partner hat eine Vertragslaufzeit von zunächst 5 Jahren mit einer 2-jährigen Verlängerungsoption.

Diskussion

Ökonomische Überlegungen

In der neoliberalen Spätmoderne rücken ökonomische Überlegungen immer mehr in den Vordergrund, auch im Strafvollzug. Die Privatisierung in der Strafrechtspflege gilt als besonders problematisch, weil die Verhängung von Strafen eine Kernaufgabe des Staates ist. Es wird diskutiert, ob die Strafrechtspflege unökonomisch arbeitet. Das Land Hessen beruft sich bei der Einführung der Teilprivatisierung von Justizvollzugsanstalten auf die bisherige Überbelegung der Anstalten und auf die angespannte Situation der öffentlichen Haushalte. Die Teilprivatisierung soll u. a. zur Verbesserung der Service - Qualität beitragen. Als ein Hauptargument für die Teilprivatisierung der JVA Hünfeld wurde eine mögliche Einsparung bei den Betriebskosten angeführt. Mit der Teilprivatisierung könnten ca. 15 Prozent der Betriebskosten eingespart werden. Die Realität sieht zurzeit (Stand 2008) jedoch anders aus. Tatsächlich ist nach Angaben des hessischen Justizministeriums ein Haftplatz in der JVA Hünfeld (83,18 € pro Tag) im Vergleich teurer ist als in der staatlichen JVA Darmstadt (79,28 € pro Tag).

Juristische Überlegungen

Resozialisierung durch Private?

Die Mitarbeiter der Serco GmbH werden in der JVA Hünfeld mit der Resozialisierung der Gefangenen beauftragt. Das Behandlungsprogramm wird mit dem privaten Betreiber Serco erstellt. Die Behandlungsuntersuchungen werden vom Sozialdienst durchgeführt, der auch Vorschläge zur Vollzugsplanung vorlegt. Somit können Private über Verschärfung und Lockerung von Haftbedingungen mitentscheiden. Das Einschließen der Gefangenen bleibt eine hoheitliche Aufgabe und wird von Vollzugsbeamten wahrgenommen. Es besteht die Gefahr, dass das nach §2 StVollzG festgelegte Vollzugsziel Resozialisierung aus dem Fokus gerät und es lediglich um eine bloße Verwahrung der Insassen geht. Eine solche Aufgabentrennung kann sich unter Umständen, z. B. durch Eintönigkeit der Tätigkeit, negativ auf die Motivation der Bediensteten auswirken. Ein weiteres Problem ist die hohe Fluktuation der Angestellten bei privaten Unternehmen. In der Regel verdienen die Angestellten der Sicherheitsdienste weniger als die staatlichen Bediensteten. Angestellte, die wenig verdienen und um ihren Arbeitsplatz fürchten, sind anfälliger für Einflussnahmen von innerhalb und außerhalb der Anstalt. Dazu kommen die Kosteneinsparungen an der Aus- und Fortbildung der Angestellten. Die Vollzugsbeamten hingegen haben eine zweijährige Ausbildung durchlaufen. Die Suche nach kostengünstiger Ausgestaltung des Freiheitsentzuges darf auch nicht dazu führen, die Entwicklung von Alternativen zur Freiheitsstrafe zu vernachlässigen, da die Freiheitsstrafe die ultima ratio bleiben muss.

Anwendung unmittelbaren Zwanges durch Private?

Die Tatsache, dass die privaten Betreiber den Transport von Gefangenen übernehmen ist kritisch zu betrachten. Die Angestellten verfügen lediglich über Jedermannsrechte (Notwehr und Nothilfe) und dürfen aufgrund der Ermangelung einer rechtlichen Grundlage keinen unmittelbaren Zwang anwenden. Ferner fehlt ihnen auch die entsprechende Aus- und Fortbildung.

Erfahrung/Evaluation

Es gibt kaum unabhängige wissenschaftliche Untersuchungen über den Betrieb privater Gefängnisse. Obwohl Großbritannien bereits 1992 die erste privat geführte Vollzugsanstalt in Betrieb genommen hat, gibt es bis heute keinen Nachweis dafür, dass privat geführte Anstalten einen positiven Einfluss auf die Rückfallquoten der Insassen haben. Auch aus Frankreich liegen keine Belege dafür vor. In den USA steigt die Zahl der zur Strafhaft verurteilten Personen. Die dortige Kriminalpolitik geht mit immer schärferen Strafen einher ("three strikes - Gesetze"). Der Einfluss der Medien auf kriminalpolitische Entscheidungen verstärkt die Tendenz gesellschaftliche Probleme nicht mit Mitteln der Sozialpolitik, sondern der Kriminalpolitik lösen zu wollen. Ob die Privatisierung der Gefängnisse zu den erhöhten Gefangenenzahlen führt, bedarf unabhängiger wissenschaftlicher Untersuchungen. Statistiken aus dem angloamerikanischen Raum machen deutlich, dass die Erfolge von Teilprivatisierung vor allem in der Erhöhung der Sicherheit durch Freiheitsentzug liegen. Der Aufenthalt in der Vollzugsanstalt macht es den Inhaftierten unmöglich, außerhalb der Anstalt Straftaten zu begehen ("incapacitation") Eine Beschränkung des Strafvollzuges auf reine "Sicherungsverwahrung" lässt sich jedoch nicht legitimieren.
Ob eine Teilprivatisierung ökonomisch sinnvoll ist, bleib abzuwarten.

Literaturquellen

  • Caplan, Joel, Policy for Profit: The Private - Prison Industry`s Influence over Criminal Justice Legislation. In: ACJS Today XXVI, 1, Jan./Feb.2003, S.15 - 20
  • Cornel, Heinz (2006): Warum hört man so wenig wirklich gute Argumente für die Privatisierung des Strafvollzugs?, in: Neue Kriminalpolitik 1. S. 7-10
  • Jung, Heike (1993), Private Verbrechenskontrolle in: Kaiser/Kerner/Sack/Schellhoss (Hrsg.) Kleines Kriminologisches Wörterbuch, 3. Auflage, C.F.Müller Juristischer Verlag Heidelberg, 409 - 415
  • Stober, Ralf (Hrsg.) (2001), Privatisierung im Strafvollzug?, Carl Heymanns Verlag
  • Meyer, Larsen Ingolf (2007), Privatisierung von Strafvollzug: Eine Institutionenökonomische Analyse unter besonderer Berücksichtigung jugendlicher Straffälliger, Marburg, Metropolis - Verlag

Internetquellen

http://www.welt.de/print-welt/article183181/Gefaengnis%20AG.html (Stand 2008-07-12)

http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,463009,00.html (Stand 2008-07-29)

http://www.bdws.de/cms/images/stories/Pressemitteilungen/2003/3.13-03.pdf (Stand 2008-07-12)

http://www.hmdj.hessen.de/irj/HMdJ_Internet?cid=7f4f76e688c1a4970ca6e41c5670a132 Justizministerium Hessen (Stand 2008 12 19)

http://www.sueddeutsche.de/deutschland/artikel/719/166243/print.html (Stand 2008-07-12)

http://www.strafvollzugsarchiv.de/index.php?action=archiv_beitrag&thema_id=&beitrag_id=191&gelesen=191 Strafvollzugsarchiv zu Hünfeld (STand: 2008-12-10)

http://www.epsu.org/IMG/pdf/GER_PSIRU_Prison_report_2005.pdf (Stand 2008-16-08)