Internetsperre

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Eine Internetsperre blockiert für die Nutzer des World Wide Web den Zugang zu einer Webseite oder zu mehreren Adressen.

Wer sperrt?

Meist sind es Regierungen, die (mit oder ohne gesetzliche Grundlage) den Zugang zu macht- oder sozialpolitisch unliebsamen Inhalten verwehren. In der Praxis werden Sperren nicht unmittelbar von den Inhaber politische Machtpositionen eingerichtet. Häufig veranlassen Regierungen stattdessen die Unternehmen, die den Zugang zum Internet anbieten (Zugangsanbieter, Zugangsbereitsteller, access provider), auf eigene Kosten den Machthabern bei der Zugangseinschränkungen behilflich zu sein. Je nachdem, ob es sich bei den Zugangseinschränkungen um Zensur und/oder Gefahrenabwehr handelt, werden die Provider dadurch zu Zensur-, bzw. Polizeihelfern.

Was wird gesperrt?

In verschiedenen Rechtskulturen werden verschiedene Inhalte gesperrt: in China z.B. Seiten mit Kritik an Maßnahmen von Partei und Regierung ebenso wie Seiten kinderpornographischen Inhalts oder auch mit Inhalten zu Drogen, Gewalt, Glücksspiel usw.; in Deutschland werden nach dem Gesetzentwurf von 2009 nur kinderpornographische Seiten gesperrt, also nicht etwa antisemitische Seiten, anti-arabische Seiten, links- oder rechtsextremistische Propaganda oder Ähnliches. Ob sich diese relative Sicherheit vor polizeilichen Sperrungen lange halten wird, ist prognostisch wie deontisch umstritten.


China

In China gibt es keine Vielzahl von Providern; die Datenströme im Internet sind zentral organisiert; die Provider sind an der kurzen Leine der Regierung und schränken die Zugang nach deren Maßgabe ein.

Deutschland

Ein Gesetzentwurf sieht für Deutschland folgende Regelung vor: das BKA führt eine Liste mit Internetadressen. Die Provider (z.B. Telekom) sperren den Zugang zu diesen Adressen. Nutzer, die einen Link zu einer gelisteten Seite anklicken, sehen ein Stoppschild. Der Provider darf diesen Zugriff dem BKA melden.

Technische Probleme

  • Zugangssperren können von versierten Nutzern in weniger als einer Minute umgangen werden.

Rechtliche Probleme

  • Zensur gilt in Deutschland nicht als Teil der Rechtskultur. Fasste man Internetsperren als Zensur auf, so wäre die Rechtswidrigkeit indiziert.
  • Fasst man die Errichtung von Internetsperren als eine Art der Gefahrenabwehr auf, dann wäre ein Gesetz nicht Sache des Bundestags, sondern der jeweiligen Bundesländer ("Polizei- und Ordnungsrecht").
  • Eine rechtssystematische Auffälligkeit ist die Verankerung der Internetsperre mit der Kompetenzausweitung für das BKA und mit der Verpflichtung der Provider zur Verrichtung polizeilicher Hilfsdiente auf eigene Kosten im Telemediengesetz. Der europäische Gesetzgeber wollte in diesem Gesetz gerade die Neutralität der Provider absichern (Pflicht zur "blinden" Durchleitung).
  • Unklar ist, ob oder wie sichergestellt werden kann, dass nur rechtswidrige Inhalte blockiert werden. Weder gibt es eine Verpflichtung der Polizei, die Sperradressen entsprechend spezifisch anzugeben - noch ist klar, ob oder wie eine BKA-Sperrliste gerichtlich überprüft werden kann.

Kriminalität

  • Die Internetsperren eröffnen neue Möglichkeiten der (u.U. strafbaren) Schadenszufügung. So lässt sich die Existenz von Individuen u.U. dadurch ruinieren, dass man sie durch Viren in einer Mail oder einem Link o.ä. wiederholt auf gesperrte Adressen lockt und ihnen damit eine Ermittlungsakte bei der Staatsanwaltschaft und ein Stigma als Pädophiler o.ä. verschafft.

Maßnahmenstaat

  • Der Befehl zur Sperrung einer Seite geht von der Polizei an den Provider. Insofern lässt der deutsche Gesetzentwurf - der sich auch mit keinem Wort über die Qualifikation der entscheidenden Polizisten äußert - durchaus an das Reich der Mitte. Täglich sind die Beamten gefordert, nicht nur unmittelbar kinderpornographische Seiten zu erkennen und zu sperren, sondern auch solche Seiten, die ganz andere Inhalte haben, aber Links zu kinderpornographischen Seiten enthalten. Kritiker des BKA könnten dann selbst auf der Sperrliste landen, wenn sie durch einen Link auf eine Sperrliste den Nachweis führen wollten, dass es dort kaum um Kinderpornographie gehe.
  • Die Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes (Art. 19 Abs. 4 GG) wird unterlaufen.
  • Für Fehler des BKA haftet der Staat, nicht der Provider. Sagt der Gesetzentwurf.
  • Rechtsstaatlich wäre ein nicht gegen die Provider, sondern gegen die Betreiber der Seiten.

Literatur

  • Wieduwilt, Hendrik (2009) Der Staat betritt den Cyberspace. FAZ 27.05.09: 11.

Weblinks

  • Müller, Henning Ernst (2009) Gesetzentwurf zu Internetsperren im Kabinett beschlossen.

http://blog.beck.de/2009/04/22/gesetzentwurf-zu-internetsperren-im-kabinett-beschlossen (29.05.09)