Inklusionsveranstaltung

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Inklusion durch Exklusion? Probleme und Perspektiven der Sozialtherapie im Strafvollzug.

Problemskizze für die Tagung "Inklusion - all inclusive?", PPSB Hamburg, November 2013

Was passiert, wenn der Inklusionsgedanke auf den Strafvollzug stößt? Einerseits könnte man glauben: es passiere gar nichts Neues, denn mit dem alten Leitgedanken der Resozialisierung sei ja bereits die Rückkehr des gebesserten Straftäters in die Gesellschaft und damit dessen (Re-) Inklusion gemeint. Man kann Inklusion aber auch anders verstehen, und dann wäre der Inklusionsgedanke tatsächlich etwas Neues für den Strafvollzug und er wäre darüber hinaus auch außerordentlich folgenreich. Verstünde man ihn nämlich so wie im Schulwesen (von wo er stammt), dann könnte er in der Konsequenz nicht mehr und nicht weniger als die Auflösung der sozialtherapeutischen Abteilungen im Strafvollzug bedeuten.

Lassen sich Umstände und Perspektiven vorstellen, vor deren Hintergrund eine solche Entwicklung denkbar, wünschbar und machbar wäre?

Dazu möchte ich an dieser Stelle einige Gedanken zur Diskussion stellen. Das hat zum einen mit meiner aktuellen Arbeit zu tun - als Psychologin und Kriminologin bin ich seit September 2013 als Oberregierungsrätin in der JVA Lübeck mit der Entwicklung eines Konzepts für Fragen der Sicherungsverwahrung (Motivationsarbeit, Entlassung für Rückkehrer; ältere Gefangene) befasst - vor allem aber mit meiner Erfahrung in der JVA Uelzen in Niedersachsen, wo ich 12 Jahre lang als Leiterin der Sozialtherapeutischen Abteilung engagiert war. Ich könnte also über meine Jahre in Uelzen berichten unter dem Gesichtspunkt der Vor- und Nachteile, der Möglichkeiten und Grenzen der Resozialisierung, aber natürlich auch die Fragen der heutigen Veranstaltung berücksichtigen, nämlich

  1. die Problematik der Inklusion und Exklusion und
  2. die Frage, was das Systemische an unserer Methode - des BPS - ist.

Die JVA Uelzen gibt es seit 1987. Besteht aus 6 Häusern und einer wechselnden Anzahl von Außenstellen in Nordniedersachsen. Sie ist eine mittelgroße Anstalt (ca. 250 Insassen) mit gegenwärtig schnell abnehmender Gefangenenzahl.

Meine Rolle: von 2001 an habe ich zunächst das Konzept für eine sozialtherapeutische Abteilung in der JVA entwickelt. Die SothA nahm 2003 ihre Arbeit auf und von 2004 bis 2013 habe ich die SothA dann leiten dürfen.

Die SothA ist im Haus 5 der JVA untergebracht und hat 32 Plätze. Im Durchschnitt bleibt ein Gefangener - den wir in der SothA Klient nennen - zweieinhalb- bis viereinhalb Jahre bei uns.

Die Klientel der Sozialtherapie weist einige Gemeinsamkeiten auf (alles Männer; schwere Gewalt- und/oder Sexualdelikte), aber auch sehr viele Unterschiede. Das hat damit zu tun, dass wir früher (bis 1998) nur Klienten bis 45 Jahre aufnehmen durften; man durfte keine Personen mit unbegrenzter Haft therapieren (Sicherungsverwahrung, lebenslange Freiheitsstrafe) und es wurden auch keine Gefangenen mit Drogen- und/oder Alkohol-Problematik aufgenommen. Auch wurde auf gewisse intellektuelle Fähigkeiten wert gelegt. All diese Restriktionen sind inzwischen gefallen. Bedenkt man dann noch, dass die Bandbreite der Delikte innerhalb der Gewalt- und Sexualstraftaten recht weit ist (vom Raub über sexuellen Missbrauch über Vergewaltigungen bis zu sadistischen Tötungsdelikten) und dass vor allem die Tatmotivationen überaus verschieden sind, dass wir außerdem eine immer größere nationale, ethnische und religiöse Vielfalt haben - dann wird leicht einsichtig, wie viel schwieriger eine erfolgreiche Behandlung heute ist als unter den früheren Umständen.

Heute reicht das Alter der Klienten von 25 bis 75 Jahre. Die Interessen und Prioritäten sind entsprechend unterschiedlich. Was die Sprachfähigkeiten angeht, so sind sie im Schnitt zurückgegangen. Um aufgenommen zu werden, müssen sie eigentlich Deutsch sprechen, aber nicht alle entsprechen der idealen Sprachkompetenz. Wir haben Syrer, Türken, Bulgaren, Russen, Iren und Deutsche. Was die Religion angeht, so haben wir heute Moslems, russisch-orthodoxe Christen, Baptisten, Mennoniten und viele andere. Wenn die Behandlungskonzepte von "heimatnaher Unterbringung" im Justizvollzug sprechen, damit Besuche von Angehörigen gefördert werden können, so haben die Erfinder dieser Idee sicherlich an relativ ortsgebundene und im Bundesland beheimatete Gefangene gedacht, aber nicht an Fälle, wie wir sie heute typischerweise haben: ein suizidaler Afrikaner hat seine Familie in Berlin, soll aber nach Afrika abgeschoben werden. Ein Türke hat Familie in Gifhorn und wird in die Türkei abgeschoben.

Mit dieser Klientel führen wir in der SothA das Behandlungs-Programm für Sexualstraftäter (BPS) durch.

Behandlungsprogramm für Sexualstraftäter (BPS)

Das anlässlich des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998 von einer Arbeitsgruppe im niedersächsischen Justizvollzug entwickelte Behandlungsprogramm für Sexualstraftäter (BPS) ist - wie die meisten Behandlungsmethoden in deutschen Sozialtherapien - eine strukturierte Gruppenbehandlung auf der Grundlage eines kognitiv-behavioralen Ansatzes (vgl. Aaron T. Beck; vgl. auch die Dissertation von Rüdiger Gaenslen 2005: 132 ff.).

Ziel des BPS ist die Verringerung der (einschlägigen) Rückfallwahrscheinlichkeit. Es enthält deshalb sowohl Elemente eines Erklärungsmodells von Sexualstraftaten, das die Variablen Selbststeuerung, Stress, Motivationsentstehung und tatfördernde Faktoren berücksichtigt, als auch Aspekte der Rückfallprävention aus der Suchttherapie. Das BPS ist heute die häufigste Sexualstraftäter-Behandlungsmethode in bundesdeutschen Sozialtherapien. Es wird laufend überarbeitet und gegenwärtig auch für Gewalttäter ohne Sexualbezug angepasst.

Es besteht aus einem unspezifischen und einem spezifischen Teil.

Unspezifischer Teil

Im unspezifischen Teil (33 Sitzungen) geht es um den Aufbau der therapeutischen Beziehung und der Therapiemotivation. Themen sind vor allem moralisches Handeln und Empathie, Gesprächsverhalten, Rückmeldung geben und empfangen, Selbst- und Fremdwahrnehmung, Wahrnehmung von Gefühlen, Kontakt- und Kommunikationstraining, Geschlechtsrollen, Stressmanagement, menschliches Sexualverhalten, Suchtmittelkontrolle.

Aber auch diese Themen können sinnvoll nur bearbeitet werden, wenn dafür die gleichsam klimatischen Voraussetzungen vorhanden sind. Und die sind nicht von selbst präsent, sondern müssen ebenfalls oft mühsam erst geschaffen werden.

Entscheidend ist für das Gelingen die Schaffung der therapeutischen Voraussetzungen, und das heißt, es ist in allererster Linie (und meist in einem lange dauernden Prozess) das für den Klienten Bedrohliche aus den Situationen herauszunehmen, nämlich:

  • das Bedrohliche von der Seite der Behandler (Aufbau einer therapeutischen Vertrauensbasis)
  • das Bedrohliche aus der allgemeinen Haftsituation (z.B. Angst, dass die Angehörigen sich abwenden)
  • das Bedrohliche aus der aktuellen Behandlungs-Gruppe (Bedrohung des Selbstwertgefühls durch andere Gruppenmitglieder)
  • das Bedrohliche aus der realistischen Selbstwahrnehmung (Verzicht auf Beschönigungen und Rationalisierungen).


Spezifischer Teil

Im spezifischen Teil (58 Sitzungen) werden folgende Zwischenziele fokussiert:

  • Verringerung von Tatwünschen und tatfördernden Faktoren
  • Verbesserung der Selbststeuerung und des Umgangs mit Belastungssituationen.

Themen sind: Biographie, kognitive Verzerrungen, Stufen der Begehung von (Sexual-) Straftaten, scheinbar belanglose Entscheidungen, Risikosituationen, das Problem der unmittelbaren Befriedigung, Kontrolle sexueller Phantasien, Ablauf der Straftat (Delikt-Szenario), Opferempathie, Rückfallprävention.

Was ist das Systemische am BPS?

Die Systemische Therapie, die aus der Familientherapie entstand und heute auch in der Arbeit mit Einzelnen, Paaren, Familien und Gruppen angewandt wird,

"betrachtet den einzelnen Menschen im Beziehungsgefüge seines Umfeldes und sieht Symptome als Ausdruck bestimmter Beziehungsmuster. Therapeutische Interventionen zielen darauf, Muster deutlich werden zu lassen, Ressourcen zu aktivieren und Handlungsmöglichkeiten der Beteiligten zu erweitern" (IGST).

In der Sozialtherapie erkennen wir die jeweilige Tat als Ausdruck von Beziehungsschwierigkeiten, die meist auf frühe familiäre Beziehungsmuster zurückgehen. Hierauf wird viel Aufmerksamkeit verwandt: aus der Analyse der Biographie (Familie, wichtige Bezugspersonen und -gruppen) als Grundlage für die (psychischen) Probleme, Beziehungskonflikte und Straftaten ergeben sich die entscheidenden Hinweise für Diagnose und Therapie. Hierfür gibt es zahllose Beispiele, von denen ich nur einmal drei nennen möchte:



Das systemische Denken ist also bereits ein zentrales oder sogar das zentrale Element in Theorie und Praxis der heutigen Sozialtherapie im Strafvollzug. Es ist denjenigen, die längere Zeit in der Sozialtherapie arbeiten, gewissermaßen in Fleisch und Blut übergegangen.

Das Thema Inklusion

Die Frage, die sich nun aber stellt, ist die nach dem Innovationspotential der Inklusions-Idee. Man könnte natürlich sagen: Inklusion findet ja im Strafvollzug schon genug statt. Inklusion heißt Einschließung. Und eingeschlossen sind die Gefangenen ja nun allemal sowieso schon. Aber diese Art der Einschließung ist mit dem Inklusionsbegriff ja offenbar nicht gemeint. Doch was genau ist damit gemeint? Vielleicht dasselbe wie mit dem Begriff der Integration, der Re-Integration oder der Resozialisierung? Bei so einem Durcheinander ist die Gefahr groß, aneinander vorbei zu reden. Wir brauchen also eine Definition oder zumindest eine anschauliche Vorstellung davon, was heutzutage mit Inklusion gemeint ist, wenn der Begriff im Zusammenhang mit helfenden oder fördernden oder therapierenden Interventionen benutzt wird. Dazu kann es sehr nützlich sein, sich erst einmal zu vergegenwärtigen, woher der heute so beliebte Begriff eigentlich stammt. Wenn man einen Blick in die Bücher wirft, die dieses Wort im Titel tragen, dann bemerkt man zweierlei: erstens, dass alle diese Bücher relativ jungen Datums sind (der Begriff der Inklusion kam vor 30 bis 40 Jahren in der soziologischen Diskussion auf und wanderte dann vor 20 bis 30 Jahren allmählich über die Pädagogik in die Bildungspolitik), und zweitens, dass ihr zentraler Bezugspunkt heute das Bildungswesen einschließlich der sog. Sonderpädagogik ist.

Inklusion ist also ein Begriff, dessen Bedeutung sich nur erschließt, wenn man seinen Bezug zum Bildungswesen begreift. Daher kommen wir um einen Exkurs zur Bedeutung von Inklusion in der bildungspolitischen Debatte auch hier nicht herum. Von dort aus lässt sich dann auch gemeinsam überlegen, inwiefern der Inklusionsgedanke sich auch auf den Strafvollzug übertragen lässt.


Inklusion im Bildungswesen

Der Begriff der Inklusion spielt in der Pädagogik und in der Schulpolitik eine zentrale Rolle. Das hat unter anderem mit der sogenannten Salamanca-Erklärung der UNESCO von 1994 zu tun. Sie fordert alle Staaten auf, ihre Schulen so zu organisieren, dass sie allen Kindern gerecht werden können, vor allem jenen mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen. So sollen zum Beispiel behinderte Kinder nicht in Sonderschulen unterrichtet werden, sondern gemeinsam mit nichtbehinderten Kindern. Das Prinzip der Inklusion gilt für alle, auch für Kinder mit überdurchschnittlichen Fähigkeiten oder mit sonstigen physischen, intellektuellen, sozialen, emotionalen, sprachlichen und sonstigen Merkmalen (Merkmale sollen überhaupt als Teil der Vielfalt in einer Klasse behandelt und nicht als Anlass für Exklusion oder Segregation genommen werden.)

Insgesamt geht es aber in erster Linie um die Auflösung von Sonderschulen und die gemeinsame Unterrichtung der ehemaligen Sonderschüler mit nichtbehinderten Schülern in den ganz normalen Schulen, die allerdings durch zusätzliche sozial- und sonderpädagogische Fachkräfte aufgerüstet werden. Wichtig ist nur eben: Alle sollen eben gemeinsam unterrichtet werden - in derselben Schule, in demselben Klassenzimmer, von denselben Lehrern und nach demselben Lehrplan. Die Schüler helfen sich gegenseitig und die Lehrer fördern alle Schüler, aber jeden einzelnen nach seinen speziellen Bedürfnissen.

Im Bildungswesen wird heute einerseits zwischen "Exklusion" und "Inklusion" unterschieden, andererseits aber auch zwischen "Segregation" und "Integration". Damit ist Folgendes gemeint:

  • Exklusion bedeutet: Kinder, die Anforderungen der Regelschule nicht erfüllen können, bleiben vom Schulsystem ausgeschlossen. Was mit den Ausgeschlossenen geschieht, ist damit noch nicht gesagt. So könnte das Kind z.B. zuhause bleiben, es könnte aber auch - wie im Dritten Reich geschehen - umgebracht werden ("Extinktion" = Auslöschung). Die Ausgeschlossenen können aber auch zusammen eine getrennte schulische Bildung in "Sonderschulen" erhalten ("Segregation").
  • Integration bedeutet: man fügt Getrenntes (wieder) zusammen. Man unterrichtet zum Beispiel Behinderte und Nichtbehinderte gemeinsam, aber nebeneinander - für die Behinderten gibt es besondere Lehrpläne. An manchen Schulen gibt es sog. Integrationsklassen, wo Kinder ohne und mit Behinderung von einem Pädagog/-innen-Team gemeinsam unterrichtet werden. So könnte es zum Beispiel immer drei Parallelklassen geben, eine davon ist eine Integrationsklasse, und dort sind 20 Schüler, 4 davon sind behindert. - Anscheinend werden solche Klassen an anderen Schulen auch Inklusionsklassen (oder kurz i-Klassen) genannt (an der Berliner Comenius-Schule heißen Klassen, in denen Lehrer/innen 15 Kinder ohne und 5 Kinder mit Behinderungen unterrichten - davon zwei mit dem Förderschwerpunkt Autismus - nicht Integrations-, sondern Inklusionsklassen). Üblicherweise findet dann in solchen Integrations- oder Inklusionsklassen sowohl der übliche Rahmenlehrplan für die Grundschule als auch der Rahmenlehrplan für einen Förderschwerpunkt für behinderte Schüler Anwendung.
  • Inklusion bedeutet: Abschaffung der Förderschulen, Hilfs- und Sonderschulen. Alle werden gemeinsam unterrichtet. Keine gesonderten Lehrpläne für Behinderte und Nichtbehinderte. Die Struktur passt sich den individuellen Bedürfnissen an.

Seit man mit der Inklusion im Schulwesen begonnen hat, häufen sich die Klagen. In der Talkshow von Reinhold Beckmann wurde die Inklusion im August 2013 als eigentlich nicht funktionierend bezeichnet. Von dem "Inklusionswunschtraum", so ein Teilnehmer, sei man noch "weit entfernt." Zwar wagte keiner, das Konzept als gescheitert zu bezeichnen, aber alle waren sich wohl einig, dass die Rahmenbedingungen nicht stimmten: "Es gibt zu wenig qualifizierte Sonderpädagogen, kein Konzept, keine Standards und keine Fortbildung", so die Klagen aus der Praxis.

Übertragbarkeit auf den Strafvollzug?

Entwicklungsstufen

Überträgt man die historische Entwicklung des Bildungswesens auf den Strafvollzug, dann kommt man zu folgender Abfolge:

  • Über viele Jahrhunderte gab es für gefährliche Gewalt- und Sexualtäter die Totalexklusion in Form der Todesstrafe (Extinktion).
  • Im 19. und 20. Jahrhundert wurden die Täter zwar häufig auch noch hingerichtet. Daneben trat aber zunehmend die "Segregation" der Täter - auch in eigens für sie eingerichteten Institutionen. Durch die Unterbringung in psychiatrischen Krankenhäusern (Maßregelvollzug) wurden sie vom Strafvollzug ferngehalten, und durch die Unterbringung in besonderen Sozialtherapeutischen Anstalten oder Sozialtherapeutischen Abteilungen innerhalb der Gefängnisse wurden sie jedenfalls vom Normalvollzug mehr oder weniger konsequent ferngehalten. Die Ausgeschlossenen wurden also typisiert, klassifiziert und in Gruppen zusammengefasst und erhielten eine separate institutionelle Behandlung. Das war nicht nur im 19. und 20. Jahrhundert so, das ist auch heute noch so.

Interessanterweise scheint der Grad der institutionellen Trennung allerdings gerade abzunehmen: nachdem man Jahrzehnte auf selbständige sozialtherapeutische Anstalten gesetzt hatte, geht der Trend heute dazu, die Sozialtherapie nicht mehr in räumlich getrennten elbständigen Anstalten durchzuführen, sondern sie in die Gefängnisse hinein zu verlegen. Dort ist man dann in einem eigenen Haus untergebracht, aber die Sozialtherapie ist doch näher an den normalen Strafvollzug gerückt, wo sie nur noch eine Abteilung unter vielen darstellt - wenn auch eine "besondere".

Inklusionswunschtraum?

Das legt die Frage nahe, ob die Entwicklung, wie wir sie im Bildungswesen erleben, früher oder später auch im Strafvollzug ankommt - und was davon zu halten ist.

Das würde dann bedeuten, die Sozialtherapie für die besonders hilfsbedürftigen Gefangenen abzuschaffen so wie man die Sonderschulen für die besonders hilfsbedürftigen Schüler abschafft und alle gemeinsam zu unterrichten oder zu fördern oder zu behandeln: die behinderten Schüler zusammen mit den nicht behinderten in den Schulen und die "besonderen" Klienten der Sozialtherapie zusammen mit den "regulären" Gefangenen im ganz regulären Normalvollzug.

Inklusion wäre dann - ähnlich wie in der Bildungsdiskussion - eine Sache, die in gewisser Weise Neuland beträte. Man würde die besonderen Abteilungen für diese Gruppe abschaffen und alle Gefangenen gemeinsam unterbringen und behandeln. Es gäbe keine gesonderten Vollzugspläne und keine gesonderten Häuser für diese Gruppe von Klienten mehr.

Stattdessen würde sich aber die Struktur den individuellen Bedürfnissen aller Gefangenen anpassen. Statt der gruppenweisen Zusammenfassung nach Klassifizierungsmethoden würde nun jedes Individuum nach seinen speziellen Bedürfnissen behandelt werden.

Wie wir wissen, funktioniert die Umsetzung des Inklusionswunschtraums in der Schulpolitik gerade nicht so gut - auch wenn das Ideal zu begrüßen sein mag.

Jetzt wäre zu diskutieren,

  • ob man sich die Inklusion auch für den Strafvollzug wünschen sollte oder
  • ob man die Idee zwar gut findet, aber an der Realisierbarkeit zweifelt und sich dafür deswegen auch gar nicht engagieren würde.

Fragen

  • Das Ideal der Inklusion (als Ideologie). Ist Inklusion überhaupt wünschenswert? Wäre es schön, wenn es so, wie es gedacht ist, auch funktionierte?
  • Die Realität. Wäre vielleicht Segregation besser (zum Beispiel in der Form holländischer Long-Stay Einrichtungen)? Gäbe es vielleicht weniger Reibungen, würde man den Bedürfnissen dieser Gruppe besser gerecht? Das wäre zu diskutieren.
  • Ist das Ideal der Inklusion mit genügend gutem Willen realisierbar - oder gibt es unüberwindliche Hindernisse?
  • Was wäre im Bildungsbereich erforderlich, um Inklusion zu realisieren? Wie sieht es dort in der Realität aus?
  • Was wäre im Strafvollzugsbereich erforderlich, um Inklusion zu realisieren? Was wäre zu fordern, zu tun? (Eine provisorische Antwort: es benötigt bestimmte Rahmenbedingungen. Vor allem ausreichendes und qualifiziertes Personal, gute Konzepte, Mindest-Standards - die auch ernstgenommen werden - und genügend Fortbildung).

Literatur

  • Musolff, Cornelia/Jens Hoffmann, Hg. (2006) Täterprofile bei Gewaltverbrechen: Mythos, Theorie, Praxis und forensische Anwendung des Profilings. 2. Aufl. Berlin: Springer.
  • Rehder, Ulrich/Bernd Wischka/Elisabeth Foppe (2012) Das Behandlungsprogramm für Sexualstraftäter (BPS), in: Wischka u.a. 2012: 418-453.
  • Spöhr, Melanie (2009). Sozialtherapie von Sexualstraftätern im Justizvollzug: Praxis und Evaluation. Mönchengladbach: Forum-Verl. Godesberg [1]
  • Ward, Tony/Stephen M. Hudson (2000) A self-regulation model of relapse prevention, in: Laws, Hudson, Ward, eds., Remaking relapse prevention with sex offenders. Thousand Oaks: Sage: 79-101.
  • Ward, Tony/Devon L.L. Polaschzeck/Anthony R. Beech (2006) Theories of Sexual offending. Chichester (West Sussex): John Wiley & Sons.
  • Wischka, Bernd/Willi Pecher/Hilde van den Boogaart, Hg. (2012) Behandlung von Straftätern. Sozialtherapie, Maßregelvollzug, Sicherungsverwahrung. Centaurus Verlag.

Weblinks