Inbesitznahme des menschlichen Körpers

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Die staatliche Inbesitznahme des menschlichen Körpers - genauer wohl: der rechtliche Zugriff des Staates auf die Körper 'seiner' Bürger - erfolgt im Zuge der "Sakralisierung des Körpers" (Hans Joas) einerseits durch Strafandrohungen gegenüber Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit, andererseits aber auch durch "die Evokation eines imaginär-virtuellen Körpers, der nicht nur unmittelbar nach seiner Erschaffung Gegenstand staatlicher Kontrollpraxen wird, sondern letztlich wohl auch nur zu diesem Zwecke überhaupt in die (rechtliche) Welt gesetzt wird" (Schetsche 2009: 187).

Überwachung und Strafe gegenüber Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit

  • Schaffung neuer Straftatbestände, Erhöhung der Strafandrohungen
  • Lauschangriff, Videoüberwachung
  • Anlage umfassender Gendatenbanken

Dopplung der Körperlichkeit durch Konstruktion eines imaginär-virtuellen Zweitkörpers

  • Evokation eines schattenhaften Zweitkörpers, der weitere Ansatzpunkte für staatliche Kontrollmaßnahmen liefert und die Voraussetzung für eine neue Gruppe 'doppelt immaterieller Delikte' darstellt.

Kontrolle des Zweitkörpers

(Re-) Konstruktion des "Datenschattens", der durch die Nutzung der Netzwerkmedien (vom Handy bis zum Internet) entsteht und durch entsprechende programmtechnische Strukturen sichtbar gemacht werden kann.

Doppelt immaterielle Delikte

Schaffung virtuell-fiktionaler Körper, die dann Gegenstand ganz realer staatlicher Kontrollmaßnahmen werden. Nach §§ [184b] und [§ 184c] des deutschen Strafgesetzbuchs wird die Darstellung eines wirklichkeitsnahen Geschehens dem tatsächlichen Geschehen - also der sexualbezogenen Abbildung realer Kinder oder Jugendlicher - strafrechtlich gleichgestellt. Das gilt für Fälle,

  • in denen sich reale Erwachsene als imaginäre Minderjährige 'verkleiden' und sich dann bei sexuellen Handlungen oder auch nur in erotisch interpretierbaren Positionen fotografieren lassen, aber es gilt auch für
  • die Darstellung entsprechend interpretierbarer Szenen in Comic, Anime oder Computerspielen, bei denen unzweifelhaft keine realen Menschen abgebildet werden.

Gegenüber der Rechtsdogmatik, die hier keine Strafbarkeit zulassen könnte (das Rechtsgut des Rechtes der Kinder und Jugendlichen auf sexuelle Selbstbestimmung kann hier ja nicht verletzt werden) obsiegt in diesem Falle die Straflust.

Die fiktional dargestellten Figuren werden ausschließlich zu Zwecken der Bestrafung der Darsteller mit Rechten versehen, deren Verletzung dann zur Bestrafung der Darsteller führen soll.

Dem realen Kindesmissbrauch würde durch die entsprechenden Darstellungsverbote (nicht: Abbildungsverbote) durch diese Strafvorschriften nur dann entgegengewirkt, "wenn die diskursiv favorisierte Stimulations- oder Nachahmungsthese wissenschaftlich gesichedrt wäre (was sie allerdings, namentlich im Bereich sexueller Handlungen, nicht ist)" (Schetsche 2009: 189).

Schetsche spricht hier von der Fiktionalisierung des Strafrechts.

Literatur

  • Schetsche, Michael (2009) Virtuell-fiktionale Körper im Strafrecht. Ergänzender Kommentar zu Helge Peters: 'Punitive Turn'. Krim. Journal 41.Jg., H. 3: 186-189.