Homegrown Terrorism

Aus Krimpedia – das Kriminologie-Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Die Bezeichnung Homegrown Terrorism (\ˈhōm-ˈgrōn ˈter-ər-ˌi-zəm \) hielt erstmals nach den Bombenanschlägen vom Juli 2005 in London Einzug in den sicherheitspolitischen und öffentlich medialen Diskurs. Vier Männer muslimischen Glaubens mit britischer Staatsbürgerschaft, die in Großbritannien geboren und aufgewachsen waren, wendeten sich mit mehreren Anschlägen gegen ihre Mitmenschen und ihr Heimatland. Diese Tat stellte eine neue Ausprägung der Bedrohung durch den Islamistischen Terrorismus dar.

Etymologie

Der Begriff Homegrown Terrorism (auch Home-Grown Terrorism) ist eine Kombination aus den englischen Wörtern homegrown und terrorism. Der Begriff homegrown setzt sich zusammen aus dem Wort home für Haus (oder haus wie in hausgemacht) und grown dem past participle des Verbs to grow für wachsen, anbauen, züchten. Die Kombination der Begriffe steht für die Bedeutung des hausgemachten, selbstgezüchteten oder im eigenen Land entstandenen Terrorismus. Im US-amerikanischen Sprachraum wird synonym auch der Begriff des Domestic Terrorism (domestic engl.: heimisch, inländisch) verwendet.

Definition/Beschreibung

Die Suche nach einer allgemein anerkannten Definition des Homegrown Terrorism bleibt bisher ohne Ergebnis. Die diesbezüglich geführte Diskussion lässt jedoch die Hervorhebung einiger Aspekte zu, die eine nähere Beschreibung des Phänomens ermöglichen.

Der Internationale Terrorismus und sein religiös motivierter Ableger der Islamistische Terrorismus, zeichnen sich dadurch aus, dass Personen aus einem Land in ein Zielland reisen, um dort Ihre Anschläge auszuführen. So wurden z. B. die Anschläge vom 11. September 2001 in New York und Washington von Personen durchgeführt, die größtenteils aus Saudi-Arabien stammten.[1] Das Hauptmerkmal des Homegrown Terrorism besteht jedoch darin, dass die Täter Anschläge in ihrem Heimatland planen bzw. verüben. Die Täter von London (2005) und Mumbai (2006) sowie die Mitglieder der Sauerlandgruppe entstammten jeweils dem Land, in dem die Anschläge ausgeführt wurden bzw. werden sollten.

Der britische Inlandsnachrichtendienst MI 5 verfasste 2005 eine Täterprofilbeschreibung zum Phänomen des Homegrown Terrorism, die wie folgt lautet:

"Sie sind entweder Ausländer, die die britische Staatsbürgerschaft angenommen haben, viele von Ihnen aus Nordafrika und dem Nahen Osten, oder es sind Briten der zweiten oder dritten Generation von Zuwanderern vor allem aus Pakistan und Kaschmir."[2]

Dies bedeutet, sie wurden im Zielland sozialisiert und waren Teil der jeweiligen Kultur und Gesellschaft.

Auf Großbritannien fokussiert formulierte der MI 5 zwei Gründe, warum junge Muslime in Großbritannien vermehrt zur Radikalisierung neigten:

1. Nachteile, die Muslime im Bereich des wirtschaftlichen und sozialen Lebens, der Bildung und in den Härten des Alltags zuteil werden.

Dieser Umstand sei besonders bei Zuwanderern der dritten Generation auf Grund der gesellschaftlichen Frustrationserlebnisse ein Problem. Die Arbeitslosenrate bei Muslimen sei mehr als viermal so hoch, wie im britischen Durchschnitt. Hinzu käme noch das ständige Spannungsverhältnis in dem jugendliche Muslime aufwachsen. Es sei ein Leben zwischen zwei Kulturen, der des familiären Ursprungslandes und der Großbritanniens.

2. Eine starke Desillusionierung bezüglich der politischen Handlungen Großbritanniens.

Es entstehe das Gefühl, dass die Moral mit zweierlei Maß gemessen würde. Zum Einen fördere man Demokratie, zum Anderen praktiziere und toleriere man jedoch eine faktische Unterdrückung von Muslimen in Ländern wie Palästina, dem Irak, Afghanistan oder Kaschmir. Dies schüre Verwirrung und könne zur Ablehnung führen.[3]

Guido Steinberg (Terrorismusexperte der Stiftung für Wissenschaft und Politik) spricht von biografischen Brüchen und Integrationsproblemen, die entscheidende Aspekte für eine Radikalisierung sein können. Auch Probleme mit Drogen und schulische Misserfolge wären bei den Personen oftmals festzustellen.[4] Saskia Lützinger von der Forschungsstelle für Terrorismus und Extremismus des Bundeskriminalamts spricht von stark defizitären Familienverhältnissen und Problemen der Konfliktbewältigung, welche im Rahmen einer qualitativen Studie mit Extremisten und Terroristen festgestellt wurden.[5] In solchen Fällen der Haltlosigkeit können die Religion und eine außerfamiliäre Gruppe von gleichgesinnten Personen eine Kompensation darstellen. Im Rahmen dieser Gruppen vollzieht sich dann die Loslösung vom bisherigen Umfeld. Dadurch wird eine Anfälligkeit für radikale Inhalte durch neue Vertrauenspersonen gesteigert. Dem Bundesamt für Verfassungsschutz zu Folge nimmt die Gefahr, die von deutschen Konvertiten ausgeht, zu.[6]

Täter aus dem eigenen Land - Zwei Beispiele

Im Folgenden wird kurz auf die Entwicklung zweier Homegrown Terrorists eingegangen. Ein kleiner Einblick in ihre Biografie soll Hinweise auf persönliche Probleme geben und Potential für Einflüsse äußerer Radikalisierungsbestrebungen aufzeigen.

Sheahzad Tanweer

Über den britischen Staatsbürger Sheahzad Tanweer, einen der Attentäter von London, wurden angegeben, dass er im Alter von ca. 18 Jahren eine Persönlichkeitsveränderung durchlaufen haben soll. Die Anschläge vom 11. September seien für ihn eine gerechtfertigte Antwort auf die Außenpolitik der USA gewesen. Eine Reaktion auf die Unterdrückung vieler muslimischer Menschen in verschiedenen Ländern der Welt (Afghanistan, Tschetschenien, Palästina etc.).[7] Er distanzierte sich von der Art, wie seine Familie den muslimischen Glauben lebte und von der Glaubensgemeinschaft in seiner bisherigen Moschee. Der dort praktizierte Islam sei ihm zu schwach und nicht rein genug. Zusammen mit anderen jungen Muslimen schloss er sich zu einer Gruppe zusammen, die eine fundamentalere Ausrichtung des Islam anstrebte. Tanweer reiste nach Pakistan, um sich einer Ausbildung in einem Terrorcamp zu unterziehen.

Munira Mirza (Sozialwissenschaftlerin und kulturelle Beraterin des Bürgermeisters von London) formulierte den familiär-religiösen Loslösungsprozess wie folgt:

"One Indicator of this is the rejection of the traditional mosque elders in the UK, who are regarded as morbund by younger, more radical Muslims. (...) Younger Muslims regard the mosque as being more concerned with local social and community issues, rather than political or spiritual ones." (Mirza, 2006)[8]

Daniel Schneider

Daniel Schneider, Mitglied der Sauerlandgruppe, stammt aus der kleinen Stadt Friedrichsthal, nördlich von Saarbrücken im Saarland. Er ist katholisch und ein guter Schüler am Gymnasium. Er ist sportlich und hat Freunde. Seine Eltern trennen sich als er 11 Jahre alt ist. Er lebt zunächst bei seiner Mutter und später bei seinem Vater. Es entsteht ein Sorgerechtsstreit und der Kontakt zur Mutter bricht ab. In der elften Klasse vollzieht sich eine Wandlung, Schneider entwickelt Ärger über das System und seine Mitmenschen. Er isoliert sich fortwährend. Auch der Kontakt zu seinem Vater bricht ab. Schneider konvertiert zum Islam, geht oft in die Moschee und plant Deutschland zu verlassen. Er lernt Arabisch während eines Ägyptenaufenthaltes. 2006 begibt er sich in ein Terrorcamp in Nord-Waziristan, um dort ausgebildet zu werden.[9]

In beiden Fällen gab es somit einen Bruch mit dem familiären und dem sozialen Umfeld. In den neuen Glaubensgemeinschaften vollzog sich eine Radikalisierung und dadurch eine neue Auslebung des Glaubens, welche Anschläge und damit verbundene Todesopfer rechtfertigte.

Motivationen und Ziele

Die Motivationen und die Ziele der Täter sind nicht einheitlich. Als Gründe für Ihre Taten und Aktionen steht eine Reaktion auf die empfundene Unterdrückung von Muslimen in mehreren Ländern, die militärischen Aktionen hauptsächlich der USA und Großbritanniens im Irak und Afghanistan, aber auch die Beteiligung deutscher Soldaten an Kampfhandlungen in diesen Krisengebieten im Vordergrund. Angestrebt werden dementsprechend eine Verbesserung der Lebensbedingungen für Muslime, militärische und außenpolitische Maßnahmen oder in manchen Fällen die Einrichtung eines Kalifats mit der Sharia als gesetzgebendem Fudament. Gemein ist ihnen eine Verbindung zu einem fundamentalistischen Islamismus, der es ihnen gestattet, Gewalt gegen Menschen zur Erreichung ihrer Ziele einzusetzen, die auch Todesopfer in Kauf nimmt.

Einfluss von al-qaida

Es wird diskutiert, welche Rolle al-qaida im Rahmen von Radikalisierung, Tatplanung und Tatausführung einnimmt. In vielen Fällen wird al-qaida (Bedeutung wird oft mit basis übersetzt)[10] als Inspiration für weltweit anzutreffende sog. Zellen oder autarke radikale Gruppen angesehen. Eine wirkliche direkte Verbindung besteht jedoch nicht. Die jihadistische Propaganda weist al-qaida einen zentralen Stellenwert zu. Dies führt in vielen Fällen dazu, dass Anschläge al-qaida gewidmet werden. Den Attentätern von London werden Kontakte zur Tablighi Jama'at zugesprochen. Die Sauerlandgruppe soll ein deutscher Ableger der Islamic Jihad Union (IJU) sein, welche im pakistanisch, afghanischen Grenzgebiet verortet wird. Eine direkte Verbindung zu al-qaida konnte in beiden Fällen nicht nachgewiesen werden.

Besondere Herausforderung für die Strafverfolgung

Der Homegrown Terrorism stellt die Strafverfolgungsbehörden und die Sicherheitsarchitektur vor große Herausforderungen. Die Radikalisierungen verlaufen konspirativ. Sie findet in der realen Welt und auch oftmals im Internet statt. Personen treffen sich in kleinen Gruppen, die sich gegenüber Außenstehenden abschotten. Oftmals wissen Familie und Freunde nichts von diesen Kontakten und Aktivitäten. Vor allem die Nutzung moderner Kommunikations- und Informationsmedien erschwert eine frühzeitige Erkennung und ein Einschreiten. Radikalisierungsschriften, Anwerbungsversuche und jihadistische Propaganda im Internet ist vielfältig und weit verbreitet. Einen Zugriff durch interessierte Personen zu verhindern ist daher nicht möglich. Neben der Radikalisierung ist auch der Vollzug weiterer Schritte, wie z. B. die geplante oder durchgeführte Teilnahme an einem jihadistischen Ausbildungslager (einem sog. Terrorcamp), oftmals problematisch aufzudecken.

Präventionsansätze

Ein Ansatz zur Verringerung des Radikalisierungsrisikos kann in mehreren Bereichen stattfinden. Eine verbesserte Betreuung von Jugendlichen in Schulen kann dazu beitragen, Probleme frühzeitig zu erkennen und besonders auch im Falle familiärer Probleme eine Isolierung zu verhindern. Vermehrte Freizeit- und Sportangebote für Jugendliche besonders in sozial schwachen Gebieten und Städten verhindern, dass Jugendliche ein Gefühl der Verlassenheit entwickeln, welches evtl. durch Radikalisierer als neue Vertrauensperson ausgenutzt werden kann. Eine vermehrte professionelle Unterstützung im Bereich der Familienhilfe und Sozialarbeit kann dem Auseinanderbrechen von haltgebenden Strukturen entgegenwirken. Auf institutioneller Ebene kann intensive Zusammenarbeit und die Vernetzung zwischen Moscheen, Kulturvereinen, religiösen Vertretern und sozialstaatlichen und Bildungsinstitutionen förderlich sein.

Herausragende Fälle

Großbritannien - London, Anschläge vom 7. Juli 2005

Im Juli 2005 verübten vier junge Männer (Hasib Hussain, Germaine Lindsay, Shehzad Tanweer und Sidique Khan) im Alter zwischen 18 und 30 Jahren vier nahezu simultane Selbstmordsprengstoffanschläge auf Londoner Personentransportmittel. Drei U-Bahnen und ein Bus wurden Ziel ihrer Anschläge. Bei den Explosionen kamen 52 Menschen und die vier Attentäter ums Leben. Hussain, Tanweer und Khan waren pakistanischer Abstammung, Lindsays Familie stammt aus Westindien. Die vier Männer hatten somit zwar einen Migrationshintergrund, waren aber alle britische Staatsbürger.[11]

Indien - Mumbai, Anschläge vom 11. Juli 2006

In der Metropole Mumbai explodierten am 11. Juli 2006 zeitnah sieben Sprengsätze in Personenzügen.[12] Offiziellen Angaben zufolge kamen insgesamt 207 Menschen ums Leben. Die Anschläge wurden den Gruppierungen Lashkar-i-Toiba und der Islamische Studentenbewegung Indiens zugeschrieben und stellten nach dem 11. September 2001 die weltweit verheerendsten Anschläge dar.[13]

Deutschland – Aktivitäten der Sauerlandgruppe

Am 4. September 2007 wurden in der Stadt Medebach im Hochsauerlandkreis die drei jungen Männer Fritz Gelowicz, Martin Schneider (zum Islam konvertierte deutsche Staatsbürger) und Adem Yilmaz (türkischer Staatsbürger, seit vielen Jahren in Deutschland lebend) von Spezialeinsatzkräften der Polizei verhaftet. Sie galten als deutscher Ableger der in Usbekistan beheimateten Islamischen Jihad Union, die laut BKA-Präsident Ziercke als eine Art bewaffneter Arm der al-qaida in Westeuropa zählt. Ein vierter, ebenfalls zur Gruppe gehöriger junger Mann namens Attila Selek (Deutsch-Türke), wurde kurze Zeit später in der Türkei festgenommen. Es ist umstritten, ob weitere Personen zur Sauerlandgruppe zu zählen sind. Ziel der Männer waren Anschläge mit selbstgebauten Bomben, vornehmlich auf amerikanische Einrichtungen und Soldaten in Deutschland. Auch Gaststätten, Diskotheken und Flughäfen standen im Fokus. Es sollten bei den Taten so viele Menschen wie möglich getötet werden.[14] Laut Bundesanwaltschaft wurden auch deutsche Opfer in Kauf genommen. Die vier Männer wurden am 04. März 2012 vom Düsseldorfer Oberlandesgericht zu Haftstrafen zwischen fünf und zwölf Jahren verurteilt.

Quellen und weiterführende Literatur

  1. vgl.: http://usatoday30.usatoday.com/news/world/2002/02/06/saudi.htm
  2. vgl.: Theveßen, E., Terroralarm. Deutschland und die islamistische Bedrohung, Berlin. 2005, S. 49
  3. vgl.: Theveßen, E., Terroralarm. Deutschland und die islamistische Bedrohung, Berlin. 2005, S. 45f
  4. vgl.: http://www.n-tv.de/politik/119/Gotteskrieger-als-Familienersatz-article4245691.html
  5. vgl.: Saskia Lützinger, "Die Sicht der Anderen", aus: "Polizei und Forschung" Bd. 40, Hrsg.: Bundeskriminalamt
  6. vgl.: http://www.n-tv.de/politik/119/Gotteskrieger-als-Familienersatz-article4245691.html
  7. vgl.: Theveßen, E., Terroralarm. Deutschland und die islamistische Bedrohung, Berlin. 2005, S. 49
  8. http://www.spiked-online.com/site/article/1572//
  9. vgl.: http://www.stern.de/panorama/der-sauerland-bomber-aus-dem-leben-eines-terroristen-661032.html
  10. vgl.: http://de.wikipedia.org/wiki/Al-Qaida#Bedeutung.2C_Schreibweisen_und_Aussprache
  11. vgl.: Intelligence and Security Committee 2006, Report into the London Attacks on 7 July 2005, S. 15
  12. vgl.: http://de.wikipedia.org/wiki/Bombenattentat_in_Mumbai_2006
  13. vgl.: http://www.spiegel.de/flash/0,5532,25812,00.html
  14. vgl.: http://www.focus.de/politik/deutschland/bundesanwaltschaft-sauerland-gruppe-wollte-deutschen-11-september_aid_392235.html