Hate Crime

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Ein hate crime („Hassverbrechen“), auch bias crime genannt ("Vorurteilsgeleitete Straftat") begeht, wer das Opfer oder Objekt einer Straftat überwiegend nach dessen Zugehörigkeit zu einer vom Täter negativ konnotierten Gruppe wählt und mit der Tat auch seinen Gefühlen gegenüber dieser Gruppe Ausdruck verleihen will. Beim Vorliegen der Merkmale solcher Kriminalität greifen in den Ländern mit entsprechender hate crime Gesetzgebung härtere Strafbestimmungen. Das Konzept entstand im Zusammenhang mit einer Gesetzgebungskampagne in den USA: 1981 legten die Anti-Defamation League (ADL), das National Institute Against Prejudice and Violence (heute: The Prejudice Institute), die National Gay and Lesbian Task Force Foundation sowie das Southern Poverty Law Center den Text eines Modell-Gesetzes zur Bekämpfung von hate crimes vor, das vier Kernelemente beinhaltete:

  • 1. Schutz vor Vandalismus von Institutionen (z.B. Zerstörungen von Friedhöfen, Gotteshäusern u.a.)
  • 2. Straferhöhung bei Taten, die lediglich aufgrund bestimmter Merkmale des Opfers begangen werden,
  • 3. Möglichkeit einer Zivilklage des Opfers gegen den Täter bei entsprechenden Delikten,
  • 4. Einheitliche Datensammlungen in Bundesstaaten und auf Bundesebene sowie spezialisiertes Training für Polizisten.

Zentraler Aspekt war die Strafverschärfung. Diese wurde auf eine (oder mehrere) der drei folgenden Weisen erreicht:

  • 1. Das Strafmaß der zugrunde liegenden Straftat wird verdoppelt, teilweise auch verdreifacht
  • 2. Die Straferhöhung resultiert aus einer Umwandlung des Verbrechenstyp von z. B. Vergehen (misdemeanor) zu Verbrechen (felony).
  • 3. Hassverbrechen werden als eigenständiger Straftatbestand in das Strafgesetzbuch aufgenommen.

Weder das Modellgesetz noch die dann eingeführten Gesetzesänderungen setzen allerdings tatsächlich das Vorliegen von Hass voraus. Es genügt die Motivierung der Tat durch ein negatives Vorurteil. Der angemessene Begriff wäre deshalb wohl Bias Crime, also Vorurteilskriminalität. In Fachdiskussionen in den USA wird der Begriff des Bias Crime gelegentlich vorgezogen. Die breite Zustimmung zur Hate Crime Gesetzgebung dürfte allerdings nicht zuletzt auf den Vorstellungen beruhen, die mit dem Begriff des Hasses einhergehen.


Definiton

In den letzten drei Jahrzehnten hat sich der Begriff Hassdelikt / Hassverbrechen - auch Vorurteilsverbrechen - nicht nur als die Bezeichnung eines sozialen Problems, sondern als ein theoretisches Konzept ausgehend von Nordamerika und der englischsprachigen Welt, in der jüngster Vergangenheit auch in Deutschland ausgebreitet. Gegenwärtig werden in der Kriminologie zwei voneinander verschiedene Definitionen von Hassverbrechen vertreten. (Schneider, Berlin 2006, S. 43ff)

Sie bringen beide zum Ausdruck, dass Hassdelikte in unterschiedlicher Weise verstanden werden. Nach der täterorientierten Betrachtungsweise sind Hassverbrechen Delikte, gegen die Person oder das Eigentum, die ganz oder teilweise durch rassistische, ethnische, religiöse oder sexistische Tätermotive oder andere Tätervorurteile bestimmt werden (Martin/Chase 2001; Reid 2000, 190; Kelly/Maghan 1998a, 18; Jacobs/Potter 1997, 2, Schneider 2006, 44) Stellt man es auf die vorurteilsbelastete Tätermotivation ab, so ist die Ermittlung im Einzelfall äußerst schwierig (Morsch 1991) und subjektiv (Jacobs 1998). Denn um ihren wahren Motive zu verschleidern, flüchten sich die Täter in Ausreden, die Motivation allein ist da ein vager Begriff (vgl. Schneider 2006, 46).

Nach dem opferorientierten (viktimologischen) Verständnis der Hassverbrechen handelt es sich um Rechtsbrüche eigener Art mit besonderer Schädigung der Opfer oder der Gemeinschaft, der die angehören (Schneider 2001a). Im weitesten Sinne wird eine Gewalttat gegen Personen beschrieben, die als Ziel von Angriffen dienen, da sie für die verhasste Gruppe stehen. D.h. eine Straftat gegen eine Person, die für den Täter eine verhasste Gruppe steht, bzw. eine Eigenschaft oder Tugend repräsentiert. Hassverbrechen sind Gewalttaten, die sich gegen eine Person oder gegen eine Sache richten, alleine oder vorwiegend wegen der Rasse, der Religion, der ethnischen Zugehörigkeit, des Geschlechts, der politischen oder sexuellen Orientierung, des Alters oder der geistigen oder körperlichen Behinderung dieser Person oder des Eigentümers oder Besitzers der Sache. Das Opfer ist nicht nur als Merkmalsträger auswechselbar und als Individuum uninteressant, es wird als entpersonalisiertes, "gesichtsloses" Hasssymbol wahrgenommen. Ziel und Zweck des kriminellen Tuns ist die Schädigung dessen, was das Opfer symbolisiert (Garofalo 1997, 134). Dadurch hat die Tat nicht nur Botschaftscharakter an andere Merkmalsträger sondern auch Aufforderungscharakter an andere Täter und an die Gesellschaft bzw. an jene Teile der Gesellschaft, die die Gesinnung des Täters teilen (Schneider 2006). Dadurch unterscheiden sich hate crimes von alltäglichen Straftaten insbesondere durch die Auswirkung auf die Opfer im Vergleich zu alltäglichen Straftaten.

„Hate crimes“ beruhen auf Gruppenkonflikten. Sie charakterisieren den symybolischen Status des Opfers. Das Opfer gehört einer Außengruppe an, die das symbolisiert, was die Innengruppe, der die Täter angehören, nicht sein will. Die Straftaten dienen der Solidarität und Identität der Innengruppe und gleichzeitig der Stärkung des Selbstwertgefühls ihrer Mitglieder. (Schneider 1993, 310)

Es kommt für die Identifikation eines Hassverbrechens vielmehr - wie bei jedem politischen Delikt - auf die soziale Bedeutung des Täterverhaltens für das unbeteiligte Publikum (Schneider 1998a), auf die äußeren Umstände der Viktimierung und insbesondere auf den Opferstatus an.

Die Schwere der Tat, die ein höheres Strafmaß erfordert, begründet sich aus der Persönlichkeitsverletzung und besondere Erniedrigung der Opfer, der Breitenwirkung dieser Verbrechen auf Minderheitenanghörige und der Störung des sozialen Friedens.

Begriffsherkunft und Definition in den USA

Die Häufung von Übergriffen, insbesondere auf Schwarze nahmen Ende der Sechziger Jahre in den USA ein Ausmaß an, dass es der Staat für erforderlich hielt, die Strafgesetzgebung zu überarbeiten. Das "Federal Hate Crime Law" wurde in den USA bereits 1969 erlassen und umfasste Delikte, die gegen Rasse, Religion oder Herkunft des Opfers begangen wurden. Als zentraler Aspekt dieses Gesetzes haben Straftaten mit hate crime Hintergrund Strafverschärfungen zur Folge. Mitte der 80er Jahre forderten die Demokraten im Kongress eine spezielle Statistik über solche hate crimes. Der „Hate Crime Statistic Act“ passiert den Kongress im Jahre 1990 und führt dazu, dass das FBI eine entsprechende Statistik aufzunehmen beginnt.

Die Strafverschärfung bis zur dreifachen Höhe bei nachgewiesenen Merkmalen von hate crime hat zunächst symbolischen Charakter, da sie zunächst nur auf Kriminalität beziehen konnte, die auch auf Bundesterritorium begangen wurde. Nachdem die Verfassungsmäßigkeit des höheren Strafmaßes vom Supreme Court bestätigt wurde, zogen viele Bundesstaaten nach, so dass heute von einer breiter werdenden Rechtspraxis ausgegangen werden muss. Die hate crime Gesetzgebung der einzelnen Bundesstaaten unterscheidet sich in der Reichweite dem Kriterienkatalog. Einige Staaten gehen über die Bundesdefinition von „hate crimes“ hinaus andere, konservativ geprägte Staaten, bleiben hinter den Kriterien des Bundes zurück und schließen z.B. die sexuelle Orientierung aus.

Das "Federal Hate Crimes Law" musste an einigen Stellen immer wieder überarbeitet bzw. ergänzt werden. Demnach fallen erst seit dem Jahr 2009 durch eine Erweiterung des hate crime Gesetzes auch Straftaten unter diesen Begriff, die aufgrund der sexuellen Orientierung, des Geschlechts oder einer Behinderung begangen wurden.

Das FBI veröffentlicht jährlich eine Statistik, in der Straftaten registriert werden, die "a criminal offense committed against a person, property or society which is motivated, in whole or in part, by the offender's bias against a race, religion, disability, sexual orientation, or ethnicity/national origin" darstellen.

Deutschland

Die Verwendung von hate crime im wörtlichen Sinne „Hasskriminalität" kann irreführend sein. Straftaten können zwar durch Hass motiviert oder initiiert sein, auch ohne unter den Begriff hate crime subsumiert zu werden. Deshalb wird hate crime im Deutschen am Besten mit Vorteilskriminalität beschrieben. In Deutschland gibt es zur Zeit weder eine hate crime Gesetzgebung noch eine Statistik, die Delikte, denen Vorurteilskriminalität zu Grunde liegen, explizit erfasst. Die Anwendung von hate crime erfolgt im deutschen Strafrecht indirekt durch die Rechtsprechung. So wird bei der Strafzumessung auch die Gesinnung, die aus der Tat spricht berücksichtigt. Als Beispiele seien hier z.B. bei Mord aus niederen Beweggründe bzw. die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld genannt.

Bislang werden In Deutschland u.a. rechtsextreme oder fremdenfeindliche Straftaten unter „politisch motivierte Kriminalität“ kategorisiert und erfasst. In der Bundesrepublik wird Hasskriminalität als „politisch motivierte Straftaten, wenn die Umstände der Tat oder die Einstellung des Täters darauf schließen lassen, dass sie sich gegen eine Person aufgrund ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft, sexuellen Orientierung, Behinderung, ihres äußeren Erscheinungsbilds oder ihres gesellschaftlichen Status richtet" definiert. Auch wenn die Tat nicht unmittelbar gegen eine Person, sondern im oben genannten Zusammenhang gegen eine Institution oder Sache verübt wird, erfolgt ihre Zuordnung zum Themenfeld ‚Hasskriminalität‘. Straftaten mit fremdenfeindlichem Hintergrund sind Teilmenge der ‚Hasskriminalität‘. (Bundestagsdrucksache, Drucksache Nr.13035, 1)

Sowohl die OSZE als auch die EU-Kommission befürworten eine Aufnahme der hate crime Gesetze in die nationale Strafgesetzgebung. Mittlerweile haben ca. ein Drittel der OSZE Staaten hate crime in ihre Strafgesetzgebung explizit aufgenommen

Kritik

Durch die Anwendung einer hate crime Strafgesetzgebung werden die Trennungslinien in der Gesellschaft zwischen Minderheiten und Mehrheiten betont. Des Weiteren gibt es Unklarheiten bei der Bestimmung von „Vorurteilen“. Von einem gewissen Standpunkt aus ist nahezu jede Gewaltkriminalität vorurteilsbedingt, sei es die Größe, das Gewicht, das Geschlecht etc. Dies macht eine Differenzierung zu „herkömmlichen“ Straftaten schwierig. Der Vorwurf der Unbestimmtheit ist nicht unberechtigt. Der Nachweis einer Vorurteilstat ist durch die Heterogenität der Motive äußerst schwierig zu führen. Denn Gewalttaten werden nicht nur durch die subjektive Motivation des Täters begünstigt, sondern ihr liegen auch multifaktorielle Ursachen oder äußere Bedingungen zu Grunde.

Durch die "Aufwertung" ohnehin schon gesetzlich verbotener Straftaten, werden Straftaten die aus Vorurteilen begangenen werden, als moralisch verwerflicher angesehen als andere Tatmotive wie z.B. niedere Beweggründe (Habgier, Heimtücke, etc.), die dadurch eine Abwertung erfahren (Fetscher 1994, 105).

Kritisiert wird ebenfalls die Gefahr der potentiellen politischen Einflussnahme auf die Aufnahme von Kriterien als Vorurteilskriminalität. Eine hohe Strafe ist an Voraussetzungen geknüpft, die auf problematische Weise von wechselnden Mehrheits- oder Minderheits­verhältnissen, politischen Zielen und Vorstellungen abhängen.

Kritiker bezweifeln die Erfolgsaussichten des beabsichtigten Abschreckungseffekts. Zudem wird der Widerspruch thematisiert, autoritäre Mentalitäten mit staatlicher Autorität ändern zu wollen. Letztendlich würden Law-and-Order-Methoden die Idee einer liberalen, aktiven und emanzipierten Zivilgesellschaft konterkarieren.

Weblinks

Quellen

  • Bundestagsdrucksache 16.Wahlperiode, Drucksache Nr.13035 – BT-Drs. 16/13035
  • Dworek, Günter: Hate Crimes – Verbrechen aus Haß, in: Haß-Verbrechen. Neue Forschung und Positionen zu antihomosexueller Gewalt, hrsg. Vom LSVD-Sozialwerk e.V. (Sozialwerk des Lesben- und Schwulenverbandes), Köln 2000, 9-24.
  • Garofalo, James (1997). Hate Crime Victimization in the United States. In Robert C. Davis/Arthur J. Lurigio/Wesley G. Skogan (Hrsg.): Victims of Crime. 2. Aufl., Thousand Oaks, London, New Delhi: Sage, 134-145.
  • Fetscher, Iring: Strafverschärfung bei aus Haß begangenen Verbrechen, Zu einem problematischen Urteil des Supreme Court. in: StV. 1994, 105 ff.
  • Jacobs, James B. (1998). The Emergence and Implications of American Hate Crime Jurisprudence, 150 – 176.
  • Jacobs, James B. und Kimberly Potter (2001) Hate Crimes: Criminal Law and Identity Politics. Oxford and New York: Oxford University Press, 1998.
  • Kelly, Robert J./Maghan, Jess (1998a). Introduction. In Robert J. Kelly/Jess Maghan (Hrsg.): Hate Crime Carbondale, Edwardsville: Southern Illinois University Press, 1-21.
  • Martin, Susan E./Chase, Chevy (2001). Hate Crimes. In David Lukenbill/Dennis Peck (Hrsg.): Encyclopedia of Criminology and Deviant Behavior. Band 2: Crime and Juvenile Delinquency,. Philadelphia, Florence/KY, Hove/ UK: Brunner-Routledge, 254-257.
  • Morsch, James (1991). The Problem of Motive in Hate Crimes: The Argument Against Presumtions of Racial Motivation. Journal of Criminal Law and Criminology 82, 659-689.
  • Schneider, H. J. (1993). Einführung in die Kriminologie. 3. Aufl. Berlin, New York.
  • Schneider, H.J (1998a). Politische Kriminalität. In: R. Sieverts/H.J. Schneider (Hrsg.): Handwörterbuch der Kriminologie. Band 5, Berlin, New York, 589-624.
  • Schneider, Hans Joachim (2001a). Opfer von Hassverbrechen junger Menschen: Wirkungen und Konsequenzen. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 84, 357-371.
  • Schneider, Hans Joachim (2001c). Kriminologie für das 21. Jahrhundert. Münster, Hamburg, London: LIT.
  • Schneider, Hans Joachim (2006). Hass-Gewalt-Delinquenz junger Menschen: Theoretische Grundlagen und empirische Forschungsergebnisse. In: Bundesministerium der Justiz (Hrsg.): Hasskriminalität - Vorurteilskriminalität. Band 1: Endbericht der Arbeitsgruppe. Berlin, 43-82.
  • Schwind, Hans-Dieter (2002) Kriminologie: Eine praxisorientierte Einführung mit Beispielen. 12. Aufl. Heidelberg: Kriminalistik.