Graue Wölfe

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Logo der Grauen Wölfe

Als Graue Wölfe (türkisch: Bozkurtlar oder auch Bozkurtçular) bezeichnen sich die Mitglieder (des paramilitärischen Flügels) der 1961 gegründeten türkischen Partei der Nationalistischen Bewegung ("Milliyetçi Hareket Partisi; MHP). Im Laufe ihrer Existenz begingen die - heutzutage international gut vernetzten - Grauen Wölfe mit mal zunehmender und mal nachlassender Häufigkeit eine Vielzahl von Anschlägen insbesondere auf Kurden und türkische Linke.

Wortherkunft und alternative Bezeichnungen

Der Name "Graue Wölfe" entstammt einer alten türkischen Sage, in der ein grauer Wolf den türkischen Kriegern den Weg nach Kleinasien gewiesen haben soll. Angelehnt daran beschäftigt sich die Publikation "Bozkurt" (Grauer Wolf) von Reha Oguz Türkkan mit der Ideologie des Pantürkentums. Die Grauen Wölfe bezeichnen sich selbst zumeist als Ülkücü ("Idealisten"), was sich rein namentlich auch an ihrer häufigen Zugehörigkeit zur Interessenvertretung der MHP im Ausland namens "Avrupa Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu" (Förderation der demokratischen türkischen Idealistenvereine), kurz ADÜTDF, erkennen lässt. Geprägt wurde der Begriff jedoch durch Nihal Atsız, der in den frühen 50er Jahren den türkisch-nationalistischen Verein "Türk Milliyetçileri Derneği" gründete. Ülkücü als Selbstbezeichnung lässt sich dann erstmals in den so genannten Idealistenvereinen ("Ülkü Ocaklari") und deren Jugendorganisationen ("Ülkücü Gençler Derneği") finden, die in den 60er Jahren gegründet wurden und aus denen sich größenteils die ersten Grauen Wölfe rekrutierten. Jene wurden in Kommandolagern paramilitärisch und für den Kampf gegen den Kommunismus ausgebildet. Der graue Wolf war das Abzeichen dieser Idealistenvereine. Die MHP, die lange leugnete, mit den Idealistenvereinen und ihren Kommandolagern in Verbindung zu stehen, verwenden drei Monde als Symbol. Bis heute distanziert sich die Partei von den Anschlägen und Attentaten der Grauen Wölfe.

Ideologie

Eine allgemeingültige, ideologische Ausrichtung der grauen Wölfe darzulegen, ist aufgrund ihrer jahrzehntelanger Geschichte und Entwicklung sowie aufgrund ihrer Verflechtungen im nationalen und im internationalen Raum kaum möglich. Heutige Ülküçü verstehen sich zwar als türkisch-national, fallen aber nur sehr vereinzelt durch politische Attentate und Anschläge auf, so wie dies bei den Ülküçü der 70er Jahre mehrheitlich der Fall war. Nichtsdestotrotz lassen sich drei ideologische Komponenten nennen oder zumindest diskutieren:

Panturkistische Ideologie

Die Bozkurtlar stehen für eine türkisch-nationalistische Ideologie, welche die Vereinigung aller Turkvölker zu einer Gemeinschaft und somit die Errichtung eines großen türkischen Reiches anstrebt. Diese als "Pan-Turanismus" (oder genauer: "Panturkismus") benannte Ideologie versteht die Bewohner vieler zentralasiatischer, sibirischer und osteuropäischer Länder als Turkvölker. Laut Necdet Sevinç, einem der führenden Ideologen der MHP, müsse die Außenpolitik so umgewandelt werden, dass wo immer auf der Welt es einen Türken gibt, dort die natürlichen Grenzen des türkischen Volkes beginnen. Das Zentrum des türkischen Reiches soll eine starke und international angesehene Türkei sein, die unabhängig von anderen Systemen das türkische Volk vereinigt und zusammenführt. Von den Wölfen ausgehende Anschläge und Attentate richten sich daher vor allem gegen Personen und Gruppierungen, denen Feindseligkeit gegen den türkischen Staat nachgesagt wird. Anhand der Aktivitäten der Grauen Wölfe lassen sich hier insbesondere Kurden, Armenier, Griechen, Israelis und Amerikaner nennen, aber auch Kommunisten und andere linkspolitisch agierende Gruppen und Parteien.

Islamische Ideologie

Während jenes nationalistische Gedankengut schon in den Vorgänger-Parteien und -Organisationen der MHP vorzufinden ist, entstand durch die Parteigründung zudem eine sunnitisch-islamische Begründung, welche heute auch gegen in der Türkei lebende Aleviten, sowie gegen Juden, Christen und den Vatikan propagiert. Anhänger des so genannten türkisch-islamischen Idealismus (Türk-Islam Ülküsü) sprechen von einer Untrennbarkeit von türkisch nationalen und islamischen Bestandteilen in der türkischen Geschichte. Religiöse Ideologien werden den türkischen Nationalisten auch im Ausland, zum Beispiel in Deutschland, zugeschrieben. Hiesige Autoren sehen die Aufforderung des türkischen Verfassungsgerichtes 1976 gegenüber den Idealistenvereinen, sich aufzulösen, als Ausgangspunkt für mehr religiöse Inhalte bei den nationalen Gruppierungen. Da sie sich auf internationalem Boden in den Untergrund zurückziehen mussten, lag die Betätigung demnach nun mehr in der Kontaktaufnahme zu nicht-politischen und leicht zugänglichen Gruppierungen, wie etwa streng islamischer Gruppen. Einige deutsche Autoren sind der Ansicht, dass Koranschulen und -kurse in der BRD vor allem durch die ADÜTDF gegründet und durchgeführt wurden und somit keiner Kontrolle türkischer Kultusbehörden unterlagen. Das in der Türkei geltende Gebot der parteiübergreifenden Koranlehre fände demnach im internationalen Raum keine Verwendung. Vielmehr würden die ADÜTDF und die MHP, der man die Kontrolle über die Grauen Wölfe und die ADÜTDF vorwirft, über die Korankurse ihr Parteiprogramm beziehnungsweise ihre konservative Religionspolitik lehren. Die Bekennung der Grauen Wölfe zum Islam und ihr angenommener Einfluss im deutschen Koranunterricht haben zu einem teilweise fundamentalistischen Label der MHP geführt. So wurden beispielsweise die Ülkücü und die Milli Görüş unter ähnlichen Gesichtspunkten in deutschen Studien untersucht. Kritische Autoren sind jedoch der Meinung, dass zwischen den Grauen Wölfen und islamischen Organisationen wie der Milli Görüş extreme Unterschiede, wenn nicht sogar Gegensätze bestehen. So wird die pantürkische Überlegenheitsdoktrin von religiösen Fundamentalisten oft als unislamisch empfunden, während "echte" Ülkücü den Islam nicht als ihre Ideologie, sondern als ihren Glauben bezeichnen. Die sunnitisch-islamische Eigenverortung der MHP ist daher als zweitrangig hinter dem Pantürkismus zu interpretieren. Die Tatsache, dass die zentralen Ziele der Ülkücü der türkische Nationalismus und weniger der türkisch-islamische Idealismus ist, lässt sich am Ausscheiden Nihal Atsızs 1970 erkennen, welcher die religiöse Verortung der Nationalisten von Beginn an kritisiert hatte. Auch die Abspaltung des religiösen Flügels der MHP 1992 zur Partei "Büyük Birlik Partisi" (BBP) macht die an sich eher unreligiöse Ideologie der Grauen Wölfe sichtbar.

Rechte Ideologie ???

Aufgrund verübter Anschläge mehrheitlich gegenüber bestimmter Ethnien sowie gewisser religiöser und politischer Gruppierungen werden die Grauen Wölfe häufig als rechtsextrem und zum Teil auch als rassistisch eingestuft. Die so genannte "Neun-Strahlen"-Doktrin als zentrales Element des Parteiprogramms nennt neben dem Nationalismus aber auch: Idealismus, Moralismus, Wissenschaftlichkeit, Soziabilität, Förderung der nationalen Landwirtschaft, Liberalismus und Individualismus, Entwicklungsorientiertheit und Volksnähe sowie Förderung der Industrie und Technik als politische Leitfäden der Partei. Ülkücü verstehen sich selbst zwar dem eher rechten politischen Spektrum zugehörig und bezeichnen sich als türkische Nationalisten (zum Teil auch "Ultranationalisten"), wehren sich aber gegen rassistische oder gar faschistische Zuschreibungen. Zwar wurde dem Chef und Gründer der MHP, Alparslan Türkeş, durch ehemalige MHP-Funktionären nachgesagt, er habe sich in den 70er Jahren mit "Basburg" (alttürkisch: Führer) ansprechen lassen. Auch sollen die Vorgänger-Organisationen der MHP mit Hitler-Deutschland politische Gespräche geführt haben, während der heutigen Partei und Türkeş Briefwechsel mit der NPD Ende der 70er Jahre vorgehalten werden. Seit ihrem Wahlerfolg 1999 wird die MHP jedoch kaum noch als extremistische Partei gesehen. Ob und inwieweit die heutigen Grauen Wölfe mit der Partei in Verbindung stehen, ist demnach schwer nachzuvollziehen.

Kriminologische Verortung

Kriminologisch können die Grauen Wölfe und ihre Aktivitäten sehr unterschiedlich gesehen und interpretiert werden (bezüglich der Begrifflichkeiten vgl. Hess' "Spielarten des Terrorismus"):

Aufgrund ihres oft gewaltsamen und paramilitärischen Auftretens gegenüber Kurden und politischen Linken könnte man sie als repressive, para-staatliche Terroristen deuten, die einen gewissen Einfluss auf den türkischen Staatsapparat ausüben und die für die Verteidigung vermeintlich verlorener Privilegien (z.B. Herrschaft über von Kurden besiedelte Gebiete in der Türkei) eintreten. Chronologisch sind jene Aktivitäten mehrheitlich vor dem Verfall der UDSSR beispielsweise in Form von Anschlägen gegenüber linken Studenten und Universitäten zu verorten. Da die MHP jedoch immer wieder mal Teil der türkischen Regierung ist und zudem den stellvertretenden Ministerpräsidenten stellte, können die Grauen Wölfe zumindest bezüglich dieser Zeiträume auch als repressive Militäreinheiten des türkischen Staatsapparates interpretiert werden. Entegegen dieser These steht die Distanzierung der MHP von den paramilitärischen Grauen Wölfen. Die vor allem in jüngerer Zeit aufgetretenen und zum Teil internationalen Anschläge auf ethnische und nationale "Feinde" können überdies auch als revoltierende Terroraktivitäten eingestuft werden. Beispiele sind das Attentat auf Papst Johannes Paul II. 1981 in St. Petersburg, der Überfall auf den Frauenladen TIO in Berlin-Kreuzberg 1984, sowie die Tötung von Seyfettin Kalan 1995 in Neumünster. Augenscheinlich ist die seit den 80er Jahren häufiger von Einzelpersonen durchgeführte Aktionen. Schließlich ließe sich anhand einiger nachgesagter Verstrickungen mit verschiedenen nationalen Geheimdiensten sowie aufgrund vermuteter Drogengeschäfte und Auftragsmorde die Vereinigung der Grauen Wölfe möglicherweise auch als Form der Organisierten Kriminalität verstehen.

Auswahl an verübten Anschlägen und Attentaten

  • Bombenanschlag auf die linksgerichtete Mittelost-Universität in Ankara (1977)
  • Anschläge auf linkspolitische Studenten und Professoren an der Istanbuler Universität (1978)
  • Tötung sieben führender Mitglieder der türkischen Arbeiterpartei TIP (1978)
  • Tötung des populären türkischen Journalisten Abdi Ipekci durch die Hand von Ali Ağca, einem Ülkücü nach eigenen Aussagen (1979)
  • Straßenkampf mit türkischen Linken am Kotbusser Tor und damit Ivolvierung in den Tod von Celalettin Kesim (1980)
  • Attentat auf Papst Johannes Paul II. erneut durch jenen Ali Ağca (1981)
  • Attentat im Frauenladen TIO in Berlin-Kreuzberg mit Todes- und schweren Verletzungsfolgen (1984)
  • Erschießung des Kurden Seyfettin Kalan in Neumünster (1995)
  • Involvierung in die Tötung Tasos Isaacs, eines griechisch-zypriotischen Protestanten, in Famagusta (1996)

Weblinks und Literatur