Gewalt gegen Tiere

"Wir sprechen von Gewalt gegen Menschen und Gewalt gegen Sachen; aber der Ausdruck 'Gewalt gegen Tiere' ist uns nicht geläufig" (Sezgin 2014).

Erscheinungsformen

Gewalt gegen Tiere wird nicht in erster Linie, aber auch von Menschen ausgeübt - zu vielen Anlässen auf viele Arten und zu unterschiedlichen Zwecken, darunter auch dem der Ernährung. Nach einem Bericht der EU-Kommission aus dem Jahre 2008 wurden innerhalb der EU pro Jahr 360 Millionen Schweine, Schafe, Ziegen und Rinder (sowie ungezählte Milliarden Hühner) für die Fleischerzeugung getötet. Für die Pelzindustrie kamen noch einmal rund 25 Millionen Tiere hinzu. Darüber hinaus werden in Zoologischen Gärten und in der freien Natur die als überzählig geltenden Tiere getötet - vom ubiquitären und alltäglichen Kampf gegen das Ungeziefer (Mücken und Motten, Fliegen und Falter, Ameisen und Silberfischen, Ratten und Mäusen) ganz zu schweigen.

Beurteilung

Kritik

Schutz durch Tierrechte

Es gibt ethische Kriterien, um (bestimmte) Tiere gegen bestimmte Verhaltensweisen des Quälens und Tötens zu schützen.

Eines davon ist der Stolz des Menschen, sich moralisch auch gegenüber diesen Tieren zu verhalten. Eine Frage der Selbstachtung, der Pflege des Selbst, des Selbstschutzes vor Verrohung (vgl. Reemtsma 2014).

Die Autoren von "Zoopolis" begründen darüber hinaus die Berechtigung und Notwendigkeit eines Schutzschildes aus Tier-Rechten.

Domestizierung macht die Ausdehnung von Rechten auf Tiere möglich und notwendig.

Jan Philipp Reemtsma

Die von Ovid überlieferte Lehre des Pythagoras erzählte vom ersten, dem Goldenen Zeitalter, als einer fruktianischen Utopie: man habe nur gegessen, was die Erde selbst gegeben habe; der Mensch habe seinen Mund nicht mit Blut besudelt. Begründung war damals: Wer ein Tier töte, töte potentiell und buchstäblich einen Verwandten. Flankiert wird diese Idee durch das „Verrohungsargument“: Wer sich an den Tiermord gewöhne, gewöhne sich an den Mord schlechthin: „Welch schlimme Gewöhnung, welche Vorbereitung auf das Ermorden von Menschen ist es, wenn einer ruchlos dem Kälbchen die Kehle durchschneidet, ohne sich von seinen Wehlauten rühren zu lassen, wenn er das Böcklein, obschon es wimmert wie ein Kind, erwürgt oder einen Vogel auffrißt, den er selbst gefüttert hat!“ Von „Thesteis mensis“ von „Thyestes-Mahlzeiten“ spricht Ovids Pythagoras, mit denen wir uns die Bäuche füllten. Thyestes hatte unwissend seine eigenen Kinder verspeist. Dazu gehört ein Appell an die Bereitschaft zu empathischer Wahrnehmung: Hört doch, wie die Tiere schreien.

Dieser Appell ist ein Appell an die Selbstkultivierung des Menschen. Es ist ein Appell an seinen Stolz:

"Der Verzicht darauf, Tiere zu essen, erhält seinen Zusammenhang in der Sorge des Menschen um sich selbst: nicht einer sein zu wollen, von denen, die Lust am Mord haben oder sie durch sein Ergebnis befriedigen. Der Mensch, der sich ein goldenes Zeitalter als Sehnsuchtsort der Unschuld denken kann, kann auch den Begriff der Schuld auf außermenschliche Zusammenhänge erweitern. Und es ist weniger ein Zweckargument, wenn von der Verrohung die Rede ist, als eine Warnung an den Menschen: „Heu!“ – „wehe dir“, wenn du verlernst, auf das Schreien zu hören! Beseeltes lebe nicht von Beseeltem – aber das wäre eine vergebliche Moral für Löwen – „anima“ ist nicht nur „Seele“, sondern auch „Denken“ oder „Vernunft“. Der Mensch kann es von sich verlangen. Weil er Mensch ist, nicht „Natur“. Methodisch kann man daraus Folgendes gewinnen: jedes moralische Engagement für Tiere ist notwendig anthropozentristisch."
"Jedes utilitaristische Räsonnement setzt voraus, daß entschieden ist, wer und was in es einbezogen werden soll. Bentham plädiert dafür, eine an seinen Vorstellungen sich orientierende Moral offen zu halten. Wessen Wohl und Wehe berücksichtigt werden solle, möge man nicht ein für alle Mal entscheiden, aber aus ihm selbst ist nicht zu begründen, wo die Grenze gezogen werden soll. Der kategorische Imperativ kann so formuliert werden, daß er Tiere mit einschließt – oder so, daß er es nicht tut; und tut er es, ist nicht klar, in welcher Weise. Kants eigene Ausführungen zu der Frage der moralischen Haltung Tieren gegenüber (ich sage nicht: Verpflichtungen) ist keine Füllung dieser Lücke."
"Man kennt das alte moralische Problem: ist die Frage, warum wir moralisch sein/handeln sollen, selbst eine moralische Frage und wie, d.h. in welcher Weise ist sie zu beantworten? Die Antwort David Humes: das ist gar keine Frage (außerhalb er philosophischen Seminare), sondern es ist eine Tatsache, daß alle Menschen moralisch handeln/urteilen. Wie sie das tun, und ob in diesem Tun irgendwelche Regelmäßigkeiten zu erkennen sind, macht er zur Aufgabe seiner moraltheoretischen Untersuchungen, die konsequenterweise nicht auf eine Morallehre, als vielmehr auf eine Anthropologie/Soziologie der Moralvorstellungen (in diesem Sinne: „Untersuchung über die Prinzipien der Moral“) hinauslaufen. Die Frage, wie die Grenzen der Moral gezogen sind, ist also eine empirische, und er gibt nur einen entscheidenden Hinweis: man tut wohl richtig daran, sie nach dem Modell eines sich erweiternden Radius zu denken. Es gibt immer einen Kreis, auf den bezogen moralische Vorstellungen eine Rolle spielen, dieser Kreis kann weiter gezogen werden, muß aber nicht. Auch Hume gibt, wie Kant über das bloße Modell hinaus, eine Überlegung hinzu, wie er sich eine Grenzziehung vorstellt, aber die scheint mir ebensowenig zwingend. Wie eine jeweilige Moral beschaffen ist, ist eine empirische Frage; wie unser moralisches Handeln auszusehen habe, eine der individuellen Überzeugungen und der Debatte über unsere Überzeugungen – ein Teil dieser Debatte kann zur politischen werden und gesetzgeberische Konsequenzen haben. – Also: welche Debatte führen wir?"
Im Zentrum der Ovidschen Anklage steht der Vorwurf: "Der Mensch ist der Mörder am Tier. Der Mensch ist grausam (wie ein Tiger, aber ein Tiger ist nicht „grausam“, nur der Mensch, der sich wie ein Tiger benimmt, ist grausam). Die Anklage der Grausamkeit steht auch am Beginn des Tierschutzes. Die Aufmerksamkeit richtet sich auf einzelne das Gefühl alarmierende Bräuche oder individuelle Akte wie Bären- oder Hahnenkämpfe, Fuchsjagden, das Einprügeln auf erschöpfte Kutschpferde, der Hund als Objekt der grausamen Willkür seines menschlichen Besitzers."
Es geht um Gewalt und damit – wie bei Gewalt immer – nicht um Gewalt schlechthin. Und damit um den Hinweis, daß mit der Aussage, etwas sei „Gewalt“, gar nichts gesagt ist. Eine Tat „Gewalt“ zu nennen, delegitimiert sie nicht. Daß einen Menschen von Staats wegen zu töten, eine Gewalttat ist, kann man nicht bestreiten, aber das sagt nichts über die Legalität der Todesstrafe und es sagt auch nichts über ihre Legitimität. Es gibt keine Haltung, die einen ernsthaften Anspruch auf Verallgemeinerbarkeit hätte, die Gewalttaten deshalb für moralisch unzulässig hält, weil sie Gewalttaten sind; (Beispiel: jemanden, der ein Kind töten will, mit einer Waffe daran hindern (auch wenn es nicht bei der Drohung bleibt)). - Darum ist es auch kein gangbarer Weg, bei der Analyse von „Gewalt“ mit der Moral – oder sagen wir: mit der normativen Dimension anzufangen. Wenn wir über Gewalt sprechen, und damit auch bestimmen, wann wir über die normative Dimension von Gewalt sprechen müssen, müssen wir zunächst einmal bestimmen, was sich überhaupt sagen läßt, ohne sogleich über kulturelle, historische, soziologische, psychologische Kontexte von Gewalthandeln zu sprechen."
"Daß einen Sklaven auszupeitschen Gewalt war, ist ja nie bestritten worden . Daß ein Tier zu quälen, zu töten dies gleichfalls ist, auch nicht. Die Frage ist immer nur: ist es legal, ist es legitim, ist es moralisch dies zu tun, und in der Debatte: ist es zulässig, von einem Verbot einer Gewalttat in einem Falle, auf die Notwendigkeit des Verbots in einem anderen zu schließen? - Gewalt ist immer die Durchsetzung einer Intention gegen die Intention eines anderen mit dem Vollzug oder Drohung (oder der symbolischen Drohung), vom Wegstoßen, Einsperren bis zur Tötung. Es ist ein Zug unserer Moderne, Gewalt latent instrumentell aufzufassen und zu legitimieren (etwas, das zu etwas anderem da ist), und Gewalt, die sich auf diese Weise nicht legitimieren läßt, zu ächten. Gewalt ist nach dieser modernen Auffassung etwas, dem zu entgehen jede und jeder die Chance haben sollte: durch Sich-Dreingeben, durch Einwilligung, passive Zustimmung, aktive Unterstützung etc. Das stellt die Frage auf eine spezifisch moderne Weise ein: ist es erlaubt, den Anderen zu nötigen oder zu zwingen und ist es erlaubt, das in dieser Weise zu tun? (Wobei, nota bene, „der Andere“ nie heißt;: der Mensch schlechthin, sondern jeweils spezifiziert ist: der Mit(Staats)Bürger, der Unbescholtene, Angeklagte, Häftling etc.)"
"Zu sagen: „Der Mensch verübt einen Gewaltakt gegen den Willen des Tieres, das sich instinktiv und meistens auch für uns erkennbar wehrt. Insofern ist es moralisch falsch, Tiere zu töten.“ , wie neulich in einem Interview zu lesen, soll etwas doch jedem Offensichtliches aussagen und ist offensichtlich unsinnig: „Der Polizist verübt einen Gewaltakt gegen den Willen des Geiselnehmers, der sich erkennbar gegen seine Verhaftung wehrt. Insofern ist es moralisch falsch, Geiselnehmer zu überwältigen und zu fesseln.“ Aber, wäre der Einwand, hier geht es doch nicht darum, sondern um Töten! Ja, gewiß – und wie ist es mit dem gezielten Todesschuß? Auch darum, so der nächste Widerspruch, geht es nicht, sondern um das Töten unschuldiger Wesen – oder um das Töten zu Zwecken des Essens – und das ist etwas ganz Anderes! Ja, gewiß, und darum muß man eben darüber reden und nicht über etwas anderes. - Das entscheidende Problem des Redens über Gewalt gegen Tiere liegt also nicht dort, wo es, so weit ich sehe, regelmäßig vermutet wird. Es geht gar nicht um die Frage, ob und wenn ja in welcher Weise ein ursprünglich auf Gewalt gegen Menschen gerichteter Gewaltbegriff auch auf das Verhältnis Mensch->Tier angewendet werden kann, sondern ob das Verhältnis Mensch->Tier, sofern es nicht ein bloßes allenfalls Unterstützung anbietendes Geschehenlassen tierischen Verhaltens (Füttern von Wildtieren) ist, anders denn mit dem Attribut „gewaltsam“ bezeichnet werden kann. Und auch dieses ohne Beimischung von Normativität, einzig auf Grund der Tatsache, daß es etwas wie die Gegenseite des möglichen Einverständnisses nicht gibt. Nicht, daß ein Tier nicht seine gegen die auf seinen Körper gerichtete Intention mit vielen Ausdrucksformen seiner Gegen-Intention begegnen könnte, sondern es kann nicht „stattdessen“ in eine Interaktion mit dem Anderen (wir reden hier über Mensch->Tier) treten. - Dies ist nicht nur für das Verhältnis Mensch->Tier charakteristisch. Es betrifft ebenfalls zuweilen das Handeln Mensch->Mensch, das von ähnlicher Asymmetrie sein kann. Es gibt eine klassische kurze Text-Passage, die dieses pointiert. In Lessings „Nathan der Weise“ ist die Rede von einem von Christeneltern geborenen und getauften Kind, das von einem Juden aufgezogen wird. Dies ist nach den Rechten des Ortes, an dem das Stück spielt, illegal. Denn illegal ist es, wenn ein Juden einen Christen „zur Apostasie verführt“ – sprich: einen Erwachsenen. „Und wie vielmehr dem Juden“ (gebühre die darauf stehende Strafe), „der mit Gewalt ein armes Christenkind / Dem Bunde seiner Tau entreißt! Denn ist / Nicht alles, was man Kindern tut, Gewalt?“ Gewalt ist also, was man einem tut, der von sich aus kein eigenes Konzept konsensuellen Mitlebens leben oder mindestens entwerfen kann. - Lessing läßt den Patriarchen von Jerusalem, der so doziert, zum „alles, was man Kindern tut, ist Gewalt“ noch hinzusetzen: „Zu sagen: - ausgenommen, was die Kirch‘ / An Kindern tut.“ Das ist kein wohlfeiler Scherz auf Kosten einer selbstgerechten Kirche. „Gewalt“ führt schon den modernen Index mit sich, besonderer Legitimation zu bedürfen, und die Kennzeichnung von etwas als „Gewalt“ den Verdacht der Illegitimität. So wird an sich zweifellos gewaltsames Handeln, wenn durch eine Institution ausgeübt, die durch sich selbst legitimiert ist, zur Nicht-Gewalt. So wäre menschliches Verfügen über Tiere –so argumentieren Manche – gewaltsames Handeln, das sich selbst den Status gewaltsam zu sein, abspricht, weil es menschliches Handeln sei. Der Unterschied: die Selbstlegitimation der Kirche kann bestritten werden, die des Menschen nicht. Der Mensch kann diese oder jene Verhaltensweise delegitimieren, aber nicht davon absehen, daß er eine Willkür durch eine andere ersetzt."
"Dagegen argumentieren diejenigen, die die Vorstellung von „Tierschutz“ als eine Willkürherrschaft des Menschen, gemildert einzig durch Konjunkturen des Mitleids, ersetzen wollen durch ein Konzept von „Tierrechten“, das diese Willkür überwinden soll. Zu verleugnen sucht, denke ich- (...=) Donaldson/Kymlicka (...) schreiben: „Unter ‚Fürsorge‘ verstehen wir eine Auffassung, die es akzeptiert, daß das Wohl der Tiere in moralischer Hinsicht eine gewisse Rolle spielt, den Interessen des Menschen jedoch untergeordnet ist.“
Was hat es mit der Idee der „Rechte“ des „Rechte-habens“ auf sich? Die Idee des Rechts ist entweder das bloße Gegenstück zu dem, was wir eine moralische Verpflichtung nennen. Dann hat jede und jeder das Recht, daß ihm oder ihr nicht angetan wird, was die oder der Andere verpflichtet ist zu unterlassen. Bei solcher begrifflichen Festlegung gibt es keinen Unterschied von Tierschutz und Tierrechten. Auch keinen von Menschenschutz und Menschenrechten. Es gibt eine Vorstellung von Menschenrechten, die betont, daß der wesentliche Sinn von Menschenrechten Menschenschutz ist. Judith Shklar, der ich Vielem folge, nennt Rechtsstaatlichkeit das „ursprüngliche erste Prinzip des Liberalismus“, nämlich als „das wichtigste Werkzeug, um Regierungen in ihre Schranken zu verweisen.“ Diese Auffassung von „Recht“ entspricht ersichtlich nicht dem, was traditionellerweise unter dem Rubrum „Naturrecht“ gedacht wird: diese Rechtsauffassung „kann sich nicht auf die Vorstellung gründen, daß Rechte etwas Fundamentales und Gegebenes sind, betrachtet sie aber als gerade jene Konzessionen und Ermächtigungen, über die Bürger verfügen müssen, um ihre Freiheit zu bewahren und sich gegen Machtmißbrauch zu schützen.“ - „Über die Bürger verfügen müssen“ – in diesem Sinne verfügen die Schutzbefohlenen unter den Menschen – Kinder, andere Menschen, die keine komplette Rechtsausstattung haben oder auf Grund körperlicher, Geistiger oder sonstiger Einschränkungen sie vorübergehend oder generell nicht ausüben können – nicht. Warum schützen wir sie? Der Option, diese Frage auf dem klassischen Wege der naturrechtlichen Argumentation zu beantworten, habe ich mich mit dem angedeuteten Referenzrahmen begeben. Ich will das nicht weiter begründen. Das ist übrigens auch nicht nötig, denn es signalisiert nur die Einschränkung: ich verfüge über das weltanschauliche Instrumentarium nicht."
"Also: warum schützen wir sie? Anders gefragt: wie tun wir das? Wir behandeln sie als Rechtspersonen, die nicht oder eingeschränkt über ihre Rechte verfügen können. „Über Rechte verfügen“ bedeutet nicht: sich im Zweifelsfalle beschweren können (egal, ob einer zuhört ). Wenn die Idee vom „Rechte-haben“ mehr sein soll, als das genannte Gegenstück einer moralischen Verpflichtung, geht es um Politik, denn es geht um die Frage der Durchsetzbarkeiten und damit um Macht- und Institutionenfragen. So, wie wir „Rechte“ politisch verstehen, ist diese Idee an die des Staates und das staatliche Gewaltmonopol gebunden. -Das „Rechte haben“ bedeutet also auch, das institutionelle System für sich in Gang setzen zu können, um seine Rechte durchzusetzen. Jemandem ein Recht zu verleihen – etwa das auf Freizügigkeit – bedeutet, ihm das Recht zu verleihen, dieses Recht durchzusetzen, etwa gegen seine Beschneidung zu klagen. Und es bedeutet damit, daß er in ein Rechtsgefüge eintritt, das nun auch für ihn gilt. Die Idee von Recht (Rechte haben) ist an die eines institutionellen Garantie- und Durchsetzungssystems gebunden und an die Vorstellung von Reziprozität. Es gibt in einem Rechtsgefüge niemanden, der Rechte hat, aber keine achten muß. „In ein Rechtsgefüge eingetreten sein“ bedeutet aber auch, in irgendeiner Wiese an der (Weiter)Entwicklung dieses Rechtsgefüge mitwirken zu können. Man muß, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne „eine Stimme haben“. Das sind die Aspekte der Vergemeinschaftung durch Recht, auf die die Idee des „Rechte Habens“ an Stelle des bloßen Geschütztwerdens hinausläuft: Rechte durchsetzen zu können, Rechte achten zu müssen, an der Rechtsentwicklung teilzuhaben."
"Ganz unabhängig von der Frage, was Tiere können oder nicht können, unabhängig davon, was wir in den letzten hundert Jahren und den letzten Jahrzehnten über Tierintelligenzen und –fähigkeiten gelernt haben – was es heißen könnte, ein Tier setze seine Rechte durch, achte mein Recht (und sei es nur das auf Leben), wirke an der Gestaltung des Rechtsgefüges mit, ist schlechthin nicht beschreibbar. Von einem Recht ohne eine Idee einer durch Rechte konstituierten Rechtsgemeinschaft zu sprechen, ist entweder ein Mißverständnis (man meint dann eine selbstauferlegte Verpflichtung), oder eben eine Emphatisierungsvokabel."

:"Aber, wie schon gesagt: es gibt Menschen, die in diesem Sinne keine Mitglieder einer Rechtsgemeinschaft sein können, die wir uns aber verpflichtet fühlen, so zu behandeln. Wir fassen dieses So-tun-als-ob als seinerseits rechtssetzend auf: sie sind es dadurch, daß wir andere „Rechtspersonen“ als Durchsetzer (daß ihre Rechte nicht verletzt oder Verletzungen geahndet werden) oder Fürsorger (daß sie nicht die Rechte anderer verletzen) oder politische Stimme (Beauftragte) einsetzen. So eben sollten wir auch mit Tieren umgehen, sagen Tierrechtstheoretiker. Was spräche dagegen? - Prinzipiell nichts. Ebenso wenig, wie prinzipiell etwas dafür spricht. Wir sind frei, die Grenzen zu ziehen, wie wir wollen – glücklicherweise und unglücklicherweise. Der Unterschied zwischen Mensch und Tier hat nicht zu tun mit den philosophische Seminare in Gang haltenden Fragen nach „Person sein“ oder „Interessen haben“ oder dergleichen, sondern mit der Frage, daß wir im einen Fall mehr oder weniger wissen, wovon wir reden und im anderen Falle nicht wissen, wovon wir reden. Wir waren Kinder und wir können Beeinträchtigte aller Arten sein. Aus der Erfahrung (und ihrer Bewertung) und aus unseren Ängsten und Hoffnungen leiten wir unsere Kompetenz als Stellvertreter, als Durchsetzer, Fürsorger, Beauftragte ab. - Man kann sagen: wir passen auf unsere mögliche Zukunft auf und wir haben ein sentimentales Verhältnis zu uns in Gestalt unserer Vergangenheit. Aber so oder so: das wir ein Verhältnis zu Kindern haben, zeigt, daß auch das Verhältnis zu Beeinträchtigten nicht nur das eines Kalküls, einer Vorwärtsversicherung ist."

"Hier geht es um den empirischen Grund aller Moral. Man muß ja unterscheiden zwischen Theorien der Moral, die argumentative Gerüste präsentieren, mit deren Hilfe man das Räsonieren über moralische Frage intersubjektiv gestalten kann, und der Frage, warum solche Räsonieren überhaupt einen möglichen Sinn haben kann. Ob man hier nun, wie Hume, den Begriff der „Sympathie“ oder den Lessing/Schopenhauerschen (fast gleichbedeutenden) des Mitleids ins Spiel bringt, ist gleichgültig. Immer geht es darum, daß ohne die Fähigkeit des Menschen zur partiellen Identifikation (man könnte sagen: die „Goldene Regel“ ohne den von Kant unterstellten Utilitaritätskalkül) es keine Moral gäbe."
"Diese Sympathie/Empathie ist speziesübergreifend und im konkreten Falle an keine Reziprozitätserwartung gebunden, aber das unter Umständen mit ihr verbundene Räsonieren setzt ein anderes, besonderes mentales An-die-Stelle Treten voraus. Als jemand, der die Rechte eines Artikulationsunfähigen (also auch eines Menschen, der weder weiß, daß er „Rechte hat“, noch (nach unserem begründeten Dafürhalten) weiß, was ihm, außer Unmittelbarstem, gut oder schlecht tun wird, vertritt, oder als jemand, der von Rechts wegen dazu bestimmt ist, zu urteilen, ob jemand rechtens und richtig vertreten wird, muß ich gedanklich an die Stelle des Anderen treten. Ist der ein Kind, so war ich auch einmal eins (und weiß dabei als Erwachsener natürlich auch, daß die eigenen Erfahrungen/Wünsche/Enttäuschungen individueller Natur gewesen sind und nicht umstandslos zu verallgemeinern – aber eben darum weiß ich auch (hoffentlich), was es heißen muß, ein Individuum, das sich nicht artikulieren kann, zu vertreten). Wir können nie wissen, was ein andrer Mensch tatsächlich fühlt, aber nicht zu wissen, was eine Fledermaus fühlt (um ein klassisches Beispiel zu nehmen), ist von einem anderen Schlage. Wenn J.M. Coetzee seine Elizabeth Costello sagen läßt, sie wisse manchmal, wie sich jemand oder etwas fühle, von dem man das „eigentlich“ nicht sagen könne, etwa eine Leiche (eine Altersfrage, meint sie), so fügt sie hinzu: „Weiß ich, wie ich mich als Leichnam fühle, oder weiß ich, wie sich ein Leichnam fühlt? Das zu unterscheiden scheint mir belanglos.“ Nun, gewiß, für das Gefühl, seine Intensität, seine Mitteilung ist das belanglos, nicht für uns als Leserinnen dieses Emotionsprotokolls. Da schreibt jemand auf, was und wie eine Leiche (oder eine Fledermaus) fühle, und wir lesen, einen Text, geschrieben von jemandem, die aufschreibt, was und wie sie fühlt, wenn sie… und so weiter. Und ist da ein Unterschied zu einem Protokoll über Gefühle, die sie vielleicht hätte beim Anblick eines Menschen in der Menge, von dem sie nichts weiß (außer, daß er oder sie ein Mensch ist)?"
"Wäre, diese Frage mit Ja zu beantworten, nicht Resultat einer bloßen Konvention, die der Tatsache geschuldet ist, daß wir inzwischen viele Arten von Menschen unter die „Menschen“ rechnen, nicht nur tote und lebendige weiße Männer? Und wäre, diese Frage zu verneinen, nicht Ausdruck unseres Wunsches, kreatürliche Grenzen, die uns natürlich erscheinen, zur Disposition unserer Konventionen (d.h. letztlich unserer politischen Entscheidungen) zu stellen?"
"Natürlich kann man sowohl, wenn jemand sagt „Ich weiß, wie sich dieser Mensch jetzt fühlt“, als auch im Falle des „Ich weiß, wie sich dieser Hund jetzt fühlt“, antworten: „Gar nichts weißt du“, aber wir müssen anerkennen, daß beide Aussagen etwas anderes bedeuten. Wir müssen anerkennen, daß der Satz „Ich weiß, was dieser Mensch jetzt fühlt“ etwas anderes bedeutet, ob er von einem Säugling, einem Dementen oder einem gesagt wird, der weder dies noch jenes ist, und daß „Ich weiß, wie sich X jetzt fühlt“ etwas anderes bedeutet, je nach dem, ob „X“ einen Menschen, einen Affen (welche Art von Affen?), einen Hund, eine Fledermaus oder eine Rose bedeutet. Und wäre es absurd, für „X“ einen Stein einzusetzen? Es gibt Schriftsteller, die das tun."
"„Etwas anderes bedeuten“ heißt hier, wie anderswo auch, immer dies eine: zu beschreiben, welche Operationen wir vollführen, um die Nachfrage „Wieso das denn?“ zu beantworten. In diesen möglichen Antworten spielt nicht nur etwas wie „Na, ich stelle mir eben vor… stell dir doch auch mal vor, du wärest…“ eine Rolle, sondern auch Sätze wie „Wenn ich der/die wäre…“. Und solche Sätze sind nicht nur Umformungen der „Ich stelle mir vor“-Sätze, sondern sie verweisen auf tatsächliche Möglichkeiten, eben jetzt an der Stelle des Menschen oder Tieres (oder Steines) zu sein. Und hier ist festzuhalten, daß dies im Falle des anderen Menschen etwas anderes bedeutet, als im Falle des Tier genannten Mitgeschöpfs. Im einen Fall ist die Empathie erfahrungsgesteuert, im anderen phantasiegelenkt."

:"Einwand: ist nicht genau das die historische/politische Konvention? Hätte vor soundsoviel Jahren nicht jemand genau wie er gesagt hätte, „Ich bin doch kein Affe, und also kann ich mich gedanklich nicht an seine Stelle setzen!“, gesagt: „Ich in doch kein Neger!“ Ja, hätte er. Und ist zu behaupten, diese Weigerung sei etwas anderes, nicht allein Resultat des Umstands, daß wir die Grenzen heute anders ziehen, als damals und (vielleicht) morgen anders ziehen werden als heute? In einer Hinsicht ist das so; in einer anderen nicht."

"Zunächst, in welcher Hinsicht nicht. Zu dem „Wenn ich der/die wäre“-Sätzen gehört die Imagination, was der aktive Beitrag des/derjenigen zur Diskussion über seine Lage oder Befindlichkeit wäre. Und wenn jemand gesagt hätte, „Was soll den ein Neger schon Relevantes sagen?“ wäre das nur als eine Metapher für „Wir wissen (egal, was er sagen würde sowieso besser, was für ihn taugt“ verstanden worden. Egal, wie die Griechen taxonomiert haben – daß sie Sklaven nicht für Menschen hielten, ist eine dumm4e Behauptung. (Schließlich konnte jeder zum Sklaven werden. Und die Behauptung, es gebe „geborenen Sklaven“ hat eben so viel bedeutet, wie eine solche Bedeutung heute bedeuten würde: Misanthropie, die sich als Realismus ausgibt.) - Aber wenn wir über „Gewalt“ sprechen und das tun, weil wir nur über Eines sprechen wollen: Verletzung und Tod - dann bedeutet Empathie etwas anderes. Da bedeutet „Ich weiß, wie es sich fühlt“ etwas anderes. Nicht, daß ich wüßte, wie ein Tier Angst vor dem Tod fühlt, aber ich sehe, daß es entkommen will, daß es alles daran setzt, augenscheinlich auch großen Schmerz, wie etwa ein Fuchs, der sich den Fuß abreißt, um der Falle zu entkommen. („Was wissen Sie denn? Wahrscheinlich ist das Schmerzempfinden in solchen Fällen ausgeschaltet, und über sein Leben ohne Fuß kann sich der Fuchs doch gar keine Gedanken machen.“ Antwort: „Darüber rede ich gar nicht. Ich führe auch keine Debatte darüber, wie eine Welt ohne Fuchsfallen aussehen würde (leichter, als sich eine Welt ohne Sklaverei vorzustellen (jedenfalls zu bestimmten Zeiten)), sondern: dieser Fuchs leidet Höllenqualen. Und diese Qualen haben wir ihm verursacht.“)"
"Es gibt immer Strategien, sich diese Art von Empathie ausreden zu lassen. So war man medizinischerseits bis vor gar nicht so langer Zeit der Ansicht, Neugeborene und sehr junge Säuglinge hätten kein Schmerzempfinden. Sie schreien ja nicht, wenn man sie mit einer Nadel stach (sondern erst etwas später, und also war dieser Schmerzausdruck etwas anderes, vielleicht eine Übernahmereaktion der elterlichen Emotionen?). Man wußte nichts über die allmähliche Entwicklung der Nervenleitfähigkeit, und also konnte der Fachmann sagen: „Merkt noch nichts, das Kleine“. - Es geht um die Grenzen der Empathie und um mentale Strategien, sie weiter oder enger zu ziehen. Und dabei geht es um den einen Aspekt der Moral, um das, um hier Schopenhauers Ausdrucksweise zu folgen, „neminem laede“. Jemandem vor einem körperlichen Übergriff zu bewahren ist etwas anderes als Bedingungen herzustellen, die optimieren, was er/sie tun kann, wenn er frei von Gewalt(drohung) lebt. Das wird durch die andere Seite der Moral, das „omnes quantum potes iuva“ bezeichnet."

:"Zieht ein Tier X ein Leben „in Freiheit“, d.h. ohne Mensch->Tier-Beschränkungen und ohne Schutz vor anderen Tieren einem Leben mit Freiheitsbeschränkung aber auch mit regelmäßiger Fütterung (Zoo) und mit gewaltsamem, aber vielleicht schmerzarmem Tod („artgerechte Nutztierhaltung“) vor? Wir wissen es nicht. Ein Mensch hätte sagen können, daß er ein Leben in Sklaverei auf einer Plantage einem in Freiheit unter den Bedingungen, unter denen Industrieproletarier 1860 zu leben hatten, vorziehe (hätte das sagen können; ob das jemals einer gesagt hat, wissen wir nicht; wir wissen, daß es genügend Nicht-Sklaven gegeben hat, die sagten, daß er das sagen würde). Wir wissen, wie ein Beitrag eines Sklaven zu diesem Thema hätte aussehen können, ohne darüber zu spekulieren, was er gesagt hätte. Was ein Tier, welcher Art auch immer, zu einem analogen Thema sagen würde, wissen wir nicht, und die Behauptung, wir könnten uns das aber vorstellen, ist absurd."

"Sie ist vor allem eines. Anthropozentrisch. Und zwar unreflektiert. „Anthropozentrisch“ bedeutet ja nicht, menschliche Belange auf jeden Fall über tierische zu stellen, sondern alles von menschlicher Perspektive aus zu denken, ohne darüber nachzudenken. Jedenfalls benutzt man in diesem Sinne die Begriffe „eurozentrisch“ oder „ethnozentrisch“. Jedenfalls wenn man sie als Vorhaltung oder Vorwurf verwendet. Vielleicht muß man sagen, daß wir (anders als im Falle des Euro- oder Ethnozentrischen) notwendigerweise anthropozentrisch denken und genau dieses mitdenken müssen. Dann etwa würden wir von „aufgeklärtem Anthropozentrismus“ sprechen oder, besser, das Wort (wie auch „speziezistisch“) wieder aus unserem Wortschatz streichen."
"Ein Beispiel für einen seiner selbst nicht bewußten, wiewohl die Wörter „anthropozentrisch“ wie „speziezistisch“ wie Wappenzeichen im Vokabular führend, ist etwa Peter Singers Ausführungen zur Schmerzempfindlichkeit und die programmatische Beschränkung der Empathiefähigkeit des von ihm angesprochenen Menschen auf die Gemeinsamkeit eines zentralen Nervensystems. Man vergleiche damit die Überlegungen von David Foster Wallace in „Consider the Lobster“ um die Hartherzigkeit in der Weitherzigkeit zu erfühlen. Vielleicht wären Singers Überlegungen zum Lebensrecht von sehr jungen Menschen und Behinderten anders ausgefallen, hätte er sich die Möglichkeit zur Empathie mit anderen Lebewesen bewahrt, die ihm auch ferner stehen als Affen, Katzen und Hunde. - Jede Verleugnung des notwendig Anthropozentrischen in unserem Fühlen und Denken läuft auf die Verleugnung der Grenzen hinaus, die wir immer ziehen müssen und immer ziehen – auf Grund unserer Möglichkeit, sie zu ziehen. Auf Grund unserer Unmöglichkeit, keine zu ziehen: niemand wird in eine noch so universale Empathieforderung auf das Lebensrecht für Pasteurella pestis in meinem Körper ausdehnen wollen. Ich sage das nicht um irgendetwas ad absurdum zu führen – wir können auch darüber sprechen, ob Ratten bedenkenlos getötet werden dürfen, und wenn nicht, ob dies mit Schaben oder Läusen sich andres verhält - , sondern um darauf hinzuweisen, daß irgendwo Grenzen gezogen werden müssen, weil jeder irgendwo Grenzen zieht, daß aber die Pointe der Diskussion um Tierschutz und Tierrechte darin liegen muß, als allererstes zu verstehen und zuzugeben, daß wir die Position, die wir haben, darum haben, weil wir unser eigenes Denken Produkt der menschlichen Fähigkeit ist, seine Einstellung zu dem, was er ist und sein will, zu verändern. Daß unsere so oder so beschaffene Ansicht in diesen Fragen Ergebnis unserer Freiheit ist, unsere Maßstäbe selbst festzusetzen, unsere Freiheit, zu entscheiden, worüber wir nachdenken (consider the lobster or neglect its suffering?) und welche Gefühle wir in dem Entwurf unserer Existenz mitwirken lassen. Wir können nicht moralisch urteilen und handeln und gleichzeitig unsere Freiheit, das zu tun, verleugnen – es wäre nicht Moral, sondern Verleugnung von Moralität. Wir können nicht die Grenze ziehen, ab der wir ein von uns unabhängig gegebenes Recht haben zu sagen: ab hier geht uns die Sache nichts mehr an."
"Darum die von Donaldson und Kymlicka zitierte Grenzziehung, die Barbara Smuts vorschlägt, nämlich ob wir spüren, ob „im Innern des anderen Körpers jemand daheim ist“ kein Kriterium, sondern allenfalls eine ein wenig kindlich ausgefallene Umschreibung, daß es irgendwie um Empathiereichweite geht, nebst deren scheinbarer anti-anthropozentrischer Färbung. Es handelt sich genaugenommen, soll heißen: beim Wort genommen, um die von Empathie nur auf Grund komplexer Annahmen über die zugrundeliegende Psychodynamik (Annahmen, die zu den hier verhandelten Problemen nichts beitragen) zu unterscheidende menschliche Fähigkeit zur Projektion, ins kindlich-Märchenhafte verfabelt: als wäre jemand „da drin“ wie der Prinz im Frosch? - Donaldson/Kymlicka schreiben konsequent genau im Anschluß an das Zitat: „Die Grundprämisse der Theorie der Tierrechte lautet: Immer, wenn man ein solches verletzliches Selbst antrifft – immer, wenn man jemanden ‚daheim‘ vorfindet -, benötigt der Betreffende Schutz durch das Prinzip der Unverletzlichkeit, das jeden Einzelnen mit einem Schutzschild aus Grundrechten ausstattet.“ Das heißt übersetzt dies: immer wenn wir ein Wesen treffen, das wir auf Grund des Gefühls, das wir ihm entgegenbringen, für uns ähnlicher ansehen und für wichtiger halten als ein anderes, sollten wir ihm nicht wehtun und dafür auf geeignete Art Sorge tragen, daß auch andere ihm nicht wehtun. Das ist eben die Art, in der seit jeher mit Tieren umgegangen worden ist, und eine mit weitreichenden Forderungen versehene neue Tierrechtsethik auf dieses Fundament zu stellen, ist auf jeden Fall intellektuell unbefriedigend, in meiner Sichtweise jedoch zusätzlich der Versuch, einmal den Anforderungen auszuweichen, die einige genauere Gedanken zum Thema „Anthropozentrismus“ mit sich bringen, zum anderen aber den Umstand zu verleugnen, daß wir nicht nur für unsere Handlungen (in moralischer Hinsicht) verantwortlich sind, sondern auch für die moralischen Maßstäbe, die wir als Richtschnur gelten lassen."
(1) "Das philosophische Seminar ist nicht die Arena, in der solche Überlegungen ausgefochten werden."
(2) Coetzee, Foer und Wallace erscheinen als die tiefer gegründeten Philosophen im Vergleich mit Singer und vielen anderen seiner Art.
(3) "Mir geht es darum, anläßlich der Feststellung, daß wir nicht nur für unsere Handlungen verantwortlich sind, sondern auch für unsere Maximen (und sie nicht irgendwo her holen, wo sie mit dem Expertenschildchen „universal anwendbar“ herumhängen), darum, daß wir eben (um hier wieder Schopenhauer zu erwähnen) nie nur über das „o, ti“, sondern immer auch über das „dióti“, es „mag nun in der Natur des Menschen, in den äußeren Weltverhältnissen, oder worin sonst gesucht werden“ (Schopenhauer, S. 176), reden. Wir lehnen nicht Gewalt gegen Menschen schlechthin ab (siehe oben); wir lehnen nicht Gewalt gegen nicht-menschliche Lebewesen schlechthin ab (siehe oben). Wir lehnen manche Gewalt gegen manche Menschen unter manchen Umständen ab. Und oft ist die Debatte um dieses „manche“ eine Debatte um das Ganze unserer Zivilisation. Wir geben Auskunft darüber, wer wir sein wollen und wer unter keinen Umständen – und worum wir uns nicht kümmern wollen. Das ist in der Debatte um das Verhältnis Tier->Mensch nicht anders. Wir reden über uns."

(4) Wer redet hier eigentlich? "Da krabbelte eine Wespe auf der Fensterbank. Ich betrachtete sie und vor allem ihre faszinierend dünne, wie man so sagt: „Wespentaille“ – dünn, wie gar nicht vorhanden. Ich nahm eine sehr feine Schere und schnitt sie durch. Mal sehen, was dann passiert. Die Wespe schrie. Ich konnte sie nicht hören, aber ich sah, wie sie schrie, schrie in äußerstem Schmerz. Sie krümmte sich. Und schrie. Ich sehe sie immer noch vor mir und meine, sie zu hören. Es gab in diesem Moment (und in den Momenten, in denen ich mich daran erinnere) keinen Spezies-Unterschied zwischen mir und der Wespe - doch, den gab es natürlich, ich sage nur, daß dieses Wissen in dem Augenblick keine Rolle spielte, und keine Rolle spielt, wenn ich mich an diese Momente erinnere. Und irgendwie wußte ich, daß ich mich in diesem Augenblick definiert hatte. Ich war jemand, der so etwas tun konnte – einem Wesen furchtbaren Schmerz und Tod zu bringen (ich habe sie dann totgeschlagen, falls Sie das noch wissen wollen). Und jemand, der das getan hatte, Schmerz und Tod bringen, nur der Laune „Mal sehen, was dann passiert“ wegen. Und als der definiert, der so einer nicht sein möchte."

"Esse ich Tiere? Weniger und weniger gerne. Neulich bin ich auf eine Zeitschrift gestoßen, die „Beef!“ heißt. Eine kulinarische Zeitschrift für den richtigen Mann Mit Reportagen über rustikale Herdschmiede, Reklame für die schärfsten Messer, dicke Uhren, ein Auto, von dem gesagt wird, es sei „zuverlässig“, mache „jeden Spaß mit“ und „wie ein Freund“, Bier aus richtigem, grobem Getreide von richtigen groben Männerhänden in die Kamera gehalten, mit dem so angepriesenen Weihnachtsmenu: „Die Erleuchtung. Gelangen Sie über den Beef!-Pfad zu vollkommener Glückseligkeit – mit Entenbrust, Ochsenschwanzsuppe, Hirschsauerbraten und Rum-Kuchen“. Kleine Rubriken über Schnaps oder „Männertee?“ (mit Fragezeichen und der Antwort: doch, sowas gibt’s tatsächlich!) oder eine, die die Frage „Wie schmeckt eigentlich… Murmeltier?“ beantwortet. Ein bebilderter Artikel mit der Überschrift „Lass raushängen!“, in dem über die Erwerbsmöglichkeiten und Zubereitungsarten von Kuheuter und Rindshoden zu lesen ist. Viel Fleisch, viel Bratkruste, viel über Markknochen, eine Reportage über Karpfen. Die ist übertitelt mit „Schlag auf Schlag“. Ja, gemeint ist, was Sie jetzt denken Man sieht auch einen Karpfen, dem gerade mit einem Knüppel auf den Kopf geschlagen wird, und der – nunja: schreit. „Hülle und Fülle“ – gemeint sind gefüllte Geflügel, bebildert ist das mit einem ausgenommenen Huhn, seinen daneben liegenden Füßen und seinem abgeschlagenen Kopf, einer Ente, Ganzkörper, mit ungerupftem, auf dem gerupften Körper drapierten Kopf, einem Huhn, gerupft, an den Füßen aufgehängt, der Kopf hochgebunden, damit wir ihm ins tote Gesicht sehen können. Ich hatte das nicht erwartet. Vor mir liegt eine Zeitschrift für Mörder und Kannibalen. Nicht eine, die etwas verleugnet, um etwas ohne Gedanken und Gefühle (außer denen über Garzeiten und denen über orale Freuden) tun zu können, sondern eine, die mit dem Genuß wirbt, den das Töten verspricht, das Ausweiden, Verschlingen und, wenn man schon nicht selber töten und ausweidet, dann Genußsteigerung verspricht, wenn man beim Verschlingen daran denkt. Eine gelungene Illustration zu Ovid, Buch XV. - Es ist der Ekel. Es ist der Ekel vor sich selbst gewesen, der Menschen davon abgebracht haben, bestimmte Gewalttaten gegen ihresgleichen zu begehen. Die Folter, sagte Friedrich II. von Preußen, sei etwas, das eines Königs, der über Bürger herrschen wolle, unwürdig sei. Der Blick auf den leidenden Auch-Menschen, genauer: ihn vor allem als Leidenden und nicht als was auch immer er sonst gewesen war (Mörder, Hexer) wahrzunehmen, war notwendig, von bestimmten Orgien der Grausamkeit Abstand zu gewinnen – aber immer auch (ich muß nicht sagen: vor allem) der Ekel vor dem, was man ist, wenn man das billigt, vielleicht genießt. Wer über Ekel redet, redet über Scham. Darum geht es bei moralischer Evolution: sich dessen zu schämen, der man ist. (Oder es eben nicht zu tun. Oder es zu tun und trotzdem irgendwie so weiterzumachen wie bisher; wie Jefferson auf Monticello.)"

Literatur und Weblinks

  • Reemtsma, Jan Philipp (2014) „Gewalt gegen Tiere“ – was sagt man, wenn man das sagt? Vortrag Universität Hamburg, 12.3.2014.