Gefangenenrate Schleswig-Holstein

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"Gefangenenraten werden häufig als Indikator für die Punititvität einer Gesellschaft gewertet. Sie variieren in Europa zwischen 60 - 70 pro 100.000 in den skandinav i- schen Ländern und mehr als 300 bis zu 495 in einigen osteuropäischen Ländern, insbesondere Russland. In den letzten 25 Jahren gab es teilweise entgegengesetzte Entwicklungen. Deutlichen A nstiegen in etlichen west - und auch osteuropäischen Ländern steht ein Rückgang oder eine stabile Entwicklung in ebenso vielen anderen Ländern gegenüber. Der Beitrag erörtert einige Erklärungsansätze, die vor allem mit der Entwicklung der kriminalpolitische n Orientierung (Verschärfung von Stra f- gesetzen etc.) zusammen hängen . Die Entwicklung kann aber auch in Zusamme n- hang mit gesamtgesellschaftlichen und politikwissenschaftlichen Faktoren gesehen werden. Der skandinavische Exceptionalism findet sich in Teilen auch in anderen Ländern. Bemerkenswert ist der aktuelle drastische Rückgang von Gefangenenraten in Russland. Perspektiven der weiteren Entwicklung können in einer moderaten Kriminalpolitik skandinavischer, aber auch deutscher Prägung gesehen werden, die a uf Front - D oor - (vermehrte Anwendung von Alternativen zur Freiheitsstrafe sowie Absenkung des Strafmaßes) wie auch Back - D oor - Strategien (vermehrte und frühze i- tigere bedingte Entlassung) setzt. 1. Einleitung Gefangenenraten sind definiert als Anzahl der Inhaft ierten pro 100.000 einer nationalen (oder regionalen) Wohnbevölkerung. Beide Größen werden in der Regel zu einem bestimmten Stichtag (z. B. Bestand der Gefangenen am 31.3., Bevölkerung zum 1.1. eines Jahres) erhoben und miteinander in Beziehung Die Gefangenenrate (auch Gefangenenquote, Inhaftierungsquote oder Inhaftierungsrate) gibt an, welcher Anteil der Bevölkerung eines Landes in Haft ist. In Europa liegt sie bei etwa einem Promille der Bevölkerung (1: 1000). Während die üblicherweise in Gefangenen pro 100.000 Einwohner angegebene Gefangenenrate in Europa um den Wert von 100 (pro 100.000) schwankt, liegt sie in den USA bei etwa 700.

In Schleswig-Holstein lag die Inhaftierungsquote 1990 bei 60 (Maelicke 2015: 157), 2013 bei 40 (Maelicke), bzw. 48 (Wiki, Dünkel 2013), bzw. 49 (2012: Dünkel/Geng: 44).

2007: Am 30.11.2007 fast 75 200 Gefangene in deutschen JVAs. Gefangenenrate: 91.

2000: Gefangenenrate deutschlandweit 98.

Grund für Rückgang: Rückgang der U-Haft-Zahlen um 30% von 2000 bis 2007.


Hohe Gefangenenraten 2007: Berlin (151), HH (117). Niedrigtse: S-H (53).

Grund: Kumulation von Tatgelegenheiten in Ballungsräumen. Zudem werden Kapazitäten in den Justizvollzugsanstalten teilweise auch länderübergreifend genutzt. Diese und weitere Ergebnisse aus den Justiz- und Rechtspflegestatistiken finden sich in der Veröffentlichung "Justiz auf einen Blick" des Statistischen Bundesamts.


Weblinks und Literatur

107f. und Abb.5: Ostendorf-Effekt, Strafkultur. Nds.-Vergleich.
Angesichts der relativ vergleichbaren Kriminalitätsbelastung beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern im Vergleich mit Schleswig-Holstein, die ihrerseits bedeutend über denjenigen in Bayern oder Baden-Württemberg liegen, wird deutlich, dass Gefangenenraten nicht Schicksal, sondern in erster Linie Ergebnis kriminalpolitischer Orientierungen und der justiziellen Entscheidungspraxis sind.[15] Maelicke hat in diesem Zusammenhang das im Hinblick auf Haftvermeidung besonders ausgeprägte kriminalpolitische Klima in Schleswig-Holstein beschrieben.[16] Nach wie vor liegt die Gefangenenrate in Schleswig-Holstein sogar unter den Gefangenenraten der skandinavischen Länder. Dass die Stadtstaaten wie Berlin bis zu dreimal höhere Gefangenenraten als Schleswig-Holstein aufweisen, mag mit der Kriminalitätsbelastung und -struktur teilweise erklärbar sein, jedoch gilt dies nicht für Bayern (97 Gefangene pro 100 000), Hessen (86) oder Rheinland-Pfalz (87). Auch weisen Bremen und neuerdings Hamburg gegenüber einigen Flächenstaaten kaum noch erhöhte Gefangenraten auf.
Wie erwähnt, gibt es insbesondere in Ländern mit föderalen Staatsstrukturen gleichfalls deutliche regionale Unterschiede (vgl. Abbildung 4 und 5). In Deutschland zeigen sich die Extreme im Norden der Republik: Hamburg und Berlin auf der einen Seite mit den höchsten Gefangenenraten und Schleswig-Holstein mit einer traditionell besonders niedrigen Rate (die denjenigen in den skandinavischen Ländern entspricht, vgl. Abbildung 4). Ein interessantes Detail ist der Rückgang der Gefangenenrate in Hamburg seit 2003 um nahezu 40% (vgl. Abbildung 5), d. h. in einer Zeit, in der konservative Politiker mit der neuen Anstalt Billwerder (ca. 800 zusätzliche Haftplätze) eine gigantische Fehlplanung umsetzten, mit der Konsequenz, dass gegenwärtig erhebliche Überkapazitäten bestehen. Justizvollzugspolitik ohne den Willen, Gefangenenraten intelligent zu steuern, ist allerdings ein weit verbreitetes Phänomen nicht nur in Deutschland (s. o.). Ein Beispiel dafür, wie man es anders machen kann, ist Schleswig-Holstein, das seit jeher (?) eine „reduktionistische Einsperrungspolitik" betrieben hat. Weitere gute Praxismodelle sind in den aktuellen Projekten zu sehen, die im Rahmen des „Übergangsmanagements" die zeitlichen Abläufe besser zu steuern und durch eine bessere, vernetzte Entlassungsvorbereitung eine frühzeitigere (regelmäßig bedingte) Entlassung zu erreichen versuchen, die eine umfassende Nachbetreuung durch die Bewährungshilfe mit einschließt (vgl. z. B. InStar in Mecklenburg-Vorpommern, hierzu Jesse/Kramp in Dünkel/Drenkhahnl Morgenstern 2008).