Fritz Bauer (*16.7.1903 in Stuttgart) war hessischer Generalstaatsanwalt und Jurist aus „Freiheitssinn“. In der Bundesrepublik war er maßgeblich an dem Wiederaufbau einer humanen Rechtsordnung beteiligt, die einen rationalen Umgang mit dem Strafrecht, eine Humanisierung des Strafvollzuges sowie die Resozialisierung als Vollzugsziel vorsah. Überdies trieb er wie kein anderer die juristische Aufarbeitung der nationalsozialistischen Massenverbrechen voran und kämpfte entschlossen gegen die „Verdrängungsmoral“ seiner Zeit. Er verstarb am 1.7.1968.

Fritz Bauer

Leben

Fritz Bauer wurde am 16.7.1903 als Sohn eines Textilgroßhändlers in einem streng-orthodoxen, deutsch-jüdischen Elternhaus geboren. Er besuchte von 1912-1921 das Eberhard-Ludwig Gymnasium in Stuttgart und begann nach dem Abitur das Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften in München und Tübingen. 1924 legte er sein erstes juristisches Staatsexamen ab und promovierte 1925 mit einer Dissertation über „Die rechtliche Struktur der Truste“ zum Dr. jur. in Heidelberg.

Sein Referendariat begann er im Jahre 1924, schloss dieses 1928 mit der zweiten juristischen Staatsprüfung ab und wurde zunächst Gerichtsassessor bei der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Stuttgart. Ab 1930 wurde er am Stuttgarter Amtsgericht dann zum jüngsten Hilfsrichter in Deutschland bestellt und war Mitbegründer des republikanischen Richterbundes in Württemberg. Im selben Jahr wurde er zum Vorsitzenden der Ortsgruppe des „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“. 1933 verhaftete ihn die Gestapo wegen seiner politischen Aktivitäten und verbrachte ihn zunächst in das KZ Heuberg und später die Ulmer Strafanstalt, aus der er aber 1933 wieder entlassen wurde.

Weil er als Jude mit einem SPD-Parteibuch (seit 1920) doppelt ins Fadenkreuz der Nazis geriet, emigrierte er 1935 zu seiner Schwester Margot nach Dänemark und war dort in politischen Exilkreisen Kopenhagens aktiv. 1943 flüchtete er während deutscher Besetzung nach Schweden, wo er gemeinsam mit Willy Brandt die Sozialistische Tribüne als theoretisches Organ der sozialdemokratischen Partei gründete. Nach Kriegsende kehrte Fritz Bauer zunächst nach Dänemark zurück, wo er sich, neben seiner vorübergehenden Tätigkeit in der Wirtschafts- und Finanzverwaltung, auch in der Redaktion der Flüchtlingszeitung Deutsche Nachrichten engagierte.

Erst drei Jahre später bemühte er sich um Rückkehr nach Deutschland und fand 1949 in Braunschweig eine Anstellung als Landgerichtsdirektor, auf die 1950 die Berufung zum Generalstaatsanwalt folgte. 1956 rief ihn der Hessische Ministerpräsident Georg August Zinn nach Frankfurt/Main und bestellte ihn auch dort zum Generalstaatsanwalt, wo ihm nun 199 Staatsanwälte und 13 Haftanstalten unterstanden.

Er war in der SPD sowie in Gewerkschaftskreisen eine bedeutende Persönlichkeit. Zudem war er Mitglied in der „Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen“, des „Rechtspolitischen Ausschusses“ und Mitherausgeber der theoretischen Zeitschrift der SPD „Die neue Gesellschaft“. In Frankfurt am Main zählte er 1961 neben Gerhard Szczesny zu den Mitbegründern der heute noch bestehenden, größten deutschen Bürgerrechtsvereinigung „Humanistische Union“. Fritz Bauer starb in der Nacht zum 1.7.1968 in seiner Frankfurter Wohnung.

Werke

  • Vom kommenden Strafrecht, C.F. Müller, Karlsruhe 1969
  • Justiz und NS-Verbrechen: Sammlung deutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen 1945-1966, APA-Holland Univ. Press [u.a.], Amsterdam 1968
  • Sexualität und Verbrechen: Beiträge zur Strafrechtsreform, Originalausgabe, [1.-20. Tsd.], Frankfurt/Main [u.a.] 1963
  • Die Humanität der Rechtsordnung: ausgewählte schriften, Campus-Verl., Frankfurt/Main [u.a.] 1998
  • Auf der Suche nach dem Recht, Franckh, Stuttgart 1966
  • Anitisemitismus: zur Pathologie der bürgerlichen Gesellschaft, Europ. Verl. Anst., Frankfurt/Main 1965
  • Die faschistischen Wurzeln nationalsozialistischen Handelns, Europ. Verl. Anst., Frankfurt/Main 1965
  • Widerstand gegen die Staatsgewalt, Fischer, Frankfurt/Main [u.a.] 1965
  • Das Verbrechen und die Gesellschaft, Reinhardt, München [u.a.] 1957
  • Kriegsverbrecher vor Gericht, Europ. Verl. Anst., Zürich 1945

NS-Verbrecher Prozesse

Fritz Bauer war als ehemals „rassisch“ und politisch Verfolgter einer der wenigen Remigranten, die ab 1949 in der westdeutschen Nachkriegsjustiz am Neuaufbau des demokratischen Rechtsstaats beteiligt waren. Er setzte sich für die Anerkennung formaler Demokratieprinzipien sowie umfassende Reform des Strafrechts und -vollzugs ein. Daneben trieb er entschlossen die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen voran, weil diese Verfahren für ihn Prüfsteine in der Herausbildung eines demokratischen Neubeginns waren. Er orientierte er sich hierbei stets an der Kategorie gesetzlichen Unrechts, die eine normative Abgrenzung vom NS-Unrechtsstaat und der systematischen Interpretation des subjektiven Widerstandsrechts als menschenrechtliche Handlungskompetenz gegenüber diktatorischer Staatsgewalt, vorsah.

Entgegen der dominanten Linie der zeitgenössischen Rechtsprechung, die die an der organisierten Vernichtung von Menschen beteiligten Verbrecher lediglich als Gehilfen in einem fremden Geschehen qualifizierte, erweiterte Bauer das objektive Tatgeschehen um die Seite eines subjektiven Unrechtsgehaltes.

Demnach gab es für ihn auch in einem anti-rechtsstaatlichen Repressionssystem wie dem Dritten Reich einen durch den Gesetzgeber garantierten, unantastbaren Kernbereich ewig geltender Menschenrechte – wie das Recht auf Leben -, das über jedem Eid und gesetzlich Recht steht. Somit musste andererseits auch jeder ein Minimum subjektiven Unrechtsbewusstseins affirmiert und erkannt haben.

Remer-Prozess

Mit dem „Remer-Prozess“ von 1952, der in der bundesdeutschen Öffentlichkeit starke Resonanz fand, brachte Bauer den spektakulärsten Prozess zur Wiederherstellung der Integrität der Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime in Gang.

Remer hatte als Vorsitzender der später verbotenen rechtsradikalen sozialistischen Reichspartei (SRP) die Widerstandskämpfer des 20.7. 1944 öffentlich als Landesverräter verunglimpft.

In seinem Plädoyer arbeitete Bauer die innere Beziehung zwischen einem Unrechtsstaat und dem Widerstandsrechts heraus, indem er die Rechtmäßigkeit des Handelns der Widerstandskämpfer in den Mittelpunkt stellte.

Eichmann-Prozess

Im Jahre 1960 hatte Fritz Bauer den Protokollführer der Wannsee-Konferenz Adolf Eichmann, der später auch eine zentrale Figur in der Deportation und Ermordung von ca. sechs Millionen Menschen war, in Argentinien aufgespürt.

Eichmann wohnte nach dem Krieg zunächst unbehelligt unter dem Namen Otto Henninger in Wien und später wieder in Deutschland. 1950 flüchtete er mit kirchlicher Unterstützung nach Argentinien und lebte dort unter dem Pseudonym Ricardo Klement. 1956 nahm Bauer die Ermittlungen auf und erhielt zufällig im gleichen Jahr von einem Emigranten einen Hinweis auf Eichmanns Aufenthaltsort.

Um zu vermeiden, dass Eichmann aus hiesigen Justizkreisen gewarnt würde, informierte Bauer, unter bewusster Umgehung des Dienstweges, den israelischen Geheimdienst Mossad. Nachdem Bauer einige Falschmeldungen in Zeitungen lancieren konnte, schlugen israelische Agenten am 11.5.1960 zu und kidnappten Eichmann in Argentinien. Sie entführten ihn nach Jerusalem, wo er am 15.12.1961 zum Tode verurteilt wurde.

Auschwitz-Prozess

Vor allem der Frankfurter Auschwitz-Prozess von 1963 bis 1965 machte Fritz Bauer in einer breiten Öffentlichkeit im In- und Ausland bekannt. Obwohl er hier niemals selbst in Erscheinung trat, sorgte er in seiner Funktion als hessischer Generalstaatsanwalt dafür, dass den ausführenden Anklägern jegliche Unterstützung zukam.

Zuvor hatte Bauer im Februar 1959 durch einen Antrag beim BGH erwirken können, dass alle im Vernichtungslager-Auschwitz begangenen Gräueltaten in die Zuständigkeit des LG Frankfurt fielen.

In einem bis dahin beispiellosen Großverfahren konnte seine Ermittlungsbehörde alleine insgesamt 211 Überlebende Zeugen ausfindig machen. Vor über 20000 Zuschauern am Frankfurter Römer gelang es ihm, den Gesamtkomplex des Holocaust einer breiten öffentlichen Dimension zugänglich zu machen.

Humanistische Union (HU)

Fritz Bauer war 1961 an der Gründung der HU mitbeteiligt und dort als Vorstandsmitglied tätig. Sie ist eine unabhängige Bürgerrechtsorganisation, die sich für den Schutz und die Durchsetzung der Menschen- und Bürgerrechte und für eine größtmögliche Verwirklichung der Freiheitsrechte einsetzt. Hierbei liegen die zentralen Ziele in der Verteidigung von Freiheitsrechten, der Kontrolle staatlichen Handelns, der Förderung politischer Partizipation, dem Abbau von Diskriminierung und der Trennung von Staat und Kirche. Die HU hat ihren Sitz in Berlin und ist mit ihren ca. 1.200 Mitglieder die größte, heute noch bestehende Bürgerrechtsvereinigung.

Fritz-Bauer-Institut

Das Fritz-Bauer-Institut ist ein interdisziplinäres Studien- und Dokumentationszentrum in Frankfurt/Main, das sich, seinem Namensgeber verpflichtet, mit der Geschichte und Wirkung des Holocaust befasst. Es wurde am 11.1.1995 vom Land Hessen, der Stadt Frankfurt/Main und dem Förderverein Fritz-Bauer-Institut e. V. als Stiftung bürgerlichen Rechts gegründet. Die Arbeitsschwerpunkte werden durch vier Arbeitsbereiche abgedeckt: 1. Dokumentation, Archiv und Bibliothek, 2. Erinnerungskultur und Rezeptionsforschung, 3. Pädagogik und historisch-politische Bildung und 4. Zeitgeschichtsforschung

Fritz-Bauer-Preis

Seit 1968 vergibt die HU jährlich den Fritz-Bauer-Preis, der in Erinnerung an ihren Mitbegründer gestiftet ist. Mit ihm werden Frauen, Männer oder Institutionen geehrt, die „unbequem und unerschrocken der Gerechtigkeit und der Menschlichkeit in der Gesetzgebung, Rechtssprechung und Strafvollzug Geltung verschaffen.“ Der Preis ist ein Denkmal für „Verdienste um die Humanisierung, Liberalisierung und Demokratisierung des Rechtswesens“. Den Geehrten wird als äußerem Zeichen eine Medaille mit dem Konterfei Fritz Bauers überreicht; auf der anderen Seite steht:"Gesetze sind nicht auf Pergament, sondern auf empfindliche Menschenhaut geschrieben."

Literatur

  • Fritz Bauer: Eine Grenze hat Tyrannenmacht. Plädoyer im Remer-Prozeß (1951), in: ders., Die Humanität der Rechtsordnung, hrsg. von Joachim Perels und Irmtrud Wojak, Frankfurt a.M. 1998,
  • Irmtrud Wojak: Fritz Bauer 1903-1968. Eine Biographie, Verlag C.H. Beck, Frankfurt 2009