FOTRES

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FOTRES


Einleitung

FOTRES, Forensisches Operationalisiertes Therapie-Risiko-Evaluations-System, ist ein mechanisches Risk-Assessment zur Beurteilung der Rückfallwahrscheinlichkeit von Straftätern.


Entwicklungsgeschichte

FOTRES wurde von dem Züricher Psychiater Frank Urbaniok entwickelt und wird über die Firma Profecta AG vertrieben. Die Entwicklung begann 1997 und mündete 2004 in der 1. Auflage des Handbuches. Ab 2005 stand die Online-Applikation 1.0 zu Verfügung. 2007 folgte die 2. Auflage des Handbuches, seit 2009 liegt FOTRES in der Online-Applikation 2.0 in deutscher Sprache vor. An der Entwicklung und Weiterentwicklung sind unterschiedliche Berufsgruppen, wie z.B. Psychologen, Psychiater, Pflegekräfte, Juristen und Mitarbeiter des Vollzugsdienstes und der Bewährungshilfe beteiligt. Praktische Erfahrungen mit FOTRES liegen bisher aus der Schweiz, Deutschland, Österreich, Großbritannien, Spanien, Tschechien und Japan vor.

Anwendungsbereich

FOTRES wird in den folgenden Arbeitsbereichen angewandt:

  • Einschätzung und Beurteilung des Rückfallrisikos eines Straftäters,
  • Beeinflussbarkeit einer Risikodisposition, z.B. durch therapeutische Interventionen,
  • Dokumentation einer deliktpräventiven Behandlung,
  • Dokumentation einer Behandlung ohne spezifischer therapeutischer Interventionen.

Grundsätzlich ist FOTRES nicht auf bestimmte Deliktarten beschränkt, es wird jedoch fast ausschließlich im Bereich der Persönlichkeitsstörungen sowie der Gewalt- und Sexualstraftaten angewandt, hier liegen auch die meisten Erfahrungen vor.


Grundzüge forensischer Prognostik

Die forensische Prognostik unterscheidet zwischen der Makroebene und der Mikroebene. Die Makroebene richtet den Blick auf die Kriminalitätsprognose und damit auf Entwicklungen der Kriminalität in ihrer Gesamtheit, bei bestimmten Bevölkerungsgruppen oder bei ausgesuchten Deliktformen.

Die Mikroebene beinhaltet die Kriminalprognose und ist auf der Ebene des Individuums angesiedelt. Es geht um Entwicklungen und Eigenschaften von Individuen und um die Vorhersagbarkeit möglicher zukünftiger Straftaten.

Die Kriminalprognose gliedert sich in Urteilsprognose, Behandlungsprognose und Entlassungsprognose. FOTRES ist zwischen der Behandlungs- und der Entlassungsprognose angesiedelt.

Kriminal- und Legalprognosen bilden im deutschen Strafrecht eine Grundlage weiterer juristischer Entscheidungen, z.B. der Fortführung, Veränderung oder Beendigung einer Strafmaßnahme.


Risk-Assessment

Nach Endrass, Rossegger, Braunschweig (2012) ist Risk-Assessment gleichbedeutend mit der Beurteilung einer erneuten Delinquenz bei Straftätern mit dem Ziel einer möglichst genauen Schätzung einer Rückfallwahrscheinlichkeit im Zieldelikt. Die Einschätzung des Merkmals einer Rückfallwahrscheinlichkeit hat einen binären Charakter (Rückfall / kein Rückfall) wo hingegen das Rückfallrisiko auf einer Skala von 0% bis 100% eingeschätzt werden kann.

Vier-Felder-Tafel

Die Vier-Felder-Tafel gilt als eine wichtige Grundlage der Prognoseforschung. Mit der Unterteilung in „Richtig-Positiv“, „Falsch-Positiv“, „Falsch-Negativ“ und „Richtig-Negativ“ versucht sie Aussagen über zukünftig zu erwartende Delinquenz zu treffen.


Gewaltdelikt Kein Gewaltdelikt
Gefährlich Richtig-Positiv Falsch-Positiv
Ungefährlich Falsch-Negativ Richtig-Negativ

Abbildung: Vier-Felder-Tafel (nach Urbaniok, 2007, S.20)

„Die Vier-Felder-Tafel wird verwendet, um auf grundsätzliche Beschränkungen der Zuverlässigkeit prognostischer Urteile und die damit verbundenen theoretischen Fehlermöglichkeiten hinzuweisen“ (Urbaniok, 2007, S.20).

„Richtig-Positive“ sind Personen, denen eine ungünstige Prognose gestellt wurde und die erneut straffällig wurden. Als „Falsch-Positive“ bezeichnet man Personen, denen eine ungünstige Prognose erstellt wurde und die nicht erneut straffällig wurden. „Falsch-Negative“ Personen haben eine günstige Prognose erhalten und sind erneut straffällig geworden. Als „Richtig-Negative“ werden Personen bezeichnet, die eine ungünstige Prognose erhalten haben und erneut straffällig wurden.

Zur Prognose der Wahrscheinlichkeit von erneuten Straftaten unterscheidet Urbaniok personenbezogene Dispositionen und situative Faktoren. Im ersten Fall wird eine Situation durch den Täter geprägt, im zweiten Fall prägt eine Situation den Täter.

Je deutlicher eines der beiden Merkmale ausgeprägt ist, desto mehr „...günstige Voraussetzungen für Verhaltensprognosen...“ liegen vor (Dahle, 1997). Nach Urbaniok bereitet das „Mittelfeld-Problem“ die größten Schwierigkeiten, da hier keine genaue Zuordnung als „positiv“ oder „negativ“ zu treffen ist. Das System der Vier-Felder-Tafel ist weit verbreitet, sie kann jedoch nicht als alleiniges Prognoseverfahren zur Beurteilung der Rückfälligkeit von Straftätern herangezogen werden.

FOTRES verfolgt nicht das Ziel, „Falsch-Positive“ Prognosen auszuschließen, sondern eine korrekte Zuordnung der untersuchten Personen bzgl. ihrer individuellen Rückfallwahrscheinlichkeit zu erreichen.

Anwendungsvoraussetzungen

Vor der Anwendung von FOTRES erfolgt eine gründliche Sichtung und Auswertung der Aktenlage. Während der Anwendung erfolgt die standardisierte Abarbeitung von insgesamt 321 Items durch den Behandler. In Ausnahmefällen ermöglicht FOTRES dem geübten Anwender die Durchführung allein auf Grundlage einer sehr guten Aktenlage.

FOTRES ist nach Endrass und Rossegger (2012, S.91f) auf der Grundlage der folgenden, aufeinander aufbauenden sieben Hypothesen entwickelt worden:

"Das Rückfallrisiko muss spezifisch für ein „Zieldelikt“ ausgewiesen werden."

  • Das Rückfallrisiko wird immer für ein spezifisches Zieldelikt eingeschätzt und nicht generell für eine mögliche erneute Delinquenz. Das Zieldelikt kann eng (sexuelle Übergriffe auf Kinder) oder weit (sexuelle Übergriffe) gefasst sein. Es wird auf der Grundlage aktueller und früherer Delikte definiert, die nicht zwangsläufig gemäß einer juristischen Einordnung erfolgend müssen. Entscheidend ist der hinter den Delikten stehende Deliktmechanismus.

"Die Schätzung des Rückfallrisikos und die Planung der therapeutischen Intervention setzen eine Hypothese zum Deliktmechanismus voraus."

  • Im Deliktmechanismus wirken situative und personale Merkmale zusammen. Es wird davon ausgegangen, „…dass das Rückfallrisiko umso höher ist, je geringer der Einfluss spezifischer situativer und desto grösser der Einfluss personaler Merkmale für das Zustandekommen des Deliktes waren“. (Endrass, Rossegger, 2012, S.91)

"Der Deliktmechanismus ist anhand „prognostischer Syndrome“ zu beschreiben."

  • FOTRES enthält 40 tatrelevante Problembereiche bzw. Prognostische Syndrome, aus denen der Anwender diejenige auswählen soll, die einen erheblichen Einfluss auf die Entstehung bzw. Ausgestaltung des Zieldeliktes haben.

"Prognostische Syndrome lassen sich nur zum Teil in die Nosologie von Klassifikationssystemen psychischer Erkrankungen (ICD / DSM) überführen."

  • Die von FOTRES verwendeten Syndrome sind nicht mit den gängigen Klassifikationssystemen kompatibel; hoch rückfallgefährdete Täter müssen nicht zwangsläufig eine psychiatrische Erkrankung aufweisen.

"Die Höhe des Rückfallrisikos und die Veränderbarkeit des Rückfallrisikos müssen unabhängig von einander beurteilt werden."

  • Anhand der Schätzung des Rückfallrisikos muss zwingend die Veränderbarkeit des Rückfallrisikos durch therapeutische Interventionen eingeschätzt werden.

"Das aktuelle Rückfallrisiko eines Straftäters sollte dem Strukturellen Rückfallrisiko gegenüber gestellt werden. Es setzt sich aus Veränderungen im Strukturellen Rückfallrisiko und Kompensationsmechanismen zusammen."

  • Veränderungen im Strukturellen Rückfallrisikos bedingen Persönlichkeitsänderungen und wirken so risikosenkend.

"Die Beurteilung des aktuellen Rückfallrisikos sollte sich auf Merkmale des Täters konzentrieren und nicht Umgebungsfaktoren (wie z.B. Arbeit, Partnerschaft) als entscheidende Größen berücksichtigen."

  • Potenziell labile Faktoren wie Arbeit oder Partnerschaft können im Einzelfall stabilisierend wirken, dürfen aber wichtige Entscheidungen, wie z.B. Lockerungen, nicht allein beeinflussen.

Aufbau von FOTRES

FOTRES gehört zu den mechanischen bzw. aktuarischen Risk-Assessment-Instrumenten der Beurteilung. Mechanische Methoden sind vollständig standardisiert und folgen einem festgelegten Regelwerk. Individuelle Änderungen oder Anpassungen durch den Anwender sind nicht möglich. Nach Endrass, Rossegger, Braunschweig (2012) sind mechanische Methoden den klinischen Methoden überlegen. FOTRES ist operationalisiert und auf den Einzelfall bezogen.

FOTRES ist in die zwei Skalen-Gruppen Risk-Need-Assessment (RNA) mit 223 Items und dem Risk-Management (RM) mit 98 Items unterteilt. Beide Bereiche werden aufeinander aufbauend bearbeitet.


Risk-Need-Assessment (RNA)

Das Risk-Need-Assessment (RNA) ist in zwei Beurteilungsebenen gegliedert und „...bildet risikorelevante Persönlichkeitsmerkmale und Verhaltensweisen zum Zeitpunkt der Intervention ab“ (www.fotres.ch).


  • Strukturelles Rückfallrisiko (ST-R) und die
  • Beeinflussbarkeit (BEE).

Das Strukturelle Rückfallrisiko (ST-R) bezieht sich auf Merkmale des Täters, die in der Vergangenheit liegen und die unveränderlich sind (Haftstrafen) bzw. auf Merkmale, die nur langfristig veränderbar sind (Persönlichkeit). Im Strukturellen Rückfallrisiko (ST-R) wird eine Einschätzung über die Rückfallneigung und eine Notwendigkeit der Therapie getroffen.

Das Strukturelle Rückfallrisiko (ST-R) wird in drei Gruppen unterteilt:

  • Delinquenznahe Persönlichkeitsdisposition,
  • Spezifische Problembereiche mit Tatrelevanz,
  • Tatmuster.

Die Beeinflussbarkeit (BEE) trifft eine Einschätzung darüber, ob und in welcher Form das Strukturelle Rückfallrisiko (ST-R) risikosenkend beeinflusst werden kann. Es unterteilt sich in zwei Gruppen:

  • Erfolgsaussicht,
  • Ressourcen.


Risk-Management (RM)

Das Risk-Management (RM) enthält vier Beurteilungsebenen, es „...bildet die aktuelle Ausprägung risikorelevanter Persönlichkeitseigenschaften bzw. Verhaltensweisen“ (www.fotres.ch).

  • Strukturelles Rückfallrisiko Aktuell Simuliert (ST-R-AS),
  • Dynamische Risikoverminderung (DY-R),
  • Aktuelle Dynamische Risikoverminderung (DY-R-A),
  • Aktuelle Beeinflussbarkeit (BEE-A).

Das Strukturelle Rückfallrisiko Aktuell Simuliert (ST-R-AS) untersucht, ob individuelle Risikomerkmale verändert wurden und damit eine Persönlichkeitsveränderung eingetreten ist. Die Dynamische Risikoverminderung (DY-R) fragt nach dem Umfang möglicher Kompensationsfähigkeiten des Täters, also nach dem individuellen Umgang mit dem Risiko und der Fähigkeit einer Rückfallvermeidung.

Die Aktuelle Dynamische Risikoverminderung (DY-R-A) ist ein Gradmesser für die Dynamische Risikoverminderung (DY-R), da äußere Faktoren labil und schnell veränderbar sind, es bedarf dazu keiner tiefgreifenden und grundlegenden Persönlichkeitsänderung des Täters.

Literatur

  • Dahle, Klaus-Peter:Kriminalprognosen im Strafrecht: Psychologische Aspekte individueller Verhaltensvorhersagen. In: Steller, M. und Volbert, R. (Herausgeber): Psychologie im Strafverfahren, Seiten 119-140, Bern, 1997
  • Endrass, Rossegger, Braunschweig: Einführung ins Risk-Management, in: Endrass et.al.:Interventionen bei Gewalt- und Sexualstraftätern, Berlin, 2012
  • Endrass, Jérome; Rossegger,Astrid: Forensisches Operationalisiertes Therapie-Risiko-Evaluations-System 2.0 (FOTRES) in: Forum Strafvollzug 2/2012, S. 90-94
  • Urbaniok, Frank: FOTRES, Oberhofen, 2007

Weblink

www.fotres.ch