Europäischer Haftbefehl

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Der Europäische Haftbefehl (EUHB) ist die von einem Gericht eines EU-Staates ausgehende Anordnung zur Festnahme einer Person. Statt des langwierigen diplomatischen Weges der Beantragung einer Festnahme und Auslieferung im Wege der Rechtshilfe soll der EUHB in dieser Hinsicht einem Zustand nahekommen, der in einem gemeinsamen Rechtsraum existierte: ein Staat will jemanden festnehmen und alle anderen Staaten tun so, als gehörten sie zu demselben Staat. Der Haftbefehl eines Staates gilt für alle anderen EU-Staaten, als wäre es ein eigener.

Bemerkenswert sind einige Besonderheiten:

  • der weitgehende Verzicht (bei 32 Tatbeständen, darunter Computerkriminalität und Rassismus) auf das Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit,
  • die allgemeine Verpflichtung zur Auslieferung eigener Staatsangehöriger,
  • die Einbindung von Hilfsinstrumenten und Organen (wie: Eurojust, Europäisches Justizielles Netz, SIS).


Deutschland

Das zuerst vom Bundestag verabschiedete Gesetz über den Europäischen Haftbefehl (EuHbG)[2] war nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2005 verfassungswidrig und nichtig. Das Gesetz greife unverhältnismäßig in das Grundrecht auf Auslieferungsfreiheit [3] und die Rechtsweggarantie [4] ein. Deutschland habe die EU-Vorgabe nicht grundrechtsschonend umgesetzt, so die Urteilsbegründung. Zu dem Urteil haben drei Richter jeweils ein Sondervotum abgegeben. Beschwerdeführer war der in Auslieferungshaft für Spanien einsitzende terrorverdächtige Deutsch-Syrer Mamoun Darkazanli. siehe auch: Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Europäischen Haftbefehl

Bundestag und Bundesrat reagierten darauf mit einem Gesetzgebungsverfahren für eine erneute Auflage des EuHbG. Dabei wurden die vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig monierten Punkte überarbeitet, die übrigen Regelungen weitgehend aus dem ursprünglichen Gesetz übernommen.

Das neue Umsetzungsgesetz wurde am 20. Juli 2006 vom Bundespräsidenten Horst Köhler unterschrieben und am 25. Juli 2006 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht.[5] Das Gesetz trat am 2. August 2006 in Kraft.


Großbritannien

Aufgrund eines von deutschen Behörden ausgestellten EUHB (European Arrest Warrant) wurde eine Person am 1.10.2008 auf dem Londoner Flughafen Heathrow Flughafen festgenommen, die auf dem Weg von den USA nach Dubai war. Der EUHB bezog sich auf Publikationen von "'antisemitischem und/oder revisionistischem' Material". Der Verhaftete erklärte, dies sei in Großbritannien nicht strafbar. Es handele sich um einen rechtlichen Hinterhalt, in den er bei der Zwischenlandung geraten sei. Man wolle seine Ansichten - die er aufgrund des Menschenrechts der Meinungsfreiheit äußern dürfe - kriminalisieren. Er bat darum, nicht nach Deutschland ausgeliefert zu werden. Wenn er aus Großbritannien hinausgeworfen würde, dann verspreche er, nie wieder in dieses Land zurückzukehren". Das Gericht von Westminster erklärte den EUHB in diesem Fall für ungültig (29.10.08). Der Richter zeigte sich unzufrieden mit dem Beweismaterial. Die deutschen Behörden kündigten Beschwerde beim High Court an. Töben wurde mit strengen Auflagen im Hinblick auf Kommunikation udn Reisen freigelassen.


Polen

In Polen erlaubt die Verfassung weiterhin nicht die Auslieferung polnischer Staatsbürger. Die Bestimmungen, die in die Strafprozessordnung zur Umsetzung des EU-Rahmenbeschlusses eingefügt wurden, sind verfassungswidrig. Das polnische Verfassungsgericht ordnete an, der Gesetzgeber habe innerhalb von 18 Monaten die Bestimmungen der Strafprozessordnung verfassungs- und völkerrechtskonform zu gestalten. Nach Ablauf von 18 Monaten nach Verkündung des Urteils treten die verfassungswidrigen Bestimmungen außer Kraft. Das Urteil wurde am 4. Mai 2005 verkündet.


Literatur

  • Heiko Ahlbrecht: Internationales Strafrecht in der Praxis. Müller, Heidelberg 2008, ISBN 978-3-8114-4352-5
  • Stefan Braum: Der Europäische Haftbefehl – Motor europäischer Strafrechtspflege? – Bemerkungen zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 3. Mai 2007 Rechtssache C-303/05 (Advocaten voor de Wereld VZW vs. Leden van de Ministerraad) – In: wistra. Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 26. Jg., 2007, S. 401-405.
  • Eckhart von Bubnoff: Der Europäische Haftbefehl. C.F. Müller, Heidelberg 2005, ISBN 3-8114-7345-X.
  • Bernd von Heintschel-Heinegg, Daniel Rohlff: Der Europäische Haftbefehl. In: GA 2003, ISSN 0017-1956, S. 44.
  • Johannes N. Henke: "Der Europäische Haftbefehl - Entwicklung und Schwierigkeiten", Meidenbauer, München 2008, ISBN 978-3-89975-846-7
  • Pawel Nalewajko: Der Europäische Haftbefehl: aktuelle Entwicklungen in Polen. In: Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik Nr. 3/2007, S. 113-118 online-Ausgabe (PDF, 0,1 MB)
  • Daniel Rohlff: Europäischer Haftbefehl. Lang, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-631-51181-7.
  • Helmut Seitz: Das Europäische Haftbefehlgesetz. In: Neue Zeitschrift für Strafrecht 2004, ISSN 0720-1753, S. 546.
  • Frank Schorkopf (Hrsg.): Der Europäische Haftbefehl vor dem Bundesverfassungsgericht. Siebeck, Tübingen 2006, ISBN 3-16-148983-7.
  • Bernd Schünemann: Europäischer Haftbefehl und EU-Verfassungsentwurf auf schiefer Ebene. In: Zeitschrift für Rechtspolitik 2003, ISSN 0514-6496, S. 185.* Carsten Wegner: Vorschlag der Europäischen Kommission für einen Europäischen Haftbefehl. In: Der Strafverteidiger 2003, ISSN 0720-1605, S. 105.