Elite

Aus Krimpedia – das Kriminologie-Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Elite

Im Rahmen der soziologischen Eliteforschung lag bislang der Fokus vor allem auf der Frage der Beziehung zwischen Elitezirkulation und Regimewechseln (vgl. Reitmayer 2010) und der Zugangswege und Selektionskriterien zu (Teil-)Eliten in den führenden Industrieländern, die von VertreterInnen der klassischen, funktionalistischen wie elitekritischen Theorien unterschiedlich diskutiert worden sind (vgl. Hartmann 2008:9ff).

Darüber hinaus haben einige Soziologen in den 70´er Jahren des 20. Jahrhunderts Elitemodelle entwickelt, mit deren Hilfe sie die politischen Eliten der unterschiedlichen Gesellschaftssysteme historisch wie aktuell einzuordnen und kategorial zu beschreiben versuchten. Dabei gelangten Field & Higley in ihrem sehr einflussreichen theoretischen Ansatz (vgl. Hartmann 2008:68) zu Schlussfolgerungen von politischer wie kriminologischer Relevanz.

Etymologie

Das Wort Elite ist als erweiterter Standardwortschatz seit dem 17. Jahrhundert gebräuchlich; aus dem französischen entlehnt „elite“ = „das Auserwählte“, abgeleitet von „elire“ = „auswählen“. Ursprünglich stammend aus dem Lateinischen „eligere“ = „auswählen“ bzw. „aussuchen“. Kompositum des einfachen Verbs „legere“ = „lesen“ mit dem Präfix „ex“ = „aus“ verändert sich unter Einwirkung des vorhistorischen Akzents von „ex-legere“ zu „e-ligere“.

Definition

Elite gilt im allgemeinen Sprachgebrauch als Bezeichnung für eine soziale Gruppe, die sich durch hohe Qualifikationsmerkmale sowie Leistung definiert, in zentralen gesellschaftlichen Funktionsbereichen verortet ist und maßgeblichen Einfluss auf gesamtgesellschaftliche Entwicklungen auszuüben vermag. Im Rahmen der sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung verweisen dabei die unterschiedlichen Komposita wie Machtelite, Bildungselite, Leistungselite, Funktionselite etc. implizit auf die Abgrenzung zur Herkunftselite bzw. Geburtselite im Sinne des Ancien Régime (vgl. Elias 1983:35f). Gleichwohl werden sog. Abstammungseliten, sofern sie sich in bestehenden Gesellschaftssystemen auffinden lassen, im Rahmen von Elitetypologien nicht explizit ausgeschlossen (vgl. Field/Higley1983:50f; Giddens 1984:147).

Historie/Entwicklung in der Verwendung des Begriffs

In einem spezifisch politischen Wortsinne wird Elite im 18. Jahrhundert erstmals in Frankreich von den bürgerlichen gegen adlige Notabeln und den Klerus gebraucht zur Hervorhebung individueller Leistung gegenüber familiärer Abstammung zur Besetzung gesellschaftlicher Spitzenstellungen (vgl. Hartmann 2008: 9 f; Haupt 1989: 128 ff).

Eine Veränderung in der Verwendung des Elitebegriffs in Richtung einer polaren Betrachtung von Elite versus Massen erfolgt schließlich im 19. Jahrhundert. Mit dem sich in Europa vollziehenden gesellschaftlichen Strukturwandel auf der Grundlage der Bevölkerungsexplosion und der sich gegenseitig verstärkenden Industrialisierung und Verstädterung wurde seitens des Bürgertums und deren Intelligenz nunmehr die städtische Masse, insbesondere die industrielle Arbeiterklasse, als Bedrohung erlebt (vgl. Häußermann/Siebel 2004:19ff). Ihr wurde unterstellt die herrschende Ordnung im Sinne allgemeiner Kriminalität aber auch politisch subversiver Bestrebungen zu gefährden. In der Soziologie entwickelten sich vor diesem Hintergrund die klassischen Elitetheorien von Mosca, Michels und Pareto mit ihrer Betonung der Notwendigkeit der Herrschaft einer überlegenen kleinen Elite über die große Masse (vgl. Hartmann 2008:13ff).

Eine neue Elitesemantik als christliche Wertelite kristallisiert sich nach dem Zweiten Weltkrieg bis ca. Mitte der 1950´er Jahre insbesondere in der alten BRD heraus. Sie bestand in der politisch ideellen Forderung, Inhaber gesellschaftlicher Spitzenpositionen christlichen Wertbindungen zu unterwerfen und diesbezüglich gesellschaftlich Einfluss zu nehmen (vgl. Reitmayer 2014:12f).

Seit den 1960´er Jahren bis heute dominiert eine eher funktionalistische Vorstellung der Existenz von mehreren Eliten innerhalb jeweils einer Gesellschaft, als sogenannte Sektor- oder Teileliten (in Politik, Wirtschaft, Militär, Justiz, Medien usw.) bzw. Positions-, Funktions- und/oder Leistungseliten (vgl. Hartmann 2008:9f). In dieser Lesart befinden sich Personen oder eine soziale Gruppe aufgrund individueller Leistung in strategischen Positionen im Bereich öffentlicher und privater Organisationen und sind mit der Möglichkeit ausgestattet, gesellschaftliche und politische Entwicklungen nachdrücklich zu beeinflussen (vgl. Field/Higley 1983:34; Hartmann 2008:8f).

Typologien von Eliteformationen

Dahrendorf entwirft ein Elitemodell von sozialen Machteliten anhand ihrer Stellung und sozialen Gestalt (Art der Rekrutierung, Sozialbiographie etc.) und ihrer politischen Haltung (Einheitlichkeit vs. Vielfältigkeit der politischen Haltungen oder Meinungen). Hieraus leitet er vier Idealtypen ab (autoritär, totalitär, liberal und eine nicht näher begrifflich definierte). Hiermit versucht Dahrendorf nunmehr die Wandlungen der deutschen Elite von der Kaiserzeit (autoritär) über den Nationalsozialismus (totalitär) bis in die Gegenwart zu bestimmen - DDR mit totalitärer Elite; politische Elite der BRD in einem demokratischen Wandlungsprozess begriffen, was aber nicht berechtige, sie bereits als liberal zu bezeichnen. (vgl. Dahrendorf 1971:245ff).

Giddens bildet ein Elitemodell mithilfe der Kombination der Strukturierungsaspekte der Rekrutierung (offen vs. geschlossen) und ihrer Integration (Häufigkeit und Art sozialer Kontakte zwischen Angehörigen von Elitegruppen) und kommt auf der Grundlage einer Vier-Felder Tafel zu einer Elitetypologie. Eine ´uniforme Elite` mit geschlossenem Rekrutierungspattern und hoher Integration würde mit dem indischen Kastensystem eine annähernde Entsprechung haben, eine ´solidarische Elite` mit hoher Integration und offener Rekrutierung identifiziert er in den staatssozialistischen Ländern, ´die abstrakte Elite´ mit offener Rekrutierung und niedriger Integration sei den kapitalistischen Ländern eigen. Auf die etablierte Eliteformation (geschlossene Rekrutierung/niedrige Integration) geht er nicht weiter ein (vgl. Giddens 1979:144ff).

Elitistisches Modell von Field und Higley

Theoretische Verortung

In ihrem Buch ´Elitism` aus dem Jahr 1980 verorten G. Lowell Field und John Higley ihr elitistisches Modell zwischen den klassischen Elitekonzepten von Pareto, Michels und Mosca und dem marxistischen Modell. Die Autoren halten die den klassischen Elitekonzepten zugrundegelegte Annahme für falsch, dass Eliten unbegrenzt und unkontrolliert von den Massen handeln können. Vielmehr seien Eliten in ihren Handlungen von der Unterstützung der Nicht-Eliten begrenzt. Die politischen Einstellungen und Argumentationen von Eliten müssten ihre grundsätzliche Entsprechung in den Haltungen der Nicht- Eliten haben (vgl. Field/Higley 1983:33). Gegenüber dem Marxismus, der die dialektischen Entwicklungsgesetze des Bewusstseins als Widerspiegelung sozio-ökonomischer Kräfteverhältnisse betrachtet, und gesellschaftliche Veränderungsprozesse demzufolge aus den Widersprüchen von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen (vgl. Marx 1969:720) und aus den Beziehungen zwischen antagonistischen Klassen erklärt, (vgl. MEW 1983:416ff) behaupten Field/Higley, dass „die Produktionsverhältnisse mehr als irgendein anderer Faktor die Art und Weise beeinflussen, wie Menschen ihre Welt politisch und sozial sehen“ (Field/Higley 1983:40). Insofern sei die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts weniger eine Geschichte von Klassenkämpfen als eine „Geschichte der Konkurrenz zwischen egalitären und antiegalitären Strömungen“ (Claessens 1992: 224) zu begreifen.

Die vier unterschiedlichen sozioökonomischen Entwicklungsniveaus, die mit der Ausprägung bestimmter Nicht-Elite-Orientierungen einhergeht, sind an der sogenannten „Drei-Sektoren-Theorie“ von Colin Clark und Daniel Bell angelehnt. Der „Drei Sektoren-Theorie“ zufolge verschieben sich im Laufe der Wirtschaftsgeschichte die Schwerpunkte der Beschäftigungs- und Konsumstrukturen vom primären zum sekundären bis zum tertiären Sektor. Dabei betrachtet Bell die sich auf dem tertiären Sektor etablierenden postindustriellen Gesellschaften bzw. Wissensgesellschaften vor allem hinsichtlich ihrer produktionsorientierten Dienstleistungen, insbes. ihres technologischen Aspekts der Rationalisierung der industriellen Produktion (vgl. Häußermann/Siebel 1995:27f). Nach Field/Higley können Eliten thematisch und argumentativ nur in der Begrenzung der Nicht-Eliten Orientierung operieren, die sich auf vier bezeichneten Entwicklungsniveaus ergeben. Andernfalls riskieren sie den Verlust ihres Einflusses und damit auch ihren Elite- Status (vgl. Field/Higley 1983:33).

Sozioökonomische Entwicklungsniveaus der Konfiguration von Nicht-Elite Orientierungen

Es lassen sich im Sinne der Autoren Field & Higley drei grundsätzliche Nicht-Elite Orientierungen bzw. Haltungen bestimmen:

egalitär - eine solche Grundhaltung zielt auf soziale Gleichheit, d.h. auf gleichmachende Maßnahmen und Lösungen, selbst wenn es die eigene Person oder Gruppe entprivilegierend treffen würde

anti-egalitär – bejaht demgegenüber Ungleichheit und bedeutet, dass man gegen gleichmachende Lösungen eingestellt ist und auf Unterschiede durch Geburt oder Leistung setzt. Diese Haltung orientiert sich an Hierarchie, Aufstiegsmöglichkeiten, Leistungen jedweder Art, unterschiedliche Lebensstandards und wehrt sich gegen Abschaffung erworbener Privilegien (vgl. Claessens 1992:87ff).

manageriell – diese Grundhaltung wird auf der vierten sozioökonomischen Stufe dominierend, bei der die überwiegende Anzahl von Menschen in einer Dienstleistungsgesellschaft Hierarchien und unterschiedliche Statusse akzeptiert, weil sie sie im Rahmen ihrer Tätigkeiten in bürokratischen Organisationen als unvermeidlich und notwendig erlebt haben. (vgl. Field/Higley 1983:40f)

Diese o.g. Nicht-Eliten Orientierungen/Haltungen haben auf den verschiedenen sozio-ökonomischen Entwicklungsniveaus eine unterschiedlich starke Gewichtung, die nachfolgend skizziert werden:

Auf Niveau 1 handele es sich um erheblich unterentwickelte Gesellschaften, in denen kooperative und fast gleiche Beziehungen zwischen den arbeitenden Menschen bestanden haben (westliche Gesellschaften vor dem 16. Jahrhundert und die Masse der Weltbevölkerung vor dem 20. Jahrhundert). Hier bestehe eine vorwiegend egalitäre und anti-hierarchische Orientierung der Menschen.

Auf Niveau 2 wiesen Gesellschaften eine Konzentration von Handwerksbetrieben und Manufakturen mit fabrikähnlicher Arbeitsweise bei zunehmender Stadtbildung auf (Gesellschaften, die ab 1600 nationalstaatliche Prägung aufweisen bis ausgehendes 18. Jahrhundert in England bzw. im 19. Jahrhundert, Russland Anfang des 20. Jahrhunderts). Dort regieren Eliten mit relativ geringer Nicht-Eliten Einmischung, wiewohl eine vorwiegend egalitäre Haltung der Nicht-Eliten dominiere; in Ausnahmen führten Elitekonflikte zu Revolutionen (England, Frankreich, Russland).

Auf Niveau 3 sei die Gesellschaft organisiert auf dem Niveau von Industrie. Gegenüber einer mächtigen und organisierten Arbeiterklasse mit einer egalitären Grundhaltung habe es eine weniger organisierte, aber dafür eine Mehrheit von Nicht-Elite Angehörigen mit einer anti-egalitären Haltung gegeben - (England habe das Niveau Ende des 18. Jahrhunderts, die USA und die meisten europäischen Nationalstaaten zwischen Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts erreicht).

Auf Niveau 4 korrespondieren Anstiege der Agrar- wie Industrieproduktivität mit einer Abnahme der Anzahl der im primären und sekundären Sektor Beschäftigten aufgrund höchst entwickelter Technologie und der damit verbundenen Rationalisierungsvorgänge. Demgegenüber kommen im tertiären Sektor Dienstleistungen im Bereich von Erziehung oder Gesundheitswesen bzw. im Freizeitbereich der Gesamtbevölkerung zugute, ohne dass der tertiäre Sektor die Arbeitskräfte, die im primären und sekundären Sektor freigesetzt worden sind, habe aufnehmen können. Großbritannien und USA haben dieses Niveau zwischen 1918 und 1939 erreicht – alle anderen Staaten auf dem europäischen Festland, Australien, Neuseeland und Kanada zwischen 1950 und den 1970´er Jahren. Hier dominiere eine managerielle Haltung bei den Nicht-Eliten (vgl. Field/Higley 1983:39ff).

Elite-Typologien

Die Intensität und die Folgen politischer Konflikte auf den jeweiligen sozioökonomischen Niveaus hängen von dem Elitetypus ab, der in der jeweiligen Gesellschaft vorherrsche. Field/Higley unterscheiden grundsätzlich die `unter sich uneinigen Eliten` von den `unter sich einigen Eliten`. Bei letzteren findet eine Binnendifferenzierung in `ideologisch geeinte Eliten`, `unvollständig geeinte Eliten´ und `Konsensus Eliten´ statt.

In sich uneinige Elite – typisch sei die Bildung von Cliquen, Fraktionen und größeren Allianzen sowie die rücksichtslose (blutige) Bekämpfung zur Gewinnung von Positionsvorteilen, Anhängerschaften und Macht. Die unterschiedlichen Elitefraktionen appellieren an die jeweiligen egalitären oder nicht egalitären Gruppen der Nicht- Eliten und erlangen deren Unterstützung durch Täuschungsmanöver (Appell an religiösen Glauben, ethnische Vorteile, aber auch egalitäre Prinzipien). Kennzeichnend für diesen Elitetypus sei eine ständige politische Instabilität (vgl. Field/Higley 1983:49ff). Auf Niveau 3 führen egalitäre Appelle nicht mehr zu Revolutionen wegen der Vorherrschaft der nicht-egalitären Orientierung der Nicht-Eliten; die historische Chance diesbezüglich legal an die Macht zu kommen sei bei den Industriegesellschaften um 1895 vertan gewesen (vgl. Claessens 1992:224).

Ideologisch geeinte Elite – sie entwickle sich aus der Führerschaft einer engmaschig organisierten und ideologisch klar definierten politischen Bewegung heraus. Hier bleiben die Institutionen stabil, auch weil Abweichler streng bestraft werden. Die herrschende Elite wende in ihrer zentralisierten Bürokratie ihre Ideologie eng auf die Erledigung aller politischen Fragen an. Historisch entstand sie z.B. auf Niveau 2 in Russland durch eine gleichmachende Revolution (1917/1921) und auf Niveau 3 durch populistische, anti-egalitäre Ideologie mit einem widerstandslosen Ergeben eines großen Teils der bisherigen Elite. (Italien 1922, Deutschland 1933)

Unvollständig geeinte Elite – eine nicht egalitäre Elitenfraktion demonstriere durch eindeutige Wahlgewinne oder anderer Art demonstrativer Politik ihren Machtanspruch, während dessen die egalitäre Elite scheinbar vom Machtzugang trotz Protesten ausgeschlossen bleibe. Dadurch verringere sich die Bereitschaft der egalitären Elite sowie deren Chance auf einen revolutionären Machtwechsel. Es komme zur Ausbildung relativ sicherer Institutionen. Bei anhaltender wirtschaftlicher Stabilität (z.B. Italien in der unmittelbaren Nachkriegszeit, Deutschland CDU- SPD Konstellation in der Adenauer Zeit) bestehe die Chance des Wechsels in eine Konsensus Elite.

Konsensus Elite – die Einheit der Elite bestehe de facto im Fehlen von Mitgliedern, die feindliche Nicht-Eliten Orientierungen organisieren. Es bestehe die Neigung von Mitgliedern öffentlich zu opponieren unter Anerkennung der etablierten Institutionen. Diese Konstellation des Elitetypus sei Vorbedingung für eine demokratische Gesellschaft und korrespondiere mit unblutigen Machtwechsel auf parlamentarischer Basis, Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit. Historisch entstand sie vielfach in sich selbst regierenden Kolonien oder sonst abhängiger Gebiete als Opposition gegen drückende Fremdherrschaft (z.B. USA, Niederlande, Kanada, Australien, Neuseeland, BRD nach Ende der Besatzung 1955) (vgl. Field/Higley 1983:49ff).

Zugang zu Eliten

In vielen Gesellschaften ist der Zugang zur (Einkommens- und Prestige-) Elite durch das (höhere) Bildungswesen prästrukturiert: wer es bis ins erste Semester an der University of Chicago geschafft hat, kann davon ausgehen, dass er oder sie locker zur Elite gehören wird - einkommens- und prestigemäßig (vgl. Abbott 2003).

Kriminologische und politische Relevanz des elitistischen Modells

Nach Field und Higley habe „das elitistische Modell praktische Bedeutung wie auch eine erhebliche erklärende und prognostische Kraft“ (Field/Higley 1983:83). Ihre Begründungen wie Schlussfolgerungen unterliegen erklärtermaßen einem streng normativen Verständnis von Elite. Zunächst behaupten sie die normative Überlegenheit von Konsensus Eliten, gefolgt von der unvollständig geeinigten Elite und zuletzt der zerstrittenen wie ideologisch geeinten Elite. Diese Hierarchie der Präferenzen ergebe sich aus der Frage nach dem Maß an Ermöglichung von weitreichender und zuverlässiger politischer Freiheit. Zum anderen sind sie der Überzeugung, dass konstruktive gesellschaftliche Transformationen in Richtung einer Demokratisierung nur von strategisch platzierten Angehörigen einer Gesellschaft, also Eliten, bewirkt werden können. Sie seien die wichtigsten Akteure für grundlegenden Wandel (Field/Higley 1983:91). Grundsätzlich seien aber nur die westlichen Eliten in der Lage, die „Konflikte zwischen entwickelten und sich entwickelnden oder unentwickelten Ländern zu managen“ (Field/Higley 1983:141), welches aber deren geschärftes Rollenbewusstsein von sich selbst und ihrer Bedeutung voraussetze.

Im Hinblick auf die Möglichkeit wesentliche politische Veränderungen in diesen Ländern in Richtung Demokratisierungsprozesse zu bewirken, sind die Autoren allerdings skeptisch. Die politische Geschichte zeige, dass sich demokratische Gesellschaften nur dann entwickelt haben, wenn auf dem sozio-ökonomischen Niveau 2 oder Niveau 3 entweder Konsensus Eliten schon vorher bestanden haben oder unvollständig geeinte Eliten begünstigt durch einen Zeitraum wirtschaftlicher Prosperität sich in Konsensus Eliten umgewandelt haben (Field/Higley 1983:91). Zudem habe in diesen Ländern höchstwahrscheinlich bereits ein „erhebliches Übergewicht in der Weltwirtschaft“ (Field/Higley 1983:82) bestanden. Diese Umstände, mit denen sich Transformationsprozesse in den modernen industrialisierten Ländern zu liberalen Demokratien entwickelt haben, seien aber günstig und einmalig gewesen und kehrten nicht wieder (vgl. Field/Higley 1983:129; Hartmann 2008:70).

In den meisten nicht westlichen Gesellschaften gebe es demgegenüber für eine solche Eliteformation keine Grundlage. Daher seien Versuche westlicher Staaten durch Interventionen bei eskalierenden Konflikten in sich entwickelnden Ländern liberale Werte zu implementieren, grundsätzlich zum Scheitern verurteilt (vgl. Field/Higley 1983:72). Dies gebe den dort unterstützten Eliten nur die Möglichkeit, ihre verfeindeten Gegeneliten zu unterdrücken (Field/Higley 1983:105) und habe mit großer Wahrscheinlichkeit die Installierung einer Diktatur zur Folge (Field/Higley 1983:90). Problematisch sei darüber hinaus, dass mit dem Transfer kapitalintensiver und arbeitssparender Technologie in sich entwickelnde Länder auf Niveau 2 ein Modernisierungsschub in Gang gesetzt werde, über den ein großer Teil der im primären Sektor Beschäftigten sich fortan im schlecht bezahlten Dienstleistungssektor oder Arbeitslosigkeit wiederfinde, für die keine adäquate politische Lösung bereitstehe (Field/Higley 1983:135 f).

Literaturverzeichnis

Abbott, Andrew (2003) Welcome to the University of Chicago

Claessens, Dieter (1992): Kapitalismus und demokratische Kultur. Frankfurt a.M.

Dahrendorf, Ralf (1971): Gesellschaft und Demokratie in Deutschland. München

Elias, Norbert (2002): Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie. Frankfurt a.M.(Textidentisch mit der 1.Aufl. von 1983)

Field, G.Lowell/Higley, John (1983): Eliten und Liberalismus. Opladen

Giddens, Anthony (1984): Die Klassenstruktur der fortgeschrittenen Gesellschaft. Frankfurt a.M.

Hartmann, Michael (2008): Elitesoziologie. Eine Einführung. Frankfurt a.M. (Erstausgabe 2004)

Haupt, Heinz-Gerhard (1989): Sozialgeschichte Frankreichs seit 1789. Frankfurt a.M.

Häußermann, Hartmut/Siebel, Walter (1995): Dienstleistungsgesellschaften. Frankfurt a.M.

Häußermann, Hartmut/Siebel, Walter (2004): Stadtsoziologie. Eine Einführung. Frankfurt a.M.

Marx, Karl (1983): Manifest der Kommunistischen Partei.10. Aufl. Berlin (= Karl Marx; Friedrich Engels: Ausgewählte Werke Bd. 1)(geschr. 1848; Erstausgabe 1970)

Marx, Karl (1969): Aus dem Vorwort zu Karl Marx: Zur Kritik der Politischen Ökonomie. 1. Heft in: Marx, Karl (1969): Das Kapital. Frankfurt a.M.

Reitmayer, Morten (2014): „Elite“ im 20. Jahrhundert in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 64. Jahrgang 15/2014, Bundeszentrale für Politische Bildung

Weblinks

Reitmayer, Morten (2010): Eliten, Machteliten, Führungseliten. Version 1,0 in: Docupedia – Zeitgeschichte