Edda Weßlau

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Die Kriminalwissenschaftlerin Edda Weßlau (* 9. September 1956 in Wolfsburg; † 12. April 2014 in Bremen) wurde bekannt durch ihre Kritik an der Ausforschung von Bürgern im Namen vorbeugender Verbrechensbekämpfung (Weßlau 1989) und an der Beendigung von Strafverfahren durch Absprachen, deren Druckmechanismus dazu führen kann, dass Unschuldige sich schuldig bekennen, um durch die Inkaufnahme einer weniger schweren Strafe eine höhere zu vermeiden (Weßlau 2002).


Leben

Nach Absolvierung der einstufigen Juristenausbildung in Hamburg und einer Zeit als Assistentin des Strafprozessualisten Gerhard Fezer wurde die Mitherausgeberin der "Kritischen Justiz" im Jahre 1995 Professorin für Straf- und Strafprozessrecht an der Universität Bremen. Ihre Dissertation über Probleme der Vorfeldermittlung im Strafverfahren (1988) und ihre Habilitationsschrift über das Konsensprinzip im Strafverfahren (1994) hatten ihr zu dieser Zeit bereits hohes Ansehen verschafft.

In Bremen war sie Studiendekanin und (von 2005-2009) Dekanin, Mitdirektorin des Zentrums für Europäische Rechtspolitik (ZERP), Mit-Herausgeberin der Schriftenreihe “Bremer Forschungen zur Kriminalpolitik” und Mitglied des Bremer Staatsgerichtshofs.

Sie beförderte den Abschluss eines Kooperationsvertrages zwischen Fachbereich und Justizsenator, der zu verstärkten personellen Verbindungen führte (Praktiker als Honorarprofessoren; Hochschullehrer auf Richterstellen) und gehörte einer Kommission zur Reform des Sanktionsrechts an, deren Empfehlungen noch der Umsetzung harren.

In Nachrufen wurde sie als "hinreißend sympathische, intellektuell anregende und politisch aktive Person" (Johannes Feest) gewürdigt, die durch eine seltene "Kombination aus analytischem Scharfsinn, Kreativität, Mut zur Kritik, konsequentem Gerechtigkeitssinn und schnörkelloser Sprache" ebenso wie durch ihre "Fairness im Umgang mit anderen, ihr unbestechliches Handeln, ihre Bereitschaft, Probleme offen anzusprechen, und ihre soziale Solidarität" (Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Bremen) beeindruckte.


Schwerpunkte

Die Kritik an der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung betrifft die Problematik sog. Vorfeldermittlungen. Das sind Ermittlungen (etwa mittels V-Leuten oder Undercover-Agenten) ohne konkrete Anhaltspunkte, die einen Anfangsverdacht im Sinn der Strafprozessordnung begründen. Staatliche Ermittlungen setzen aber nach § 152 II StPO einen solchen Anfangsverdacht voraus. Grund ist das Interesse der Bürger, keinen willkürlichen Ausforschungsermittlungen ausgesetzt zu sein. Im Rechtsstaat soll nicht jeder Bürger als verdächtig, sondern als redlich gelten (sog. Redlichkeitsvermutung; Artikel 20 III, Artikel 1 I GG). Diese Redlichkeitsvermutung stört Polizei und Staatsanwaltschaft, die zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität mittels V-Leuten und Undercover-Agenten versuchen, mittels "Vorfeldermittlungen" in das Beziehungsnetz und die Organisationsstrukturen einzudringen, um erst damit die erforderlichen Informationen zu gewinnen, die als Anfangsverdacht für einen regulären Strafprozess ausreichen können. Der Schutz der Privatsphäre vor Ausforschungsermittlungen des Staates wird auch durch die gesetzliche Pflicht zur Vorfeldermittlung im Bereich der Geldwäsche (§ 9 I GeldwäscheG) tangiert.

Der in den USA als plea bargaining bekannte Handel mit Gerechtigkeit (K.F. Schumann) ersetzt den Nachweis strafbaren Handelns durch einen verfahrensökonomischen Konsens zwischen Anklage und Verteidigung, das Verfahren durch einen Kompromiss zu beenden. Dabei kann ein Unschuldiger so unter Druck gesetzt werden, dass er aus Furcht vor einer langen Freiheitsstrafe eine im Vergleich dazu mildere Sanktion in Kauf nimmt und sich wider besseres Wissen schuldig bekennt. In ihrer Habilitationsschrift kritisierte Wesslau die drei zentralen Argumente, die für einen ´partizipatorischen´ Strafprozess mit konsensualen Elementen vorgebracht werden, nämlich:

  1. der Maßstab des geltenden Rechts sei zu anspruchsvoll; wo die Praxis diese Ansprüche nicht einlösen kann, muß der Aufklärungsaufwand reduziert werden
  2. das geltende Recht müsse ergänzt werden, weil die gewandelten Reaktionsformen auf Kriminalität nur mit meinem Verfahren realisiert werden können, das für einen kooperativen Reaktionsstil steht
  3. das geltende Recht löse das Legitimationsproblem unbefriedigend, weil es auf ein veraltetes Konzept von ´materieller Wahrheit´ aufbaut; stattdessen müssen Zweckmäßigkeit und Fainess die Legitimationsgesichtspunkte sein.

Veröffentlichungen

  • Vorfeldermittlungen – Probleme der Legalisierung „vorbeugender Verbrechensbekämpfung“ aus strafprozessrechtlicher Sicht, erschienen bei Duncker & Humblot, Reihe Strafrechtliche Abhandlungen, Berlin 1989.
  • Das Konsensprinzip im Strafverfahren – Leitidee für eine Gesamtreform?, Nomos, Schriftenreihe Strafrechtswissenschaft und Strafrechtspolitik (hrsgg. von Thomas Vormbaum), Baden-Baden, 2002.
  • "Peiniger tot - Frau vor Gericht" - Der "Haustyrannenmord" - Ein Beispiel für das Verhältnis von Dogmatik, Lebenswirklichkeit und Rechtspolitik. In: Sven Burkhardt u.a. (Hrsg.) Korrespondenzen. In Sachen: Strafvollzug, Rechtskulturen, Kriminalpolitik, Menschenrechte. LIT, Berlin 2005 (S. 368-379).
  • Von der Aufrechterhaltung der Moral über den Opferschutz zum Standortfaktor – oder: Was heißt rationale Kriminalpolitik heute? in: Helmut Pollähne / Heino Stöver (Hrsg.), Komplemente in Sachen: Kriminologie, Drogenhilfe, Psychotherapie, Kriminalpolitik, LIT, Berlin, 2010 (S. 251 – 260).
  • Regelungsdefizite und Regelungspannen im Achten Buch der Strafprozessordnung, in: FS Rainer Hamm 2008
  • Der blinde Fleck. Eine Kritik der Lehre vom Beweisantragsrecht, in: FS Gerhard Fezer 2008

Literatur und Weblinks

  • Nachruf von Johannes Feest: Gestalterin des Bremer Rechts, in: taz bremen, 25.4.2014:24.
  • Umstrittene Deals im Strafverfahren (Edda Wesslau in: Deutsche Welle) Darin: Edda Weßlau ist Professorin für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Bremen. Sie bringt es auf den Punkt: "Im Strafverfahren geht es um die Wiederherstellung der Geltung der Rechtsordnung durch Ausspruch einer Strafe. Dazu muss man erst einmal feststellen: Was war eigentlich genau?" - "Vergleichbar mit Korruption" Der Richter muss nach deutscher Strafprozessordnung von Amts wegen die Wahrheit ermitteln. Der Angeklagte - der bis zum Beweis des Gegenteils als unschuldig zu gelten hat - hat ein Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren. Doch wenn eine Straftat feststeht, hat der Staat grundsätzlich die Pflicht, diese zu ahnden. Alles Regeln, die durch die Deals unterlaufen würden, so die Kritiker. Doch die Vorteile - milde Strafe, schnelles Verfahren - überwogen, die Absprachen nahmen zu. "In der Ausbreitung und in den Mechanismen der Ausbreitung ähnelt es der Korruption", beschreibt Edda Weßlau das Phänomen: "Denn jeder sagt sich: Wieso bin ich eigentlich der Dumme, der es mit offiziellen Mitteln versucht? Alle anderen machen es anders und haben nur Vorteile." 2009 wurden die Absprachen im Strafverfahren - nach Aufforderung der obersten deutschen Gerichte - in der Strafprozessordnung festgeschrieben: Es darf nur über die Strafe verhandelt werden, nicht über den Schuldspruch. Alle Beteiligten dürfen Stellung nehmen und müssen zustimmen, sodass die Öffentlichkeit gewahrt wird. Der Angeklagte muss belehrt werden. - Fehlerhafte Vorschrift: Doch die Bedenken sind nicht ausgeräumt. Der Gesetzgeber sei unehrlich gewesen, als er ins Gesetz schrieb, dass der Richter die Wahrheit herausfinden muss, betont die Strafrechtswissenschaftlerin Weßlau: "Denn durch die Absprache will ich ein Verfahren abkürzen, ich will mir ja gerade die ganze Beweisaufnahme sparen. Dann bleibt aber die Wahrheitsfindung gerade nicht unberührt." Auch die so genannte Unschuldvermutung werde verletzt, so Weßlau: "Denn wenn man sich absprechen will, unterstellt man ja bereits, dass der Anklagevorwurf stimmt", sagt Weßlau. - Zudem bemängeln Kritiker die so genannte Sanktionsschere, die der Richter dem Angeklagten androhen könne: eine besonders niedrige Strafe nach Geständnis und eine besonders hohe nach streitigem Verfahren. Die Position des Richters sei mit den strafprozessualen Grundsätzen - der Richter als unabhängiger, neutraler Dritter bewertet den Fall - ohnehin nicht vereinbar, meint Edda Weßlau. Er dürfe sogar eine Absprache mit dem Ziel eines kurzen Verfahrens bei milder Strafe vorschlagen: "Der ist doch nicht mehr neutral, wenn er sich auf eine Absprache einlässt, bei der die Prämisse gesetzt wird: Der war der Täter - und zwar ungefähr so, wie es in der Anklageschrift steht", empört sich die Juristin. - Italien und die Schweiz als Vorbild? Im Gegensatz dazu finden die Deals im angelsächsischen Rechtsgebiet zwischen Anklage und Verteidigung beziehungsweise Täter statt, während der Richter nur noch abschließend prüft, ob die Absprache rechtmäßig und freiwillig war. In Italien gibt es ebenfalls ein Absprachen-Gesetz. Es sei nicht perfekt, aber besser als die deutsche Regelung, meint Edda Weßlau. Der italienische Richter prüft die von Staatsanwaltschaft und Verteidigung ausgehandelte Absprache in tatsächlicher Hinsicht, also ob nicht völlig abwegige Dinge gestanden werden. Außerdem prüft er, ob das Strafmaß im Rahmen bleibt sowie die Freiwilligkeit des Geständnisses. "Der Richter ist der Kontrolleur, der prüft, dass niemand über den Tisch gezogen wird - vor allem nicht der Angeklagte", so Edda Weßlau. - Auch in der Schweiz hat der Richter eine solche Kontrollfunktion. "Dort sind die Deals auf Fälle begrenzt, in denen nicht mehr als fünf Jahre Freiheitsstrafe ausgesprochen werden kann", beschreibt Edda Weßlau das Verfahren. In Europa gibt es kaum ein Land, in dem solche Deals nicht stattfinden. Selbst in Österreich - einer der letzten absprachefreien Staaten - plant man ein entsprechendes Gesetz. In der Praxis finden die alten, informellen Absprachen nach wie vor statt, womöglich häufiger als die gesetzlich geregelten, berichtet Strafverteidiger Jürgen Sauren: "Die Absprachen werden selten so formell behandelt, wie das Gesetz sie vorsieht, ich selbst habe es noch nie so erlebt - obwohl ich vielleicht auch ein Einzelfall bin."


  • Court to decide on courtroom deals, Deutsche Welle Darin: Edda Wesslau, a professor of criminal law at the University of Bremen, believes these informal negotiations represent a threat to the German justice system. The judges of the constitutional court will have to rule on plea bargaining "The way it has spread and the mechanisms by which it has spread are rather like what happens with corruption," she told DW. "Everyone says, 'Why should I be the idiot who plays according to the rules?' Everyone else is doing it and are only benefitting from doing so." - In 2009, trial regulations were amended to include plea bargaining. The new rules said that deals could be negotiated regarding the severity of the sentence but not over the verdict. In order to ensure that the process of holding the trial remained public, everyone involved was entitled to give an opinion on the deal and had to agree to it. The defendant had to be informed of his rights. But doubts surrounding plea bargains have not been put to rest. Wesslau insists that Germany's parliament was dishonest when it wrote that judges were still obliged to find out the truth of a case. - "[As a judge], I would be wanting to shorten a trial through a deal, and I would want to avoid having to go through the whole process of hearing all the evidence. That certainly has an effect on the process of finding out the truth of a case." Even the presumption of innocence is affected, Wesslau says. "If one wants to enter into a deal, one is already assuming that the prosecution's case is true." A shorter time in prison may seem like a good exchange for a quick confession Critics also note what they call the "penalty gap." That "gap" has to do with the judge's ability to threaten the defendant, either with a particularly light sentence for a confession or a particularly heavy one if the defendant fights the case. That, says Wesslau, puts the judge in a position that is against the principle under which he or she is supposed to be an independent, neutral party. The judge is even allowed to propose the deal in order to shorten the trial. - "He's no longer neutral if he agrees to a deal in which the premise is, 'This is the perpetrator, more or less as described by the prosecution,'" Wesslau says. - Other models? - In Anglo-Saxon countries, things are different. There, plea bargaining takes place between a defendant and the prosecution. The judge merely checks whether the deal was legal and voluntary. - Wesslau considers the rules in Italy, while not perfect, to be better than those in Germany. There, the judge has to decide if the deal conforms with the facts of the case - in other words, that someone isn't confessing to things that are absurd. He also checks that the sentence is still appropriate and that the confession was voluntary. In Germany, the balance is between justice and a backlog of court cases "The judge makes sure that no one is taking advantage of anyone else - especially of the defendant," says Wesslau. - Swiss judges have a similar function. "Deals there can only be made for offenses which carry prison sentences of less than five years," she said. - Plea bargaining takes place in almost every European state. Even in Austria, one of the last countries without plea bargaining, a law is being planned to introduce it. - In practice, old-fashioned, informal deals continue to be reached in Germany, says Sauren. "The deals are rarely as formal as the law requires," he said. Neither Sauren nor Wesslau believes that the constitutional court will ban such deals when it announces its ruling on Wednesday (20.03.2013), although Wesslau thinks it will require improvements. Regardless, she doesn't believe a ban would help. - "That's another similarity with corruption," she said. "If you make a law that corruption is illegal, and these are the penalties, you still don't get rid of it."