Drohneneinsatz vom 4.Oktober in Mir Ali/Pakistan

Aus Krimpedia – das Kriminologie-Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Der Drohneneinsatz vom 4. Oktober 2010 in Mir Ali/Pakistan ist der erste Fall einer gezielten Tötung durch Drohnen, der von der deutschen Justiz entschieden wurde. Er endete am 20.06.2013 mit einer Einstellungsverfügung durch die Bundesanwaltschaft [1].

Verfahren

  • Presseberichterstattung: deutscher Staatsbürger Bünyamin E. am 4.10.2010 in Pakistan unter Einsatz einer Drohne zu Tode gekommen.
  • Bundesanwalt legt am 11.10.2000 einen Prüfvorgang an; später kam eine bei der StA Hamburg erstattete private Strafanzeige hinzu.
  • 10.06.2012: Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen das Völkerstrafgesetzbuch eingeleitet.

Sachverhalt (nach den Feststellungen der Generalbundesanwaltschaft

Allgemeines

  • Drohnenbeschuss auf ein Haus, in dem sich z.Zt. elf Menschen aufhielten.
  • fünf Personen kamen ums Leben; es handelte sich um den Deutschen B.E., einen Iraner namens S.D.S, sowie drei nicht identifizierte paschtunische Einheimische.
  • die übrigen blieben unverletzt (darunter zwei schwangere Frauen und ein Kleinkind)
  • vermutlich galt der Angriff einem Führungsmitglied der Tahrik-e Taliban (der aber unverletzt entkam).
  • US-Drohneneinsätze im relevanten Zeitraum erfolgten "mit stillschweigender Billigung der pakistanischen Regierung und ihrer Armeeführung"

Belege für B.E.'s Status als Kombattant

  • B.E. hatte im Juli 2010 Deutschland verlassen. Auf Betreiben seines älteren Bruders E.E. begab er sich nach Mir Ali, wo sich dieser mit seiner Familie bereits seit April 2010 aufhielt.
  • In der Zeit seines Aufenthalts in Nordwasiristan hatte er sich mehreren aufständischen Gruppierungen angeschlossen. "Während er zunächst einer Gruppe mit der Bezeichnung 'Deutsche Mujahhedin' und später den pakistanischen Taliban angehörte, war er ab Mitte September zumindest in das Umfeld von al-Quaida eingebunden. In diesem Zeitraum wurde B.E. mit einer Kalaschnikow mit vier Magazinen zu je 30 Patronen ausgerüstet, nahm am Kampftraining teil und erhielt eine Ausbildung im Umgang mit Waffen".
  • "Die Zusammenkunft am Abend des Drohneneinsatzes (4.Oktober 2010) hatte den Zweck, die Planung eines Selbstmordattentats durch B.E. gegen eine militärische Einrichtung der gegnerischen -möglicherweise auch deutschen - Streitkräfte der ISAF zu besprechen und voranzutreiben. Aus diesem Grund waren das Führungsmitglied der Tahrik-e Taliban(TTP), sowie der für Finanzen zuständige Vertreter der al-Quaida M.al-B. im Hause des E.E. anwesend. Die Planungen für den Einsatz des B.E. waren bereits so konkret, dass der Termin für diese Operation schon festgelegt war. In den folgenden Monaten wurden auf entsprechenden Internetseiten Textbotschaften und auch Begräbnisbilder der getöteten B.E. und S.D.D. unter Nennung ihrer in der Gruppe verwendeeten Namen veröffentlicht, in denen ihr 'Märtyrertod im Jihad' verherrlicht wurde".

Strafbarkeit

Völkerstrafgesetzbuch

  • Tötung des B.E. nach VStGB ist nach Meinung des GBA nicht strafbar, da kein Kriegsverbrechen (§§ 8 ff VStBG) vorliege (nicht gegen Zivilbevölkerung gerichtet)

Allgemeines Strafrecht

§ 211 StGB Mord: objektiver und subjektiver Tatbestand sind nach Meinung des Generalbundesanwalts erfüllt. Es mangle aber an der Rechtswidrigkeit, da die Tat völkerrechtlich zulässig und damit strafrechtlich gerechtfertigt sei.

  • insbesondere sei das Unterscheidungsgebot zwischen Kombattanten und Zivilisten beachtet worden (unter den Getöteten befand sich kein "Zivilist").
  • CIA sei als Teil der US-Streitkräfte anzusehen (außerhalb der offiziell anerkannten Kampfgebiete)
  • es existiere kein Verbot von gezielter Tötung im humanitären Völkerrecht

Entscheidung

Verfügung des Generalbundesanwalts vom 20.Juni 2013 - 3 BJs 7/12-4-

"Das mit Verfügung vom 10.Juli 2012 eingeleitete Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts einer Straftat nach dem VStGB und andere Delikte ist auf der Grundlage der [oben] dargestellten Erkenntnisse gemäß § 170 Abs.2 StPO eingestellt worden".

Kritik an der Entscheidung

Die Entscheidung der Generalbundesanwaltschaft ist unter juristischen Gesichtspunkten durch den Münchner Richter Markus Löffelmann mehrfach detailliert kritisiert worden:

  • Löffelmann, Markus: Gezielte Tötungen durch Kampfdrohnen. In. recht|politik. unabhängiges Forum für gute Rechtspolitik, 21.08.2013[2].
  • Löffelmann, Markus: Der Einsatz von Kampfdrohnen zur Terrorismusbekämpfung im Schnittpunkt von humanitärem Völkerrecht und Menschenrechtsstandards, in: Kritische Justiz, 2013, 372-382.
  • Löffelmann, Markus: Rechtfertigung gezielter Tötungen durch Kampfdrohnen, in: Juristische Rundschau 2013, 496-513 (dies ist die ausführlichste Fassung der Kritik).

Die wichtigsten Einwände gegen die Entscheidung sind:

  • Frage, ob es sich um einen bewaffneten Konflikt gehandelt hat (Löffelmann JR, 497/98: individuelle Tötungen fallen aus diesem Rahmen; Selbstmordanschläge sind kein typisches Mittel der Kriegführung).
  • Frage, ob B.E. als Teilnehmer an einem solchen Konflikt, als Kombattant anzusehen ist(Löffelmann, 498: IKRK-Standard verlangt feste Eingliederung in eine organisierte bewaffnete Gruppe bzw. unmittelbare Teilnahme an Feindseligkeiten)
  • Frage, ob mithilfe von Drohnen wirklich dem im humanitären Kriegsrecht verankerte Unterscheidungsgebot besser entsprochen werden kann (Löffelmann, 501 ff: "die erfahrungsgemäß hohe Zahl ziviler Opfer [bei Drohnenangriffen] spricht gegen die Eignung zur Wahrung des Unterscheidungsgebots)
  • Frage, ob das Wohnhaus mit seinen Zivilpersonen angegriffen werden durfte (Löffelmann, 499: Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf den militärischen Nutzen?)
  • Frage, ob nicht Konsequenzen aus der Entscheidung des BVerfG zum Luftsicherheitsgesetz (2006) für diesen Fall gezogen werden müssten (504)
  • Frage, ob der Fall ausschließlich nach den Maßstäben des humanitären Völkerrechts behandelt werden durfte (Löffelmann, 505: "Richtigerweise ist...das Recht des Menschenrechtsschutzes bei der Auslegung des humanitären Völkerrechts ergänzend heranzuziehen" bzw. 511: "kein genereller Vorrang des humanitären Völkerrechts vor dem Menschenechtsschutz und den Wertungen des nationalen Rechts".

Kriminalpolitik

Für einen kriminalpolitischen Interventionsversuch siehe:

  • Hankel, Gerd (2011) Das Tötungsverbot im Krieg. Ein Interventionsversuch. Hamburg: Hamburger Edition.
Der Krieg hat seine Erscheinungsformen geändert. Gestützt auf Resolutionen des UN-Sicherheitsrats, werden Staatsführungen beseitigt und Gesellschaften umgestaltet die Welt soll friedlicher gemacht werden. Doch in den betroffenen Bevölkerungen wachsen Wut und Verbitterung. Die bei Kampfhandlungen getöteten unbeteiligten Zivilisten lassen sich nicht länger mit dem Begriff des Kollateralschadens unkenntlich machen. Immer dringender tauchen Fragen nach Sinn und Zweck laufender Interventionsmaßnahmen auf. Welche Gewalt ist vertretbar, welche ist rechtlich verboten? Warum müssen Unbeteiligte geschützt werden? Nach welchen Regeln bemisst sich der Schutz und was geschieht, wenn er missachtet wurde? -- Drei Vorschläge zur Revision des humanitären Völkerrechts sind es, die Gerd Hankels "Tötungsverbot im Krieg" unterbreitet, wie Christian Hillgruber notiert. Für nötig halte Hankel eine Anpassung des Völkerrechts deshalb, weil es die Gewalt eher befördere als verhindere, zumal bei Militäreinsätzen mit humanitären Absichten. Der Rezensent lässt durchblicken, dass er diesem Ansatz prinzipiell zustimmt, wenngleich er nicht jeden der drei Revisionsvorschläge Hankels gleichermaßen sinnvoll findet. Kriegführenden Staaten vorzuschreiben, Rebellen als Kriegsgefangene zu behandeln etwa, ist nach Auffassung des Rezensenten nicht nur unrealistisch, sondern auch kaum pragmatisch gedacht. Interessanter findet Hillgruber die Überlegung Hankels, den prinzipiellen Schutz von Zivilisten festzuschreiben und Kriegsparteien so zum nahezu ausschließlichen Einsatz von zielgenauen Waffen nebst Bodentruppen zu verdammen. Doch auch beziehungsweise gerade hier werde der Wunsch wohl Vater des Gedanken bleiben, meint Hillgruber mit Blick auf die dann zu erwartenden Verlustlisten intervenierender Staaten. Perlentaucher, Rezensionsnotiz FAZ