Dieter Gurkasch

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Dieter Gurkasch (* 1961 in Hamburg) tötete 1985 die Inhaberin eines Kiosks in der Hamburger Brahmsallee. Er zettelte eine Gefängnisrevolte in der JVA Fuhlsbüttel an (1990) (Dachbesetzung) und verbrachte mehrere Jahre in Isolationshaft in der JVA Lübeck. Er beging nach der Haftentlassung 1997 einen Raubüberfall auf einen Aldi-Markt in Hamburg. Im November 2011 wurde er entlassen, nach insgesamt 25 Jahren und 38 Tagen hinter Gittern.

Er lebt als Yoga-Lehrer in Hamburg.

Weblinks und Literatur

Nach einiger Zeit Isolationshaft in der Justizvollzugsanstalt Lübeck wurde Gurkasch in die sozialtherapeutische Anstalt Altengamme verlegt. Hier kam er zum ersten Mal mit Yoga in Kontakt: „Daran habe ich sogar teilgenommen, konnte aber dieser ‚Mädchengymnastik' zu dem Zeitpunkt absolut nichts abgewinnen.“ Dem übrigen Resozialisierungsprogramm schon eher: Es schaffte, „mich vorerst einmal von meinen Plänen abzubringen, sofort wieder Raubüberfälle zu begehen. (...) Altengamme war europaweit ein führendes Beispiel der Sozialtherapie und zeigte, wie man Menschen wirklich schrittweise in die Gesellschaft zurückführen kann.“ Ich wollte Gangster sein. ... Ich stellte mir damals nie eine legale Zukunft vor, aber das band ich den Leuten in Altengamme doch nicht auf die Nase. Die waren so von ihrem System überzeugt, dass sie glaubten, wer es durchläuft, ist geheilt. Aber so einfach war und ist das nicht (...).“ Der nur scheinbar Geläuterte wurde auf Bewährung entlassen ... „Gleich am ersten Tag nach meiner Entlassung habe ich mich krankschreiben lassen“, erzählte Gurkasch seinem Publikum. Wie er das schaffte? Seinen Aufenthalt im Knast hatte er zur Lektüre psychologischer Fachliteratur genutzt, daher wusste er, dass lange Haft, vor allem in Isolation, zu Angststörungen führen kann. „Irgendwie machen mir alle Leute Angst, ich fühle mich bedroht, und das macht mich dann so wütend, dass ich sie alle umbringen könnte“, erklärte er dem Arzt, der seinem Patienten ein Rezept für Tabletten in die Hand drückte und ihm gute Besserung wünschte.

Also hatte Gurkasch Zeit genug, um weiter an seiner kriminellen Karriere zu basteln. Gemeinsam mit anderen „Ex-Knackis“ zog er einen schwungvollen Drogen- und Waffenhandel auf, beging Raubüberfälle und Versicherungsbetrug. Und er plante, seinen Kumpel Thorben aus der JVA Lübeck zu befreien. Als ihm dieser über seinen Anwalt mitteilen ließ, dass er von einem Ausbruch nichts mehr wissen wollte, kam es zur Krise: Streit mit Fee, die merkte, dass ihr Lebensgefährte „langsam durchdrehte“, gesteigerter Drogenkonsum – und schließlich die am Beginn der Autobiografie beschriebene Schießerei mit der Polizei. Lungendurchschuss, Not-OP, Koma ...

... und „Reload“. Als sein – um bei diesem Vergleich zu bleiben – System wieder hochgefahren wurde, merkte Gurkasch, dass sich etwas verändert hatte: „Heute bin ich der festen Überzeugung, dass mich in diesem Moment (...), mit dem Tode ringend, die bösen Geister verließen, die ich als Kind gerufen hatte, weil ich unbedingt stärker sein wollte.“ Diese prinzipiell positive Veränderung machte zuerst einmal Probleme: Nach der Urteilsverkündung – zwölf Jahre Knast für diverse Delikte plus zwei Jahre und drei Monate Bewährungswiderruf, anschließend Sicherheitsverwahrung – war Gurkasch, wie er schrieb, „am Boden zerstört, es gab ja auch nicht mehr die Wut und den Hass, an denen ich mich festhalten konnte.“ An die Stelle der „bösen Geister“ trat bald etwas anderes, das Gurkasch im zweiten Teil seiner Autobiografie beschreibt. Von den spirituellen Erlebnissen, die der Vortragende nun zu schildern begann, können die meisten Yoga-Praktizierenden nur träumen. Den anwesenden Yoga-Jüngern erklärte er die Heftigkeit des Prozesses, der ihn später auf weniger als 65 Kilo abmagern ließ, damit, dass ja auch das Negative in ihm sehr stark gewesen sei. Es begann mit den kopierten Seiten eines Buches über „Lichtnahrung“, die Fee ihrem Ehemann (die beiden hatten im Gefängnis geheiratet) mitbrachte.

Die „Tibeter“. Überzeugt war Gurkasch nicht von den „Unsterblichkeitsübungen der fünf Tibeter“, die Fee ihm als nächstes nahe legte. Aber: „Wenn ich wohl schon endlos im Knast sitze, kann ich auch einmal so einen Schwachsinn ausprobieren (...)“. Er schwor noch auf Liegestütze, Sit-ups und Klimmzüge, konnte sein „Hardcore-Sportprogramm“ nach einer Leistenzerrung jedoch nicht mehr durchziehen. Die „Tibeter“ gingen schon noch – und bewirkten, dass es ihm bald so gut ging „wie noch nie“. Das merkten auch seine Mitgefangenen, vor denen er die Übungen anfangs verheimlichte. Er musste sich Kommentare wie „Was nimmst du denn? Du grinst ja den ganzen Tag“ anhören, schob es auf „irgendwelche verkehrten Drogen“, machte tatsächlich aber mit Drogenkonsum und -handel Schluss, dann sogar mit dem Rauchen, wurde Vegetarier und übernahm, statt wie davor jegliche Arbeit zu verweigern, die Betreuung der Gefängnisbücherei. Mehr noch: Er trat anderen Häftlingen, mit denen er „eine Rechnung offen“ hatte, friedlich entgegen. „Die konnten mich dann auch nicht schlagen oder sind von den anderen daran gehindert worden“, erzählte Gurkasch seinem staunenden Publikum. Dass die durch Yoga ausgelöste Veränderung nicht nur Liebe, Wonne und Waschtrog mit sich brachte, beschreibt Gurkasch ein paar Seiten weiter: „Ich habe mich bekotzt, mich angeschissen, ins Bett gepisst. Ich wachte kurz vor einem Orgasmus auf, als sich alle meine Geschlechtspartner in Monster verwandelten.“ Was nach gröberen Entzugserscheinungen klingt, führte zu folgender Erkenntnis: Frei sein kann man auch im Knast – frei von „Süchten, Hass und Begierden“.

Yogagruppe für Häftlinge. Schließlich fühlte sich der durch Yoga Geläuterte verpflichtet, auch anderen den Weg zu zeigen, „der von friedlicher Kompetenz geprägt ist“. Zuerst brachte er einzelnen interessierten Mitgefangenen ein paar Yoga-Übungen bei, dann begeisterte der mittlerweile auch an Gott glaubende Gurkasch den Anstaltspastor dafür. Gemeinsam gründeten und leiteten sie eine Yogagruppe für Häftlinge. Ein positiver Effekt war nicht bei allen Teilnehmern feststellbar, was in „Leben reloaded“ folgendermaßen begründet wird: „Wenn der wirkliche Drang nach Veränderung nicht im großen Maße vorhanden war, wurde das, bildlich ausgedrückt, taugliche Werkzeug wieder aus der Hand gelegt.“ Der Großteil derer, die Yoga in der Haft erlernt hatten, profitierte laut Gurkasch körperlich und psychisch davon: „(...) ich weiß noch von fast einem Dutzend anderer ehemaliger Knackis, dass sie heute ein spirituell ausgerichtetes Leben führen – dank Yoga und Meditation.“ Dies sah und sieht er, auch nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis, als Motivation, Strafgefangenen Yoga zu lehren. Dass er dafür der richtige Mann sei, bestätigte Andreas Mengler, Geschäftsführer des „Hamburger Fürsorgevereins“ zur Ausbildung ehrenamtlicher Gefängnis-Mitarbeiter: „Er hat einen anderen Zugang zu den Insassen und kann ihnen sein Anliegen absolut authentisch vermitteln.“ Das beginne schon bei der Sprache, erklärte Gurkasch seinen Zuhörern: „Selbstverständlich kann ich mit Knackis anders reden. „'He, hast du'n Arsch offen?' heißt nichts anders als ‚Komm mal auf dem Boden der Tatsachen zurück.'“ Bei einem Besuch im Jugendknast rechnete er den potenziellen Yoga-Schülern vor, dass er mehr Zeit im Knast verbracht hatte als sie alle zusammen, und trotzdem gut drauf sei: „Wieso grins ich? Eigentlich müsste ich doch so viel Kotze in mir haben, dass die nie wieder raus geht.“ Allerdings sei auch die Akzeptanz von Yogalehrern ohne einschlägiger Vergangenheit gut, und von „bedrohlichen Situationen“ beim Unterricht habe er noch nie gehört.

Friedfertig und gelassen. Die durch die Yoga-Übungen erworbene Friedfertigkeit und Gelassenheit wurden schon bald auf eine harte Probe gestellt, wie in der Autobiografie zu lesen ist: „Die Anstaltsleitung von Fuhlsbüttel (...) glaubte nicht an meine Veränderung. Sie hielt alles nur für eine von mir inszenierte Show (...).“ Als Psychologe Andreas Horn Gurkasch „eine bewusste Um-Entscheidung“ bescheinigte, dank derer es ihm gelungen sei, „einen Ersatz für das durch Straftaten erzeugte Gefühl der Aufwertung zu schaffen“, wurde ein weiterer Psychologe beauftragt, der ein „überdurchschnittliches Ausgangsrisiko“ aufgrund „statistischer Risikofaktoren aus der Vorgeschichte“ feststellte.

Der Häftling wurde von der Bücherei zur Gebäudereinigung versetzt, wo er es geschafft habe, selbst dem Kloputzen einen tieferen Sinn zu verleihen – nämlich, dass sich die Menschen an einem sauberen Örtchen wohlfühlen sollten. Dann die nächste Frustration: Am 4. Mai 2011 erklärte das Bundesverfassungsgericht die Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig, außer bei an psychischen Störungen leidenden Tätern, von denen eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten ausgehe. Laut dem Landesgericht Hamburg war dies bei Gurkasch nicht der Fall, doch die Verantwortlichen in Santa Fu waren anderer Meinung.

Entlassen. Nach Verbüßen seiner Haftstrafe wurde er auf die Station für Sicherungsverwahrte verlegt. Und etwas über einen Monat später – für ihn völlig unerwartet – entlassen. Nun war er mit ganz anderen Herausforderungen konfrontiert: einen Touchscreen zu bedienen, um eine Busfahrkarte zu lösen, sich in einem überfüllten Einkaufszentrum durch die Menschenmassen zu bewegen, plötzlich so viel Zeit mit der Ehefrau zu verbringen. Aber auch, um im unbekannten Medium Internet über Yoga im Knast zu recherchieren. Er stieß u. a. auf das in den 1970er-Jahren begonnene „Prison Ashram“-Projekt in den USA, auf Yoga und Meditation im indischen Tihar-Gefängnis, auf Yoga-Kurse im Parinaama-Gefängnis in Mexiko-Stadt – und auf die 2010 in der JVA für Jugendliche im österreichischen Gerasdorf abgehaltenen Yogastunden. Besonders beeindruckend empfand Gurkasch Berichte über das Yoga-Projekt des britischen „Prison Phoenix Trust“, bei dem nicht nur Häftlinge, sondern auch „Knastbeamte“ in den Genuss von Yoga- und Meditationskursen kamen. Bei gemeinsamen Yoga-Stunden könnten, so Gurkasch, die Angehörigen beider Gruppen Vorurteile abbauen. Bald lernte er selbst Angehörige der früheren „Gegenseite“ kennen, die ebenfalls Yoga praktizierten: die Leiterin einer Justizvollzugsanstalt, etliche Polizisten, sogar einen BKA-Zielfahnder.

Eine Geschichte voller Gewalt. Diesem war es zu verdanken, dass Gurkasch eine bereits in der Haft geborene Idee in die Tat umsetzte: seine Autobiografie zu veröffentlichen. Der Fahnder kontaktierte den Kailash-Verlag, der den Kontakt zu Journalisten, die beim Verfassen des Texts helfen sollten, herstellte. Nachdem sich die erste Kandidatin von der gewaltstrotzenden Lebensgeschichte überfordert fühlte und absprang, stellte Gurkasch weitere Anwärter auf die Probe: „Ich hab gesagt: ‚Kannst du dir vorstellen, mit mir in den Wald zu gehen, und ich erzähle dir mal, wie das ist, jemanden umzubringen?' Einige haben es sich dann überlegt.“ Schließlich fand sich doch eine furchtlose Ghostwriterin, die es schaffte, sich in die Sprache des Ex-Knackis „hineinzuversetzen“. Wer von den beiden dafür verantwortlich war, dass sich die Story wie ein Action-Thriller liest? Gurkasch setzte sein entwaffnendes Lächeln auf und meinte: „Alleine hätte ich ein spirituelleres Buch geschrieben.“ „Leben reloaded“ wurde in nur vier Monaten fertiggestellt – und war nicht das einzige Projekt, das Gurkasch in den knapp zweieinhalb Jahren seit seiner Haftentlassung fertig stellte: Er absolvierte eine Ausbildung zum Yogalehrer, bot Yoga-Workshops in deutschen Gefängnissen an und gründete „Yoga und Meditation im Gefängnis e. V.“. Als nächstes plant er, auch in Österreich einen vergleichbaren Verein zu gründen. Rosemarie Stöckl-Pexa

Gurkasch, Dieter (2013): Leben Reloaded. Wie ich durch Yoga im Knast die Freiheit entdeckte. München: Kailash Verlag. Yoga und Meditation im Gefängnis e. V.: www.yumig.de

"habe ich mich mit dem früheren Schwerverbecher Dieter Gurkasch verabredet. Wir stehen brav an, holen uns ein paar Brötchen und eine Cola und gehen dann in den Amsinckpark, um zu reden. Gurkasch, ein Mann von Anfang fünfzig, braun gebrannt, Lockenhaar, sonnige Ausstrahlung, hat Jahrzehnte im Gefängnis gesessen, die meiste Zeit in Fuhlsbüttel. Gewalt und Drogen – das war sein Leben. Etliche seiner Taten verübte er im Bezirk Eimsbüttel. Die erste, 1984, in der Högenstraße. Bei einem Überfall mit einem Komplizen auf einen Kiosk in der Brahmsallee 1985 schlug er die Inhaberin zu Boden und sprang ihr mit beiden Füßen auf den Kopf. Die Frau starb Wochen später an ihren Verletzungen. Die Beute betrug 320 Mark.

Dieter Gurkasch war ein Mann, der nach dürftigem Hauptschulabschluss und abgebrochener Lehre ein Gangsterleben führte. Seine Knastbiografie reicht vom Ausbruch aus Santa Fu bis zur mehrjährigen Isolationshaft in Lübeck. Nach seiner vorzeitigen Entlassung wurde er rückfällig: Im Mai 1997 überfiel er, mit falschem Schnurrbart und Sonnenbrille getarnt, den Aldi-Markt am Langenfelder Damm. Beute: 14 500 Mark. Wenig später wurde er gefasst. Zwölf Jahre Haft plus die ausgesetzte Bewährungsstrafe.

Was dann geschah, war absolut nicht zu erwarten: die Wandlung vom Gewalttäter zum friedliebenden Menschen. Gurkasch beschreibt sie in seinem Bekenntnisbuch Leben Reloaded, das vergangenes Jahr erschien.

Am Anfang dieser Lebensbeichte steht die Schießerei in Eimsbüttel, bei der er am 9. Juli 1997 um 23.15 Uhr in der Emmastraße von einer Polizeikugel getroffen wurde. "Die Wucht der Kugel überraschte mich, ich fiel mit dem Gesicht auf den Asphalt. Ich schmeckte das Blut in meinem Mund, versuchte wieder auf die Füße zu kommen oder doch wenigstens auf die Knie, um zu meiner Waffe, die es mir aus den Händen geschleudert hatte, zu krabbeln und weiterkämpfen zu können." Lungendurchschuss. Dass er überlebte, kam einem Wunder gleich.

Es war, als ob die Kugel den Hass aus ihm herausgeschossen hätte – so beschreibt er es. Erst danach habe er mithilfe von Yoga ein neues Leben beginnen können. Er fand zum Glauben und zu sich selbst. Im November 2011 wurde er entlassen, nach insgesamt 25 Jahren und 38 Tagen hinter Gittern. Heute ist er ein freier Mann, lehrt Yoga, hält Vorträge in Gefängnissen und beeindruckt die Häftlinge, indem er sie spüren lässt, dass er einer von ihnen ist, aber die Spirale aus Gewalt und Gegengewalt hinter sich gelassen hat. Er könne niemanden bekehren, sagt er, aber er wolle ein Beispiel sein. "Auch wenn du glaubst, du stehst noch so weit unten: Der Weg nach oben steht frei." Umkehr sei möglich. Nur deshalb habe er das Buch geschrieben.

Ich frage ihn nach dem Schuss am Geldautomaten, nach der Messerattacke in der Konditorei. Was löst das in ihm aus? "Traurigkeit", sagt er. "Das sind Zeichen dafür, dass der Druck in der Gesellschaft immer größer wird. Die Folgen der Taten werden als weniger schlimm eingeschätzt als die Situation, in der sie begangen werden."

Ich erzähle ihm mein Erlebnis im U-Bahnhof. Wie hätte er sich an meiner Stelle verhalten? "Ich wäre wohl vorbeigegangen, weil es nichts bringt. Der wollte ja provozieren", sagt er. Provokationen lasse man am besten ins Leere laufen. Und wenn er etwas hätte sagen müssen? "Dann vielleicht: ›Du, da hinten kommen die Bullen, ich würd’ das mal lassen.‹" In seinem früheren Leben wäre er ganz anders damit umgegangen. "Ich wäre ihm ohne Ankündigung von hinten in die Kniekehlen gesprungen, und dann hätte ich ihn gefragt: Na, bist du in deine Pisse gefallen, du Idiot?" Dieter Gurkasch findet, dass mein Ratschlag, lieber an den Baum zu pinkeln, auch ein Schlag sei. Da werde dann zurückgeschlagen. Genau wie auf den Ratschlag in der Bäckerei, sich hinten anzustellen. Hätte der Mann in der Schlange nichts gesagt, hätte er in Ruhe frühstücken können. Gurkasch spricht von der "angeblichen Zivilcourage", auf die gut situtierte Bürger sich berufen, um ihre eigenen unterschwelligen Aggressionen in die Welt hinauszutragen.

Und ja, wenn ich ehrlich bin: Ich hätte dem jungen Mann gerne eine gepfeffert.

"Das war an der U-Bahn Lutterothstraße?", fragt Gurkasch. Und dann erzählt er die Geschichte mit dem Telefon, die der Schießerei in der Emmastraße um wenige Stunden vorausging. Sie steht nicht in seinem Buch. Damals gab es vor dem U-Bahnhof noch eine Telefonzelle, und er habe abends drin gestanden und telefoniert. Da seien die Jungs der Steakhausbande vorbeigekommen und hätten mit den Füßen gegen die Scheibe getreten. Er habe die Tür geöffnet, mehr als einen Spalt breit: "Ey, geht’s noch?"

Das hätte er nicht sagen sollen. "Guck mal, wir haben einen Kampfhund!" Da habe er seine Knarre hervorgezogen und gesagt: "Wollt ihr euren Kampfhund explodieren sehen?" Dann habe er ihnen vor die Füße geschossen, und sie seien alle weg. Einer aber sei geblieben: "Das ist doch nur ’ne Schreckschusspistole!" Zum Beweis des Gegenteils habe er durch die Parkbank geschossen, da habe auch der Letzte die Flucht ergriffen.

Ein amerikanisches Au-pair-Mädchen hörte die Schüsse und rief die Polizei. Die Polizei wollte sich die Steakhausbande greifen, die Steakhausbande verwies auf den blonden Gangster und konnte das Kennzeichen seines Alfas nennen.

Wenn Dieter Gurkasch heute in der Schlange steht, und jemand drängelt sich vor, dann denkt er: "Der muss es aber eilig haben."