Diebe im Gesetz

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Als Diebe im Gesetz (russisch воры в законе, vory v zakone; englisch thiefs in law) bezeichnet man kriminelle Größen des postsowjetischen Einflussbereiches, die der Organisierten Kriminalität zuzuordnen sind. Bei der Organisation der "Diebe im Gesetz" handelt es sich um eine historisch gewachsene, streng hierarchisch aufgebaute Subkultur, die sich im zaristischen Russland etabliert und über die Jahre hinweg zu einer international agierenden, hochprofessionellen mafiösen Gemeinschaft entwickelt hat. Vergleichbar mit den Paten der italienischen Mafia unterwerfen sich die Anhänger der Diebesidee einem gemeinsamen Ehrenkodex, dem so genannten Diebesgesetz.

Historische Entwicklung

Überlieferungen zufolge geht der Begriff "Diebe im Gesetz" auf das zaristische Russland der 1920-er Jahre zurück und hat seine Ursprünge in den staatlichen Gefangenenlagern (sog. GULag - russ.: Glawnoje Uprawlenije Lagerej). Häftlinge, die innerhalb der Gefängnismauern hohes Ansehen genossen, wurden durch die Lagerverwaltung zur Zusammenarbeit angeworben. Mit ihrer Hilfe sollte die Stimmung innerhalb der Lager beobachtet und kontrolliert werden. Als Gegenleistung nutzten die Anführer dieses Vertrauensverhältnis, um eine Gesprächs- und Verhandlungsbasis mit den Aufsehern herzustellen und so bessere Bedingungen für jene Inhaftierten, die sich ihrem Willen beugten, zu erwirken. In ihrer Funktion als Kontrollorgan lag es in ihrer Zuständigkeit, Streitigkeiten zu belegen und für Ruhe und Ordnung unter den Gefangenen zu sorgen. Diese Schiedsrichterrolle ist bis heute eine der zentralen Aufgaben der "Diebe im Gesetz". In den vergangenen Jahrzehnten war die Gemeinschaft der Diebe im Gesetz einem stetigen Wandel unterworfen. Bedingt durch den Zerfall der Sowjetunion und die darauffolgende Privatisierung staatlichen Eigentums konnten kriminelle Organisationen einen starken Vermögenszuwachs verzeichnen. War der Dieb früher ein "ehrenwerter Gauner" ohne nennenswerte Eigenmittel, änderte sich das schlagartig: Im Russland der 1990-er Jahre gab es kein Unternehmen, das nicht unter Einfluss krimineller Organisationen stand. Die Aufteilung der Machtsphären erfolgt bis heute bei der so genannten „Skhodka“ (russ.: сходка, сходняк), bei der nicht nur Einflussbereiche festgelegt, sondern auch Streitigkeiten beigelegt und relevante Entscheidungen - wie etwa der Entschluss über die Krönung oder Entkrönung neuer "Diebe" - getroffen werden. Darüber hinaus werden bei einer "Skhodka" Sanktionen über mögliche Verstöße gegen das Diebesgesetz verhängt, die von öffentlicher Demütigung bis hin zur Todesstrafe reichen können. Die "Skhodka" ist der einzige mögliche Rahmen für derart schwerwiegende Entscheidungen.

Das Diebesgesetz

Nicht nur gekrönte "Diebe", sondern auch sämtliche Anhänger des Diebesidee, unterwerfen sich einem strengen Ehrenkodex. In der russischsprachigen Literatur gibt es zahlreiche Materialien, die sich mit dem "Diebesgesetz" (russ.: воровской закон vorovskoy zakon) auseinandersetzen. Dabei handelt es sich um ungeschriebene Vorschriften, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Zweck des Gesetzes ist es, das Ansehen und die Traditionen der "Diebe" zu erhalten. Dies wiederum sichert die Glaubwürdigkeit der Institution in den kriminellen Kreisen und die Verbindlichkeit der durch einen "Dieb" getroffenen Entscheidungen. Die einzelnen Punkte des „Diebesgesetzes“ werden in der Literatur sehr differenziert wahrgenommen, was wohl nicht zuletzt am unterschiedlichen Unterwerfungsgrad der „Diebe“ unter das ungeschriebene Leitbild liegt: Die einzelnen Punkte differieren je nach Clanzugehörigkeit und Nationalität der Diebe. Während etwa im russischen Einflussbereich die "Diebesgesetze" eher strikt ausgelegt und befolgt werden, geht man in Georgien etwas kulanter damit um. Ein Unterschied ist auch zwischen den traditionellen und den modernen Dieben zu verzeichnen. Während erstere ein sehr einfaches Leben führen, keine finanziellen Gewinne aus der kriminellen Tätigkeit zurückbehalten und Gewalt eher ablehnend gegenüber stehen, sind jüngere "Diebe" bestrebt ein Leben zu führen, wie man es aus Hollywood-Mafiafilmen kennt. Trotz der differenzierten Auslegung gelten einige zentrale Punkte als unumstößlich und werden mit hohen Strafen durch die Diebeskaste geahndet. Unter anderem besagt das Gesetz, dass die Entscheidung eines "Diebes" absolut verbindlich ist und nur von einem anderen "Dieb" aufgehoben oder abgeändert werden kann. "Diebe" dürfen nicht öffentlich gedemütigt, geschlagen oder gar getötet werden. Die Gemeinschaftskasse der Diebe, der so genannte „Obschak“ (siehe unten) ist zu erhalten. Die dort enthaltenen Geldmittel dürfen keinesfalls für andere, als dem Wohl und dem Fortbestehen der Gruppierung gewidmete Zwecke entnommen werden. Verstöße werden bei der Skhodka hart bestraft. Die Strafen werden anlassbezogen bei der "Skhodka" beschlossen und können von körperlicher Züchtigung über den Verstoß aus der Gemeinschaft bis hin zur Erklärung zur „Hure“ (russ.: сука) und somit der völligen Ächtung und Freigabe zur Tötung reichen.

Die Krönung der Diebe

Die Krönung zu einem "Dieb" ist ein feierlicher Akt, der grundsätzlich durch ein Tribunal von mindestens fünf "Dieben im Gesetz" vorgenommen wird. In den letzten Jahren konnte man vermehrt beobachten, dass sozusagen „Notkrönungen“ erfolgten, die durch sehr einflussreiche Diebe ohne Einhaltung der üblichen Formalitäten durchgeführt wurden. Üblicherweise folgt die Krönungsprozedur jedoch einem bestimmten Ablauf: Der Kandidat wird durch andere "Diebe im Gesetz" oder auch "Autoritäten", also Personen, die zwar keinen Diebesstatus haben, aber dennoch hohes Ansehen unter den Dieben geniessen, nominiert. Der Nominierte muss sein bisheriges Leben nach dem Diebesgesetz ausgerichtet haben. Er darf keine Naheverhältnisse zu staatlichen Behörden pflegen, sollte niemals einer regulären Arbeit nachgegangen sein und Erfahrungen in der Haft gemacht haben. Üblicherweise sind dies Personen, die als zuverlässig gelten, gute Führungsqualitäten haben, faire Entscheidungen treffen und auch in schwierigen Situationen gelassen bleiben. In der jüngsten Zeit kam es jedoch auch wiederholt zu Nominierungen aufgrund von Verwandschafts- oder Bekanntschaftsverhältnissen. Derart zu ihrem Status gekommene "Diebe" werden nur schwer von der Gemeinschaft anerkannt, genießen aber aufgrund ihres Status dennoch alle Privilegien. Der Nominierte wird auf einer Skhodka dem Tribunal vorgeführt und muss Rede und Antwort stehen. Zeigen sich die Vorsitzenden mit der Wahl zufrieden, wird er zum „Dieb“ gekrönt, muss einen Eid auf die Befolgung der Diebesgesetze leisten und darf das Statussymbol der Diebe – eine Tätowierung in Form eines sechszackigen Sterns – tragen. Die Nachricht von dem neu gekrönten "Dieb" wird innerhalb der Gemeinschaft (insbesondere auch in den Gefängnissen) verbreitet. Derzeit gibt es über 1000 polizeilich bekannte "Diebe".

Der Obschak

Der Obschak (russ.: общак) bildet die finanzielle Grundlage von kriminellen Organisationen, die mit der Diebestradition verbunden sind. Anhänger der Diebesidee sind – entgegen der nach Außen hin präsentierten Freiwilligkeit – verpflichtet, Beiträge an den Obschak zu leisten. Die Weiterleitung der Obschak-Gelder folgt üblicherweise dem administrativen Aufbau der Gruppierung. Auf jeder Funktionsebene gibt es eine eigens zur Haltung der Kasse bestimmte Person, die für die Vollständigkeit der (codierten) Buchführung und das Eintreiben der Gelder verantwortlich ist. Der Großteil des Geldes wird regelmäßig an die nächsthöhere Ebene übermittelt. In Anlassfällen können aber, nach Rücksprache mit den Verantwortlichen, Finanzmittel für die Unterstützung inhaftierter Organisationsmitglieder oder ihrer Familien, der Bereitstellung von Rechtsanwälten oder der Bestechung von Amtsträgern entnommen werden. Der zentrale Obschak, der in Russland gehalten werden soll, fasst angeblich mehrere Hunderte Billionen US-Dollar und dient zur Finanzierung von Großprojekten wie etwa dem Ankauf hochkarätiger Immobilien, der Gründung von Unternehmen bis hin zur Bezahlung korrupter Politiker, die die Gruppierung bei der Durchsetzung ihrer Interessen unterstützen sollen.

Diebe in Europa

Seit der Ermordung der Georgiers David Sanikidze in Wien in den frühen 90er Jahren, stehen „Diebe im Gesetz“ auch im zentraleuropäischen Bereich im Mittelpunkt des polizeilichen Interesses. Bis zum Anfang des 21ten Jahrhunderts war das Thema dennoch nur wenigen Experten vorbehalten. 2006 kam es in Österreich nach jahrelangen Ermittlungen erstmals zu einer Festnahme eines georgischen „Diebes“. Bei der Urteilsausfertigung im Jahr 2008 wurde dieses Phänomen erstmals in der österreichischen Rechtsprechung berücksichtigt. Konkret legte das Landesgericht Wien fest, dass „Diese Funktion in der kriminellen Unterwelt der Sowjetunion (...) – trotz einiger Unterschiede – einigermaßen mit der eines Paten in italienischen oder amerikanischen kriminellen Organisationen verglichen werden (kann). Diebe im Gesetz müssen sich an einen bestimmten Ehrenkodex halten, dürfen weder einer geregelten Arbeit nachgehen, noch soziale Unterstützung vom Staat beziehen und werden für Abweichungen von den Regeln von anderen Dieben im Gesetz bestraft. Dafür erhalten sie einen Anteil an der Beute aller ihnen unterstehender Täter und verwalten eine gemeinsame Kasse, aus der beispielsweise auch die Verteidigerkosten für inhaftierte Mitglieder ihrer Organisation bezahlt werden.“ (LG Wien vom 22.09.2008, 142Hv84/08a). Im März 2010 kam es im Zuge der Operation Java zu einem koordinierten Zugriff in Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich, der Schweiz und Spanien. Dabei wurden zahlreiche Personen festgenommen, die der Organisation der „Diebe im Gesetz“ zugehörig waren – darunter auch sechs gekrönte „Diebe“. Diese Operation war die erste europaweit vernetzte Polizeiaktion, die gezielt auf die Bekämpfung der "Diebe im Gesetz" gerichtet war und zeichnete sich vor allem durch die enge Zusammenarbeit der Polizeidienststellen und Staatsanwaltschaften sämtlicher beteiligter Länder aus.

Aktuelle Entwicklungen

Seit Anfang des 21ten Jahrhunderts konnten die Behörden wiederkehrende Spannungen zwischen den einzelnen Clans feststellen. Primär ging es um die Aufteilung der unterschiedlichen Machtbereiche zwischen dem Kutaisi- und dem Tiflis-Clan. Diese Spannungen erreichen im Juli 2009 ihren Höhepunkt als einer der bekanntesten und einflussreichsten „Diebe“ des Tiflis-Clans, Vyacheslav Ivankov mit dem Spitznamen „Japonchik“ (der kleine Japaner) in Moskau beim Verlassen eines Lokals erschossen wurde. Es folgten gegenseitige Mordanschläge in Frankreich, Griechenland und Italien. Das – vorläufig – letzte Opfer des „Diebeskriegs“ war Aslan Usoyan mit dem Spitznamen "Ded Hasan" (Opa Hasan). Usoyan wurde im Januar 2013 in Moskau auf offener Strasse hingerichtet. Er war einer der „Urväter“ des Tiflis-Clans und der einflußreichste „Dieb im Gesetz“ weltweit.

Literatur

  • Gede, Dimitrij: Mit Gewalt zur Macht und die Macht der Gewalt. Wie konnte sich die organisierte Kriminalität in Russland zu einem Staat im Staate formen?, GRIN Verlag, Norderstedt, 2011
  • Mokhov, E.A.: FSB. Der Kampf mit der organisierten Kriminalität; bibliographische Angaben im Original: Мохов, Е.А.: ФСБ: Борьба с организованной преступностью, ЗАО "Издательское предприятие "Вузовская книга", Москва, 2006
  • Roth, Paul Erich: Organisierte Kriminalität in Russland. Die Rolle der "Diebe im Gesetz", in: Kriminalistik 11/00 S. 725-730
  • Scherschneva-Koller, Elena: Postsowjetische Organisierte Kriminalität - Bekämpfung der "Vory v zakone" in Österreich, Diplomica Verlag, Hamburg, 2012
  • Scherschneva-Koller, Elena: "Operation Java“, in: Kriminalpolizei Nr. 02-03/12, S. 35-41
  • Schmid, Ulrich: Gnadenlose Brüderschaften: Aufstieg der russischen Mafia, Schöningh Verlag, Paderborn, 1996
  • Shalikashvili, Moris: "Diebe im Gesetz": Eine kriminelle Organisation im deutschen Jugendstrafvollzug?, wvb Verlag, Berlin, 2009
  • Skoblikow, Petr Alexandrowitsch: Vermögensstreitigkeiten und Schattenjustiz im postsowjetischen Russland (1991-2001), in: Kriminalistik 1/2005, S. 19-25
  • Skoblikow, Petr Alexandrowitsch: Über kriminelle ("diebische") Traditionen und Normen bei der Beilegung von Streitfällen in Russland Anfang der 1990-er Jahre, in: Kriminalistik 1/2006, S. 46-54