Der Fall Kadi

Im Oktober 2001 nahm der Sanktionsausschuss Yassin Abdullah Kadi in seine Liste auf. Zwei Tage später stand er auch auf der Liste der EU-Verordnung. Dagegen wehrte er sich mit Klage beim Gericht der EU (EuG), die 2005 abgewiesen wurde. Die europäischen Verordnungen zur Umsetzung der Maßnahmen des UNO-Sicherheitsrats seien gerichtlich nicht überprüfbar, urteilten die Richter des EuG. Gegen dieses Urteil rief Herr Kadi den Europäischen Gerichtshof (EuGH) an, der ihm im September 2008 Recht gab.

Die Verpflichtungen aus einer internationalen Übereinkunft dürften nicht die Verfassungsgrundsätze des EG-Vertrags beeinträchtigen, meinte der EuGH. Insbesondere müssten alle Handlungen der Union die Grundrechte achten und dies müsse auch gerichtlich überprüfbar sein. Die Verordnung, mit der Herr Kadi in die Liste der mit Osama bin Laden in Verbindung stehenden Personen aufgenommen worden war, wurde für nichtig erklärt, weil sie seine Verteidigungsrechte und das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz verletze. Herrn Kadi waren nämlich keine der ihm zur Last gelegten Umstände, nicht einmal die Gründe für seine Aufnahme in die Liste, mitgeteilt worden. Allerdings wurden die Wirkungen die Verordnung für höchstens drei Monaten aufrechterhalten, um es dem Rat zu ermöglichen, die festgestellten Verstöße zu heilen.

Auf EU-Anfrage teilte der Präsident des UNO-Sanktionsausschusses die Zusammenfassung der Gründe für die Aufnahme von Herrn Kadi in die Liste mit. Darüber wurde Herr Kadi informiert, der umgehend Beweise für die Äußerungen und Behauptungen in der Zusammenfassung der Gründe verlangte, denn zu allgemeinen Vorwürfen könne er nicht Stellung nehmen. Wenige Tage später wurde die Verordnung erneut mit seinem Namen veröffentlicht. Erneut rief Herr Kadi das Gericht an. In seinem Urteil von 2010 folgte das Gericht der Ansicht des EuGH und prüfte die Verordnung eingehend. Weil die Angaben in der vom UNO-Sanktionsausschuss übermittelten Begründung dem Gericht insgesamt zu vage erschienen, kam es zu dem Ergebnis, dass die Verteidigungsrechte und das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz von Herrn Kadi verletzt seien.

Dieses Urteil wollten die Kommission, der Rat und zahlreich Mitgliedstaaten nicht hinnehmen. Sie legten Rechtsmittel zum EuGH ein. Es verstoße gegen das Völkerrecht, die Maßnahmen des UNO-Sicherheitsrats zu überprüfen. Wenn überhaupt, dürften sie keiner umfassenden Kontrolle unterworfen werden. Beides weist der EuGH in seinem Urteil vom 18. Juli 2013 unmissverständlich zurück, wie es nach seinem Urteil von 2008 nicht anders zu erwarten war.

Die zuständige Unionsbehörde müsse Personen, die verdächtigt werden, mit dem Terrorismus in Verbindung zu stehen, und die in eine entsprechende Liste aufgenommen oder auf ihr belassen werden sollen, die Umstände mitteilen, die ihrer Entscheidung zugrunde liegen. Der Betroffene muss zumindest die vom UNO-Sanktionsausschuss übermittelte Begründung erhalten, auf der die Entscheidung beruht, ihm gegenüber restriktive Maßnahmen anzuwenden. Die Unionsbehörde müsse es dem Betroffenen ermöglichen, seinen Standpunkt zu den gegen ihn herangezogenen Gründen in sachdienlicher Weise vorzutragen und diese Gründe sorgfältig prüfen. Im Streitfall müsse die Behörde die gegen den Betroffenen vorliegenden Gründe nachweisen. Es sei nicht Sache des Betroffenen nachzuweisen, dass diese Gründe nicht stichhaltig sind.

Zwar stellt der EuGH im Urteil des EuG einige Rechtsfehler fest, das Urteil selbst bestätigt er aber nach eingehender Prüfung der Argumente des UNO-Sanktionsausschusses. Damit steht fest: weder die EU-Organe, noch die Mitgliedstaaten dürfen unter Berufung auf das Völkerrecht die Grundprinzipien der EU verletzen. Bedurfte es zu dieser einfachen Erkenntnis wirklich so langer gerichtlicher Auseinandersetzungen?