Das Ende von Terrorgruppen

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Das Ende von Terrorgruppen war Gegenstand einer Studie der Denkfabrik RAND (Jones & Libicki 2008). Danach ist militärische Gewalt das am wenigsten geeignete Mittel, um die terroristischen Aktivitäten entsprechender Gruppen zu beenden. Seth Jones und Martin Libicki erstellten eine Liste der 648 militanten Gruppen, die weltweit zwischen 1968 und 2006 aktiv waren. Nicht untersucht wurden die 244 dieser 648 Gruppen, die im bewaffneten Kampf noch aktiv waren. 136 Gruppen hatten sich aufgelöst und ihre Mitglieder waren in neuformierten militanten Gruppen aktiv. Es blieben 268 Gruppen, die den bewaffneten Kampf eingestellt hatten.

  • 27 bewaffnete Gruppen waren erfolgreich und hatten die Macht übernommen.
  • 114 Gruppen (43%) hatten den bewaffneten Kampf nach Verhandlungen und der Transformation in politische Parteien eingestellt.
  • 107 Gruppen (40%) waren durch Polizei und Geheimdienste erfolgreich bekämpft worden.
  • 20 Gruppen (7%) waren durch militärische Gewalt aufgelöst worden.

Bei Terrorgruppen mit über 10.000 Mitgliedern, guter Organisation und Bewaffnung usw. ist militärische Gewalt angemessen. Die Erfolgschancen sind dann besser, wenn die Soldaten aus dem jeweiligen Heimatland der Terroristen selber stammen.

"Die Faktenlage im Jahre 2008 zeigt, dass die US-Strategie zur Unterminierung der Mittel von Al Qaida nicht erfolgreich war."

90% der 609 Milliarden Dollar, die der US-Kongress von 2001-2007 für den Antiterrorkampf bewilligte, galten dem Verteidigungsministerium.

Religiös motivierte Gruppen sind zählebiger als säkular geprägte Gruppen. Seit 1968 haben 62% aller militanten Gruppen den bewaffneten Kampf eingestellt, aber von den religiösen Militanzgruppen sind es gerade mal 32%, die aufgegeben haben. Dagegen habe keine einzige religiöse Gewaltzelle ihre Ziele bislang erreicht. - Es besteht keine statistische Korrelation zwischen der Lebensdauer einer Terrorgruppe und den wirtschaftlichen Bedingungen der Regierungsform im jeweiligen Land oder der Reichweite terroristischer Zielsetzungen. - Größe ist wichtig: bei militanten Gruppen mit mehr als 10.000 Mitgliedern verbessern sich die Erfolgsaussichten erheblich. - Gelingt es militanten Gruppen, in Aufstände verwickelt zu werden, so wird die Beendigung der Gewalt erheblich erschwert. In 50% der Fälle beendet eine Vereinbarung mit der Regierung die Kampfhandlungen. In 25% der Fälle siegt die militante Gruppe. In 19% dieser Terror/Aufruhr-Kombination schlägt das Militär die Aktionen nieder. - Militante Gruppen sind in Ländern mit hohem Durchschnittseinkommen eher links oder nationalistisch orientiert. - Die meisten militanten Gruppen geben auf, weil sie mit der Regierung einen Kompromiss geschlossen haben oder weil Polizei und Geheimdienst sie ihrer Führungskräfte beraubt haben. Weil das so ist, erörtern die RAND-Autoren je ein Fallbeispiel für die beiden Lösungen. Ein erfolgreiches Beispiel für das "Policing" ,also die Enthauptung einer Terrorgruppe durch Polizei und Geheimdienste, stellt für Jones und Libicki die Bekämpfung der japanischen Gruppe Aum Shinriko dar. Es handelt sich um eine paranoide Sekte, die in ihrem Glauben buddhistische und christliche Elemente mit Einsprengseln von Nostradamus zu einer synthetischen Endzeitreligion vermischt hatte. Mitte der Neunziger Jahre war Aum Shinriko durch Giftgasattentate in Tokioter U-Bahnstationen hervorgetreten. Durch den gezielten Einsatz von Undercover-Agenten, durch Abhören von Telefongesprächen und durch die rasche Einführung neuer Antiterrorgesetze konnten die Schlüsselfiguren von Aum rasch ausgeschaltet werden.

Die Möglichkeit des Kompromissfriedens zwischen militanter Gruppe und Regierung zeigen die Autoren am Beispiel von El Salvador. Hier standen sich eine starrsinnige, schon seit langem delegitimierte Oligarchie und ein breites Bündnis von Bürgergruppen, zusammengefasst in der FMLN, gegenüber. Der Starrsinn und die extreme Brutalität der Oligarchie zwang viele Bürger El Salvadors in die Militanz. Bürger, die im Prinzip nur eine Reform der Gesellschaft verlangten. Es galt, den anachronistischen Zustand zu beenden, dass die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung von jeder politischen Teilhabe ausgeschlossen war. Hier ergab sich das "Fenster der Gelegenheit" zum Verhandlungsfrieden, als der Konflikt in El Salvador mit dem Ende des Kalten Krieges seinen Charakter als Stellvertreterkrieg zwischen den Supermächten eingebüßt hatte. Entscheidend war zudem, dass die Forderungen des Bürgerbündnisses FMLN relativ bescheiden waren und in einer längst überfälligen Anpassung der politischen Bedingungen an das Niveau von Nachbarländern bestanden.

Die Reichweite der Forderungen militanter Gruppen ist ganz entscheidend für Jones und Libicki. Wollen die militanten Kämpfer nur ein bisschen mehr Demokratie wagen? Oder die Absetzung eines kompromittierten Präsidenten erzwingen? Oder wollen sie womöglich eine andere Weltordnung? Und damit kommen die Autoren zur Situation in Irak. Mit Al Qaida kann man sicherlich nicht zu einem Kompromissfrieden kommen. Denn Al Qaida fordert einen theokratischen Kalifatsstaat für alle islamisch geprägten Staaten. Damit werden sich weder die säkularen und nationalistischen arabischen Regenten einverstanden erklären, und auch die schiitisch-islamisch regierenden Staatenlenker werden sich solche Oberhoheit durch die sunnitische Al Qaida energisch verbitten. Zudem haben sich die Al Qaida-Führer längst mit allen Muslimen in der Region überworfen.

Bis Anfang 2006 nämlich hatte Al Qaida gute Fortschritte gemacht, den Widerstand gegen die amerikanischen Invasionstruppen mit dem Mujahideen Shura Council unter ihre Kontrolle zu bekommen. Dann jedoch formierte sich massiver Widerstand der einheimischen Stammesführer, denn "Al Quaida tötete auch Führer von anderen Fraktionen, auf deren Kopf die US-Militärs Hunderttausende von Dollar ausgesetzt hatten." Die Stammesführer verordneten ihren Untertanen, in die irakische Polizei einzutreten, um die Al-Qaida-Kämpfer aus der Region Anbar zu vertreiben. Und plötzlich kam ein nie gekannter Schwung in die örtlichen Polizeieinheiten. Denn hochmotivierte, mit der Gegend vertraute Polizisten verjagten Al-Qaida-Mitglieder vollständig aus Anbar. So war es nicht die von Bush verordnete Aufstockung der US-Streitkräfte im Irak, die zu einem Machtverlust von Al Qaida führte. Vielmehr erledigten diese Aufgabe die Iraker selber mit ihrer spontanen Form des Policing.

Schlussfolgerung: Einen Kompromissfrieden kann es mit Al Qaida nicht geben, weil dessen Forderungen völlig außerhalb jeder Verhandelbarkeit liegen. Bleibt also nur die zweiterfolgreichste Variante der Terrorbeendigung, das Policing. Das US-Militär hat sich aus Irak und Afghanistan weitgehend herauszuhalten. Die Hauptarbeit sollten Geheimdienste wie der CIA und andere mit der subtilen Terrorbekämpfung betraute Kräfte durchführen, in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit der Polizei vor Ort. Die USA müssten zu den guten alten Tugenden der indirect rule zurückkehren. Solides Handwerk der Counterinsurgency, wie es sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Westeuropa zur Eindämmung der Kommunisten so wunderbar bewährt habe. Also nicht direkt in Erscheinung treten, sondern die Eliten vor Ort beeinflussen und für sich arbeiten lassen. Im Mittleren Osten müssen muslimische Kleriker, Stammeshäuptlinge, Medien, Parteien, Studenten- und Jugendorganisationen sowie Gewerkschaften infiltriert und finanziell gepolstert werden.

Die Rhetorik des Krieges gegen den Terror ist ein glattes Eigentor, meinen Jones und Libicki. Denn so wird aus Bin Laden ein Kriegsheld, und Muslime fühlen sich automatisch zum Dschihad, dem Heiligen Krieg, aufgefordert. Besser ist zu sprechen vom Antiterrorkampf, und schon ist die Gruppe der Leute, die sich angesprochen fühlen könnten, erheblich eingeschränkt. Und Bin Laden und seine Mitstreiter sind in der Sprache des Antiterrorkampfes nichts anderes als gewöhnliche Kriminelle.

Das RAND-Papier von Jones und Libicki ist nicht die erste Kritik an der Fixierung der Bush-Cheney-Regierung am Krieg als der einzigen Waffe gegen Terrorismus. Bereits 2003 hatte Jeffrey Record im Auftrag des Army War College ein Papier veröffentlicht, in dem er den Einsatz von Militär gegen Terrornetzwerke als "strategischen Irrtum der übelsten Sorte" ("strategic error of the first order") bezeichnete. Im Gegensatz zu Jones und Libicki macht Record aber auch deutlich, dass das "Zusammenbacken" unterschiedlichster Übelmächte zu dem Sammelbegriff "Al Qaida" ein Teil des Problems selber ist. Denn vermutlich hat die US-Regierung mit ihrer Konstruktion eines weltweit operierenden Netzwerkes Al Qaida dieses Netzwerk überhaupt erst geschaffen. Auch Jones und Libicki erwähnen am Rande die erstaunliche Karriere von Al Qaida: "Al Quaida war in den ersten sechs Jahren nach dem 11. September 2001 an mehr terroristischen Anschlägen beteiligt, als in all den vorangegangenen sechs Jahren." Und auch die RAND-Autoren möchten sich nicht festnageln lassen, dass alle Anschläge, die die US-Regierung Al Qaida zugeschrieben hat, tatsächlich auch von dieser bestimmten Terrorgruppe ausgeführt wurden.

Kritik

Die Argumentation der RAND-Studie basiert auf groben Vereinfachungen. Für Jones und Libicki sind soziale Bewegungen, die aufgrund extrem harter Repression in die bewaffnete Abwehr genötigt worden sind, wie z.B. die salvadorianische FMLN oder die südafrikanische ANC, nach den selben Kriterien untersucht worden wie psychotisch wirkende Minigruppen in der Art von Aum Shinriko oder vom Ausland inszenierter Terrorgruppen wie der angolanischen UNITA. Sie alle sind für die RAND-Forscher in gleichem Maße Terroristen.


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