Ciudad Juarez

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Ciudad Juárez ist eine nordmexikanische Stadt, die im Bundesstaat Chihuahua liegt. Sie grenzt an die Vereinigten Staaten von Amerika. In Juárez werden auffällig viele Frauen im Alter zwischen 16 und 40 Jahren auf brutale Art und Weise getötet. Die Frauen von Juarez wohnen beengt in der Nähe der Maquiladora Fabriken, in kleinen Siedlungen. Nur circa 3 von 100 der Bewohnerinnen von Juarez haben studiert, die Mehrheit verfügt über einen Grundschulabschluss. Nach Angaben der Misión Internacional por Acceso a la Justicia en la Región Mesoamericana fanden von Januar 2009 bis Juni 2010 etwa 1728 Morde statt, die unter den Begriff des Feminicido fallen. Die meisten Fälle von Feminicido ereigneten sich in den Bundesstaaten Estado de México, Chihuahua und Oaxaca [1]. María de la Luz Estrada, die Koordinatorin des Observatorio Ciudadano Nacional de Feminicidos, sagte aus, dass sich die Frauenmorde in Ciudad Juárez von 2009 mit 117 Todesfällen auf das Jahr 2010 mit 306 Todesfällen, nahezu verdoppelt haben [2]. 2010 wurden in Ciudad Juárez 3100 Morde verzeichnet, die man ihrer Charakteristik nach dem Drogenhandel zurechnen kann. Bei einer Gesamteinwohnerzahl von 1,2 Millionen gilt Juárez aufgrund der vielen Morde und Todesfälle als gewalttätigste Stadt des Landes [3].


Die Maquiladora-Industrie

1965 legte das Programa de la Industrialización de la Frontera Norte -(PIF) die Weichen für ausländische Unternehmen, um sich in der Grenzstadt Juarez niederzulassen. Es wurden Sondergesetze für die ausländischen Unternehmen eingeführt, sowie eine sogenannte Freihandelszone, welche den Unternehmen, die sich in Juarez niederließen Steuerfreiheit gewährte (vgl. [4]). Der Grundgedanke hinter dem PIF und dem Aufbau der Maquiladora Gebiete war, Juarez, seine Bewohner und ganz Mexiko sollte von der Maquiladora-Industrie provitieren. "(...) ein neues Leben, attraktive Arbeitsplätze, gute Einkommen und modernste Technik und Weiterbildungsmöglichkeiten (...)" [5] sollten den Mexikanern in dieser "Stätte des Fortschritts und der Entwicklung" [6] ermöglicht werden. Die Fabriken befinden sich in ausländischer Hand und produzieren nur für den Export. Wird eine Fabrik geschlossen oder die Arbeit in einer Fabrik eingestellt, verbleiben die Maschinen nicht dort, sondern sie werden wieder zurück in das Herkunftsland geschickt. Ein Großteil der Maquiladora Fabriken befinden sich in amerikanischer oder japanischer Hand. Die Fabriken bedienen Produktionsnachfragen aus Autoindustrie, Herstellung elektronischer und elektrischer Gerätschaften, sowie der Textilindustrie und versorgen bekannte Firmen, wie Bosch, Siemens, Phillips und andere mit ihren Produkten (vgl. [7]). Als die ersten Arbeiter einer Tätigkeit in den Maquiladoras nachgehen konnten, holten sie ihre Familien und Verwandten ebenfalls in die Grenzstadt, was für einem großen Migrations(zu)strom sorgte. Immer mehr Menschen siedelten sich in Juarez an und versuchten, dort entweder Arbeit zu finden, oder aber bei einer günstigen Gelegenheit über die Grenze zu verschwinden, um ein besseres Leben in Amerika zu führen. Ein sehr großer Teil der Migranten waren Frauen, darunter alleinstehende Mütter, aber auch Arbeitslose, Verlassene und Frauen, die von ihrer Familie verstoßen worden waren (vgl. [8]). Ein weiterer Teil Arbeitssuchender pilgerte nach Juarez, um dort Arbeit zu finden und der Familie Geld in die Heimat zu schicken. "Frauen galten bei den Unternehmen als weniger aufsässig als Männer, lern- und anpassungsfähig und konnten für weniger Geld eingestellt werden." [9]. Die Frauen verdienen in den Maquiladoras etwa vier Dollar in der Stunde. Unqualifizierte Arbeitskräfte verdienen auf der anderen Seite der Grenze, in El Paso (USA), etwa fünf Dollar die Stunde (vgl. [10]). Die Frauen führen eine ermüdende und eintönige Handarbeit aus, wie das Sortieren von Schrauben oder Zusammenstecken von elektrischen Kleinartikeln. Die Arbeiterinnen der Maquiladoras sind oft unter 20 Jahren. Junge Frauen seien " (...) fügsamer und leichter manipulierbar" [11] und hätten zudem auch noch keine Kinder zu versorgen [12]. (Unbezahlte) Überstunden, Schlafentzug durch nächtliche Arbeit, auch von mehreren Tagen, sowie schwere körperliche Arbeit sind nicht selten. Die Menschenrechte der Frauen werden in den Maqiladoras stark eingeschränkt und verletzt: Toilettengänge sind nicht immer möglich, da die Toiletten abgeschlossen sind und die Frauen nicht von ihrem Arbeitsplatz weichen dürfen. Der Gang zur Toilette ist nur in der Pause oder nach Erlaubnis möglich [13]. Um zu verhindern, dass die Arbeiterinnen schwanger werden, wird die Antibabypille von den Unternehmen verteilt. Aber auch " (...) erniedrigende Körperuntersuchungen, Schwangerschaftskontrollen (...)" [14] und Kontrolle der Monatsbinden werden durchgeführt (vgl.[15]). Die Frauen sind zumeist für einige Monate angestellt, wobei sie durch keinen Vertrag abgesichtert sind. In der Regel werden die Arbeiter der Maquiladora Fabriken nach 10 Monaten komplett ausgetauscht. "Grundlage dafür ist das Überangebot von Arbeitskräften, das sich aus den Migrationsströmen rekrutiert." [16]. Die Einführung der Maquiladora Industrie konnte das Leben der Mexikaner nicht verbessern und auch das Versprechen, Drogenhandel und Gewalt zu verringern, konnte nicht eingehalten werden. Im Gegenteil; - Drogenhandel und Gewaltaufkommen nahmen eher noch zu (vgl. [17]).

Bandenwesen

Juarez hat ebenfalls ein großes Problem mit Banden, die zumeist ganze Stadtteile verwalten und in ihrer Hand haben. Die verschiedenen Banden sind untereinander verfeindet und kämpfen um Vorherrschaft und Drogenhandel. "Morde auf offener Straße sind alltäglich und sie werden kaum aufgeklärt. Dies erzeugt einen rechtsfreien Raum, in dem die Polizei nur agieren kann, wenn sie sich mit den Delinquenten arrangiert oder fraternisiert. Die Sicherheitskräfte sind nicht im Mindesten auf die schnell wachsende Stadt und den Drogenkrieg eingerichtet."[18]. In Juarez kommen auf einen Polizisten etwa 3551 Einwohner (vgl. [19]).

Die Frauenmorde von Ciudad Juárez

Die Morde von Juárez begannen im Jahr 1993. Bis zum Jahr 2008 verschwanden über 500 junge Frauen, wobei die Dunkelziffern der Vermissten und Ermordeten weitaus höher liegen [20]. Die Frauen werden von Unbekannten entführt, Tagelang festgehalten, gefoltert und vergewaltigt, bis sie dann schließlich getötet werden. Die Tötungen erfolgen entweder durch Strangulation oder Messerstiche. In vielen Fällen werden die Leichen der Frauen verstümmelt, verbrannt und wie Müll entweder in der Wüste, im Straßengraben oder am Straßenrand entsorgt. Es gibt einige Fälle, in denen die Leichen sogar offensichtlich vor die Eingänge der Maquila(doras)-Industriegebäude abgelegt wurden. Sehr oft werden die Leichen auch erst Jahre später gefunden oder sie sind für immer verschwunden. Viele der Opfer arbeiteten in den Maquiladoras [21]. Marisela Ortiz von der Organisation Nuestras Hijas de Regreso a Casa (Für die Rückkehr unserer Töchter nach Hause, NHRC) kann diese Aussage unterstützen. Sie geht davon aus, dass circa 80-130 der getöteten Frauen in das Schema der Drogenmafia passen würden: "Die Art, wie viele Frauen entführt, gefoltert und getötet werden, entspricht dem Vorgehen der Drogenmafia." [22]. Zudem sei der Feminizid zu der Zeit aufgekommen, in der die Drogenmafia Fuß in Juárez fasste und an Stärke gewann. Esther Cháves von der Organisation Casa Amiga sieht auch die vorherrschende patriarchale Gewalt als einen Grund für die Frauenmorde an. Die Rolle der Frau habe sich im Laufe der Zeit in Ciudad Juárez verändert. Die Frauen seien selbstständiger geworden, seien vermehrt für ihr Leben verantwortlich und entscheiden ihren Lebensweg selbst. Sie hätten zudem die Rolle der Hauptversorgerinnen der Familie angenommen und somit dem Mann diese Rolle streitig gemacht. Die Männer würden darauf mit Verunsicherung reagieren und würden daher gewaltbereiter sein [23]. Innerhalb von inzwischen schon 19 Jahren hat sich die Ciudad Juárez zu einer Hochburg der Frauenmorde und Gewalt gegen Frauen entwickelt. Der Feminizid ist eine ständige Bedrohung für jede Frau, die in Ciudad Juárez lebt oder sich aufhält. Über 1.205 Frauen sind im Jahr 2004 laut dem Bericht der Parlamentarierkommission dem Feminizid der Ciudad Juárez zum Opfer gefallen. Täglich werden mindestens 4 Frauen in Ciudad Juárez getötet und von den Mördern fehlt jede Spur oder die Beweise wurden vertuscht oder sind verschwunden [24].

Das Modell des Feminizid

Rita Laura Segato, Anthropologin an der Universität in Brasília hat sich mit den Frauenmorden in Juárez beschäftigt. Für sie sind die Frauenmorde ein "Mittel der Kommunikation" [25], dass sowohl nach innen als auch nach außen wirkt. Segato spricht in ihrem Artikel offen über ihre Vermutungen, wer die Täter sind. Sie sagt, dass Personen aus dem Drogenhandel, der High Society und auch Personen mit Macht und Einfluss für die Morde verantwortlich sind. Auch die Strafverfolgungsbehörde sei demnach nicht unschuldig oder loyal der Bevölkerung und ihrem Zweck gegenüber, nämlich die Morde aufzuklären und die Täter zu finden, sondern sie sind selbst in die Morde mit verstrickt. Was nichts anderes bedeutet, dass die Polizei korrupt ist. Spuren werden verwischt, vertauscht, Beweismittel verschwinden und Unschuldige werden beschuldigt und ins Gefängnis gebracht. Ihre Aussagen werden oft unter Folter erzwungen. Für Segato sind Sexualverbrechen nicht das Werk von "fehlgeleiteten Einzelpersonen, nicht das Ergebnis geistiger Krankheit oder sozialer Anormalität, sondern der Ausdruck einer zugrunde liegenden symbolischen Struktur, die unsere Handlungen und Phantasien prägt und sie dadurch verstehbar macht. (...) Der Aggressor und die Gesellschaft teilen gleichermaßen ein Geschlechterbild, sie sprechen die gleiche Sprache und können sich verstehen." [26]. Aus ihren Untersuchungen und Interviews mit Sexualstraftätern konnte sie herausfinden, dass die Täter die Taten keineswegs aus Einsamkeit oder asozialen Tendenzen heraus begangen haben, sondern dass Vergewaltigung für sie eine Art der Kommunikation mit der Gesellschaft darstellt, "dass sie sich in einer 'Nische der Kommunikation' aufhalten, in die eingedrungen wird und die damit auch verstanden werden kann." [27]. Segato machte im Laufe ihrer Untersuchungen der Frauenmorde von Juárez eine interessante Entdeckung: Die jungen Frauen wurden alle nach dem gleichen Muster getötet. Sie wurden entführt, eingesperrt, gefoltert, vergewaltigt, verstümmelt, misshandelt, gewürgt und anschließend getötet. Vergewaltigungen erscheinen als eine "Kommunikationsstruktur" [28] mit der Dominanz, Besitz und Kontrolle über die Frau ausgeübt und ausgedrückt wird. Bei den Vergewaltigungen wird mit der Durchführung der Vergewaltigung eine Art Zeichen gesetzt und demonstriert seine Dominanz und Männlichkeit gegenüber den anderen Anwesenden. Der Tod der Opfer wird nicht als einfacher Tod begriffen, sondern stellt eine Machtausübung dar, die Ausdruck einer Mitteilung an die Anwesenden ist. "Wenn die Vergewaltigung eine Mitteilung ist, braucht sie notwendigerweise auch einen oder mehrere Gesprächspartner, die physisch damit erreicht werden oder in den Gedankenstrukturen aufgesucht werden können." [29]. Somit dient die Vergewaltigung als Botschaft, die auf zwei Achsen der Kommunikation wirkt.

1. Kommunikation mit dem Opfer auf vertikaler Achse. Hier wirkt der Akt der Vergewaltigung auf das Opfer als Adressaten. Die Vergewaltigung hat hier eine moralische und auch strafende Bedeutung: "(...) der Vergewaltiger ist der Verteidiger der sozialen Moral, der über das Schicksal der Frau, das darin besteht, besessen, dominiert, diszipliniert und beschnitten zu werden, wacht." [30]. Somit werden die Geschlechterverhältnisse Mann und Frau erneuert und festgehalten.

2. Kommunikation mit Gleichgesinnten und Anwesenden als horizontale Kommunikationsachse. Die Vergewaltigung wirkt hier als eine Art Ritual. Man befindet sich im Wettstreit mit den anderen Anwesenden und versucht, seinen Platz in der Männergesellschaft zu finden und zu verteidigen. Somit ist die Vergewaltigung an den männlichen Status gekoppelt, der immer wieder von neuem ausgehandelt und bestätigt werden muss. Die Kosten für die Aufnahme des Vergewaltigers in die Reihen der Gleichgesinnten bezahlt die Frau mit ihrem Leben.

Es gibt auch noch eine dritte Ebene der Kommunikation: 3. Kommunikation mit der Gesellschaft: Die Täter kommunizieren durch die Morde auch mit der Gesellschaft von Juárez. Durch die Straflosigkeit und Korruption der Strafverfolgungsbehörden wird der Gesellschaft von Juárez deutlich gemacht, dass die Täter auch Dominanz über die Stadt ausüben. Diese Dominanz sagt aus, dass sie nicht strafrechtlich verfolgt werden und demnach auch nicht aufgehalten werden können. Sie werden immer weiter Frauen entführen, vergewaltigen und töten. Sie drücken damit Herrschaft über ganz Juárez aus und das impliziert ebenso eine Herrschaft über Justiz, Politik und Regierung. Sie heben sich selbst in den Stand der Herrschenden und "Eigentümer" [31]. Durch die "systematische Straflosigkeit" [32], die in Juárez vorherrscht wird ein sogenannter "zweiter Staat im Staat" erschaffen, was bedeutet, dass sich ein "Parallelstaat" entwickelt hat, der an Stärke gewonnen hat und somit eine "Schwächung der Institutionen der Regierung" nach sich zieht und dadurch erneut an Stärke gewinnt. [33].

Für Marisela Ortiz gibt es in dem Modell des Feminizid (feminicidos) Ähnlichkeiten bei den Opfern: Es handele sich bei den jungen Frauen um dunkelhäutige, schlanke hübsche Frauen mit langen Haaren, die arm sind und entweder Studentinnen oder Maquiladoras- Arbeiterinnen sind (Vgl.[34]). Ortiz geht davon aus, dass die Leichen für den Mörder einen Symbolgehalt aufweisen: "Es ist eine Sprache, die von den Frauenmördern benutzt wird und die wir bis jetzt noch nicht entziffern konnten." [35]. Nach Ortiz fungieren folgende Fälle als Beispiele:

  • 2001 Acht Frauenleichen wurden vor den Verband der Maquiladoras geworfen.
  • Der Körper von Lila Alejandra Garcia wurde vor die Maquiladora abgelegt, in der sie tätig war. Es wird vermutet, dass sie auch dort entführt wurde [36].

Die Ursachen des Feminizids von Juárez können als ein "komplexes Geflecht" [37]) verstanden werden. Anzusprechen wären hier:

  • die veränderten Genderbeziehungen [38]),
  • Migration und schnelles Wachstum der Maquiladora Industrie [39]),
  • Drogenhandel und Wachstum dessen [40]),
  • Privatisierung der Sicherheitssysteme und deren Verbindungen zur Drogenszene [41]),
  • Vermischung von Politik und Großunternehmen mit der Drogenszene[42]),
  • "(...) Erweiterung des Spielraumes der Drogenmafia, und die Transformation ihres Aktionsraumes auf ganz neue Tätigkeitsfelder, die nicht allein die Drogen, sondern auch solche Bereiche der Gesellschaft betreffen, die traditionell von Wirtschafts-, Sicherheits-, oder Politikeliten besetzt wurden."[43]),
  • Grenzenlosigkeit von Konsum und Käuflichkeit durch die Maquiladora-Industrie, was dazu führt, dass der Körper zur Ware, zum Konsumartikel wird. "Bei den Frauenmorden geht es in erster Linie um Geld - viel Geld-, Drogen und Gewinn [44].
  • Mitverantwortung der Maquiladora-Industrie durch die Schaffung von neuen frauenfeindlichen Geschlechtsmustern, "(...) Genderverständnis und Machtasymetrien zwischen den Geschlechtern" [45]. Was den Körper der Frau als "billiges Arbeitsinstrument" [46] abwertet und das Verständnis dafür schafft, dass der Körper einer Frau als "entpersonalisierter Nutzgegenstand für sexuellen Missbrauch, Folterungen und Tötungen (...)" benutzt wird. Dieses Verständnis ergibt sich daraus, dass die Frauen in den Maquiladora jederzeit entlassen oder "weggeworfen" [47] werden können. Dieses Muster findet man bei den Morden ebenfalls, indem die Körper der geschändeten Frauen auch einfach weggeworfen werden.

Somit fungiert das Geschehen in Juárez als ein "warnendes Beispiel für die fundamentale Bedrohung der Menschenrechte und Frauenrechte, die aus einer ungerichteten und national entgrenzten Industrialisierung und einer Überbewertung des Marktes verbunden mit dem Machtzuwachs der Drogenszene und der Kriminalisierung von Politik hervorgehen." [48]. [49].

Die Rolle der Strafverfolgungsbehörden

Die Strafverfolgungsbehörden sind bei den Ermittlungen nicht sonderlich behilflich. Rechtsanwälte und Journalisten, welche das Thema der Frauenmorde ansprechen, werden bedroht oder geraten selbst in den Mittelpunkt der Ermittlungen. Besonders wichtig ist, dass die Morde seit 1993 geschehen. Leider gibt es weder ernst gemeinte Untersuchungen der Mordfälle, Aufklärung noch Ergebnisse, die in irgendeiner Art und Weise erkennbar sind. Es ist nicht nur so, dass die Strafverfolgungsbehörden zu wenig unternehmen, sondern die Täter sogar decken. Die Straflosigkeit führt zu immer neuen Morden und bringt immer neue Täter hervor. Seit Felipe Calderón im Dezember 2006 zum mexikanischen Präsidenten ernannt wurde, gibt es keine Thematisierung der Frauenmorde mehr.

Im folgenden werden einige wichtige Ereignisse dargestellt:

  • 1995 wurde Abdel Larif Sharif festgenommen, er stand im Verdacht ein Psychopath und Massenmörder zu sein, der die Frauen getötet haben soll. Sharif wurde inhaftiert, doch die Morde gingen weiter. Angeblich habe Sharif die Bande "Los Rebeldes" vom Gefängnis aus instruiert, weiter Morde und Vergewaltigungen durchzuführen, um somit seine Unschuld zu beweisen [50].
  • 1996 wurden 14 Mitglieder der Bande "Los Rebeldes" festgenommen, doch die Morde wurden weiter verübt. 9 Bandenmitglieder wurden wieder entlassen. Die entlassenen Mitglieder gaben an, dass ihre Geständnisse unter Folter von ihnen erzwungen worden wären [51].
  • Kurz darauf wurden weitere Verdächtige festgenommen, Maquiladora-Busfahrer. Erneut kam hier das Argument auf, dass ihre Geständnisse unter Folter erzwungen worden waren [52].
  • Mario Escobeda, der einen Klienten vor Gericht verteidigen wollte, der ebenfalls von Folter und Geständniszwang berichtete, wurde bei einer Drogenfahndung von Polizisten erschossen. Ein Fotograf konnte den Mord an Escobeda aufnehmen und wurde kurz nach Veröffentlichung der Bilder in der Zeitschrift "Norte" von Unbekannten entführt und bedroht. Auch der Chefredakteur der Zeitschrift erhielt Morddrohungen, genau wie der Vater Escobedas, der vor Gericht Klage einreichen wollte. Nach der Drohung nahm er die Klage zurück [53].
  • Nachdem sich die Morde weiter häuften und auch auf andere Städte übergriffen, wurden über Medien und Politiker neue Erklärungen für die Feminizide beschrieben: Snuffvideos, Frauenhandel, Sekten und auch Organhandel [54].
  • Seit 2002 schuf die Generalstaatsanwaltschaft eine Stelle für Ermittlungen der Frauenmorde. Diese Sonderstaatsanwaltschaft führt etwa 70% der Morde auf familiäre Gewalt zurück, 30% auf außerhäusliche Gewalt. Außerdem verharmlost sie die Zustände, die in Juárez herrschen und ernennt die Straflosigkeit in der Stadt zu einem "Mythos" [55].
  • Im Jahr 2003 wurde von dem mexikanischen Präsidenten eine nationale Untersuchungskommission geschaffen, die sich mit den Frauenmorden beschäftigen sollte. Auch das Innenministerium war nicht untätig, es verabschiedete einen 40- Punkte-Plan zur Aufklärung der Morde [56].
  • María López Urbina wurde im Januar 2004 als "Sonderermittlerin der Bundesstaatsanwaltschaft" [57] eingesetzt. Sie sichtigte 150 Mordakten und kam zu dem Ergebnis, dass in 100 Fällen der "(...) Verdacht auf fehlerhafte und nachlässige Ermittlung (...)" [58] bestünde.
  • 2005 schaltete sich das UNO-Komitee für die Abschaffung der Diskriminierung von Frauen ein. Die Situation in Juárez sei "weiterhin komplex, schmerzvoll und voll von Unklarheiten, Verdächtigungen und unakzeptablem Grauen." [59]. Außerdem könne keine "definitive Entschlossenheit, die uns davon überzeugen könnte, dass der Staat die Delikte als Teil des Kampfes gegen die Diskriminierung von Frauen verfolgt" [60] vernommen werden.
  • 2005 sagte die Landesstaatsanwältin, Patricia Gonzales aus, "(...) dass 70 Prozent der Morde geklärt seien (...)"[61], was jedoch nicht der Wahrheit entspricht.
  • Ende 2005 wurden zehn Mitglieder von Banden wegen Mordes an 12 Frauen verurteilt. Sie bekamen Haftstrafen zwischen 24 und 40 Jahren. Es ist jedoch zweifelhaft, ob die wahren Mörder gefunden wurden oder ob wieder Sündenböcke an die Justiz ausgeliefert wurden. Auch hier wurde den Strafverfolgungsbehörden Folter und Geständniszwang vorgeworfen. Kurz nach der Verurteilung der Täter wurden erneut Frauenleichen entdeckt (Vgl. [62]).
  • Gegen Ende des Jahres 2006 wurde ein Gesetz gegen Gewalt an Frauen verabschiedet. Somit kann den "Betroffenen mehr Rechtssicherheit garantiert und Haushaltsgelder für den Kampf gegen die Feminizide" [63] ermöglicht werden. Leider fehlen hier noch immer finanzielle Mittel und die Einsicht, Empfehlungen von nationalen und internationalen Organisationen anzunehmen. "Dazu zählen eine konsequente Strafverfolgung, effektive kriminologische Arbeit oder die Einrichtung besserer Straßenbeleuchtungen und Notfallsysteme." [64].
  • Die Mexikanische Akademie für Menschenrechte (AMDH) kam 2007 zu dem Ergebnis, dass "(...) 75 Prozent der über 500 Frauenmorde (...) bisher nicht gerichtlich verhandelt worden" [65] sind. "Zudem seien 177 Staatsbeamte, denen Gleichgültigkeit und gezieltes Unterlassen von Ermittlungen vorgeworfen werde, straffrei geblieben und weiterhin im Dienst." [66].
  • Seit November 2007 beschäftigt sich der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte mit dem Tod von drei Frauen, die im Jahr 2001 ermordet wurden. Die Mörder dieser Frauen sollten Victor García und Gustavo Gonzalez gewesen sein. Die Beweise minimierten sich hier auf Selbstbezichtigung und Zeugenaussage. Die Angeklagten gaben an, sie "seien von Polizisten und Mitarbeitern der Staatsanwaltschaft körperlich und psychisch gefoltert worden. González starb wenig später unter ungeklärten Umständen im Gefängnis, sein Anwalt wurde von Polizisten erschossen, nachdem sie ihn mit einem Kriminellen verwechselt hatten. García erwartete eine Haftstrafe von 50 Jahren. 5 Jahre später wurde er wegen mangelnden Beweisen wieder freigesprochen.
  • Guadalup Morfín, Vorsitzende der Sonderstaatsanwaltschaft ist der Meinung, dass die Polizei immer wieder dafür verantwortlich ist, dass Straf- und Gewalttaten vertuscht werden, die von ihren Kollegen und Bekannten verübt wurden. "Selbst vor Folter und dem Einsatz von Gefälligkeitszeugen schrecken sie nicht zurück, um Sündenböcke zu schaffen und von den Schuldigen abzulenken", ist die Meinung von Esther Chávez. [67].

Reaktionen auf die Aufklärung

Auf die Versuche bei der Aufklärung zu helfen und die Familien der Opfer zu unterstützen, wird mit Beschuldigungen reagiert.

  • Guadalupe Morfín, welche die Sonderkommission zur Vorbeugung und Beseitigung von Gewalt gegen Frauen seit 2003 leitete, gesteht ein, dass ihre Möglichkeiten zur Aufklärung und Hilfe nur begrenzt seien, da sie keine Einsicht in Mordermittlungsakten und Einheiten habe [68].
  • Esther Chávez, Feministin und Aktivistin im Kampf gegen den Feminizid, sagt aus, dass von den Behörden keinerlei Unterstützung zu erwarten sei: "Hier ist man vor allem darum besorgt, das Image der Stadt aufzumöbeln. Die Unternehmen beschuldigen uns, Ciudad Juárez in ein schlechtes Licht zu rücken." [69].
  • Marisela Ortiz (Nuestras Hijas de Regresa a Casa) erinnert sich an eine Pressekampagne im Oktober 2007: "Nach dem Besuch einer deutschen Parlamentariergruppe hatten mexikanische Medien gemeldet, dass sich die Delegation von NHRC getäuscht gefühlt und für die Streichung von Hilfsgeldern stark gemacht habe. Die Abgeordneten mussten klarstellen, dass ihnen >>fälschlicherweise<< Aussagen in den Mund gelegt worden seien, um NHRC zu gefährden." [70]. Regelmäßig wird in die Räumlichkeiten von NHRC eingebrochen, Mitarbeiter erhalten Morddrohungen gegen sich oder ihre Familien, wenn sie mit ihrer Arbeit fortfahren.

Auch Jahre davor gab es Beschuldigungen, sagt Ortiz: "Wir wurden beschuldigt, die Stadt verleumdet zu haben - sogar die Unternehmen haben sich untereinander verschworen, um uns vorzuwerfen, dass wir der Stadt den schlechten Ruf gegeben haben, weil wir im Ausland über die Vorfälle informiert haben, die hier gelöst werden müssen. Es ist eindeutig, dass all dies mit dem Netz der Mittäterschaft zusammenhängt, das hier gewoben wird." [71].

  • Bei der mit der NHRC zusammenarbeitende Anwaltsorganisation ANAD wurde ebenfalls mehrfach eingebrochen, Akten und Computer wurden entwendet, Fahrzeuge wurden aufgebrochen. Und auch die Mitarbeiter erlebten Morddrohungen und Verfolgungen. Marisela Ortiz äußert sich wie folgt, zu dem Einbruch in den Wagen von der Anwältin Malú Carcía Andrade und dem Diebstahl von wichtigen Verteidigungsakten: "Als wir die Tat anzeigen wollten, wurden wir bei der Staatsanwaltschaft von Chihuhua mit dem Tode bedroht." [72].
  • Präsident Jesus Antonio Pinón Jimenez ist der Meinung, dass der Feminizid ein "reines Märchen von Mütterorganisationen und Menschenrechtsgruppen sei, die "linke Ideologien" verfolgen und "die Namen von Ciudad Juárez und des Staates Chihuahua beschmutzen wollen."[73] sei.
  • 2010 wurde die Aktivistin Marisela Escobedo während einer Protestaktion vor dem Regierungspalast von Chihuahua mit einem Kopfschuss getötet [74].
  • Im Januar 2011 wurde die Aktivistin Susana Chávez ermordet. Nach dem Tod von Marisela Escobedo und Susana Chávez wurde die Organisation: Tu puedes salvar tu vida, sowie die Internetkampagne: No más Feminicidos, Actúa ya! [75] gegründet.

Weblinks

  • Amnesty International:

Der Ohnmacht ein Gesicht geben (Letzter Zugriff: 28.10.2012)

Die Morde an Frauen in der Ciudad Juárez (Letzter Zugriff: 28.10.2012)

Die ständige Bedrohung: Seit 1993 wurden in Mexiko über 500 junge Frauen ermordet (Letzter Zugriff: 28.10.2012)

Frauenmorde in Ciudad Juárez - Ermittlungen der Behörden weiterhin unzureichend (Letzter Zugriff: 28.10.2012)

  • Atenco Resiste:

Antenco Resiste Interview zu Ciudad Juarez. Die Straflosigkeit muss die Justiz lösen. Telefonisches Interview mit Marisela Ortiz (letzter Zugriff: 18.10.2012).

Die Handschrift auf den Körpern der ermordeten Frauen von Ciudad Juárez (Letzter Zugriff: 28.10.2012)

  • Nuestras Hijas de Regreso a Casa:

Nuestras Hijas de Regreso a Casa A.C. (Letzter Zugriff: 28.10.2012)

  • Quetzal -Politik und Kultur in Lateinamerika, Online-Magazin:

Frauenmorde und keine Aufklärung. Die Frauen von Juarez (Letzter Zugriff: 28.10.2012)

Zahl der Frauenmorde in Mexiko erneut gestiegen (Letzter Zugriff: 29.10.2012)


Literatur zum Thema

  • Agosin, Marjorie (2006): Secrets in the Sand: The Young Women of Juarez, White Pine Press Verlag.
  • Balli, Cecilia (2011):Murdered Women on the Border: Gender, Territory and Power in Ciudad Juarez, Proquest, Umi Dissertation Publishing.
  • Hawken,Sam (2012): The Dead Women of Juárez, Serpents Tail Verlag, London.
  • Panther, Natalie(2008): Violence against Women and Femicide in Mexico: The Case of Ciudad Juarez, VDM Verlag.
  • Rodriguez,Teresa; Montané, Diana; Pulitzer, Lisa (2007): The Daughtes of Juarez: A true Story of Serial Murder South of the Border, Atria Books, New York.
  • Staudt, Kathleen A.(2008): Violence and Activism at the Border: Gender, Fear, and Everyday Life in Ciudad Juarez, University of Texas Press, Austin.
  • Torrea, Judith (2013): City of Juarez: Under the Shadow of Drugtrafficking, Atria Books, New York.


Filme zum Thema

  • Backyard - El Traspatio(2009). Regie: Carlos Carrera.
  • Bajo Juárez (2007) Regie: José Antonio Chavez.
  • Bordertown(2007) Regie: Gregory Nava.
  • Dokumentation über die Morde in Juárez (2005) in der die Mütter gegen die Morde kämpfen. Regie: Zulma Aguiar.
  • Ni una más. Kurzfilm. (2001) Regie: Alejandra Sánchez.
  • Senorita Extraviada (2001). Eine Dokumentation über die Opfer. Regie: Lourdes Portillo.
  • The Virgin of Juárez (2006), Regie: Kevin James Dobson.