Christian Klar

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Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hrsg.): RAF – Terror im Südwesten. Katalog zur Ausstellung im Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Stuttgart, 14. Juni 2013 bis 23. Februar 2014. Stuttgart (Haus der Geschichte Baden-Württemberg) 2013, 160 S., € 19.90
Wie kam zur Radikalisierung? Die Ausstellung versucht die Frage am Beispiel von Christian Klar zu beantworten. Sein Weg in die RAF führte über verschiedene Stationen, die im Katalog genauer unter die Lupe genommen werden. Ausgangspunkt war Lörrach, gleich an der Schweizer Grenze gelegen – genauer: das dortige Hans-Thoma-Gymnasium. Hier wirkte Christian Klars Vater Alfred als Direktor, zunächst ein aufklärerisch gesinnter Sozialdemokrat, der mit der aufkommenden Unruhe an seiner Schule allerdings höchst autoritäre Charakterzüge enthüllte.

Diese Unruhe war ein Reflex der Ereignisse an anderen Orten: Der Tod des Studenten Benno Ohnesorg, der vom Polizisten Karl-Heinz Kurras am Rande einer Demonstration gegen den Schah am 2. Juni 1967 in Westberlin erschossen wurde, löste in der südwestdeutschen Kleinstadt nicht unmittelbar Proteste aus, setzte aber auch hier bei einigen aufmüpfigen jungen Leuten (zu denen ich gehörte) einen Prozess des Nachdenkens und der Kritik in Gang. Das Attentat auf den Exponenten der Außerparlamentarischen Opposition (APO), Rudi Dutschke, am Gründonnerstag des Jahres 1968 bewirkte, dass sich Linke unterschiedlicher Ausrichtung zusammenfanden, um den Republikanischen Club als Plattform ihrer Aktivitäten zu schaffen.

Der Weg des Christian Klar

Die Lörracher APO sollte während zwei, drei Jahren das Geschehen am Hans-Thoma-Gymnasium ganz wesentlich bestimmen. In diesem Umfeld politisierte sich auch Christian Klar – und geriet damit zunehmend in Widerspruch zu seinem Vater. Es wäre allerdings verfehlt, sein Radikal-werden auf einen Vater-Sohn-Konflikt zu reduzieren. Es gab genügend Gründe, um den vorherrschenden Geist der bundesrepublikanischen Gesellschaft jener Jahre zu kritisieren und das politische Handeln der etablierten Kreise zu hinterfragen.

Weil Alfred Klar in der Bildungsverwaltung Karriere machte, zog die Familie 1971 in die Nähe von Karlsruhe, wo Christian dann auch mit dem Abitur abschloss. Dort fand er Kontakte zu Leuten, die gegen die Haftbedingungen von RAF-Gefangenen protestierten. In den «Komitees gegen Isolationsfolter» bildeten sich die Kader der neuen RAF-Generation heraus. Christian Klar ging Ende der Siebzigerjahre in den «Untergrund», war an verschiedenen Gewaltakten beteiligt und wurde im November 1982 verhaftet. Nach 26-jähriger Haft kam er im Dezember 2008 frei. Sieben Jahre zuvor, im Dezember 2001, war ein TV-Interview des Journalisten Günter Gaus mit Christian Klar ausgestrahlt worden. Klar erklärte dort, sein Schritt in die Gewalt sei bewusst erfolgt, da nur so aus einer «Minderheitenposition» heraus die Machtfrage hätte gestellt werden können.

Bemerkenswert ist hier der Vergleich mit einem anderen Interview, das Gaus mehr als 30 Jahre zuvor geführt hatte. 1967 antwortete ihm Rudi Dutschke auf die Frage nach der Gewalt, der hoch entwickelte Herrschaftsapparat der «Konterrevolution» sorge dafür, dass die revolutionären Kräfte die Gesellschaft nur auf dem Weg der Überzeugungsarbeit und der Gewinnung von Mehrheiten verändern könnten.

Befreiung durch Gewalt?

Die Stuttgarter Ausstellung gibt der Auseinandersetzung um die Rolle von (revolutionärer) Gewalt in der Geschichte zumindest einen Raum – und betrachtet sie nicht nur unter einem kriminalistischen Blickwinkel. Beispielhaft dafür steht ein Ausschnitt aus dem 1988 gedrehten Dokumentarfilm «Rudi Dutschke – aufrecht gehen» von Helga Reidemeister. In dieser Sequenz wird ein Streitgespräch zwischen Karola Bloch, der Frau des Philosophen Ernst Bloch, und dem Theologen Helmut Gollwitzer gezeigt, die mit Rudi Dutschke freundschaftlich verbunden waren. Für die Kommunistin Bloch gab es keinen Zweifel daran, dass Gewalt ein manchmal unverzichtbares Mittel im Kampf um die Befreiung darstellt. Gollwitzer dagegen beharrte auf der Bedeutung des gewaltfreien Widerstandes und verwies auf die Gefahren der Gewaltanwendung: Aus dem Befreiungskampf könne neue Unfreiheit erwachsen.

Wie reagierte die bundesdeutsche Gesellschaft auf den «Krieg» zwischen RAF und Staat? Einige Dokumente machen deutlich, dass es in den frühen Jahren des «Terrorismus» an den von Vertretern der staatlichen Organe erwünschten Identifikation des Volkes mit eben diesem Staatswesen mangelte. Dem sollte beispielsweise durch Machtdemonstrationen des staatlichen Gewaltmonopols abgeholfen werden. In einem Konzept des baden-württembergischen Innenministeriums von 1975 heißt es: «Der Staat kann seine Ordnungsfunktion nur dann entschlossen wahrnehmen, wenn es gelingt, die Bürger innerlich wieder enger mit unserem Staat zu verbinden.»