Cannabis-Rechtsprechung in Deutschland

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Bundesverfassungsgericht 2004

Cannabis-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1994

Voller Wortlaut

Vergleich mit Alkohol

  • (kostenlose urteile 1994): Kein Vergleich zwischen Alkohol und Cannabisprodukten. Das Bundesverfassungsgericht führte zum Alkohol aus, dass zwar der Missbrauch von Alkohol Gefahren für den Einzelnen und der Allgemeinheit mit sich bringen kann. Es sei jedoch zu beachten, dass Alkohol eine Vielzahl von Verwendungsmöglichkeiten hat. So diene es als Lebens- und Genussmittel. In Form von Wein werde es darüber hinaus zu religiösen Zwecken gebraucht. Alkohol diene damit nicht ausschließlich der Herbeiführung eines Rausches. Dies sei bei Cannabisprodukten aber der Fall. Zudem gaben die Verfassungsrichter zu bedenken, dass die Durchsetzung eines Verbots von Alkohol in Deutschland wohl aussichtslos sei.

Sondervotum der Richterin Karin Graßhof

Abweichende Meinung der Richterin Graßhof zum Beschluß des Zweiten Senats vom 9. März 1994 - 2 BvL 43, 51, 63, 64, 70, 80/92, 2 BvR 2031/92 - Dem Ergebnis der Entscheidung stimme ich zu, nicht jedoch allen Teilen der Begründung. Die Überprüfung der Strafnormen am Maßstab der Verhältnismäßigkeit stellte hier zum Teil andere Anforderungen (I.). Im Hinblick darauf, daß im Senat streitig ist, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber von Verfassungs wegen verpflichtet ist, bei weit gefaßtem Tatbestand eines abstrakten Gefährdungsdelikts im materiellen Strafrecht Privilegierungen vorzusehen, hätte die Auffassung der Senatsmehrheit hierzu eindeutiger dargestellt werden sollen. Die Mehrheit des Senats berücksichtigt auch Funktion und Unwertgehalt abstrakter Gefährdungsdelikte nicht hinreichend (II.). Dies hat auch Auswirkungen für die Anwendung dieser Maßstäbe auf die verfassungsrechtliche Überprüfung der Strafnormen des Betäubungsmittelgesetzes (III.) 193 I. Jede Strafnorm enthält ein mit staatlicher Autorität versehenes sozial-ethisches Unwerturteil über die von ihr pönalisierte Handlungsweise (BVerfGE 27, 18 [29]). Dies bedeutet eine schwere Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts und der Handlungsfreiheit eines von solcher sittlichen Mißbilligung betroffenen Täters. Durch Strafrecht kann der Gesetzgeber daher den Zweck eines Rechtsgüterschutzes nur verfolgen, wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet wird. Dieser Maßstab unterwirft eine Strafnorm der verfassungsrechtlichen Überprüfung auf zwei Ebenen: Es geht einmal darum, ob in dem Straftatbestand zum Schutze des jeweiligen Rechtsguts Strafe angedroht werden kann. Zum anderen stellt sich die Frage, ob Art und Höhe der angedrohten Strafe den Anforderungen der Verfassung standhalten (vgl. dazu auch BVerfGE 37, 201 [212]). Hierbei ist - worüber im Senat Einigkeit besteht - die Prüfung der Verhältnismäßigkeit auf drei Stufen vorzunehmen. Zunächst muß das strafrechtliche Verbot geeignet und erforderlich sein, das Rechtsgut zu schützen; auf der dritten Stufe ist danach zu fragen, ob die Maßnahmen zum Schutze des Rechtsguts den Betroffenen nicht unzumutbar belasten. 194 Auf den beiden ersten Stufen der Verhältnismäßigkeitsprüfung liegt der eigentliche Schwerpunkt: Sie konkretisieren die allgemeine und unspezifische Frage, ob eine Maßnahme verhältnismäßig ist, zu zwei bestimmten Anforderungen, denen die Maßnahme gerecht werden muß. Die ungenaue Frage nach der Verhältnismäßigkeit wird dadurch handgreiflich gemacht, es werden genaue Argumentationsfiguren vorgegeben, mit denen die Verhältnismäßigkeit zu belegen ist. Die dritte Stufe setzt demgegenüber weniger rationale und verbindliche Maßstäbe, wenn sie nach der Zumutbarkeit und Angemessenheit fragt. Diese dritte Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung dient daher in erster Linie der Korrektur offensichtlich unhaltbarer Ergebnisse (vgl. auch Pieroth/Schlinck, Grundrechte, Staatsrecht II 8. Aufl., Rdnr. 332 f.). 195 BVerfGE 90, 145 (200)BVerfGE 90, 145 (201)1. Ich kann der Mehrheit des Senats nicht folgen, wenn sie bei der Frage nach der Eignung der zu überprüfenden Straftatbestände lediglich fragt, ob das generelle strafbewehrte Verbot, mit Cannabis umzugehen, zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet ist (I. 3.). Ein Straftatbestand ist nur soweit zum Schutz eines Rechtsgut geeignet, als die von ihm jeweils umschriebenen tatbestandsmäßigen Handlungen, dieses Rechtsguts überhaupt bedrohen. Verbietet ein Straftatbestand Handlungen, die dem Rechtsgut nicht schaden, so kann dieses Rechtsgut mit einem Verbot solcher Handlungen nicht geschützt werden; insoweit ist bereits in dieser Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung die Verfassungswidrigkeit einer Strafnorm festzustellen. 196 Nun kann allerdings ein Straftatbestand die Vielfalt der Handlungsweisen, die das durch ihn zu schützende Rechtsgut bedrohen können, nur typisierend erfassen. Bei dieser Typisierung läßt sich - besonders bei Normen, die schon abstrakte Gefährdungen unter Strafe stellen - allerdings nicht immer eine eindeutige Grenzlinie zwischen gefährlichen und eher harmlosen Handlungsweisen ziehen. Auch ein weit typisiert umschriebenes Handlungsverbot kann geeignet sein, Strafrechtsschutz zu verwirklichen (dazu unten II.). 197 2. Der Senat hätte ferner im Rahmen der Prüfung der Erforderlichkeit in Rechnung stellen müssen, daß die Androhung von Strafe wegen der mit ihr verbundenen sittlichen Mißbilligung eine schwere Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts und der Handlungsfreiheit des Betroffenen bedeutet und ein derart schwerwiegender Eingriff nur erforderlich ist, wenn es um den Schutz gewichtiger elementarer Gemeinschaftsgüter geht (vgl. BVerfGE 27, 18 [29]; 37, 201 [212; 45, 187 [253]]; nur die Verletzung solcher Schutzgüter ist strafwürdig. Wegen seines am stärksten eingreifenden Charakters ist das Strafrecht nicht das primäre Mittel rechtlichen Schutzes; sein Einsatz ist vielmehr als "ultima ratio" nur dann erforderlich, wenn ein bestimmtes Verhalten über sein Verbotensein hinaus in besonderer Weise sozial schädlich und für das geordnete ZusamBVerfGE 90, 145 (201)BVerfGE 90, 145 (202)menleben der Menschen unerträglich, seine Verhinderung daher besonders dringlich ist [BVerfGE 88, 203 [258]]. Ein Unrecht, das sich in einem formalen Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot erschöpft, ist nicht strafwürdig; hinzukommen muß, daß das Verbot der Verwirklichung des Schutzes von Rechtsgütern dient, deren Gewicht es aufwiegen kann, daß zu seinem Schutz das sozialethische Unwerturteil einer Bestrafung über denjenigen ausgesprochen wird, der dieses Rechtsgut durch eine schuldhafte Handlung bedroht [vgl. auch Sax, Grundsätze der Strafrechtspflege in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte, S. 909 [919]]. 198 3. Der dritten Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung kommt insbesondere Bedeutung in Fällen zu, in denen es eine geeignete Schutzmaßnahme ist, Handlungsverbote weit typiBVerfGE 90, 145 (202)BVerfGE 90, 145 (203)siert zu umschreiben (vgl. oben I. 1. und unter II. 3. b) bb). Sie entscheidet auch darüber, ob Art und Höhe der Strafandrohung verhältnismäßig sind. Dieses Übermaßverbot deckt sich in seinen Strafe begrenzenden Auswirkungen mit dem Schuldprinzip (vgl. BVerfGE 50, 205 [215]), indem es verlangt, daß die einen Täter treffenden Folgen einer strafbaren Handlung zur Schwere seines individuellen Verschuldens und den Umständen der konkreten Tat in einem gerechten Verhältnis stehen. Der abstrakte Straftatbestand und andere Normen des materiellen Rechts (vgl. etwa § 46 StGB) oder des Strafprozeßrechts müssen daher Regelungen treffen, die es den Verfolgungsorganen und dem Richter ermöglichen, im konkreten Fall Reaktionen vorzunehmen, die zum jeweiligen Gefährdungs- und Verschuldensgrad im Verhältnis stehen und den Betroffenen nicht unzumutbar belasten (vgl. auch BVerfGE 50, 205 [213 f]; 54, 100 [109 f.]). 199 Hingegen ist es nicht Aufgabe der nur der Kontrolle offensichtlich unhaltbarer Ergebnisse dienenden dritten Stufe der Verhältnismäßigkeit zu fragen, ob ein bestimmtes -zum Schutze des Rechtsguts geeignetes und erforderliches- Handlungsverbot einen Täter allein schon darum unverhältnismäßig belastet, weil es Strafe androht (und nicht etwa nur eine Ordnungswidrigkeit begründet). Diese Wertung ist bereits auf der zweiten Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolgt. Liegt eine strafwürdige Rechtsgutsverletzung vor und ist es darum erforderlich, diese unter Strafe zu stellen, so kann ein zum Schutz des Rechtsguts geeignetes Handlungsverbot als solches den hiervon Betroffenen nicht allein darum unzumutbar belasten, weil es Strafe androht. 200 II. 1. Rechtsgüter können durch Handlungen unterschiedlichen Gefährdungsgrads bedroht werden. Abstufungen reichen von der Verletzung über die konkrete Gefährdung bis zu einer durch typische Ereignisse erfahrungsgemäß begründeten - abstrakten - Gefahr. Das Strafrecht bestraft - je nach Gewichtigkeit und Schutzbedürftigkeit des Rechtsguts und den Möglichkeiten zu seinem Schutz - nicht BVerfGE 90, 145 (203)BVerfGE 90, 145 (204)nur verletzende und konkret gefährdende Handlungen als Rechtsgüterangriff, sondern auch Verhaltensweisen, denen typischerweise die Herbeiführung einer Gefahr für das geschützte Rechtsgut eigen ist (vgl. Cramer, Der Vollrauschtatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt, 1962, S. 68). Diese abstrakten Gefährdungsdelikte sehen den Rechtsgüterangriff des Täters darin, daß er durch das verbotene Verhalten eine Lage schafft, die es wahrscheinlich macht, daß dem geschützten Rechtsgut Verletzung oder konkrete Gefahr droht. 201 2. Eine solche Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes durch Bestrafung abstrakt gefährlichen Handelns sieht der Gesetzgeber insbesondere dann als zum REchtsgüterschutz geeignet und erforderlich an, wenn er überindividuelle Rechtsgüter als elementare Werte des Gemeinschaftslebens schützt (etwa die Rechtspflege, die Umwelt, den Straßenverkehr, das Kreditwesen). Die Pönalisierung nur von Handlungen, die diese Rechtsgüter verletzten oder konkret gefährdeten, ermöglichte keinen ausreichenden Schutz. Die einzelne Handlung für sich genommen gefährdet diese Rechtsgüter in der Regel nicht konkret. Die Gefahr verwirklicht sich für solche Rechtsgüter häufig gerade durch Massenverstöße; in ihrer Kumulierung bedrohen sie das jeweilige Rechtsgut, wobei die Gefährdungsintensität der einzelnen Handlung oft sogar gering ist. Vor diesem Hintergrund stellt jede einzelne Handlung einen eigenen Beitrag zu der Rechtsgüterbedrohung dar. Wird daher die jeweilige Einzelhandlung als -abstrakt gefährliche - Beteiligung an einem ein Rechtsgut bedrohenden Geschehen als Rechtsgüterangriff mit Strafe bedroht, so macht dies den Täter nicht - grundrechtswidrig - zum Objekt eines Strafverfahrens; er wird nicht für die von anderen verursachte Rechtsgütergefährdung mitbestraft, sondern für seinen Beitrag hierzu. 202 3. Allerdings setzt die Verfassung einer Entwicklung Grenzen, die - bedingt durch die ständig fortschreitende Differenzierung des sozialen Lebens und des technischen Fortschritts - den Schutz auch spezieller strafrechtlicher Rechtsgüter immer weiter vorverlegt. 203 a) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kann hier durch seine Elemente der Eignung und Erforderlichkeit Grenzen ziehen. Abstrakte Gefährdungsdelikte sind zum einen nur dann zum Schutze BVerfGE 90, 145 (204)BVerfGE 90, 145 (205)des Rechtsguts geeignet und erforderlich, wenn das jeweilige REchtsgut nach seinem Gegenstand sowie Art und Weise seiner Bedrohung des Schutzes vor abstrakter Gefährdung bedarf. Zum anderen ist das strafbewehrte Verbot abstrakt gefährlichen Handelns zum Schutze des Rechtsguts nur geeignet, wenn die verbotenen Handlungsformen für das geschützte Rechtsgut typischerweise die naheliegende Möglichkeit einer Gefahr begründen; das gilt nicht für Handlungen, die etwa nur in Ausnahmesituationen dem Rechtsgut gefährlich sein können und nur eine vage, eher vom Zufall abhängige Möglichkeit einer Rechtsgütergefährdung begründen. Erforderlich ist das strafbewehrte Verbot abstrakt gefährlicher Handlungen nur, wenn sie nicht mit anderen, weniger einschneidenden Mitteln verhindert werden können oder ihr Gefahrenpotential nicht gemindert werden kann. Je weiter etwa die verbotenen - abstrakt gefährlichen - Handlungen im Vorfeld der eigentlichen Verletzungshandlung liegen, je mehr Reaktionsmöglichkeiten bleiben dem Staat und je seltener ist es erforderlich, das Strafrecht als schwerwiegendsten Eingriff einzusetzen. 204 b) Die dargestellten Abgrenzungen lassen sich allerdings nicht trennscharf vornehmen. Weder gibt es eine klare Grenzlinie zwischen Handlungen, die dem geschützten Rechtsgut hinreichend wahrscheinlich - sei es für sich genommen, sei es in ihrer Kumulation - typischerweise einen Schaden zuzufügen geeignet sind und solchen, bei denen dies weniger nahe liegt. Noch ist eine eindeutige Einschätzung dahin möglich, ob die als gefährlich verbotenen Handlungen mit milderen Mitteln in ihrem Gefahrenpotential verhindert werden können. Diese Abgrenzungen hat der Gesetzgeber im Rahmen des ihm zukommenden Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraums vorzunehmen. Die verfassungsrechtliche Überprüfung erstreckt sich in jedem Falle darauf, ob der Gesetzgeber die genannten Faktoren ausreichend berücksichtigt und seinen Einschätzungsspielraum "in vertretbarer Weise" gehandhabt hat (BVerfGE 88, 203 [262]). 205 aa) So hält der Gesetzgeber es etwa für sachgerecht, das durch den Alkoholkonsum bedrohte Rechtsgut der Sicherheit des Straßenverkehrs abgestuft nach dem Grad der Gefährlichkeit teils BVerfGE 90, 145 (205)BVerfGE 90, 145 (206)durch einen Ordnungswidrigkeitentatbestand (§ 24a StVG, Führen eines Fahrzeugs mit mehr als 0,8 Promille), teils durch ein abstraktes Gefährdungsdelikt (§ 316 StGB, Führen eines Fahrzeugs trotz Fahrunsicherheit), teils durch ein konkretes Gefährdungsdelikt (§ 315c Nr. 1a StGB) zu schützen. Gefahren, die durch Alkoholkonsum von Fußgängern oder von Fahrzeugführern, die weniger als 0,8 Promille Alkohol im Blut haben, ausgehen, schätzt der Gesetzgeber derzeit als für das Rechtsgut so wenig gefährlich ein, daß er insoweit von einem Verbot abgesehen hat. 206 Bei der Teilnahme am Straßenverkehr nach Alkoholgenuß lassen sich Handlungen, die das Rechtsgut im Vorfeld seiner Verletzung bedrohen, in ihrem Gefährlichkeitsgrad hinreichend sicher voneinander abgrenzen. Der Gesetzgeber findet hier in der sozialen Wirklichkeit und der Medizin die Bedingungen dafür vor, die es ihm erlauben, differenzierte Schutzmaßnahmen vorzusehen. Insbesondere ist es möglich, die Handlungen in ihrem unterschiedlichen Gefährdungspotential zuverlässig einzustufen. Der Kreis derjenigen Verkehrsteilnehmer, die eine Alkoholmenge getrunken haben, die sie erfahrungsgemäß nicht absolut fahrunsicher macht und die daher das Rechtsgut weniger gefährden, kann daher unschwer aus dem Straftatbestand herausgenommen und mit einer Ordnungswidrigkeit bedroht werden. 207 bb) Häufiger jedoch ist ein Rechtsgut durch Verhalten bedroht, das in der Lebenswirklichkeit in vielfältigen Begehungsweisen unterschiedlicher Gefahrintensität verwirklicht wird, sich jedoch nicht in Handlungsformen mit offenkundig mehr oder weniger großem Gefährdungspotential zerlegen läßt. In solchen Fällen kann es geeignet und erforderlich sein, daß der Gesetzgeber das abstrakt gefährliche Verhalten als solches als strafwürdig und strafbedürftig behandelt und in dem Straftatbestand typisiert erfaßt, ohne die möglicherweise weniger gefährlichen Handlungsformen zu privilegieren. Die Grenze zum unter Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu weit gefaßten Tatbestand wird nur dann überschritten, wenn das strafbewehrt verbotene Verhalten als solches nicht hinreichend abstrakt gefährlich ist. 208 4. Soweit die Elemente der Eignung und Erforderlichkeit des BVerfGE 90, 145 (206)BVerfGE 90, 145 (207)Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes es nach diesen Maßstäben zulassen, daß das materielle Strafrecht ein abstrakt gefährliches Verhalten typisiert und undifferenziert als strafwürdig und strafbedürftig behandelt, gewinnt allerdings die dritte Stufe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes an Bedeutung (vgl. oben I. 3.). Je weiter ein Straftatbestand die dem Rechtsgut abstrakt gefährlichen Handlungen typisiert, je eher kommt es in Betracht, daß der Tatbestand eine konkrete Verhaltensweise erfaßt, die das geschützte Rechtsgut nur unbedeutend gefährdet. Für solche Situationen eines geringen Unrechtsgehaltes eines Handelns muß das Gesetz Reaktionsmöglichkeiten vorsehen, die eine übermäßige Belastung des Betroffenen durch seine Verfolgung oder Bestrafung wegen des als solchen nicht zu beanstandenden strafbewehrten Verbots verhindern können. 209 III. 1. Ich stimme mit der Mehrheit des Senats darin überein, daß geschütztes Rechtsgut der zu überprüfenden Strafnormen nicht nur die Erhaltung der Gesundheit ist, sondern auch die Gestaltung des sozialen Zusammenlebens in einer Weise, die dieses von sozialschädlichen Wirkungen des Umgangs mit Drogen frei hält, wie sie auch von Cannabis ausgehen. Der Senat zählt als solche sozialschädlichen Auswirkungen beispielhaft die gravierendsten auf: die Heranführung Jugendlicher an Rauschmittel und den Handel mit Drogen, der mit transnationalen kriminellen Vereinigungen verflochten ist und die Gesellschaft auf allen Ebenen durchdringt und bedroht (I. 2 a). Eine nicht zu vernachlässigende sozialschädliche Auswirkung hat der Cannabiskonsum auch für die Sicherheit des Straßenverkehrs. Der Cannabisrausch beeinträchtigt - auch nach den Feststellungen des Senats - die Fahrtüchtigkeit. Dies ist bei einer Millionenzahl von Cannabiskonsumenten ein nicht unbeträchtliches Gefahrenpotential (vgl. Maatz/Mille DRiZ 1993, 15 [24]), zumal es noch keine - in der Verkehrspraxis allgemein, schnell und praktikabel anwendbare - Methode gibt, Cannabis als Ursache einer Fahrunsicherheit zu erkennen und deren Grad hinreichend sicher zu BVerfGE 90, 145 (207)BVerfGE 90, 145 (208)bestimmen (vgl. Kreuzer, Neue Zeitschrift für Strafrecht 1993, 209 [211]; OLG Köln NZV 1990 [439]). 210 2. Der Senat widmet den Ausführungen dazu, daß die von Cannabisprodukten ausgehenden Gesundheitsgefahren sich aus heutiger Sicht - für den Gelegenheitskonsumenten - geringer darstellen als es der Gesetzgeber bei Erlaß des Gesetzes angenommen hat, breiten Raum. Es hätte dann aber - auch im Blick auf die Ausführungen zu I. 6. - deutlicher darauf abgestellt werden müssen, daß das geringere gesundheitliche Risiko für die zahlreichen Gelegenheitskonsumenten kleiner Mengen die sozialschädlichen Auswirkungen, die Cannabis für das soziale Zusammenleben im übrigen hat, in ihrer Bedeutsamkeit in keiner Weise mindert. So erweist es sich - ungeachtet der Frage, ob Cannabis aus medizinischen Gründen eine "Schrittmacherfunktion" hat - in der sozialen Wirklichkeit, daß die ganz überwiegende Zahl der Heroinkonsumenten ihre ersten Drogenerfahrungen in Deutschland mit Haschisch gemacht hat, länger andauernder Haschischkonsum gewohnheitsbildend wirkt und die Hemmschwelle zu den harten Drogen überwindet (vgl. Geschwinde in Rauschdrogen, Marktform und Wirkungsweisen, 2. Aufl., 1990, S. 44; vgl. auch die Stellungnahmen des Bundesgesundheitsamtes, des Generalbundesanwalts und der Strafsenate des Bundesgerichtshofs, die im Verfahren 2 BvL 43/92 eingeholt wurden). Diesen Einstieg in die Drogenwelt mit Cannabis finden bereits Kinder, zunehmend im jüngeren Alter. Auch wenn es nicht Folge einer stofflichen Eigenschaft von Cannabis ist, daß viele von ihnen später in die Drogensüchtigkeit abgleiten, sondern hierfür eine charakterliche Veranlagung oder eine durch das soziale Umfeld hervorgerufene Labilität verantwortlich sind, verwirklicht sich damit doch eine sozialschädliche Auswirkung der Cannabisdroge: Diese verhilft der Vorprägung der Betroffenen erst zum Durchbruch. Schließlich werden auch die sozialschädlichen Auswirkungen des international verflochtenen, sich krimineller Methoden bedienenden Drogenhandels nicht davon berührt, daß Cannabis für den Konsumenten kleiner Mengen, der nicht Dauerverbraucher ist, kein ernsthaftes gesundheitliches Risiko begründet. Selbst wenn diese Konsumenten ihren Bedarf im Inland legal decken könnten, ließe sich damit der internationale kriminelle Markt, der mit harten BVerfGE 90, 145 (208)BVerfGE 90, 145 (209)und weichen Drogen handelt und damit die Versuchung, auf härtere Drogen umzusteigen, vielfach erst herbeiführt, nicht zurückdrängen. Es liegt nahe, daß er dann sogar Absatzverluste bei Cannabis durch ein größeres Geschäft mit harten Drogen auszugleichen suchte. 211 3. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wirft die Fragen auf, ob der Gesetzgeber vertretbar davon ausgehen kann, daß 212 - es zum Schutz dieses Rechtsguts geeignet und erforderlich ist, die Bedrohung des Rechtsguts schon zu bestrafen, wenn es nur abstrakt gefährdet ist (a); 213 - die Handlungsformen, die in den zu überprüfenden Vorschriften verboten sind, eine abstrakte Gefährdung begründen und ihr strafbewehrtes Verbot daher zum Schutz des Rechtsguts geeignet ist (b) 214 - es erforderlich ist, diese Gefährdungshandlungen zum Schutze des Rechtsguts strafbewehrt zu verbieten (c). 215 Schließlich ist zu fragen, ob den Anforderungen des Übermaßverbots Rechnung getragen ist, indem das Gesetz hinreichende Reaktionsmöglichkeiten vorsieht, um der individuellen Schuld eines Täters hinreichend gerecht werden zu können (d). 216 a) Die sozialschädlichen Auswirkungen von Cannabis, von denen das soziale Zusammenleben freigehalten werden soll, ereignen sich unmittelbar durch den Konsum und den internationalen kriminellen Markt. Hierbei handelt es sich um ein Massengeschehen, das das zu schützende Rechtsgut gerade in seiner Kumulation bedroht. Jeder Verbraucher trägt und stützt im Zusammenwirken mit der Million anderer Verbraucher den Markt. Je verbreiteter der Cannabiskonsum ist, je mehr besteht die Gefahr, daß sich hieran junge Menschen beteiligen oder sie zu einem Konsum verleitet werden und sich damit an einen Drogengebrauch gewöhnen; je größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, daß aus Gelegenheitskonsumenten Dauerkonsumenten werden. Die das Rechtsgut unmittelbar verletzenden Handlungen, der Konsum und der illegale Markt, sind aus verfassungsrechtlichen und tatsächlichen Gründen strafrechtlich nur schwer erfaßbar; der Gesetzgeber hatte daher gute Gründe, davon auszugehen, er könne das Rechtsgut wirksam nur schützen, BVerfGE 90, 145 (209)BVerfGE 90, 145 (210)wenn er - durch Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes - die Handlungen strafbewehrt verbietet, die den Konsum erst ermöglichen und den Markt tragen. 217 b) Die zu überprüfenden Vorschriften sehen als in dieser Weise abstrakt gefährliche Handlungsformen das Handeln, Abgeben, Erwerben, Besitzen, die Einfuhr und Durchfuhr von Cannabisprodukten an. Dabei wird nicht danach differenziert, ob jeweils nur mit geringen Mengen umgegangen wird und diese womöglich nur zum gelegentlichen, sich ohne Fremdgefährdung ereignenden Eigenverbrauch des Handelnden bestimmt sind. Hingegen wird u.a. im Handeltreiben und der Einfuhr nicht geringer Mengen ein besonders schwerer Fall strafbaren Handelns gesehen. Der Senat führt unter I. 5. a) bis f) im Zusammenhang mit der Überprüfung am Übermaßverbot aus, daß von allen diesen Handlungsformen ein Gefährdungspotential für das geschützte Rechtsgut ausgeht. Diesen Ausführungen als solchen stimme ich zu. Sie sind jedoch nach meiner Meinung in den hier aufgezeigten Gedankenzusammenhang zu stellen. Alle diese Handlungsformen gefährden das durch den Massenkonsum von Cannabisprodukten und den kriminellen Handel mit ihnen bedrohte Rechtsgut mit hinreichender Wahrscheinlichkeit. Ihr Verbot ist daher zum Schutz des Rechtsguts vor abstrakter Gefährdung geeignet. 218 c) aa) Das zu schützende Rechtsgut ist - ungeachtet einer geringeren Gesundheitsgefahr der Droge - nicht nur - wie der Senat zu I. 2. a) ausführt - ein Gemeinschaftsbelang, der vor der Verfassung Bestand hat; bei ihm geht es darüber hinaus um elementare Gemeinschaftswerte. Der Gesetzgeber hält sich im Rahmen der grundgesetzlichen Wertordnung, wenn er ihre Erhaltung als besonders dringlich ansieht. Er kann dann davon ausgehen, daß das Rechtsgut ein Gewicht hat, welches das mit einer Strafandrohung verbundene sozialethische Unwerturteil erforderlich macht. 219 bb) Auch kann der Gesetzgeber gute Gründe dafür haben, das undifferenzierte strafbewehrte Verbot jeglichen Umgangs mit Cannabisprodukten für erforderlich zu halten. Zwar mag dem Gefährdungspotential der einzelnen verbotenen Handlungsformen je BVerfGE 90, 145 (210)BVerfGE 90, 145 (211)nach der Menge und der Art der Produkte und dem Zweck des Umgangs mit ihnen auch dann noch ein sehr unterschiedliches Gewicht zukommen, wenn die Bedrohung des Rechtsguts gerade in dem Massenumgang und der Kumulierung vieler - für sich allein nicht besonders gefahrträchtiger - Handlungen gesehen wird. Mit dieser Erwägung müßte das undifferenzierte strafbewehrte Verbot allerdings allenfalls dann als nicht zum Schutze des Rechtsguts erforderlich eingeschätzt werden, wenn der Schutz sich ebenso noch nach Aussonderung der "minderschweren" Fälle erreichen ließe, indem der von diesen ausgehenden - geringeren - Gefahr durch ein bloßes Verbot oder etwa die Ahndung als Ordnungswidrigkeit begegnet würde. Hiervon mußte der Gesetzgeber jedoch nicht ausgehen. Er konnte berücksichtigen, daß die Fallgruppe, bei der die Gefahrintensität gering ist, zwar theoretisch aus den generell verbotenen Handlungsformen absonderbar ist, ihre Abgrenzung gegenüber gefährlicheren Handlungsformen in der Praxis aber kaum sicher möglich ist, weil die Feststellung ihrer Voraussetzungen (der Umgang mit geringen Mengen zum gelegentlichen, sich ohne Fremdgefährdung ereignenden Eigenverbrauch durch eine in ihrer Persönlichkeit bereits gefestigte Person) nicht unbeträchtliche Schwierigkeiten bereitet. Eine nach den genannten Voraussetzungen umschriebene Privilegierung im materiellen Strafrecht könnte ausgenutzt und damit das gesamte Konzept des Schutzes in Frage gestellt werden: Der gelegentliche Konsument von Cannabisprodukten ist nicht ohne weiteres von einem gewohnheitsmäßigen Konsumenten zu unterscheiden; ist etwa jemand, der regelmäßig einmal im Monat Cannabis zu sich nimmt, in die letztere Fallgruppe einzuordnen, derjenige aber, der - ohne feste Gewohnheiten - in unregelmäßigen Wochenabständen Cannabis konsumiert, nur ein gelegentlicher Verbraucher? Es kann auch kaum erkannt werden, ob der im Einzelfall mit einer Kleinmenge Angetroffene ein Privilegierungskriterium nur vorgibt, während er tatsächlich die größere Menge, mit der er handelt, nur "aufgeteilt" hat, oder etwa ein Dauerkonsument ist, der - unter Ausnutzung des Privilegierungsmerkmals - kleine Verbrauchseinheiten nunmehr sukzessiv erwirbt. Um derartige Umgehungen zu verhindern und damit die BVerfGE 90, 145 (211)BVerfGE 90, 145 (212)Effektivität eines strafrechtlichen Schutzes zu sichern, müßte die Kleineinheit, mit der straffrei umgegangen werden kann, auf Zeiteinheiten (Tage, Woche, Monat) bezogen werden, was jedoch praktisch nicht durchführbar ist. 220 d) Nach allem darf der Gesetzgeber davon ausgehen, daß es geeignet und auch erforderlich ist, das soziale Zusammenleben vor den schwerwiegenden sozialschädlichen Wirkungen, die auch von der Droge Cannabis ausgehen, durch ein umfassendes und undifferenziertes strafbewehrtes Umgangsverbot zu schützen. Gleichwohl verlangen das Übermaßverbot und der Schuldgrundsatz, daß rechtliche Grundlagen gegeben sind, um in jedem ermittelten Einzelfall die dem Unrechtsgehalt der individuellen Tat und der Schuld des jeweiligen Täters angemessenen Maßnahmen treffen zu können. Derartige Reaktionsmöglichkeiten sieht das geltende Recht - wie der Senat ausführt - mit den §§ 153, 153 a StPO, § 29 Abs. 5 und neuerdings § 31 a BtMG vor.]


  • Cannabis-Beschluss in: de.wikipedia Darin: Die Richterin Graßhof trägt die Entscheidung im Ergebnis mit, nicht jedoch in vollem Umfang die Begründung. Sie stellt andere verfassungsrechtliche Anforderungen an ein abstraktes Gefährdungsdelikt auf: Die Prüfung des Betäubungsmittelgesetzes hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit habe auf zwei Ebenen zu erfolgen:

Zunächst sei zu fragen, ob in dem Tatbestand zum Schutz des jeweiligen Rechtsguts Strafe angedroht werden kann (Zweckrelation). Mit anderen Worten, wer oder was geschützt werde, wenn jemand wegen harmlosen Rauschs bestraft wird. Dann habe die allgemeine dreistufige Verhältnismäßigkeitsprüfung zu erfolgen. Jedoch kann Richterin Graßhof hinsichtlich der Geeignetheit der Senatsmehrheit nicht zustimmen sondern sieht hierin ein prüfungstechnisches Manko.

Abweichende Meinung des Richters Sommer: Richter Sommer trägt den Entscheidungstenor in Punkt 2 nicht mit und auch zum Teil die Begründung nicht: Das Betäubungsmittelgesetz genügt nicht den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Es ist qualitativ und graduell zu weit gefasst. Dieser Mangel wird nicht geheilt durch einzelfallbezogene Möglichkeiten dahingehend, von Strafe abzusehen oder eine als strafbar definierte Tat nicht zu verfolgen – selbst dann nicht, wenn diese Möglichkeiten in einer Vielzahl von Fällen regelmäßig als Gebot der Nichtbestrafung/-verfolgung auszulegen sind.

Auswirkungen: Rückblick nach 10 Jahren

  • 10 Jahre "Haschisch-Urteil": Wolfgang Janisch, n-tv Dienstag, 27. April 2004: Es war eines jener Karlsruher Urteile, die einen empfindlichen Nerv der Gesellschaft trafen: Als das Bundesverfassungsgericht vor zehn Jahren, am 28. April 1994, sein "Haschisch-Urteil" bekannt gab, warnten Rechtspolitiker vor falschen Signalen an die Jugend, vor einer Senkung der Hemmschwelle, vor dem "Joint" als Einstieg in die Drogenkarriere. Wenn der Besitz geringer Haschisch-Mengen fortan straflos sein solle, dann könne man auch gleich den Einbruch freigeben, kommentierte sarkastisch der Bund Deutscher Kriminalbeamter. Dabei war der Richterspruch gar nicht so liberal, wie ihn beispielsweise das Landgericht Lübeck - es hatte das Karlsruher Verfahren angestoßen - mit seiner plakativen Forderung nach einem "Recht auf Rausch" gern gesehen hätte. Die Richter hatten lediglich höchstrichterlich festgeschrieben, was schon teilweise Praxis war: Der Gelegenheitskiffer mit ein paar Gramm Haschisch in der Tasche sollte nicht gleich mit einem Strafverfahren überzogen werden. Weniger Verfahren Ein Denkanstoß aus Karlsruhe, der bis heute nachwirkt, sagt der Frankfurter Oberstaatsanwalt Harald Hans Körner. Die Verfahren gegen Konsumenten haben seither deutlich nachgelassen. Doch damals setzte die Politik in der konservativ geführten Bundesrepublik bei der Drogenbekämpfung auf Härte - auch wenn Experten und Praktiker längst wussten, dass Therapie und Prävention mindestens ebenso wichtig sind. Drogen wurden dämonisiert, egal, ob es sich um die zwar schädlichen, aber vergleichsweise harmlosen Cannabisprodukte Haschisch und Marihuana oder um verheerende Stoffe wie Heroin handelte. Dennoch setzten sich die Landesjustizminister zähneknirschend zusammen, um - wie von Karlsruhe gefordert - zu einer einheitlichen Praxis im Umgang mit der "geringen Menge" zu finden. Das haben sie bis heute nicht geschafft. Die Staatsanwälte in Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen lassen Konsumenten mit 6 Gramm Haschisch ungestraft davon kommen, in Rheinland-Pfalz dürfen es 10 Gramm sein, in Schleswig-Holstein bis zu 30 Gramm - wobei auch Anklagen unterhalb der Grenzwerte möglich sind, etwa bei Wiederholungstätern. Der Teufel und das Weihwasser "Ein Kompromiss ist nicht in Sicht", sagt Körner, Autor eines Kommentars zum Betäubungsmittelrecht. Denn nach wie vor fürchteten Politiker, eine Liberalisierung könne als Cannabis-Freigabe missverstanden werden. "Dieses Signal fürchtet man wie der Teufel das Weihwasser." Überhaupt ist keineswegs eindeutig, dass das "Haschisch-Urteil" ausschließlich in Richtung Liberalisierung gewirkt hätte. Es gibt auch gegenläufige Tendenzen: Sei es in der Schule, bei der Bundeswehr oder auf der Arbeitsstelle - "dort wird auch bei der kleinsten Menge mit der Keule zugeschlagen", sagt Körner. Die Palette reicht von der Rüge bis zum Rausschmiss. Vorsichtige Lockerungen sind aber seit dem Urteil dennoch zu verzeichnen. Seit 1996 ist - unter engen Voraussetzungen - der Anbau von wirkstoffarmem Nutzhanf erlaubt. Daraus hat sich eine Palette seltsamer Lebensmittel entwickelt, von Hanfbier bis zu Hanfnudeln. "Es schmeckt abscheulich, hat aber den Reiz des Verbotenen", meint Körner. Widersprüchliches Vorgehen Die Widersprüche halbherziger Freigaben lassen sich beim Hanfsamen beobachten. Der wird - erlaubterweise - als Vogelfutter verkauft, von den vorgeblichen Tierfreunden aber - verbotenerweise - im heimischen Blumenkübel gezogen. "Seither muss die Polizei auch in Zoo- und Tierhandlungen ermitteln", kommentiert Körner. Nach wie vor ungeklärt ist der Einsatz von Cannabis zu medizinischen Zwecken. Hunderte von Patienten, die auf Schmerzlinderung hoffen, haben entsprechende Anträge beim zuständigen Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gestellt - ohne Erfolg. Das Bundesverfassungsgericht hat eine Verfassungsbeschwerde mehrerer Kranker im Jahr 2000 zwar aus formalen Gründen abgewiesen, aber eine sorgfältigere Prüfung solcher Anträge angemahnt.

Weblinks und Literatur