Bernd Maelicke

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Der Direktor des Deutschen Instituts für Sozialwirtschaft (DISW) und Honorarprofessor an der Leuphana Universität Lüneburg Bernd Maelicke (* 26.04.1941) wurde 1977 mit einer kriminologischen Dissertation über "Entlassund und Resozialisierung" in Freiburg i.Br. promoviert, leitete (1974-78) die Fortbildungsakademie des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, war (1978-90) Direktor des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS) in Frankfurt a.M. und leitete (1990-2005) als Ministerialdirigent in Schleswig-Holstein die Abteilung „Strafvollzug, Soziale Dienste der Justiz, Straffälligenhilfe, Gnadenwesen“. Der Experte für Innovationen in der Kriminal- und Sozialpolitik, für die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Fach- und Führungskräften sowie die Beratung von sozialen Dienstleistungsorganisationen leitete zahlreiche nationale und internationale Innovationsprojekte erhielt 2012 das Bundesverdienstkreuz und veröffentlichte 2015 eine Streitschrift zur Strafvollzugspolitik unter dem Titel "Das Knastdilemma".


Das Knast-Dilemma

Veröffentlichung

Besprechungen

Das Buch enthält mehr als bloß die Streitschrift, die sein Untertitel verspricht. Es bietet zugleich Einblick in mindestens zwei einschlägige Biographien. . Da ist zunächst einmal Timo S., dessen strafrechtliche Karriere den roten Faden über weite Teile des Buches darstellt. Seine „Lebensgeschichte ist repräsentativ für die überwiegenden Mehrzahl der derzeit Inhaftierten. Wir haben allerdings viele Daten und auch seinen Namen verfremdet“ (16). Dieses „wir“ lässt erkennen, dass an dem Entstehen dieses Buches mehr als eine Person beteiligt war. Aus den Danksagungen am Ende des Buches kann man entnehmen, dass zwei junge Autoren geholfen haben, aus den von Maelicke auf Band gesprochenen „Erlebnissen und Rahmenbedingungen“ ein Buch zu machen (244). Die verfremdete Biografie von Timo S. wird dabei zum didaktischen Vehikel für einen Durchgang durch das deutsche Justiz- und Vollzugswesen. Das ist durchaus anschaulich, wenn auch notwendigerweise etwas künstlich, repräsentativ wohl noch am ehesten für die Jugendstrafjustiz.

Das Buch gibt aber auch unerwartete Einblicke in die Biografie des Autors selbst, seine schwierige Kindheit, seine jugendliche Delinquenz und die "turning points", die ihn zu seinem Lebensthema, einem rationalen Umgang mit Straffälligkeit, geführt haben. Seinen Vorbildern bei der „Suche nach etwas Besserem als Strafvollzug“, Kurt Eickmeier und Helga Einsele , widmet er liebevoll würdigende Passagen. . Auf diese Weise hat das Buch teilweise auch einen sehr persönlichen Charakter, an den diese Besprechung anknüpfen kann. Der Rezensent kennt Bernd Maelicke seit den frühen 70er-Jahren als dieser noch mit der Fertigstellung seiner wegweisenden Doktorarbeit beschäftigt war (Entlassung und Resozialisierung. Untersuchungen zur Sozialarbeit mit Straffälligen). Seither haben sie sich in fachlicher Hinsicht nie ganz aus den Augen verloren. Fast gleich alt, haben sie in mancher Hinsicht parallel lives geführt: der Autor mehr auf der praktischen, der Rezensent mehr auf der akademischen Seite. . Nun aber zur "Streitschrift" gegen das Wegsperren und für die Resozialisierung von Straftätern. Blickt man auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dann kann es hier eigentlich gar keinen Streit geben. Jedenfalls nicht juristisch. Wie wir aber täglich aus den Medien entnehmen können, sind viele der in dem Buch enthaltenen Thesen sowohl in der Bevölkerung wie in der Politik umstritten. Dabei geht es, um nur einige aus der langen Reihe der Beispiel anzuführen, darum, dass .

  • das Wegsperren "kurzfristig eine schlechte und langfristig meistens gar keine Lösung" darstellt (29)
  • in deutschen Gefängnissen "größtenteils Menschen wie du und ich einsitzen" (31)
  • das Gefängnis, wie wir es heute kennen, "eine relativ neue Erfindung" ist (48)
  • die Eigeninteressen des Personals "grundlegende Innovationen behindern, ja sogar verhindern können" (55)
  • man im Gefängnis "schlicht und einfach nicht lernen (kann), wie es draußen wirklich zugeht" (107)
  • Gefangene "erstklassige Experten sind, die bei der Verbesserung des Reso-Systems gehört werden wollen und über unschätzbar wichtige Erfahrungen verfügen" (139)
  • ein "Strafvollzug der positiven Zuwendung" (Helga Einsele) einem bloß effizienten Betrieb vorzuziehen ist (147)
  • es in der Vollzugspolitik "nicht immer nur um einen personellen Ausbau" gehen dürfe, sondern, dass das Ziel "eher ein Umbau beziehungsweise Rückbau" sein müsse (159)
  • es keine "drogenfreien Gefängnisse" geben kann (163)
  • die "Existenz von Subkulturen im Gefängnis unvermeidbar ist" (186)
  • die Sexualität zur Menschenwürde gehört (188)
  • Ersatzfreiheitsstrafen sinnlos sind (194)
  • nach der Entlassung zumeist ganz entscheidend ist "das Vorhandensein einer stabilen Beziehung zu einer Frau oder zu einem Mann"
  • eine "grundlegende Reform des Drogenstrafrechts" den Vollzug wesentlich entlasten würde (220)
  • ein "Höchstmaß an Individualisierung aller stationären und ambulanten Maßnahmen" erforderlich sei (225)
  • das gegenwärtige Hilfesystem "selbst resozialisiert und dadurch optimiert" werden müsste (227)
  • die Föderalismusreform einer unabhängigen Evaluation im Hinblick auf "Wirkungen und Nebenwirkungen" unterzogen werden müsste (232)
  • zu wenig Fördermittel für ambulante Projekte vorhanden sind (233 ff).

Dies alles sind Punkte, in denen der Rezensent mit dem Autor übereinstimmt. Er würde aus alledem allerdings den Schluss ziehen, dass der Strafvollzug in Gefängnissen eine überholte, menschenfeindliche und letztlich abzuschaffende Institution ist. Soweit möchte Bernd Maelicke nicht gehen. Er bekennt zwar, dass er als studentischer Achtundsechziger sich hatte „von der radikalen Vorstellung anstecken lassen, dass man straffällige Menschen nicht hinter Mauern ausgrenzen dürfe“ (137). Von diesen naiven Vorstellungen hätten ihn jedoch schon bald Gespräche mit Gefangenen geheilt und ihn vom Kopf auf die Füße gestellt: „Ich durfte nicht auf der Theorieebene stecken bleiben, ich musste mich in Problemanalysen und- lösungen einarbeiten, um für die Häftlinge ein anerkannter und nützlicher Gesprächspartner zu werden“ (139). Heute ist ihm klar: „Es gibt keine Gesellschaft und keinen Staat ohne Gefängnisse“ (215), ohne dass er den Widerspruch zu seiner, weiter oben erwähnten, These sieht, dass es sich beim Gefängnis um eine relativ neue Erfindung handelt.

Wenn auch kein Abolitionist, so ist Bernd Maelicke doch ein entschiedener Reformer und Reduktionist. Dies hat dann seinen weiteren Weg bestimmt: zum Direktor des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik in Frankfurt (1978-1990), zum Ministerialdirigenten und Leiter der Abteilung Strafvollzug, Soziale Dienste der Justiz, Freie Straffälligenhilfe, Gnadenwesen im Justizministerium Schleswig-Holstein (1990-2005), seither und bis heute als Gründungsdirektor des Deutschen Instituts für Sozialwirtschaft in Lüneburg. Leider enthält das Buch nur wenig über seine Jahre im Justizministerium von Schleswig-Holstein. Die Voraussetzungen für weitgehende Reformen schienen günstig, Maelicke war eine ideale Besetzung für den Job und er hatte während seiner ganzen Amtszeit die Unterstützung reformwilliger Justizminister. Unter dem Titel „Schleswig-Holstein als Modellversuch“ erfährt man jedoch nur sehr abstrakt etwas über das Scheitern der Neuorganisation der Bewährungs- und Gerichtshilfe (166/67), über den „Ausbau“ der Freien Straffälligenhilfe (167) und über die „kontinuierlichen Verbesserungsprozesse“ im Bereich Strafvollzug (168/69). Ausführlicher wird das „Dilemma einer rationalen Kriminalpolitik“ (160) dargestellt: öffentlich für die Notwendigkeit von Neuerungen zu werben, dabei aber auf Medien angewiesen zu sein, die primär daran interessiert sind über „sex and crime“ hinter Gittern zu berichten. Aber wo bleibt die Analyse eines anderen Dilemmas für Gefängnisreformer: wie soll man, mit einem unter ganz anderen Voraussetzungen eingestellten Personal, die Neuerungen umsetzen? Viel Raum nimmt dafür die Schilderung der spektakulären Flucht eines Gefangenen (samt anschließendem Mord) ein, die Maelicke als den „Super-Gau“ für sein Resozialisierungsmodell des Strafvollzuges erlebt (171).

Dennoch fällt seine abschließende „Zwischenbilanz nach fünfundzwanzig Jahren“ (177) erstaunlich positiv aus: die Zahl der Gefangenen sei kontinuierlich „weiter abgesenkt“ worden (oder einfach abgesunken?), die Einsperrungsquote liege bei 40 auf 100.000 und Schleswig-Holstein gelte „zumindest europaweit als Musterland“. Als Grundlage für diese positive Entwicklung nennt Maelicke die vorher genannten Reformen. Aber wie lässt sich die Tatsache erklären, dass am Ende der Ära Maelicke der offene Vollzug in Schleswig-Holstein, weit unter dem Bundesdurchschnitt, etwa auf bayerischem Niveau liegt? Hatte die Vollzugsabteilug des Ministeriums keine Möglichkeit, auf eine Ausweitung des offenen Vollzuges Einfluss zu nehmen? Und wenn nein, warum nicht? Maelicke selbst sieht die Erklärung dieser beschämend niedrigen Quote allein bei der liberalen Rechtsprechung in Schleswig-Holstein. „Offensichtlich“ würden dort viele Straftäter, die anderswo im offenen Vollzug landen gar nicht zu Freiheitsstrafe verurteilt (178). Das ist durchaus denkbar, aber ist es wirklich offensichtlich? Ohne weitere Belege liest sich dies wie ein typisches Beispiel der Öffentlichkeitsarbeit eines Ministeriums. Maelicke bleibt hier leider hinter seinen eigenen Maßstäben zurück.

Das Buch endet mit einem Kapitel über „Perspektiven“. Ausgangspunkt ist folgende Bestimmung der „zentralen vollzugs- und kriminalpolitischen Fragen: „Wer gehört eigentlich ins Gefängnis, und warum? Geschieht es aus Gründen der Sicherheit, der Resozialisierung oder der Schwere der Schuld? Und welches sind die besseren Alternativen – gemessen am Erfolg der Verhinderung von Rückfällen?“ (216).

Seine Antwort auf die erste Frage ist klar: maximal 30 Prozent der gegenwärtig in Deutschland Inhaftierten müssten es sein, wenn man die Kriterien Gefährlichkeit und besonders hohe Schuld anlegt. Das würde in empirischen Untersuchungen immer wieder bestätigt. Maelicke nennt hier (wie generell in seinem Buch) keine Quellen. Er dürfte sich dabei auf Berechnungen und Überlegungen von Frieder Dünkel beziehen. Die Zahl erscheint jedoch ähnlich spekulativ wie die noch niedrigeren Zahlen prominenter Abolitionisten, die von weniger als zehn Prozent ausgehen. (vgl. Does Abolitionism Have a Future? An Email Exchange among Abolitionists, 2007).

Wie soll diese drastische Absenkung der Gefangenenzahlen erreicht werden? Maelicke nennt hier ausdrücklich nur den Abbau kurzer Freiheitsstrafen zugunsten von Geldstrafen und Bewährung (219), sowie eine grundlegende Reform des Drogenstrafrechts, wobei er ausdrücklich den Aufruf der Strafrechtler und Kriminologen vom Frühjahr 2014 als „zielführend“ benennt (220).

Seine Antwort auf die Frage nach den Alternativen ist weniger bündig. Auffällig (und erfreulich) ist es, dass er auf die Schein-Alternative Maßregelvollzug gar nicht erst zu sprechen kommt. Hauptsächlich geht es ihm um eine drastische Aufstockung der staatlichen Bewährungshilfe und parallel dazu um einen Ausbau der Freien Straffälligenhilfe.( 226). Einen gesetzlichen Rahmen sollen dafür die von Maelicke schon seit langem propagierten Resozialisierungsgesetze machen. Als Beispiel für eine rückfallsenkende Praxis bringt er das von ihm begleitete RESI-Modellprojekt (Resozialisierung und soziale Integration) ins Gespräch (233). Als weitere Beispiele werden (kurz und etwas unsystematisch) die norwegische Gefängnisinsel Bastoy einerseits (235) und das Konzept der Restorative Justice andererseits (236 ff) genannt.

Dem gut lesbaren Buch ist eine weite Verbreitung zu wünschen. Man muss sich allerdings fragen, ob die Rückfallverhinderung das einzige Kriterium einer rationalen Kriminalpolitik sein kann. Ein solcher Ansatz begünstigt technokratische Lösungen. Gegen das Wegsperren in Gefängnissen spricht aber nicht nur deren Ineffizienz, sondern auch deren grundsätzlich inhumaner Charakter. Davon ist in Malickes Buch so gut wie keine Rede. Abzulesen ist dies auch daran, dass in dem lobenswert ausführlichen Register die Begriffe „Menschenwürde“ und „Menschenrechte“ nicht auftauchen.


Eine Rezension von Daniela Remus

In den deutschen Gefängnissen sitzen rund 65.000 Gefangene ein. Die einen für einige Tage, die anderen 15Jahre. Der Boulevard und mancher Innenpolitiker fordert im Zweifel, Täter länger hinter Gitter zu bringen. Dabei spielt die Frage, ob aus den Verurteilten dann bessere Menschen werden, kaum eine Rolle.

Wegsperren ins Gefängnis gilt noch immer als geeignete Strafmaßnahme für alle - egal ob Mörder, Vergewaltiger, Schwarzfahrer oder Kaufhausdiebe. Der Jurist Bernd Maelicke, bundesweit einer der renommiertesten Experten auf dem Gebiet der Kriminalpolitik, kritisiert das: "Wir sind zu sehr fixiert auf das Gefängnis, als Lösung, und denken, in dem Moment, wo wir die Leute wegsperren und wenn dann im Gefängnis gute Behandlungsprogramme stattfinden, dann ist damit der Auftrag der Resozialisierung erfüllt. Das ist eben viel zu kurz gedacht."

Bernd Maelicke, Jurist und ehemaliger Ministerialdirigent im Kieler Justizministerium fordert in seinem neuen Buch "Das Knast-Dilemma" eine Reform des Strafvollzugs. Wegsperren ist nicht resozialisieren

Einsperren ist nicht immer die beste Art zu bestrafen, davon ist Bernd Maelicke überzeugt. Menschen beispielsweise, die ihre Geldstrafe nicht bezahlen können und deshalb in den Knast kommen, gehörten da nicht hin. Durch gemeinnützige Dienste würden solche Straftäter viel eher dazu gezwungen, der Gesellschaft etwas zurückzugeben - das hält der Jurist für sinnvoller und wirksamer. "Ich sag: Wer ist denn im Gefängnis? Und wer ist da eine Fehlbelegung? Und was kann ich tun, um weniger ins Gefängnis hinein zu tun oder auch die Leute aus den Gefängnissen herauszuholen, und sie dann besser zu integrieren und den Rückfall zu vermeiden?" Im Knast gelten die Regeln der Subkultur

Maelicke kennt sich aus. Der Resozialisierungsexperte hat als Anwalt gearbeitet, als Wissenschaftler und war mehr als 15 Jahre Ministerialdirigent im schleswig-holsteinischen Justizministerium. Der Strafvollzug müsse dringend reformiert werden, um die daraus erwachsende Kriminalität zu senken. Viele Gefängnisse seien noch immer "Schulen des Verbrechens", denn dort gälten andere Regeln als draußen: Gewaltbereitschaft und das Demonstrieren von Stärke z.B. zählen viel innerhalb der Knasthierarchie. Und wer nicht drangsaliert, vergewaltigt oder verprügelt werden will, der füge sich in die bestehenden Herrschaftsverhältnisse der Subkultur. Und übt damit Verhaltensweisen ein, die draußen wenig hilfreich sind: "Das, was wir heute wissen, ist eben, dass das ja nicht dazu beiträgt, dass die Leute weniger Straftaten begehen, sondern sogar eher mehr Straftaten. Und wenn wir wirklich Resozialisierung ernst meinen, und das steht im Grundgesetz, dann müssen wir Resozialisierung verstehen. Ich sage immer: erste Halbzeit Gefängnis, aber zweite Halbzeit die Phase nach der Entlassung, und wir müssen vor allem die zweite Halbzeit betonen." „Resozialisierung muss schon am Anfang der Haftstrafe stehen!“

Jeder zweite Gefangene wird rückfällig, von einem "Drehtürvollzug" sprechen die Experten. Diese Quote ist seit Jahren stabil. Das liegt daran, so Maelicke, dass die vielen Möglichkeiten, die das deutsche Sozialsystem bereithält, nicht ausreichend mit dem Vollzugssystem verknüpft sind. Dadurch tritt die Resozialisierung in den Hintergrund: "Wir tun gut daran jeden Straffälligen, der im Gefängnis einsitzt, bereits zu Beginn seiner Freiheitsstrafe auf den Tag seiner Entlassung vorzubereiten und ihm auch danach zur Seite zu stehen. Nicht deshalb, weil wir Mitleid mit dem Täter haben, sondern weil seine Resozialisierung die einzige Möglichkeit ist, weitere Straftaten dauerhaft zu verhindern und weitere Opfer zu schützen." (Buch-Zitat, S. 30) „Mit der Entlassung beginnt häufig der Rückfall“

Ob Schuldenberatung, Gerichtshilfe, soziale Dienste, Bewährungshilfe, Jugendhilfe, Sozialarbeit oder Wohnraumvermittlung, diese Angebote existieren alle, nur sind sie nicht ausreichend vernetzt. Deshalb fallen viele Gefangenen bei ihrer Entlassung unvorbereitet zurück in ihr altes Leben: "Wir überlassen die Leute ihrem Schicksal selber, wenn sie da mit ihrem Pappkoffer, nach wie vor, wenn sie dann am Tag der Entlassung vor dem Gefängnistor stehen. Und das ist dann der Beginn des Rückfalls. Da fängt der Ernstfall der Resozialisierung ja erst an. Nach der Entlassung." Eine Muss für alle, die das Wegsperren für eine Lösung halten

"Das Knast-Dilemma" ist ein ausgesprochen lesenswertes Buch. Es schafft einen bemerkenswerten Spagat: Anrührende Fallbeispiele zu erzählen, den Alltag in deutschen Gefängnissen zu schildern und den Leser mit Zahlen, Fakten, wissenschaftlichen Studien und politischen Projekten zu informieren. Ein Muss nicht nur für die Innen- und Justizpolitik, sondern auch für alle, die meinen, Wegsperren um jeden Preis sei eine Lösung.

Maelicke kennt sie alle, die Akteure aus der Welt des Verbrechens und der Sühne. Täter, Opfer, Staatsanwälte, Richter, Anwälte, Bewährungshelfer. Und deshalb kann er sie auch so wunderbar beschreiben. Genauso spannend und authentisch wie auch seine Exkurse in Geschichte und Politik. Resozialisierung ist sein Lebensthema. Während des Jurastudiums in Freiburg war er ehrenamtlicher Helfer im Gefängnis, seine Doktorarbeit schrieb er zum Thema "Entlassung und Resozialisierung" - das war 1976, in einer Zeit, in der die Resozialisierung als Gesetzesziel festgeschrieben wurde. - "Also ich träume immer noch davon, einer gefängnislosen Gesellschaft. Das ist gar keine Frage - aber es gibt weltweit keine - es gibt weltweit keine Gesellschaft ohne Gefängnisse." - Heute geht es ihm nicht mehr darum, Gefängnisse abzuschaffen. Er will sie verbessern, und er weiß, dass die Opfer und die Gesellschaft fordern, Täter zu bestrafen. Doch er erklärt sehr plausibel in seinem Buch anhand vieler, vieler Lebenswege das "Knastdilemma" - dass man eben nur in Freiheit auch reif für das Leben in Freiheit wird. Dass das Gefängnis ist keine Seelen-Waschmaschine. Es wäscht die Menschen nicht rein. Im Gegenteil - das Gefängnis ist eine Schule des Verbrechens. Die Wölfe kommen nicht als Schafe wieder heraus. 96 Prozent aller Gefangenen werden wieder entlassen. Die Hälfte aller Strafgefangenen wird nach Entlassung wieder kriminell. Jeder Vierte muss zurück in den Knast. - "So und das zeigt, da ist strukturell was falsch. Wir können nämlich den Vollzug modernisieren wie wir wollen, das ist die Ausgangsthese, der Knast ist was anderes als die freie Gesellschaft. Wir können tolle Behandlungsprogramme in den Gefängnissen schaffen, das ist Trockenschnee, das ist schwimmen ohne Wasser, das hat mit der Realität draußen nachher wenig zu tun."
In seiner Streitschrift vergisst Bernd Maelicke aber auch nicht den Blick der Mehrheit. Er benennt das mulmige Gefühl, das der brave Bürger angesichts von Straftätern hat. Er beschreibt den Fluchtimpuls vor dem vermeintlich Bösen. Und weil er uns so genau entlarvt, gibt er dem Leser die Chance zum Umdenken, schließt er ihn auf für seine Argumente - gegen die populäre politische Forderung vom "Wegsperren für immer". Auch wenn damit Wahlen gewonnen werden. Denn in Wahrheit hat die Ausstattung des Vollzuges Auswirkungen auf die Sicherheit der Bürger, die potenziellen Opfer:
"In der Kriminalpolitik entscheiden die Politiker allerdings weitgehend nach Kriterien der politischen Opportunität, nicht nach denen einer systematischen Qualitäts- und Kostenkontrolle."
Dabei betragen die Gesamtkosten für den Strafvollzug geschätzte drei bis vier Milliarden Euro pro Jahr für ein System, das mehr Probleme erzeugt, als es löst. Das Buch von Bernd Maelicke ist eine lesenswerte wie schonungslose Analyse der Stärken und Schwächen es Resozialisierungssystems - nicht ohne einen Ausweg aufzuzeigen aus dem "Knastdilemma" - und es ist ein Appell:
"Wir tun gut daran, jeden Straffälligen, der im Gefängnis einsitzt, bereits zu Beginn seiner Freiheitsstrafe auf den Tag seiner Entlassung vorzubereiten und ihm auch danach zur Seite zu stehen. Nicht deshalb, weil wir Mitleid mit dem Täter haben, sondern weil seine Resozialisierung die einzige Möglichkeit ist, weitere Straftaten dauerhaft zu verhindern und weitere Opfer zu schützen."


  • Entlassung und Resozialisierung. Untersuchung zur Sozialarbeit mit Straffälligen. Müller, Juristischer Verlag, Heidelberg, Karlsruhe 1977, ISBN 3-8114-4677-0 (zugleich Dissertationsschrift).
  • Mit Renate Simmedinger: Sozialarbeit und Strafjustiz. Untersuchungen und Konzeptionen zur Reform der Straffälligenhilfe. Juventa-Verlag, Weinheim 1987, ISBN 3-7799-0472-1.
  • Ambulante Alternativen zum Jugendarrest und Jugendstrafvollzug. Deutscher Studien-Verlag, Weinheim 1988, ISBN 3-89271-097-X.
  • Führung und Zusammenarbeit. Nomos, Baden-Baden 2004, ISBN 3-8329-0343-7.
  • Herausgeber: Lexikon der Sozialwirtschaft. Nomos, Baden-Baden 2008, ISBN 978-3-8329-2511-6.
  • Das Knast-Dilemma. Wegsperren oder resozialisieren? Eine Streitschrift. C. Bertelsmann, München 2015, ISBN 978-3-570-10219-0.

Weblinks und Literatur