Benutzer:Andreas

Aus Krimpedia – das Kriminologie-Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Near-repeat-Hypothese

Definition

Prüfungsleistung bitte nicht bearbeiten

Ausgehend von einer Erststraftat bezeichnet die near-repeat-Hypothese im Bereich der Einbruchskriminalität die Annahme einer dadurch zeitlich vorübergehend erhöhten Wahrscheinlichkeit einer erneuten Straftatenbegehung in unmittelbarer räumlicher Nähe zum ersten Tatort. Es wird ein enger zeitlicher und örtlicher Zusammenhang zwischen einer Erststraftat und zeitlich folgenden Straftaten (sog. near-repeats, Johnson/Bowers 2004a: 243) aufgrund der Täteridentität angenommen, womit das Tatereignis selbst zu einem Risikofaktor und damit Prädiktor für eine zukünftige Viktimisierung wird (Johnson/Bowers 2004a). Die Ereignisabhängigkeit der auslösenden Tat für die Annahme künftiger Taten im selben Bereich nimmt allerdings mit zunehmender Entfernung zum ersten Tatort stark ab (Short et al 2009, Johnson/Bowers 2004a). Near-repeats sind vorrangig in homogenen und eher wohlhabenden und nicht besonders stark kriminalitätsbelasteten Wohngegenden (Bebauungsweise, Haustypen, Vegetation und soziale Struktur der Bewohner) festzustellen (Townsley et al 2003: 630, Johnson/Bowers 2004 : 64) und konnten insbesondere bei Wohnungseinbrüchen statistisch nachgewiesen werden (Gluba 2014: 348).

Statistisches Verfahren

Eine Vielzahl an Untersuchungen in den USA, Australien, Niederlanden und England belegen das zunächst statistische Phänomen, wonach es Tathäufungen gibt, die nicht nur räumlich sondern auch zeitlich eng beieinander liegen. Hierbei kommt u.a. das in der Epidemiologie entwickelte Knox-Testverfahren (1963) zu Anwendung (Townsley et al 2003, Johnson/Bowers 2004a). Dabei werden aus der Summe N aller Einbrüche (N(N-1)/2)) Pärchen gebildet, indem jede Tat mit jeder anderen Tat zu einem Paar zusammenfügt wird. Zu jedem Pärchen werden der räumliche Abstand zwischen den Tatorten und der zeitliche Abstand der Tatzeitpunkte erhoben und in eine Kontingenztabelle (hinsichtlich Zeitabstände und Distanzen) übertragen. Um eine Signifikanz der Verteilung bestimmen zu können, wird eine Referenzverteilung gebildet. Dazu erfolgt dasselbe Pärchen-Verfahren mehrfach zu virtuellen Einbrüchen, die randomisiert auf Basis der zu untersuchenden Wohngegend gebildet werden. Anschließend wird die Verteilung der randomisierten Stichproben zu fiktiven Taten mit der Verteilung zu den realen Taten auf Signifikanz hin verglichen (vgl. Townsley et al 2003).

Kriminologische Erklärungsansätze

Die near-repeat-Hypothese folgt aus den Erklärungsansätzen für das Phänomen, dass einzelne Tatobjekte einer Wohngegend in periodischen Zeiträumen erneut angegriffen werden, andere Objekte hingegen gar nicht (sog. repeat-victimization, Polvi et al 1991). Near-repeats stellen einen besonderen Fall der repeat-victimization dar (Townsley et al 2003: 617).

Repeat-Victimization beim Wohnungseinbruchsdiebstahl

In Anwendung der rational-choice Theorie (bzw. der „optimal foraging-Theorie“, Johnson/Bowers 2004a: 245) wird davon ausgegangen, dass ein Täter die erste Auswahl eines Tatobjekts anhand äußerlich erkennbarer Informationen (u.a. der Gebäudecharakteristik) und deren Bewertung trifft. Hierbei sind die Entdeckungswahrscheinlichkeit, die prognostizierte Beutehöhe und die einzuschätzenden Möglichkeiten, um in das Tatobjekt zu gelangen und wieder zu verlassen, maßgebend. Dementsprechend sind äußerliche Hinweise auf den Wohlstand der Bewohner, Einsichtsmöglichkeiten in das Grundstück (Hecken, Bewaldung, Grundstücksgröße, Lichtquellen), erkennbare bauliche Maßnahmen zum Einbruchsschutz (Alarmanlagen) und Hinweise zur Anwesenheit von Bewohnern von Relevanz. Der Täter differenziert zunächst nur zwischen wahrscheinlich geeigneten und ungeeigneten Objekten. Nach dem ersten erfolgreichen Einbruch gibt es für den Täter nunmehr eine dritte Kategorie bereits getesteter Tatgelegenheiten (Farrell et al. 1995: 391). Der Täter verfügt zu diesen Objekten aufgrund der Vortat nun auch über Erfahrungen zum Objektinneren, zu noch vorhandenen Wertsachen bzw. wiederbeschafften Wertgegenständen und zur Überwindbarkeit der Schutzvorkehrungen. Weiter hat der Täter, falls er nicht entdeckt wurde, eine positive Lernerfahrung über diese Gegend hinsichtlich der Wachsamkeit/Anwesenheit der Bewohner und der unauffälligen und ggf. leichten Erreichbarkeit der Tatgegend erlangt. Befragungen von Tätern stützen diese Überlegungen (Hearnden/Magill 2004, Pease 1998).

Übertragung auf sog. Near- repeats

Die Erfahrungen aus einer Ersttat lassen sich aus Sicht des Täters hinsichtlich des Objektinneren und der Sicherungsmaßnahmen am Gebäude auch auf gleichartige Haustypen übertragen. Bewegt sich der Täter dann auch noch im unmittelbaren räumlichen Umfeld der Ersttat, so sind auch die diesbezüglichen Erfahrungen zur Entdeckungswahrscheinlichkeit (Wachsamkeit/Anwesenheit der Nachbarschaft, Auffälligkeit bei Objektaufklärung und Verlassen des Tatortes) übertragbar und damit nutzbar. In der Folge heben sich diese Tatobjekte damit ebenfalls von der Masse an potentiellen Tatgelegenheiten als besonders geeignet ab. Der Täter schätzt die Erfolgswahrscheinlichkeit entsprechend höher ein. Insoweit „infiziert“ die erste Tat als Ereignis aufgrund der dort gesammelten Erfahrungen umliegende gleichartige Tatobjekte mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit des (erstmaligen) Angriffs (Johnson/Bowers 2004 und Townsley et al 2003). Für die räumliche Verteilung wird darüber hinaus auch die routine-activity-Theorie herangezogen, wonach der Täter sein Tatobjekt während seiner regulären Tätigkeit (Fahrt zur Arbeit, nach Hause zur Freizeitaktivität) als Gelegenheiten zur Straftatenbegehung erkennt und nutzt. Insoweit richten sich die Tatorte auch an den Verhaltensroutinen des Täters hinsichtlich der vereinfachten Aufklärungs- bzw. Erkennungsmöglichkeit (Townsley 2003: 618, 631). Zugleich sind auch die Routinen der Bewohner hierfür kausal, die im Falle ihrer Abwesenheit erst Tatgelegenheiten schaffen (Townsley et al 2003: 631). Die Wahrscheinlichkeit von sog. near-repeats nimmt mit der Zeit ab. Am höchsten liegt diese in den ersten 48 Stunden nach der Ersttat (Johnson 2008) und bleibt für circa einen Monat mit abnehmender Wahrscheinlichkeit bestehen. Der zeitliche Ablauf wird damit erklärt, dass der Täter ab einem bestimmten Zeitpunkt damit rechnet, dass die Strafverfolgungsbehörden sein serielles Handeln erkennen und örtlich eingrenzen. Der Täter unterstellt mit zunehmender Tatbegehung demnach eine Veränderung der Entdeckungswahrscheinlichkeit, womit die erlangten Erfahrungen an Bedeutsamkeit verlieren. Der Täter zieht weiter.

Kritik

In kriminologischer Hinsicht

Die Erklärungsansätze für sog. near-repeats gehen von der Annahme aus, dass die Fälle als Abfolge deswegen miteinander verbunden sind, weil es sich stets um denselben Täter bzw. dieselbe Tätergruppe handelt. Entsprechende Untersuchungen zum Übereinstimmungsgrad des Modus operandi bei Wiederholungstaten (Ratcliffe/McCullagh 1998) und Täterbefragungen (Hearnden/Margill) stützen indirekt diese Annahme. Eine Untersuchung von polizeilich aufgeklärten Straftaten (3624 Fälle) in den Jahren 1996-2004 in den Niederlanden zu den Städten Den Haag, Delft und Zoetermeer stützen diese Hypothese zur Täteridentität auch bei near-repeats (Bernasco 2008). Die Ergebnisse basierten dabei auf dem polizeilichen Hellfeld geklärter Taten. Die Stichprobe -bezogen auf die Grundgesamtheit aller Einbrüche- war daher nicht randomisiert gezogen worden, sondern könnte möglichen Verzerrungen unterlegen sein. So kann sich eine unterschiedliche Entdeckungswahrscheinlichkeit für die Täter, daraus ergeben, dass sowohl polizeiliche Ermittlungsmethoden/-fähigkeiten als auch Kompetenzen der Täter eine eigenständige Selektionswirkung entfalten (Bernasco 2008).

In statistischer Hinsicht

In statistischer Hinsicht begegnet das Knox-Verfahren bei der Identifizierung von near-repeats zwei kritischen Aspekten. Zum einen besteht mit der isolierten Analyse der Straftatenverteilung in einer von angrenzenden Wohnbereichen getrennten Gegend die Gefahr der Verzerrung durch den sog. Randlinieneffekt (edge-effekt). Taten können unter Einbeziehung weiterer Fälle innerhalb eines angrenzenden Wohngebietes erneut als near-repeat eingestuft werden. Administrative Grenzen müssen nicht mit den natürlichen Grenzen (Flüssen, Autobahnen etc.) übereinstimmen. Berücksichtigt man dies nicht, so erfolgt eine Verzerrung im Anteil von near-repeats an der Grundgesamtheit der betrachteten Fälle. Problematisch ist demnach die räumliche Begrenzung des Untersuchungsgebiets (vgl. Townsly et al 2003: 623). Dieser Aspekt greift auch bei der zeitlichen Begrenzung der Daten (Johnson/Bowers 2004a: 247). Zum anderen können saisonale und klimatische Schwankungen ebenfalls Einfluss auf das Tataufkommen im zeitlichen Verlauf haben (Short et al 2009). Die Aktionsradien mehrerer Täter, die ihre Tatobjekte anhand derselben Kriterien auswählen, können sich örtlich und zeitlich überlappen, sodass eine scheinbare Folgetat (near-repeat) tatsächlich eine vom Erstereignis unabhängige Tat eines weiteren Täters ist (Pease 1998). Dieser Aspekt greift insbesondere in Wohngegenden, die über die Zeit konstant von hohen Kriminalitätsraten belastet sind, sodass die Straftatendichte einer Interpretation als near-repeat entgegenstünde. Ein weiterer Einwand richtet sich gegen die Annahme einer Signifikanz von repeat- victimizations und damit auch sog. near-repeats auf Basis des Mantel-Testverfahrens. Demnach könne eine örtliche ungleiche Verteilung ein Zufallsprodukt sein, welche mit einer kumulativ steigenden Fallzahl im zeitlichen Verlauf ihre Signifikanz verlöre. Ungleiche Verteilungen zu Lasten bestimmter Tatobjekte, z.B. in Form der Wiederholungstaten, seien allein das Ergebnis einer heterogenen Verteilung von zeitlich-stabilen standortbezogenen Risikofaktoren (Sparks 1981). Diesem Aspekt wurde in der weiteren Forschung durch die Einbeziehung der zeitlichen Perspektive (Knox-Testverfahren) begegnet, da die Annahme einer örtlichen Verteilung auf Basis der Zufälligkeit eine gleichmäßige zeitliche Verteilung der Straftaten hätte ergeben müssen, was zu den untersuchten Bereichen nicht zutraf (Townsley et al 2003: 622).

Praktische Relevanz

Präventiv

Die near-repeat-Hypothese stellt einen theoretischen Ansatz für „Predictive Policing“ (Gluba 2014) und einen Aspekt bei der geografischen Verhaltensanalyse (geographic profiling)dar. Über den angenommenen Infektionsprozess -ausgehend von einer Ersttat- hinaus, kann eine erhöhte Wahrscheinlichkeit der Straftatenbegehung in zeitlicher und örtlicher Hinsicht für bestimmte insb. wohlhabendere Wohngegenden, die keine hohe durchgehende Belastung an Wohnungseinbrüchen aufweisen, antizipiert werden (Johnson/Bowers 2004: 64). Der Einsatz polizeilicher Ressourcen zur Abwehr von Einbrüchen, z.B. durch verstärkte Bestreifung oder zielgerichtete Öffentlichkeitsarbeit, ließe sich dadurch effizienter bewältigen (Johnson/Bowers 2004a: 251).

Repressiv

Die near-repeat-Hypothese stellt zugleich ein Element des sog. kriminalpolizeilichen Erfahrungswissens dar. Zu Tätern eines z.B. Wohnungseinbruchs stellt sich ermittlungsseitig die Frage, ob die Person auch Täter weiterer Einbruchstaten sein kann, soweit sich diese Taten zur ermittelten Tat in der Gesamtschau hinsichtlich Zeit und Ort als near-repeats, also als Folge- und damit Serienstraften, darstellen. Auch zur Ergreifung des Wiederholungstäters auf frischer Tat lässt sich die Hypothese anwenden, um künftiges Täterverhalten besser antizipieren zu können.

Literatur

  • Bernasco W, “Them Again?: Same-Offender Involvement in Repeat and Near Repeat Burglaries”, European Journal of Criminology 2008 5: 411
  • Farrell, G., Phillips, C., Pease, K., Like taking candy from a baby: why does repeat victimization occur? British Journal of Criminology 1995 35 384 -399.
  • Gluba, A. Predictive Policing – eine Bestandsaufnahme Kriminalistik 6/2014: 347-352
  • Hearnden, I, Magill Chr. Decision-making by house burglars: offender`s perspectives, Series Paper 249 London: Home Office
  • Johnson, S.D., Repeat burglary victimization: a tale of two theories, J Exp Criminology 2008 4: 215-240
  • Johnson, S.D., Bowers, K.J., The Burglary as Clue to the Future - The Beginning of Prospective Hot-Spotting, European Journal of Criminology 2004a: 237-255
  • Johnson, S.D., Bowers, K.J., 2004, The stability of space-time-clusters of burglary, British Journal of Criminology, 44: 55-65.
  • Pease, K (1998) Repeat Victimization: Taking Stock, Crime Detection and Prevention, Series Paper 90. London Police Research Group: Home Office
  • Ratcliffe, J.H. McCullagh, M. J., Identifying repeat victimization with GIS. British Journal of Criminology 1998 38 : 651- 662
  • Short, M.B., Orsogna, M.R.D., Brantingham, P.J., Tia G.E., Measuring and Modeling Repeat and Near-Repeat Burglary Effects, Journal of Quantitative Criminology 2009, DOI 10.1007/s10940-009-9068-8.
  • Sparks, R., Multible victimization: evidence, theory and future research, Journal of Criminal Law and Criminology, 1981 72 /762-778.
  • Townsly, M, Homel R, Chaseling J, 2003, Infectious Burglaries: A Test of the Near Repeat Hypothesis, British Journal of Criminology, 43, 615-633