Beleidigung ausländischer Staatsvertreter/ §103 StGB bzw. Schmähkritik

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§103 StGB: Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten (Schmähkritik)

Der § (Paragraph) 103 im Strafgesetzbuch (StGB) stellt unter Strafe, wer ausländische Staatoberhäupter beleidigt, auch Majestätsbeleidigung genannt. Die Mindeststrafe sieht eine Geldstrafe, die Höchststrafe eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren (verleumderische Beleidigung), ansonsten bis zu drei Jahren vor. Die Verfolgung einer Straftat nach §103 StGB erfolgt nur, wenn die Bunderepublik Deutschland in einer diplomatischen Nähe zu dem Staat der betroffenen Person steht, die Rechtsvorschrift in beiden Ländern besteht, der zugehörige Staat ein Verfolgungsinteresse bejaht und die deutschen Strafverfolgungsbehörden durch die Bundesregierung ermächtigt werden (vgl. § 103 und §104a StGB 2016, BRD). Der §103 StGB ist vor allem im Zuge der sogenannten Böhmermann-Affäre im Jahr 2016 publik geworden. Die Abschaffung dieses Paragraphen befindet sich in der politischen Vorbereitung (vgl. Bundesrat 2016 Drucksache 214/16, S. 1 ff.).


Definition im Strafgesetzbuch

Der § 103 Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten ist im Strafgesetzbuch, Besonderer Teil (§§ 80 - 358), 3. Abschnitt - Straftaten gegen ausländische Staaten (§§ 102 - 104a) wie folgt festgeschrieben: „(1) Wer ein ausländisches Staatsoberhaupt oder wer mit Beziehung auf ihre Stellung ein Mitglied einer ausländischen Regierung, das sich in amtlicher Eigenschaft im Inland aufhält, oder einen im Bundesgebiet beglaubigten Leiter einer ausländischen diplomatischen Vertretung beleidigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe, im Falle der verleumderischen Beleidigung mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Ist die Tat öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) begangen, so ist § 200 anzuwenden. Den Antrag auf Bekanntgabe der Verurteilung kann auch der Staatsanwalt stellen.“ (§103 StGB 2016, BRD) Der §200 StGB regelt die Bekanntgabe der Verurteilung. Die Voraussetzungen für die Anwendung des §103 regelt § 104a Voraussetzungen der Strafverfolgung: „Straftaten nach diesem Abschnitt werden nur verfolgt, wenn die Bundesrepublik Deutschland zu dem anderen Staat diplomatische Beziehungen unterhält, die Gegenseitigkeit verbürgt ist und auch zur Zeit der Tat verbürgt war, ein Strafverlangen der ausländischen Regierung vorliegt und die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt.“ (§104a StGB 2016, BRD)


Juristische Bedeutung

Der §103 richtet sich an 3 Adressaten, die es zu schützen gilt: - Ausländische Staatsoberhäupter, mit Ausnahme dessen Familie - Mitglieder ausländischer Regierungen (s. Auslandsrecht) - Beglaubigte Leiter im Bundesgebiet (hierzu zählen Botschafter, Geschäftsträger oder Gesandte) (vgl. Fischer 2016, S. 892).


Politische Bedeutung

Hinter dem §103 StGB stehen 2 Rechtsgüter, die geschützt werden. Zum einen schützt die Rechtsnorm den ausländischen Staat, bzw. dessen o.g. Vertreter und zum anderen den deutschen Staat, bzw. seine diplomatischen Beziehungen zu diesem (vgl. Mitch 2016, S. 103 f.).


Historie/ Entwicklung des Begriffs

Die Strafbarkeit einer Majestätsbeleidigung im weitesten Sinne, geht bis in die jüngste Geschichte des Menschen und der Antike zurück. Im Jahr 1507 wurde der Straftatbestand der Majestätsbeleidigung juristisch festgeschrieben und unter Strafe gestellt. Artikel 132 (cxxxij) der Bambergensis (Bambergische Peinliche Halsgerichtsordnung) lautet: „Item so einer Römische Keyserliche oder Königliche maiestat vnser allergenedigiste herren lestert / verbuendtnuß oder eynignug wider dieselben maiestat dermassen machet / das er damit zu latein genant Crimen lese maiestatis gethan hat / Sol nach sage der Keyserlichen geschriben recht an seinen eren / leben / vnd gut gestrafft werden / vnd in sölchem fall die vrteyler bey den recht gelertten / die rechtlichen satzung sölcher schweren straff erfaren / vnd sich mit jrer vrteyl darnach Richten“ (Bambergensis 1507, Artikel 132, Blatt 43r)

Seit dem Jahr 1871 (damals Kaiserreich Deutschland) gibt es den Straftatbestand der Majestätsbeleidigung. Damals geregelt in § 95 Abs.1 Reichsstrafgesetzbuchs (vgl. Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich 1871, S. 521 f.).

Seit 01.01.1975 besteht der 103 StGB in seiner jetzigen Fassung.

Die letzte öffentlichkeitswirksame Anwendung des „103 StGB fand im Jahr 1964 , als der persische Schah Mohammad Reza Pahlavi in einer Fotomontage der Zeitung Kölner-Stadt-Anzeiger karikiert wurde. Die beiden verantwortlichen Mitarbeiter der Zeitung wurden zu Geldstrafen verurteilt. Daher wird der §103 StGB umgangssprachlich auch als Schah-Paragraph bezeichnet. (Vgl. Auerbach und Krone 2016)


Zusammenhang mit dem Begriff der Schmähkritik

Anwendung findet der §103 zum Beispiel bei einer Schmähkritik. Diese ist nicht mehr von der Meinungsfreiheit gem. Artikel 5 GG (Grundgesetz) gedeckt, da sie über die freie Meinungsäußerung hinausgeht.

Definition „Schmähkritik“

Das Bundesverfassungsgericht hat den Begriff „Schmähkrititk“ im Jahr 1990 definiert:

„Eine Meinungsäußerung wird nicht schon wegen ihrer herabsetzenden Wirkung für Dritte zur Schmähung. Auch eine überzogene und selbst eine ausfällige Kritik macht für sich genommen eine Äußerung noch nicht zur Schmähung. Eine herabsetzende Äußerung nimmt vielmehr erst dann den Charakter der Schmähung an, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht.“ (BVerfG, 1990, 1 BvR 1165/89)

Das Bundesverfassungsgericht hat mit dieser Entscheidung die in Artikel 5 GG festgeschriebene Meinungsfreiheit gestärkt (vgl. Art. 5 GG BRD)


Der Fall „Böhmermann“

Am 31.03.2016 verlas der Moderator des Magazins „Neo Magazin Royal“ auf dem Fernsehsender ZDFneo Jan Böhmermann ein Gedicht namens „Schmähkritik“, welches den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan thematisierte. Inhaltlich ging es hierbei u.a. um sexuelle Handlungen mit Tieren, Gleichsetzung mit Straftätern, Vorwürfen der Gewaltanwendung gegen Frauen und dem Unterdrücken von Minderheiten (vgl. LG Hamburg 324 O 255/16).

Insbesondere die Bundeskanzlerin Angela Merkel geriet in die Kritik, da sie bei einem Telefonat mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu gesagt hat, dass das Gedicht als „bewusst verletzend“ zu bezeichnen ist. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan stellte Strafantrag wegen Beleidigung (§185 StGB) bei der Staatsanwaltschaft Mainz und wegen Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten (§103 StGB). Die Bundesregierung erteilte den Strafverfolgungsbehörden am 15.04.2016 die Ermächtigung, gem. § 104a StGB (vgl. Bundeskanzlerin Merkel Presseerklärung vom 15.04.2016).

Das Landgericht Hamburg hat das von Herrn Böhmermann vorgetragene Gedicht eingehend geprüft und am 17.05.2016 in einem einstweiligen Verfügungsverfahren die öffentliche Wiederholung einzelner Passagen untersagt. Zur Begründung führt es aus, dass besagte Passagen die Grenze der Satire und Meinungsfreiheit überschreitet und die Menschenwürde antastet. Die Textzeilen, die sich nachweislich mit Kritik an der aktuellen Weltpolitik befassen, sind hingegen durch den Kläger (Recep Tayyip Erdogan) hinzunehmen. Diese Entscheidung hat das Landgericht Hamburg am 10. Februar 2017 in einer Hauptsacheentscheidung bestätigt. (Vgl. Landgericht Hamburg Pressemitteilung vom 20.02.2017).

Die Staatsanwaltschaft Mainz hat in einer Presseerklärung am 04.10.2016 mitgeteilt, dass das Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung eingestellt wurde. Als Begründung gibt die Leitende Oberstaatsanwältin Keller an, dass dem Zuschauer der Sendung durch die Aufmachung des Formates deutlich erkennbar wird, dass es sich hierbei um eine „Quatsch-Sendung“ handelt, der es an Ernsthaftigkeit fehlt. Der Straftatbestand der Beleidung ist somit nicht erfüllt (vgl. StA Mainz Presseerklärung vom 04.10.2016).


Die geplante Abschaffung des §103 StGB

Am 16.12.2016 beschloss der deutsche Bundesrat in seiner 952. Sitzung, einen Gesetzesentwurf über die zeitnahe Abschaffung des §103 in den Bundestag einzubringen. Die rechtliche Legitimation hierfür ergibt sich aus Artikel 76, Absatz 1 GG. Die Initiative ging ursprünglich von den Parteien FDP und Bündnis90/Die Grünen aus (vgl. Bundesrat 2016 Drucksache 214/16).

Begründet hat der Bundesrat den Gesetzesentwurf u.a. mit der Sorge, dass im Hinblick auf diktatorische Regimes eine weite Auslegung des Straftatbestandes erfolgen könnte (vgl. MünchKommStGB/Kreß, 2. Aufl. 2012, § 103, Rn. 3). Ferner bezeichnet der Bundesrat die Rechtsnorm basierend auf einem „korperatistischen Staatsverständnis“ (=durch Beteiligung gesellschaftlicher Gruppen an politischen Entscheidungsprozessen). Insgesamt äußert sich der Bundesrat in seiner Stellungnahme dahingehend, dass der §103 StGB „nicht mehr zeitgemäß“, „überholt“ und nicht zweckmäßig ist. Somit würde dem/ der Geschädigten die Möglichkeit bleiben, den Privatklageweg zu bestreiten (vgl. Bundesrat 2016 Drucksache 214/16, S. 2).


Kritik und Kriminologische Relevanz

Durch den „Fall Böhmermann“ ist eine Diskussion über den erhalt, bzw. die Abschaffung der Rechtsnorm im Strafgesetzbuch entfacht. Gegner des §103 StGB argumentieren mit der Meinungsfreiheit, die auch satirische Äußerungen beinhaltet. Auch wird der Paragraf als nicht mehr zeitgemäß gesehen, da er ursprünglich den Macht- und Herrschaftsanspruch von Königen und Anführer sichern sollte. Diese Herrschaftsmodelle seien jedoch überholt und heutzutage nicht mehr vertretbar. Auch wolle man Diktatoren keine zusätzliche Aufwertung in ihrer Stellung geben, da diese gerade von der westlichen Welt eher kritisch gesehen werden. Auch reiche der Tatbestand der Beleidigung der im § 185 StGB geregelt ist aus, um mögliche Abwertungen und Angriffe auf die Ehre eines Menschen zu schützen, bzw. zu bestrafen. Auch versteht sich der Staat alleinig in der Pflicht, sich um die Aufrechterhaltung diplomatischer Beziehungen zu anderen Staaten zu kümmern und sieht den Bürger oder die Bürgerin ausdrücklich nicht in der Verantwortung. Die Bundesregierung hat sich bereits für die Abschaffung des Paragraphen ausgesprochen und die Gesetzesänderung vorbereitet (vgl. Bundesrat 2016 Drucksache 214/16, S. 2 ff.).

Verfechter des §103 StGB führen u.a. das widersprüchlich empfundene Verhalten der Bundesregierung an, da auf der einen Seite die Ermächtigung zur Strafverfolgung im Fall Böhmermann erteilt wurde, auf der anderen Seite jedoch die Abschaffung des Paragrafen vorbereitet wird. Ergänzend wird vorgebracht, dass es sich bei der Beleidigung von ausländischen Staatvertretern um ein sogenanntes „delictum sui generi“ (lateinisch für Sonderdelikt) handelt, welches nicht mit dem Straftatbestand der Beleidigung gleichzusetzen ist, sondern eine eigene Berechtigung aufgrund seiner besonderen Stellung und Adressaten hat und somit einen besonderen Strafzweck erfüllt, bzw. eine Norm schützt (vgl. Mitsch 2016, S. 103 f.).


Literatur

Auerbach und Krone (2016), Deutsche Satire provoziert nicht zum ersten Mal, Bayerischer Rundfunk

Bundesrat - Gesetzentwurf des Bundesrates (16.12.2016) Drucksache 214/16 Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH

BVerfG (26.06.1990) Az.: 1 BvR 1165/89 = BVerfGE 82, 272 = NJW 1991, 95

Grundgesetz BRD 2017

Fischer, Thomas (2016) Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 63. Auflage, C.H.BECK

Fuchs – StGB Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 15. Mai 1871, historisch-synoptische Edition 1871 - 2009

Landgericht Hamburg (324 O 402/16) Mitch, Prof. Dr. Wolfgang (2016) Zwischenruf: §103 StGB – ist das noch Recht oder kann das weg? KriPoZ

MünchKommStGB/ Kreß (2012) 2. Auflage §103, Rn. 3

Strafgesetzbuch BRD 2017


Weblinks

https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2016/0201-0300/214-16(B).pdf;jsessionid=CDAD5B6E6DC17F2A5FB47A7A58B72387.2_cid339?__blob=publicationFile&v=1

https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2016/04/2016-04-15-bundesregierung-entscheidung-boehmermann.html

https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2017/01/2017-01-25-abschaffung-paragraf-103-stgb.html

https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2014/bvg14-086.html

https://dejure.org/gesetze/StGB/103.html

https://dejure.org/gesetze/StGB/104a.html

https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_5.html

https://hopifrei.files.wordpress.com/2014/08/stgb-deutsches-kaiserreich1871-2009.pdf

http://www.stk.niedersachsen.de/aktuelles/presseinformationen/bundesratsinitiative-zur-aenderung-des-strafgesetzbuches--aufhebung-des--103-stgb-beleidigung-von-organen-und-vertretern-auslaendischer-staaten-143641.html

http://justiz.hamburg.de/oberlandesgericht/6103290/pressemeldung-2016-05-17-olg-01/

http://justiz.hamburg.de/pressemitteilungen/8138326/pressemitteilung-2017-02-10-olg-01/


Videos

https://www.tagesschau.de/inland/boehmermann-131.html