Beifall von der falschen Seite

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Öffentliche Äußerungen stoßen auf Zustimmung, Ablehnung, Desinteresse. Zustimmung erfolgt normalerweise seitens derjenigen, die mit dem Autor der Äußerung durch soziale (politische, familiäre, ethnische etc.) Nähe verbunden sind. Ein Konservativer hofft auf Beifall von den Konservativen, ein Kommunist auf Beifall von der Linken. Erhält die Autorin einer Äußerung positive Rückmeldung (nur oder auch) von anderen Akteuren, ergibt sich für sie das Problem des Beifalls von der falschen Seite.

Beifall von der falschen Seite (applause from the wrong side) kann für den Autor der Äußerung eine (dramatische) Minderung seiner Ressourcen bedeuten: das eigene Lager kann ihm künftig die Unterstützung verweigern, weil seine Äußerung der Ressourcenmehrung (Legitimation, Popularität) der Gegner gedient hätte und besser in deren Kontext passe: also solle er sich auch künftig auf die (nicht vorhandene) Unterstützung durch die andere Seite verlassen. Exklusion ist die Botschaft und die Folge.

Kasuistik

  • Jürgen Habermas war sich der Höhe des Risikos durch Beifall von der falschen Seite (nicht nur) in dem folgenden Fall bewusst:
"The left is vulnerable to neoconitis because it takes its cue from what it is against rather than what it is for. In conversation with the Polish anti-Stalinist dissident Adam Michnik in 1993, the liberal philosopher Jurgen Habermas admitted "he had avoided any fundamental confrontation with Stalinism". Why, asked Michnik? He did not want "applause from the wrong side" replied Habermas. You have to read that twice, and then think about the enormities of Stalinism, to realise just how appalling it is. But Habermas was only expressing a piece of liberal-left common sense."
"Die Linke ist anfällig für neoconitis, weil sie sich daran orientiert, wogegen sie ist - und nicht, wofür. Im Gespräch mit dem anti-stalinistischen Dissidenten Adam Michnik gestand der liberale Philosoph Jürgen Habermas 1993, dass er "jede grundlegende Auseinandersetzung mit dem Stalinismus vermieden" habe. Als Michnik "warum?" fragte, antwortete Habermas, dass er "Beifall von der falschen Seite" vermeiden wollte. Das muss man zweimal lesen. Dann muss man an die Ungeheuerlichkeiten des Stalinismus denken. Erst dann erkennt man, wie schrecklich eine solche Aussage ist. Aber für Habermas war das nur die Äußerung eines Stückes ganz normalen links-liberalen gesunden Menschenverstands."
  • "Beifall von der falschen Seite. faz 09.06.2011 Im Bundestag haben die Beratungen zum Atomausstieg begonnen. Kaum gelang es Kanzlerin Merkel, die Abgeordneten der Union zum Klatschen zu bewegen. Applaus bekam sie für ihre Ausstiegspläne vor allem aus den Reihen der Opposition - mit reichlich Hohn und Spott. Von GÜNTER BANNAS, BERLIN"
  • Philipp Meier ⋅ Seinen Wunsch hatte der in die Jahre gekommene Sammler längst begraben: einmal seine Bilder öffentlich zu zeigen. Derweil verstellten sie seine zu eng gewordene Wohnung, die Wände waren bis zur Decke voll gehängt mit ihnen, und der Einzige, der sie – mit immer trüber werdenden Augen – betrachtete, war er selber. Bis eines Tages die Türglocke schellte und ein Stosstrupp Uniformierter sich Einlass verschaffte, ihm einen Durchsuchungsbefehl vor die Brust drückend. Ehe er es sich versah, wurde seine gesamte Kunstsammlung abtransportiert. Und bevor er auch nur einen Schimmer davon hatte, was er sich hatte zuschulden kommen lassen, wurde auf allen Medienkanälen wild spekuliert. Es wurde gewerweisst, woher die vielen Bilder stammten, man spekulierte, mit welchen Mitteln der Sammler sie wohl erstanden hatte. - Ihn selber aber fragte nie jemand. Man verdächtigte ihn indes aller erdenklichen Machenschaften. Dass er sich ab und zu ins Ausland begab, wurde als Indiz gesehen. Dass er sich seit der Beschlagnahmung kaum mehr aus dem Haus traute, wurde ihm als Schuldeingeständnis ausgelegt. Seine Wohnadresse, belagert von Reportern, wurde nun als «das Versteck» bezeichnet. Und seine Kunstschätze sollten öffentlich gemacht werden – damit sich niemand mehr länger betrogen fühlen musste. Der Sammler sah bald ein, dass er sich verdächtig gemacht hatte. Kunstsammler galten von Natur aus als suspekt. Sie horteten Schätze von kaum bestimmbarem Wert, zahlten für Werke von zweifelhaftem Gehalt bisweilen irrationale Summen, unterstützten zwielichtige Künstler oder beuteten Talente schamlos aus. Ihr diskret-elitäres Gehabe galt grundsätzlich als asozial. Der Sammler wusste schon nicht mehr recht, ob er sich insgeheim darüber freuen sollte, dass sein langgehegter Wunsch nun doch noch in Verfüllung ging. Mit gemischten Gefühlen vernahm er schliesslich von der Eröffnung einer Ausstellung mit seinen Bildern. In Scharen sah er die Leute zu dem Spektakel strömen und die beschlagnahmte Kunst bejubeln. «Beifall von der falschen Seite ist das Schlimmste, was es gibt», dachte er nun. So jedenfalls hatte er sich die Erfüllung seines Wunsches nicht vorgestellt.


  • Auf Nachfrage erklären die Reporter SPIEGEL ONLINE: Sie hätten Gurlitt als erstes beim Verlassen seiner Wohnung in Schwabing angetroffen - derselben Wohnung im fünften Stock eines Wohnhauses, in der er auch seine Kunstwerke aufbewahrt hatte. Dort steht auch immer noch Gurlitts Name an der Klingel, aber der Vielgesuchte hatte in den vergangenen Tagen auf das Klingeln von Journalisten nicht reagiert. Als die Reporter ihn ansprachen, habe der Mann ihre Bitte um ein Interview jedoch mit ziemlich rätselhaften Worten abgewiesen: "Beifall von der falschen Seite ist das Schlimmste, was es gibt." Seine Stimme habe gezittert, seine blauen Augen seien wut- und angsterfüllt gewesen. Der Bericht wird begleitet von einem Foto, das einen weißhaarigen alten Mann in einem dunklen Mantel und karierten Schal zeigt.

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