Behandlungsuntersuchung

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Wenn ein Mensch wegen irgend eines Problems zum Fachmann geht, dann wird der Fachmann zunächst eine Feststellung darüber treffen, was los ist, um auf dieser Grundlage eine Problemreduktion abzuleiten. So setzt jedes Ziel eine Diagnose und eine passende Behandlungsstrategie voraus. Wenn wir krank sind, gehen wir zum Arzt. Er wird die Erkrankung diagnostizieren und eine Therapie vorschlagen.

Anwendung auf die Vollzugsplanung

Gerichte schicken Menschen ins Gefängnis, weil da ein Problem war. Nach dem Strafvollzugsgesetz geschieht dies mit dem Hauptziel, dass „Im Vollzug der Freiheitsstrafe der Gefangene fähig werden soll, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Vollzugsziel)“ und dem Nebenziel, dass „der Vollzug der Freiheitsstrafe auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten dient“ § 2 StVollzG. Im Gefängnis ist daher im Wege der Behandlungsuntersuchung eine Diagnose über die verursachenden Momente zu erstellen, die zur Straftat führten (§ 6, Abs. 1 StVollzG). Ferner soll aus der Behandlungsuntersuchung eine planvolle Behandlung abgeleitet werden, die für die Wiedereingliederung des Gefangenen notwendig ist (§ 6, Abs. 2 StVollzG). Das alles muss mit dem Gefangenen erörtert werden (§ 6, Abs. 3 StVollzG).

Anders ausgedrückt: Ins Gefängnis werden Menschen mit dem Ziel geschickt, dass sich deren Legalprognose verbessert, damit die Allgemeinheit geschützt wird. Daher ist die Diagnose des Problems notwendig, um auf dieser Grundlage eine passende Behandlung abzuleiten, die zur Reduktion des Problems führt. Konkretisierung

Konzept der der JVA Bremen

Im geschlossenen, erwachsenen Männervollzug der JVA Bremen wird dieser Gesetzesauftrag wie folgt konkretisiert: 1. Der Vollzug muss versuchen, auf Gefangene derart einzuwirken, sodass deren kriminogene Milieu-, Lebensführungs-, Verhaltens- und/oder Persönlichkeitsanteile, die in Straftaten mündeten, verringert werden. 2. Die Verringerung dieser kriminogenen Merkmale dient dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten. 3. Daher muss gemäß § 6 StVollzG die Behandlungsuntersuchung als eine Bestandsaufnahme dafür verstanden werden, die die wesentlichen handlungsleitenden kriminogenen Merkmale herausfindet, die zu den verurteilten Straftaten führten. 4. Herauszuarbeiten sind immer auch die kriminoresistenten Ressourcen der Persönlichkeit, die ggf. durch weitere Maßnahmen zu fördern sind.

Im Gegensatz zur Verarbeitung von Straftaten/Straftätern durch die Medienberichterstattung, einer intuitiven oder arbiträren Beurteilung von Straftätern, bedarf es dafür einer empirisch abgesicherten diagnostischen Methode, die die kriminovalenten und kriminoresistenten Merkmale zu analysieren vermag. Vor dem Hintergrund einer solchen empirisch fundierten individuellen Zukunftsprognose, wird gemäß §§ 6, 7 StVollzG ein Vollzugsplan als Forderung der Anstalt an den Gefangenen entwickelt, der durchzuführende Maßnahmen anbietet, die das benannte kriminogene Muster, wenn schon nicht auflöst, so doch zu minimieren verspricht. Die kriminoresistenten Persönlichkeitsanteile sind entsprechend zu unterstützen. Die Teilnahme an diesen Maßnahmen wird mit Verhaltensanforderungen an den Gefangenen verbunden. Den Gefangenen wird nicht nur mitgeteilt, wie sie beurteilt werden und was von ihnen erwartet wird – wesentlich ist, dass sie am Prozess dieser Vollzugsplanung beteiligt werden und um ihre Mitarbeit geworben wird. Das setzt voraus, dass die diagnostischen Ableitungen und die daraus gefolgerte individuelle Prognose nachvollziehbar und die Anforderungen umsetzbar sind. Der Grundgedanke für den Vollzugsplan ist dann eine Art Vertrag zwischen der Anstalt und dem Gefangenen. Der „Vertrag“ beschreibt die von der Anstalt für notwendig gehaltenen Anforderungen an den Gefangenen zur Verbesserung seiner Individualprognose und sichert bei Erfüllung der Anforderungen bestimmte Leistungen der Anstalt zu. Das setzt gemäß § 7, Abs. 3 StVollzG im Rahmen der Fortschreibungen des Vollzugsplans voraus, dass immer wieder gemeinsam Veränderungen zur Verbesserung der Legalprognose des ursprünglichen Vollzugsplanes neu und begründet zu entscheiden und ggf. geplante Maßnahmen zu präzisieren sind oder begründet werden muss, weshalb diese nicht durchgeführt werden können. In jeder Vollzugsplanfortschreibung ist daher zu dokumentieren, ob die Eingangsdiagnose aufgrund neuer Erkenntnisse aus Verhaltensbeobachtungen verändert werden muss oder weiterhin Bestand hat. Auch die beobachtete Entwicklungstendenz soll benannt werden, sowohl als Rückmeldung, als auch als Dokumentation. Dadurch ist der Gefangene einerseits immer darüber informiert, welche Zukunftsprognose vorliegt, aber auch die Anstalt, die entsprechend der Prognose über fundierte (empirisch belegte) Entscheidungskriterien verfügt. Praxis der JVA Bremen

Organisatorische Abläufe

Auf der Grundlage dieses Konzeptes hat die JVA Bremen für den Strafvollzug für erwachsene Männer die damit zusammenhängenden organisatorischen Abläufe optimiert. Hervorzuheben sind folgende Punkte:

1. Am Beginn des Strafvollzuges wird eine empirisch belegte Grunderhebung nach der Methode der vergleichenden idealtypischen Einzelfallanalyse (MIVEA nach Prof. Dr. Bock, Kriminologe, Lehrstuhl Mainz) bei jedem Gefangenen durchgeführt. Diese Methode gestattet es, zwischen kriminovalenten und kriminoresistenten Merkmalen der Persönlichkeit zu unterscheiden und liefert eine Basis- und eine Individualprognose. Von dieser Grundlage ausgehend werden leistbare Behandlungsstrategien abgeleitet (Interventionsprognose). 2. Der Vollzugsplan beschreibt die Ergebnisse der Erhebung und der Ableitungen. Er wird individuell mit dem Gefangenen erörtert. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Nachvollziehbarkeit und Motivation zur Mitarbeit. 3. Die Folgebereiche sind gehalten, den so entwickelten Vollzugsplan umzusetzen. 4. In regelmäßigen Abständen (alle 4 Monate) muss der Vollzugsplan entsprechend fortgeschrieben werden. Die Fortschreibung nimmt neue Erkenntnisse auf und prüft den Vollzugsplan auf Änderungserfordernisse, die jeweils dokumentiert werden. 5. Damit wird auch der Vollzug in die Lage versetzt, Entscheidungen auf der Grundlage einer fundierten Prognose zu treffen. 6. Die Berichte der Anstalt für Empfehlungen an die Strafvollstreckungskammern, etwa zur Aussetzung von Strafresten, bekommen damit gutachterliche Qualität und sind gleichzeitig Rechenschaftsberichte über die Entwicklung des Gefangenen und über die Arbeit mit ihm. 7. Nach der Entlassung eines Gefangenen aus der Haft, wird der Verlauf der Inhaftierungszeit evaluiert, um aus den Ergebnissen zu lernen.

Die individuelle Eingangsprognose und deren Veränderung wird damit zum Maßstab vollzuglicher Behandlungsentscheidungen und wird kontinuierlich über den Vollzugsplan und die Vollzugsplanfortschreibungen dokumentiert. Alle Dienste der Anstalt werden daran beteiligt. Das setzt voraus, dass alle mit der empirischen Prognosemethode vertraut sind.

Siehe auch Setting der Behandlungsuntersuchung


Ansprechpartner

Dipl.-Psych. Straube, Ingo ingo.straube@jva.bremen.de, Sonnemannstr. 2, 28239 Bremen, Deutschland