Übersicht Wirtschaftskriminalität

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Wirtschaftskriminalität

Begriff


Aufgrund ihrer Vielfältigkeit, ist Wirtschaftskriminalität ein schwer zu definierender Begriff. Der amerikanische Kriminologe Edwin Sutherland hat 1939 den Begriff „white collar crime“ für Wirtschaftskriminalität in die Wissenschaft eingeführt. Unter „white collar crime“ versteht Sutherland Delikte, die von einer ehrbaren Person mit hohem sozialem Ansehen im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit begangen werden. In der Literatur wird allerdings eher der deutsche Begriff benutzt. Demnach beschreibt Wirtschaftskriminalität die Gesamtheit aller Straftaten, die bei wirtschaftlicher Betätigung unter Missbrauch des im Wirtschaftsleben nötigen Vertrauens begangen werden und über eine individuelle Schädigung hinaus, Belange der Allgemeinheit berühren (Schwind, 2000). Gesetzlich ist der Begriff nicht definiert. Der § 74c GVG enthält jedoch, neben den Betrugsdelikten eine Auflistung an Straftaten der Wirtschaftsgesetze. Zu diesen zählen unter anderem das Patentgesetz, Gebrauchsmustergesetz, Sortenschutzgesetz, Urheberrechtsgesetz, Markenschutzgesetz und das Gesetz gegen den unerlaubten Wettbewerb. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine abschließende Definition des Begriffs der Wirtschaftskriminalität, sondern eine Definition der Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammern der Landgerichte bei den in dem § 74c GVG genannten Straftaten.


Statistik/Schaden


Bei der Erfassung von Delikten der Wirtschaftskriminalität sind insbesondere drei Statistiken von Bedeutung, die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS), die Rechtspflegestatistik und die „Bundesweite Erfassung von Wirtschaftsstraftaten nach einheitlichen Gesichtspunkten“ (BWE). Die PKS registriert die bei der Polizei bearbeiteten rechtswidrigen Straftaten einschließlich der Versuche. Seit 1984 werden dabei auch Straftaten im Bereich der Wirtschaftskriminalität erfasst. Nach bundeseinheitlicher Definition werden in der PKS alle Straftaten der Wirtschaftskriminalität erfasst, die in §74 c I Nr. 1 bis 6 Gerichtsverfassungsgesetz aufgeführt werden (ausgenommen Computerbetrug), sowie Delikte, die im Rahmen tatsächlicher oder vorgetäuschter wirtschaftlicher Betätigung begangen werden und über die Schädigung des Einzelnen hinaus, das Wirtschaftsleben beeinträchtigen oder die Allgemeinheit schädigen können und/oder deren Aufklärung besondere kaufmännische Kenntnisse erfordert. Beim Bundeskriminalamt wird seit 1992 eine Grundtabelle Wirtschaftskriminalität geführt, die zusätzlich auch Angaben zu geographischer Tatortverteilung etc. enthält. Erfasste Fälle Im Jahr 2007 wurden von der Polizeilichen Kriminalstatistik 5.030 Fälle von Wirtschaftskriminalität erfasst. Im Jahr 2006 wurden 6.103 Fälle erfasst. Dies entspricht einem Rückgang von 17.6 %. Die Aufklärungsquote beträgt regelmäßig zwischen 94% und 99%. Schaden Die Polizeiliche Kriminalstatistik Berlin 2007 weist einen Gesamtschaden durch Wirtschaftskriminalität von insgesamt 324.973.363 Euro (Gesamtschaden durch Straftaten 2007: 694.921.004) aus. Den größten Anteil am Gesamtschaden machen dabei mit 174.686.539 Euro die Insolvenzstraftaten aus.


Täter


Im Gegensatz zu den meisten anderen Straftaten handelt es sich bei Tätern der Wirtschaftskriminalität um Personen, die gesellschaftlich voll integriert sind. Es handelt sich in 83% der Fälle um Männer, meist mit hohem Bildungsstand (Mittlere Reife, Abitur, 15 % Studium). 55% der Täter sind selbstständig, 34% in Vorständen von Personen und Kapitalgesellschaften. 35% der Täter sind bereits vorbestraft.


Erscheinungsformen


Wirtschaftsbetrug Zu den Delikten des Wirtschaftsbetruges gehören der Anlagebetrug, der Kreditbetrug, Kreditvermittlungsbetrug, Versicherungsbetrug und die Lebensmittel- und Warenfälschung. Delikte fallen unter den Anlagebetrug, wenn jemand zu einer Kapitalanlage oder einer Börsenspekulation verleitet wird, indem die Gewinnerwartung falsch oder verkürzt dargestellt wird. Der Kreditbetrug verlangt die Angabe falscher Informationen (falsche Angaben zum Einkommen, gefälschte Ausweisdokumente etc.) im Kreditantrag, aufgrund derer der Kredit dann bewilligt wird. Kredite im Sinne des Gesetzes sind Gelddarlehen, Akzeptkredite, Geldforderungen, Stundungen von Geldforderungen, die Diskontierung von Akzeptkrediten und Schecks, sowie Bürgschaft- und Garantieübernahmen. Der Kreditvermittlungsbetrug umfasst das Vermitteln eines in Aussicht gestellten Kredits, der in Wirklichkeit nicht zustande kommt. Einen Versicherungsbetrug begeht, wer von einem Versicherungsunternehmen in betrügerischer Absicht, eine Geld- oder Sachleistung unberechtigt erlangt. Unter Lebensmittel- und Warenfälschung versteht man die Einfuhr und den Verkauf von Produkten mit falschem Warenzeichen, falscher Herkunftsangabe oder sonstige Produktnachahmungen. Diebstahl/Hehlerei Diebstähle, die mit einer wirtschaftlichen Betätigung verbunden sind, werden der Wirtschaftskriminalität zugeschrieben. Dazu zählt insbesondere der Ladendiebstahl. Unter Hehlerei versteht man das Verkaufen gestohlener Ware.

Innerbetriebliche Delikte Zu den innerbetrieblichen Delikten gehören Korruption, Untreue und Unterschlagung. Von Korruption spricht man beim Austausch vorteilhafter Leistungen zum persönlichen Vorteil. Z.B. die Beeinflussung einer Entscheidung gegen Geld. Untreue umfasst sowohl den Missbrauch einer Vermögensbefugnis, d.h. der Täter muss als Vertreter eines Vermögensinhabers die Vermögensbetreuungspflicht z.B. durch die Tätigung eines Rechtsgeschäfts ohne Einwilligung des Vermögensinhabers missbraucht haben, als auch die Verletzung der Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen. Unterschlagung liegt in der rechtswidrigen Zueignung einer fremden Sache. Dabei ist erforderlich, dass der Täter zum Zeitpunkt der Tatbegehung bereits Gewahrsam über an dem Tatobjekt hat.

Delikte zugunsten staatlicher/ öffentlicher Stellen Hierzu zählen insbesondere Steuer- und Zollvergehen, sowie Subventionsdelikte.

Delikte allgemeinwirtschaftlicher Art Delikte allgemeinwirtschaftlicher Art sind vor allem Verstöße gegen die Jugendschutzgesetze, Arbeitsschutzgesetze, das Kartell- und Devisenrecht, Außenwirtschaftsrecht und das Geldwäschegesetz

Insolvenzdelikte Hierzu zählen alle Delikte, die im Rahmen einer Insolvenz eines Unternehmens begangen werden, wie z.B. das Fälschen von Rechnungsunterlagen.


Lösungsansätze/kriminologische Theorien


Eine Theorie der Wirtschaftskriminalität gibt es gegenwärtig nicht. Auch die Wirtschaftskriminologische Forschung ist ein nur wenig untersuchter Bereich und beschränkte sich bislang überwiegend auf deskriptive Strafaktenanalyse. Trotz Fehlen einer eigenständigen Theorie für Wirtschaftskriminalität, liefern die allgemeinen Kriminalitätstheorien Erklärungen für wirtschaftskriminelles Verhalten. Entsprechend der General Theory of Crime (Gottfredson und Hirschi) ist Kriminalität eine Folge fehlender Selbstkontrolle. Personen mit fehlender Selbstkontrolle zeichnen sich durch Impulsivität, Risikobereitschaft und Gefühlskälte aus. Ihnen geht es in der Regel um die unmittelbare Befriedigung ihrer Bedürfnisse, ohne dabei die Konsequenzen des Handelns abzuwägen. Die Theorie der differentiellen Assoziation (Sutherland und Cressey) geht davon aus, dass kriminelles Verhalten, also auch wirtschaftskriminelles Verhalten durch Interaktion mit anderen erlernt wird. Dies geschieht vornehmlich in persönlichen Gruppen. Werden mehr die Delinquenz begünstigende Einstellungen erlernt, als Delinquenz negativ beurteilende Einstellungen, entsteht Kriminalität. Sutherland prägte 1940 den Begriff „white collar crime“. Die Halttheorie (Reiss) erklärt kriminelles Verhalten mit den sozialbiographischen Daten des (Wirtschafts-) Kriminellen.

Weitere Theorien siehe Übersichtsartikel „Kriminalitätstheorien“.