Zero Tolerance

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Bei dem Begriff Zero Tolerance handelt es sich um ein Sicherheitskonzept welches auf der „Broken Windows“ - Theorie basiert. Dieses Konzept wurde 1994 von dem ehemaligen Polizeichef von New York William Bratton als kriminalpolitisches Programm in die polizeiliche Praxis umgesetzt. Das erklärte Ziel der „Zero Tolerance“ - Politik, war es durch das frühzeitige und harte Einschreiten gegen störende Verhaltensweisen wie zum Beispiel Schwarzfahren, öffentliches Urinieren, Lärmbelästigung oder Bettelei, ein soziales Klima zu erzeugen, in dem Ordnung und Normvertrauen wiederhergestellt sind und sich niemand mehr unsicher fühlen sollte.


Historie / Entwicklung des Begriffs

Der Ausgangspunkt für das Konzept der Zero Tolerance befindet sich in New York Ende der 1980er Jahre. Zwar nahm die Stadt New York zu dieser Zeit in der amerikanischen Kriminalstatistik im Vergleich aller amerikanischen Großstädte lediglich Platz 22 ein, jedoch stand New York was die Kriminalitätsfurcht angeht nach allgemeiner Ansicht auf dem ersten Platz (Binninger 1997, S.16). Aus diesem Grund spielte das Thema Sicherheit bei den Wahlkämpfen 1989 und 1993 eine übergeordnete und zentrale Rolle, wobei sich im Jahr 1993 der ehemalige Staatsanwalt Rudolph Giuliani mit dem Versprechen, die Kriminalität vehement zu bekämpfen und die Kriminalitätsraten zu reduzieren, bei der Wahl des Bürgermeisters von New York durchsetzen konnte. Dieser ernannte Ende 1993 den bisherigen Chef der Transit-Police, William „Bill“ Bratton, zum Polizeipräsidenten (Binninger 1997, S.16).

William Bratton organisierte die New Yorker Polizei neu, installierte ein allumfassendes Computersystem und vermittelte seinen 45.000 Polizisten die Philosophie „Handelt, bevor es zu spät ist, und handelt konsequent“ und die Botschaft „Zero Tolerance – die Polizei kann das Böse besiegen“. Das Konzept der Zero Tolerance wurde zunächst auf den Bereich der U-Bahn angewandt, um den Bürgern New Yorks deutlich sichtbar zu machen, dass sich etwas verändert. Dazu wurden die Bahnanlagen durch Spezialeinheiten stärker kontrolliert, Ecken und Winkel der Bahnanlagen wurden gesperrt und Schwarzfahrer medienwirksam in Handschellen abgeführt. Zudem wurde das Konzept auch auf Graffiti-Sprühereien an Bahn-Waggons angewandt. Eine Truppe von 4.000 Mann sorgte dafür, dass jedes Graffiti von den Bahnen entfernt wird. Danach fuhr jeder gesäuberte Waggon mit einem Bewacher an Bord und jedes neue Graffiti wurde wiederum direkt entfernt. Im Ergebnis sank nicht nur die Zahl der Schwarzfahrer, sondern auch die Zahl der U-Bahn Raubüberfälle (Ortner 1998, S.9).

Das Konzept der Zero Tolerance sollte sich nicht nur auf den Bereich der U-Bahn beschränken, sodass William Bratton schon bald den Kampf gegen die „public disorder“, die öffentliche Unordnung aufnahm. Dabei ging die Polizei hart gegen Bettler, Alkoholiker, Störer oder Krachmacher vor. Schon der kleinste Ordnungsverstoß zog polizeiliche Maßnahmen wie die Durchsuchung der Person, Registrierung, Platzverweis oder sogar eine Nacht in Haft nach sich. Ziel dieses Konzepts war „Die Wiederherstellung eines Klimas von Recht und Ordnung anstelle von Gewalt und Gesetzlosigkeit“ (Ortner 1998, S.9). Das Konzept der Zero Tolerance wurde durch den im Jahr 1996 zum Polizeipräsidenten ernannten Howard Safir weitergeführt.


Zusammenhang mit Broken Windows

Das Prinzip der Zero Tolerance entstand wie erwähnt aus einer Diskussion um eine neue Sicherheits- und Kriminalpolitik, welche seinen Ursprung in der von dem Standford-Psychologen Philip Zimbardo entwickelten und von James W. Wilson und Georg L. Kelling im Atlantic Monthly im März 1982 ausformulierten „Broken Windows“ - Theorie hat. Die beiden US-Amerkianischen Sozialforscher Wilson und Kelling stellten die Überlegung auf, dass das Gefühl von Sicherheit nicht einhergehe mit weniger Kriminalität. Grundlage dieser Annahme war ein Programm des Staates New Jersey in den 1970er Jahren für eine sichere und saubere Nachbarschaft, bei dem es zu einem verstärkten Fußstreifeneinsatz der Polizei kam. Dabei war das vorranginge Ziel nicht die Verbrechensbekämpfung, sondern die Prävention. So hatte dieses Projekt auch keinen Einfluss auf die Kriminalitätsrate, jedoch fühlten sich die Bewohner der Gebiete in denen die Fußstreifen patrouillierten sicherer als in den nicht überwachten Gebieten (Otterbach 2006, S.5).

Wilson und Kelling schlussfolgerten daraus, dass die Menschen zwar in erster Linie Angst vor Kriminalität hätten, sich jedoch genauso vor Belästigungen durch Bettler, Betrunkene und Drogensüchtige bedroht fühlen, ohne dass deren Verhalten zwangsläufig einen Straftatbestand erfüllen muss (Otterbach 2006, S.5). Der entscheidende Zusammenhang besteht nach Ansicht der beiden Angehörigen der sog. „New Realists“ zwischen Unordnung im öffentlichen Raum und Kriminalität. Demnach könne eine Kriminalpolitik auch dann erfolgreich sein, wenn nicht auf die tieferen Ursachen der Kriminalität eingewirkt wird. „Der Anfang liege in kleinen Verstößen gegen Recht und Ordnung, die sich in Vandalismus, Verwahrlosung, Alkoholismus und Bettelei im öffentlichen Raum fortsetzen und schließlich häufig in ernstzunehmende Kriminalität einmünden.“ (Otterbach 2006, S.6f)

Diese Erkenntnis wurde durch den Stanford-Psychologen Philip Zimbardo in seiner von ihm entwickelten „Broken Windows“ - Theorie, anhand von in den 1960er Jahren durchgeführten Experimenten im öffentlichen Raum verdeutlicht. Letztendlich wurden die Erkenntnisse von Wilson und Kelling in ein kriminalpolitisches Programm und im Jahr 1994 vom damaligen Polizeipräsidenten von New York William Bratton unter dem Namen Zero Tolerance in die polizeiliche Praxis umgesetzt (Otterbach 2006, S.8).


Inhalt der New Yorker Polizeistrategie

Der erste Lösungsansatz der New Yorker Polizei Mitte der 1990er Jahre zur Kriminalitätsbekämpfung war das konsequente Einschreiten gegen die sog. „public disorder“. Dazu wurden möglichst viele Polizisten aus ihren Spezialaufgaben herausgelöst und in einen Aktionsplan eingebunden, welcher die „Arbeit auf der Straße“ wieder priorisierte. Um eine entsprechende Logistik für den zeit- und ortsgerechten Einsatz in den Polizeirevieren zu gewährleisten, wurden die sog. Computer Statistics (COMPSTAT) eingeführt. In diesen COMPSTAT wurden folgende Parameter erfasst:

  • Tägliche Auflistung der Straftaten
  • Tägliche Auflistung der Festnahmen
  • Tägliche Auflistung von Erscheinungsformen im Rahmen der Disorder-Problematik
  • Tägliche Auflistung von Kontrollen und
  • Bereitstellung aktueller Organisationsdaten

Anhand dieser stets zu aktualisierenden Daten wurden Zielsetzungen, Dienstpläne, Ressourcenplanung und Kontrollen angepasst. Als zusätzliche Maßnahme wurden 7000 Polizisten/ -innen eingestellt, mit erhöhtem Anfangsgehalt und leistungsabhängigen Beförderungsmöglichkeiten (Legge 1997, S.109).

In der täglichen polizeilichen Arbeit hatte die Kontrolle und Verfolgung von Bagatell- und Moraldelikten (z.B. von Prostituierten und Junkies) Priorität vor klassischen Formen punktueller Strafverfolgung, welche als ineffektiv eingestuft wurden. Die New Yorker Polizei ging davon aus, dass man durch das massive Einschreiten gegen Kleinkriminalität und sonstiges deviantes Verhalten auch Kontrollerfolge bei schweren Delikten erzielt. Als Beispiel kann hier der „Schwarzfahrer“ genannt werden, der bei seiner Kontrolle auch im Besitz einer illegalen Waffe sein könnte (Legge 1997, S.109).

Im Zuge der „Zero Tolerance" - Strategie wurden durch das New York Police Department offiziell zehn Strategien benannt, welche in der täglichen polizeilichen Arbeit oberste Priorität besaßen:

  1. Waffenkontrolle, Einziehung illegaler Waffen, mit dem Ziel der Gewaltreduktion
  2. Sicherheitsstrategien für Schulen und Schulwege mittels Waffenkontrolle
  3. Wiedereinsatz uniformierter Polizei in der Drogenszene mit dem Ziel, Dealer der mittleren Ebene aggressiv zu verfolgen, Waffen und Autos gezielt zu kontrollieren und gegebenenfalls einzuziehen
  4. Professionelle Bearbeitung von Familienstreitigkeiten (Training der Beamten, Registrierung der Vorfälle, Festnahmen der Angreifer oder Verbringung der Opfer in Frauenhäuser, um Erfolge [auch anderer beteiligter Einrichtungen] an rückläufigen wiederholten Hilfsersuchen / Anzeigen zu messen)
  5. Rückgewinnung des öffentlichen Raums bzw. Disorder-Bekämpfung mit der Möglichkeit des Einziehens der verursachenden Mittel, um subjektive Sicherheit zu erhöhen, aber auch durch den Informationsgewinn Fahndungserfolge und Haftbefehle durchzusetzen
  6. Bekämpfung des Diebstahls von sowie in / aus KFZ durch Kontrolle und Schließung illegaler Autowerkstätten, Möglichkeiten der direkten Datenabfrage gestohlener Fahrzeuge / -teile, ständige Straßenkontrollen, Personalverdopplung an erkannten Brennpunkten (checkpoints)
  7. Korruptionsbekämpfung durch Schaffung einer Atmosphäre verstärkter Korruptionskontrolle auf allen Ebenen der Hierarchie zur Risikoerhöhung
  8. Verkehrskontrollen zu Fahndungszwecken, aber auch mit dem Ziel der Aufrechterhaltung des Verkehrsflusses / Stauaufhebung und angenehmer Gestaltung für alle Nutzer
  9. „Höflichkeit, Professionalität und Respekt“ als neue „corporate identity“ durch Mentoren trainiert die auch Qualitätskontrollen durch Stellung fiktiver Aufgaben (Anzeigen, Hilfeersuchen, Durchsuchung) durchführen. Dieser neue gemeinsam Slogan steht auf allen Streifenwagen und ersetzt den ehemaligen „Dienen und Schützen“
  10. Durchsetzung von Gerichtsbeschlüssen und Fahndungsbegehren, indem Gefangene zu Gerichtsverhandlungen, ins Gefängnis oder zur Verbüßung von Haftstrafen begleitet bzw. Ersatzfreiheitsstrafen kontrolliert werden (mit personalstarken Festnahmeteams), um Respekt vor Strafverfolgungsorganen zu erhöhen (Legge 1997, S.110f).

Die eben genannten Prioritäten haben sich dabei lediglich Stadtteilspezifisch verschoben.


Auswirkungen der "Zero Tolerance" - Strategie auf die Kriminalitätsrate in New York

Die erklärte Strategie der Zero Tolerance wurde im Staat New York als voller Erfolg klassifiziert. So belegte New York im Jahr 1993 noch Platz 87 auf dem FBI-Index in Bezug auf seine Kriminalitätsrate bei den 189 Städten der USA mit über 100.000 Einwohnern. Im Jahr 1997 belegte New York auf diesem Index Platz 150 und in der ersten Hälfte des Jahres 1998 Platz 163. Das Büro des Bürgermeisters berichtete damals, das zwischen 1993 und 1998 die Zahl der schweren Verbrechen in der Stadt New York um 51 % gefallen ist, wobei der Rückgang bei den vorsätzlichen Tötungsdelikten 67 % betrug. Weiterhin wurde im Jahr 1998 die niedrigste Zahl der registrierten Morde in New York seit 36 Jahren gemessen. Zudem gab es seit Einführung der „Zero Tolerance"- Strategie eine Abnahme der Zahl der Vergewaltigungen (19 %), der Raubdelikte (55 %) und der Einbruchsdiebstähle (53 %) (Jehle: 2001, S.44f). Hier ist zu erwähnen, dass es ist in den USA üblich ist, dass sich eine statistische Erfassung von Kriminalität lediglich auf wenige ausgesuchte Delikte bezieht, um eine Vergleichbarkeit von Bundesstaaten und Städten zu ermöglichen (Legge 1997, S.111). Dadurch existieren jedoch keine Statistiken über Kontrolldelikte wie Drogenkriminalität, einfacher Diebstahl oder Schwarzfahren. Auffällig ist hier, dass dadurch auch keine Statistiken über Entwicklungen der Drogenkriminalität im Zuge der „Zero Tolerance" - Strategie existieren, obwohl dieser Deliktsbereich zu den ausgewiesenen Arbeitsschwerpunkten der New Yorker Polizei zählte. Weiterhin haben journalistische Reportagen gezeigt, dass die „social disorder" zurückgegangen ist und die Kriminalitätsfurcht in den sog. „no-go-areas“ zumindest aus Sicht der Interviewten ebenfalls gesunken ist (Legge 1997, S.111).


Kritik

Trotz der nachweislichen Erfolge der durch William Bratton verkündeten „Zero Tolerance" - Strategie der New Yorker Polizei wie dem statistisch belegbaren Rückgang der Kriminalität und dem stark verbesserten Sicherheitsgefühl der Bürger, musste sich dieses Konzept auch zahlreicher Kritik unterziehen. Die Gelehrten streiten sich darüber, wer oder was für den drastischen Rückgang der Kriminalitätsrate in New York verantwortlich ist. Viele Experten bezweifeln einen direkten kausalen Zusammenhang zwischen dem Kriminalitätsrückgang und der „Zero Tolerance" - Politik. Amerikanische Kriminologen verweisen dabei auf massive Veränderungen im Drogenmarkt, auf demographische Veränderungen und auf die Tatsache, dass die Rückgänge in der registrierten Kriminalität nicht nur in New York, sondern auch in anderen amerikanischen Staaten aufgetreten sind, in denen keine „Zero Tolerance" - Strategie praktiziert wurde (Feltes 1997, S.7). Der von William Bratton an alle New Yorker Polizisten vorgegebene Grundsatz „Handelt, bevor es zu spät ist, und handelt konsequent“ führte dazu, dass einige Polizisten ihre eigenen Regeln in Bezug auf den Kampf gegen die Kriminalität setzten und sich über das Gesetz erhaben. So kam es dazu, dass zwischen 1994 und 1996 insgesamt 8316 Gerichtsverfahren wegen Missbrauchs von Polizeigewalt eingeleitet wurden, ein Drittel mehr als in den drei Jahren zuvor. Der Staat New York musste zudem siebzig Millionen Dollar Entschädigung an Opfer „unangemessenen Polizeiverhaltens“ zahlen (Klingst 1998, S.174).


Literatur

  • Binninger, Clemens; Dreher Gunther (1997): Der Erfolg des New York City Police Departements in der Kriminalitätsbekämpfung - Von New York lernen? In: Dreher, Gunther; Feltes, Thomas (Hrsg.): Das Modell New York: Kriminalprävention durch ‚Zero Tolerance‘? Beiträge zur aktuellen kriminalpolitischen Diskussion. Holzkirchen/ OBB (Felix Verlag)
  • Feltes, Thomas (1997): Zur Einführung: New York als Modell für eine moderne und effektive Polizeipolitik? In: Dreher, Gunther; Feltes, Thomas (Hrsg.): Das Modell New York: Kriminalprävention durch ‚Zero Tolerance‘? Beiträge zur aktuellen kriminalpolitischen Diskussion. Holzkirchen/ OBB (Felix Verlag)
  • Legge, Ingeborg (1997): New York – weder Modell noch Fortschritt? Ein Beitrag zur Rationalisierung der sicherheitspolitischen Debatte um die New Yorker Polizeistrategie. In: Dreher, Gunther; Feltes, Thomas (Hrsg.): Das Modell New York: Kriminalprävention durch ‚Zero Tolerance‘? Beiträge zur aktuellen kriminalpolitischen Diskussion. Holzkirchen/ OBB (Felix Verlag)
  • Klingst, Martin (1998): Sicherheit natürlich! Aber so? In: Ortner, Hemut; Pilgram, Arno; Steinert, Heinz (Hrsg): New Yorker Zero - Tolerance - Politik. Baden – Baden (Nomos Verlagsgesellschaft)
  • Ortner, Hemut; Pilgram, Arno; Steinert, Heinz (1998): New Yorker Zero - Tolerance - Politik. Baden – Baden (Nomos Verlagsgesellschaft)
  • Otterbach, Dirk (2006): „Zero - Tolerance“ - Politik und das deutsche Polizei- und Ordnungsrecht. Hamburg (Verlag Dr. Kovac)