Videoüberwachung

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Etymologie

Video kommt aus dem Lateinischen und bedeutet "ich sehe" (von videre = sehen). Überwachung meint soviel wie Beaufsichtigen. Der Wortteil über kennzeichnet eine höhere Lage; die ursprüngliche Bedeutung von wachen ist "frisch, munter sein".

Definition

Angelehnt an die Legaldefinition in § 6b I BDSG (Bundesdatenschutzgesetz) kann man V. als die Beobachtung von Orten mit optisch-elektronischen Einrichtungen definieren. Sie besteht aus den Schritten Bildaufnahme, Bildübertragung und je nach Anwendungsbereich zusätzlich aus Bildspeicherung und Bildinterpretation. Technisch benötigt man ein optisches Aufnahmegerät, ein Übertragungsmedium und ein Wiedergabegerät sowie optional ein Aufzeichnungsgerät und Bildauswertungsmedien. Die übertragenen Bilder werden von Video Operators (dies können Bilderkennungsprogramme oder Menschen sein) in einem Kontrollraum auf Bildschirmen beobachtet, die für das Steuern der Kameras und die Reaktion auf Vorfälle zuständig sind.

Geschichte

Die erste öffentliche V. in Deutschland gab es bereits 1958/ 59 in München und Hannover zur Kontrolle des Verkehrs. 1964 wurde sie dann zur Überwachung von größeren Menschenansammlungen, Aufmärschen, Versammlungen unter freiem Himmel, möglichen Streiks und Krawallen eingesetzt.

Obwohl in Großbritannien erst 1967 ein erstes Videoüberwachungssystem für den Einzelhandel entwickelt und im Folgenden auch eingesetzt wurde, kann man Großbritannien dennoch als "Mutterland" der V. bezeichnen, da sie in keinem anderen Land so schnell und umfassend eingeführt wurde. Nachdem die Londoner Polizei 1974 knapp 150 Kameraanlagen auf öffentlichen Straßen installierte, um den Verkehrsfluss und später auch politische Demonstrationen zu kontrollieren, begann V. zu explizit kriminalpräventiven Zwecken bereits 1985 in Bournemouth. Dort sollten 18 Kameras zur Verhinderung von Vandalismus beitragen. 1995 waren in London bereits an einem Drittel aller Orte mit öffentlichem Zugang Videoüberwachungssysteme installiert, und inzwischen wird die Zahl der öffentlichen Kameras in Großbritannien auf ca. 50.000 geschätzt.

In Deutschland installierte die Polizei erst 1996 eine stationäre Kamera zur dauerhaften Kriminalprävention im Bahnhofsbereich der Stadt Leipzig im Rahmen des Pilotprojekts "Videoüberwachung von Kriminalitätsschwerpunkten". Ziel war vor allem die Einschränkung von Drogenhandel und der damit verbundenen Beschaffungskriminalität. Seitdem wurden in allen Ländern die Polizeigesetzte geändert und damit die rechtlichen Grundlagen für die V. geschaffen. Inzwischen sind rund 30 Städte mit mehr als 100 staatlich betriebenen Kameras ausgestattet, unter anderem auch Hamburg. Dort sollen seit März 2006 auf der Grundlage des im Oktober 2005 in Kraft getretenen neuen Polizeigesetzes 12 Kameras den Kriminalitätsbrennpunkt Reeperbahn überwachen.

Zusammenhänge mit anderen Begriffen

Überwachung: das systematische Beobachten von Personen, Sachen oder Objekten. Beispiel: akustische Überwachung ("Lauschangriff").

Überwachungsstaat: Szenario, in dem ein Staat seine Bürger mit allen zur Verfügung stehenden und staatlich legalisierten Mitteln überwacht.

Unterwachung (franz. sousveillance): Beobachten nicht von "oben" nach "unten", sondern die Überwachten beobachten höhergestellte Einrichtungen.

Videoüberwachung in Deutschland

Ueberwachungskamera.G02.Bahnhof.Berlin.Suedkreuz

Allgemeines

Die gängige Methode der V. ist (noch) die zeitgleiche Beobachtung der aufgenommenen Bilder durch die zuständigen Beamten oder Operateure vor den Monitoren. Es gibt aber auch das sog. Kamera-Monitor-Prinzip, das ohne Aufzeichnung auskommt, wie beispielsweise die Überwachung des Bahnsteigs von der Zugführerkabine aus. Die Kamera dient dabei quasi als verlängerte Funktion des Auges. Zur technischen Weiterentwicklung wurde im Oktober 2006 am Mainzer Hauptbahnhof ein Modellversuch zur computergestützten Gesichtserkennung anhand von biometrischen Gesichtsmerkmalen gestartet. Kameras sollten 200 Testpersonen aus den täglichen 23.000 Passanten herausfiltern, wobei aber selbst bei besten Lichtverhältnissen nicht einmal annähernd die erforderlichen knapp 100 Prozent erreicht wurden, so dass dieser Versuch vom BKA als gescheitert angesehen wird.

Generell kann man je nach Betreiber zwischen privater und staatlicher V. unterscheiden. Sind die Kameras in privatem Besitz, dürfen private Räumlichkeiten, zu denen der Allgemeinheit oder aber berechtigten Personen Zugang gewährt wird, aufgrund des Hausrechts oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke überwacht werden. Staatliche V. geschieht meist durch die Polizei oder andere Behörden zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben. In einem einstimmig verabschiedeten Beschluss der Innenministerkonferenz des Bundes und der Länder vom Mai 2000 wurde die offene V. an Kriminalitätsbrennpunkten als wertvolles Instrument für die Gefahrenabwehr und die Strafverfolgung gesehen. Die Polizei setzt aber auch mobile Videokameras ein, um rechtswidrige Verkehrsverstöße auf Autobahnen zu dokumentieren. Schnittstellen zwischen privater und öffentlicher Überwachung ergeben sich, wenn durch private Kameras Informationen über eine Straftat gewonnen und an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben werden. Die Verwertbarkeit des Materials beurteilt sich dann jedoch nach den Grundsätzen des Strafprozessrechts.

Mögliche Zielsetzungen der V. sind also die Aufklärung bereits begangener Delikte (Repression), die Verhinderung von Straftaten, Ordnungswidrigkeiten (Gefahrenabwehr) oder sonstigen Ordnungsverstößen sowie die Herstellung eines Gefühls subjektiver Sicherheit.

Unterteilt wird weiter danach, welcher Ort beobachtet wird. So können die Kameras im rein öffentlichen Raum (z.B. öffentliche Straßen), im semi-öffentlichen/ privaten Raum mit öffentlicher Nutzung (z.B. Bahnhöfe, Einkaufszentren, Parkhäuser) oder im privaten Raum (z.B. Eingänge von Wohnhäusern) eingesetzt werden.

Rechtliches

Erhebung und Nutzung (Speicherung, Weitergabe) des Bildmaterials greifen in Grundrechte der beobachteten Person ein und müssen daher besondere verfassungsrechtliche Anforderungen erfüllen. Insbesondere muss es ausreichend bestimmte und klare gesetzliche Grundlagen geben, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. V. muss also einen legitimen Zweck verfolgen und zu dessen Erreichung geeignet, erforderlich und angemessen sein. Betroffen können insbesondere folgende Grundrechte sein:

  • die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit in den Art. 8 I und 9 I GG wie z.B. bei der V. von Demonstrationen,
  • die Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 I GG und das vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I i.V.m. 1 I GG) umfasste Recht am eigenen Bild, soweit es um die Darstellung privater Bereiche geht oder
  • das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitete Recht auf informationelle Selbstbestimmung, wonach der Einzelne grundsätzlich selbst über Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten bestimmen darf. Umstritten ist in diesem Zusammenhang, ob bloße Bildübertragungen nach dem Kamera-Monitor-Prinzip, bei der lediglich Übersichtsaufnahmen in der Totalen gemacht werden, überhaupt die Eingriffsschwelle überschreiten, da keine Identifizierungsmöglichkeit von Personen bestehe und somit keine personenbezogene Daten anfielen.

Fallen personenbezogene Daten an, gelten diverse spezialgesetzliche Datenschutzregelungen in ihrem jeweiligen Bereich sowie die allgemeinen Vorschriften. Dies sind auf Länderebene die Datenschutzgesetze der Bundesländer oder, soweit es keine länderspezifischen Regelungen gibt, auch das sonst auf Bundesebene und im privaten Bereich einschlägige BDSG. Vorläufer des Datenschutzrechts war das KunstUrhG (Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie) für Einschränkungen des Rechts am eigenen Bild. Den Forderungen nach speziellen datenschutzrechtlichen Grenzen für die V. ist 2001 mit der Einführung des § 6b BDSG nachgekommen worden. Er gilt für die V. öffentlich zugänglicher Räume (auch durch Private) und regelt zum einen Grundsätzliches zur Verhältnismäßigkeit wie die Notwendigkeit einer erkennbar zu machenden offenen V. sowie deren zulässige Zwecke: die Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen, die Wahrnehmung des Hausrechts und die Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke. Zum anderen enthält er Vorschriften für die Verarbeitung und Nutzung der erhobenen Daten. § 6b BDSG ist jedoch nicht als Ermächtigungsgrundlage zu sehen, sondern setzt diese voraus.

Spezialgesetzliche Eingriffsgrundlagen zur staatlichen Gefahrenabwehr finden sich beispielsweise in den §§ 12a, 19a VersammlG (Versammlungsgesetz) sowie in den Polizeigesetzen der einzelnen Bundesländer, die inzwischen fast alle den Einsatz von Videotechnik als Instrument der Kriminalprävention ausdrücklich erlauben. Entsprechende bundespolizeiliche Regelungen enthält das Gesetz über die Bundespolizei (BPolG). V. für Zwecke der Strafverfolgung ist in den §§ 100c, 101 StPO (Strafprozessordnung) geregelt. Dabei ist eine unvermeidbare Beobachtung Dritter zwar zulässig, die Maßnahme darf sich gezielt jedoch nur gegen Beschuldigte eines Strafverfahrens richten, d.h. gegen Personen, gegen die bereits der Anfangsverdacht einer begangenen Straftat besteht. Aufgrund dieser Anlassabhängigkeit stellen die Vorschriften der StPO keine Grundlage für eine dauerhafte, stationäre V. dar.

Strafrechtlich ist die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen von § 201a StGB (Strafgesetzbuch) geschützt, wenn sich die aufgenommene Person in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet. Ebenfalls unter Strafe gestellt ist nach § 33 I KunstUrhG die Verbreitung von Videobildern aus der Privatsphäre. Zivilrechtlichen Schutz vor privaten Übergriffen bieten die allgemeinen Ansprüche beispielsweise aus §§ 823, 1004 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch).

Kriminologische Relevanz

Theoretische Hintergründe

Die V. als Instrument der Prävention ist der sekundären Kriminalprävention zuzurechnen, die sich auf gefährdete Gruppen und tatbegünstigende Strukturen bezieht. Die sog. situative Kriminalprävention geht auf den Rational-Choice-Ansatz und auf den Routine-Activity-Approach zurück. Dabei spielt die Überlegung eine Rolle, dass man Tatgelegenheiten an kriminalitätsbehafteten Orten beeinflussen kann.

Der Rational-Choice-Ansatz geht davon aus, dass kriminelles Verhalten wie alle anderen Handlungen auch nach Abwägung von Vor- und Nachteilen gewählt wird. Dabei werden in die "Berechnung" des subjektiven Nutzens einer Handlung der Wert des erwarteten Handlungsergebnisses, die dabei auftretenden Kosten und die Wahrscheinlichkeit des Eintretens einbezogen. Die V. könnte die theoretische Wahrscheinlichkeit der Ergreifung, also das Sanktionsrisiko und damit den Kostenfaktor einer kriminellen Handlung erhöhen und so Straftaten vorbeugen. Dies setzt allerdings eine offene Überwachung voraus, da der Täter sie sonst nicht in seine Kosten-Nutzen-Rechnung aufnehmen kann.

Nach dem Routine-Activity-Approach führt das Zusammentreffen von drei Faktoren zu Kriminalität. Es muss potentielle Täter mit der grundsätzlichen Bereitschaft zu kriminellem Verhalten geben, die auf geeignete Tatobjekte treffen, und es dürfen keine Kontrollen bzw. Kontrolleure anwesend sein. V. übernimmt dann die Funktion des Wächters, der die Verfügbarkeit von geeigneten Tatzielen verringert, was wiederum zur Verminderung der Anzahl an motivierten Tätern führen soll.

In diesem Zusammenhang spielt die Broken-Windows-Theorie eine Rolle. Sie beschreibt, wie ein harmloses Phänomen ("zerbrochenes Fenster") zu völliger Verwahrlosung eines Gebietes führen kann. Auf ihrer Basis wurde die Zero-Tolerance-Strategie entwickelt. Es sollen bereits geringfügig sozialschädliche Verhaltensweisen wie Bagatelldelikte oder bloße Ordnungsstörungen bekämpft werden ("Reparieren des zerbrochenen Fensters"), um so schwererer Kriminalität und Verwahrlosung den Nährboden zu entziehen. Als Hilfsmittel können auch Überwachungskameras eingesetzt werden.

Die V. als Mittel der Kontrolle lässt erwarten, dass nicht nur Menschen, die etwas zu verbergen haben, ihr Verhalten ändern. Dahinter steht das ursprünglich von Jeremy Bentham entwickelte und später von Michel Foucault auf westlich-liberale Gesellschaften übertragene panoptische Prinzip. Danach führt allein die Möglichkeit der permanenten Überwachung zur Selbstdisziplinierung der Individuen. Da die Betroffenen beobachtet werden, ohne ihren Beobachter sehen zu können, wissen sie nicht, ob sie gerade überwacht werden. So werden sie weitgehend auch ohne die Anwesenheit eines Überwachers in ihrem Verhalten konditioniert. In den 1990er Jahren sah Gilles Deleuze Foucaults Konzept der modernen Disziplinargesellschaft, die sich durch die Technik des Einsperrens von Individuen auszeichnet, als historisch überholt an und ersetzte sie durch den Begriff der Kontrollgesellschaft. Diese ist von neuen, ökonomischeren und flexibleren Formen der Kontrolle wie beispielsweise dem elektronische Halsband, privaten Sicherheitsdiensten oder eben Überwachungskameras geprägt. Sie legitimieren sich weniger über Moral und erlauben es auch, unerwünschte Phänomene oder Gruppen nach dem Prinzip der Inklusion und Exklusion in der Gesellschaft nicht auszurotten, sondern sie in bestimmten umgrenzten Räumen gewähren zu lassen.

Videoüberwachung in der Diskussion

Die Befürworter der V. gehen meist von ihrer Wirksamkeit aus und argumentieren hauptsächlich mit ihrem Zweck. So soll die permanente Kontrollmöglichkeit ausgewählter Bereiche die Reaktionszeit der Polizei verkürzen. Aufgezeichnete Bilder sollen helfen, Täter zu identifizieren und als Beweismaterial dienen. Die damit erwartete Verbesserung der Aufklärungsrate von Strafdelikten soll abschreckende Wirkung auf potentielle Straftäter haben und somit einen präventiven Effekt erzielen. Objektiv könne so die Begehung von schweren Straftaten und Belästigungen zurückgehen, die Aufklärung von Straftaten gesteigert und das subjektive Sicherheitsgefühl verbessert werden. Dahinter können sich aber auch wirtschaftliche oder politische Interessen verbergen. So soll beispielsweise die Installation von Kameras in Innenstädten oder Einkaufszentren deren Attraktivität steigern und dem potentiellen Kunden ein Sicherheitsgefühl suggerieren, um seine Konsumfreudigkeit zu steigern. Zudem dient der Einsatz kameragestützter Überwachung der Demonstration von Handlungsfähigkeit und damit dem Machterhalt staatlicher Akteure, die durch die (angeblich) gesteigerte Kriminalitätsfurcht in der Bevölkerung unter Handlungsdruck gesetzt werden.

Bansky one nation under cctv

Die Gegner wenden ein, dass ein Sicherheitsgefühl gerade auch beeinträchtigt werden könne, wenn die Passanten annähmen, der videoüberwachte Ort sei so unsicher, dass er polizeilich überwacht werden müsse. Fraglich sei auch, ob sich das Sicherheitsgefühl nicht durch andere Maßnahmen wie Polizeistreifen effektiver verbessern lasse. Zudem sei nicht klar, ob beim Sicherheitsgefühl tatsächlich das Ausbleiben von Kriminalität oder vielmehr ein anderer Aspekt relevant sei.

An Rational-Choice- und Routine-Acitivity-Ansatz wird bemängelt, dass viele Delikte spontan oder affektiv begangen werden. V. dürfte also kein geeignetes Mittel der Verhinderung von Rausch- und Beziehungstaten oder von Delikten sein, bei denen sich die Akteure der Kameras nicht bewusst sind. Zudem sei eine Abschreckung nur lokal begrenzt auf das einsehbare Umfeld der Kameras, es bestehe also die Gefahr der Verdrängung von Kriminalität in nicht überwachte Räume. Oft seien dies ärmere Gebiete, da meist kommerziell interessante Gebiete wie Innenstädte überwacht würden. Damit würden sozial schwache Personen zusätzlicher Gefahr ausgesetzt, soziale Ungleichheiten verstärkt und die Wirksamkeit der Kameras überschätzt. Daher wird V. zum Teil eher als Methode zum Management von Kriminalität denn als Präventionsmaßnahme gesehen. Prävention sei nur denkbar, wenn auf die Nutzung des überwachten Platzes nicht verzichtet werden könne.

Befürchtet wird auch eine Verlagerung von der konkreten Gefahr in das unbestimmte Vorfeld der nicht kriminellen Ordnungsstörung. Die Beobachtung werde dann nicht mehr durch einen Anfangsverdacht, sondern durch die Wahrscheinlichkeit der Täterwerdung gerechtfertigt, weil die Person lediglich so aussehe als könnte sie Straftaten begehen oder auf andere Weise stören. Eine Zero-Tolerance-Kriminalpolitik berge daher auch die Gefahr der Polizeiwillkür und der prekären Rechtsauslegung. Entsprechend umstritten sind auch die Kriterien, nach denen die Sicherheitskräfte an den Monitoren die intensiver zu beobachtenden Personen und die als deviant definierten Verhaltensweisen auswählen. Anlass der Überwachung einer Person scheine ihr Äußeres zu sein, wie z.B. die Merkmale männlich, jugendlich und einer Subkultur angehörig. Dem Einwand, dass diese Personengruppen diejenigen seien, die auch in der Kriminalstatistik besonders auffielen, kann man entgegenhalten, auch die Polizei arbeite mit den gleichen Auswahlkriterien. Das treffe vor allem Gruppen, die besonders auf öffentlichen Raum angewiesen seien, weil dort primärer Ort sozialer Kontakte sei oder weil sie über keinen (adäquaten) privaten Raum verfügten. Damit verstärkten sich soziale Ausgrenzungsprozesse. Daher wird der tatsächliche Zweck zum Teil auch im Sinne von Garlands "criminology of the other" in der Vertreibung gesellschaftlicher Randgruppen gesehen.

Kritik wird auch hinsichtlich der Privatisierung des öffentlichen Raums geäußert, wie sie beispielsweise durch sog. Sicherheitspartnerschaften (Kooperationsverträge zwischen privaten Sicherheitsbetreibern und Polizei) entsteht. Zum einen werde es für den Bürger immer schwieriger durchschaubar, ob er sich auf öffentlichem oder privatem Grund bewegt und wer zu welchem Zweck überwacht. Zum anderen bestehe die Gefahr, dass das Gewaltmonopol des Staates ausgehebelt werde, weil die Trennung von den an das Polizeigesetz gebundenen Beamten und den privaten Sicherheitsfirmen unschärfer werde. Denn bei V. durch Private seien die verfassungsrechtlichen Bedenken geringer und Kontrollen schwieriger.

Juristische Bedenken bestehen vor allem im Hinblick auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht, da durch Verknüpfung des erhobenen Bildmaterials ein Bewegungsprofil erstellt werden könne, über das der Betroffene keine Kontrolle habe. Außerdem wird die Verhältnismäßigkeit der V. angezweifelt. Die nur unwesentlich erhöhte Anzahl von Ergreifung und Verurteilung von Straftätern könne den Eingriff nicht rechtfertigen. Präventiv völlig wirkungslos bleibt der Kameraeinsatz, wenn der Überwachte überhaupt nicht weiß, ob er beobachtet wird, da er dann an seinem möglicherweise kriminellen Verhalten nichts ändern wird. Es werden aber hauptsächlich Unverdächtige von den Kameras erfasst, woraus teilweise auf einen Generalverdacht gegen alle Personen geschlossen wird. Dies widerspreche der Unschuldsvermutung. Sind dem Beobachteten die Kameras hingegen bekannt, kann er der Überwachung entgehen, was aber zu einem Verlust an räumlicher Freiheit führe. Erfassung, Aufzeichnung und Verwendung von Bildern seien für den Einzelnen aber in der Regel nicht durchschaubar. Die daraus resultierende Ungewissheit, ob, von wem und zu welchem Zweck man beobachtet wird, erzeuge zudem einen latenten Anpassungsdruck (panoptisches Prinzip), was wiederum das Recht auf freie Entfaltung beeinträchtigen könne, weil Bürger ihre demokratischen Freiheitsrechte nicht mehr wahrnähmen. Datenschützer warnen daher vor einer flächendeckenden Ausdehnung der V., da dann auch das Grundrecht auf Freizügigkeit aus Art. 11 I GG verletzt werde. Jede Kamera sei ein Schritt hin zum Überwachungsstaat. Liegen bestimmte Bereiche im Blickfeld der Kameras, könne dies politische und soziale Auswirkungen haben, wie beispielsweise auf die Teilnahme an Demonstrationen oder die Inanspruchnahme von Beratungsstellen durch Drogenabhängige.

Weiterhin wird auf praktische Probleme hingewiesen. Die präventive Wirkung hänge von der Überwachungsfähigkeit der beobachtenden Operateure an den Monitoren ab. Diese könne durch Ermüdungserscheinungen, die gewaltige Masse an Bildern und dadurch beeinträchtigt sein, dass die Kameras teilweise auf festgelegten Kursen über das Zielgebiet schwenken. Auch technisch könne die V. an ihre Grenzen stoßen, wenn durch schlechte Witterung oder unoptimale Aufstellung die Qualität der Bilder als Beweismaterial eingeschränkt sei.

Studien zur Wirkung (Evaluation)

Ob V. tatsächlich die gesetzten Ziele erreicht, ist auch verfassungsrechtlich bedeutsam, weil davon ihre Verhältnismäßigkeit abhängt. In Deutschland gibt es nur wenige Untersuchungen, die sich mit ihrer Wirkung als Mittel der Kriminalitätsbekämpfung befassen. Die meisten werden zudem methodisch als unzureichend oder sogar fragwürdig angesehen. In Großbritannien ist die Forschungslage zwar vergleichsweise gut, ein Teil der Studien wird aber ebenfalls methodisch kritisiert. Insofern kann man die Forschungsergebnisse als uneindeutig bezeichnen.

Während in aussagekräftigen britischen Studien hinsichtlich der Wirkung auf das Sicherheitsgefühl kein positiver Zusammenhang zwischen Kriminalitätsfurcht und V. nachgewiesen werden konnte, sind die Probleme der Überwachungsfähigkeit des Personals sowie dessen die Auswahlpraxis nach subjektiven Kriterien belegt, und man kann annehmen, dass sich dies auch auf Deutschland übertragen lässt. Als Mittel der Kriminalitätsbekämpfung scheint der Kameraeinsatz Großbritannien hingegen nicht so geeignet wie erhofft und zudem deliktabhängig zu sein. Eine präventive Wirkung zeigte sich insbesondere bei Kfz-bezogener Kriminalität und Eigentumsdelikten, nicht jedoch bei Affekttaten oder der Gesamtkriminalität, wo dann aber die Möglichkeit einer erhöhten Erfassung der Täter besteht. Ebenfalls bestehen Anzeichen für Verlagerungseffekte, es scheint aber nicht möglich, Regeln für das Auftreten dieser Effekte zu formulieren. Generelle Einstellungen in der Bevölkerung zur V. scheint es in Deutschland nicht zu geben, vielmehr spielen in diesem Zusammenhang wohl der Kontext der Befragung, die (emotionale) Nähe und die Vertrautheit des überwachten Ortes sowie dessen Atmosphäre eine Rolle.

Literatur

  • Glatzner, Florian: Die staatliche Videoüberwachung des öffentlichen Raumes als Instrument der Kriminalitätsbekämpfung. Spielräume und Grenzen, Magisterarbeit, Münster, 2006, abrufbar unter: http://www.foebud.org/video/magisterarbeit-florian-glatzner.pdf/view
  • Gras, Marianne: Kriminalprävention durch Videoüberwachung. Gegenwart in Großbritannien – Zukunft in Deutschland?, hg. vom Weißen Ring e.V., Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft, 2003.
  • Kammerer, Dietmar (2008) Bilder der Überwachung. Frankfurt: Suhrkamp.
  • Möller, Klaus Peter/ Zezschwitz, Friedrich von (Hrsg.): Videoüberwachung – Wohltat oder Plage?, Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft, 2000.
  • Müller, Arnold (2008) Die Zulässigkeit der Videoüberwachung am Arbeitsplatz. In der Privatwirtschaft aus arbeitsrechtlicher Sicht. Baden-Baden: Nomos.
  • Töpfer, Eric: Die polizeiliche Videoüberwachung des öffentlichen Raums. Entwicklung und Perspektiven, in: DANA. Datenschutznachrichten, 2/2005, S. 5 - 9, abrufbar unter: http://www.enjoy-surveillance.org/wp-content/files/DANAPolizeilicheVideouberwachung.pdf
  • Töpfer, Eric: Videoüberwachung – Risikotechnologie zwischen Sicherheitsversprechen und Kontrolldystopien, in: Nils Zurawski (Hrsg.): Surveillance Studies. Perspektiven eines Forschungsfeldes, Opladen: Budrich Verlag, 2007, S. 33 - 46.
  • Toepffer-Wenzel, Kirsten: E-Watch und Controltainment. Zur Kriminologie der Kontrollkultur, Dissertation, Hamburg, 2005, abrufbar unter: http://www.sub.uni-hamburg.de/opus/volltexte/2005/2439/
  • Veil, Katja: Raumkontrolle – Videokontrolle und Planung für den öffentlichen Raum, Diplomarbeit, Berlin, 2001, abrufbar unter: http://www.foebud.org/video/veil
  • Zurawski, Nils (Hrsg.): Sicherheitsdiskurse. Angst, Kontrolle und Sicherheit in einer "gefährlichen" Welt, Frankfurt am Main [u.a.]: Peter Lang Europäischer Verlag der Wissenschaften, 2007.
  • Zurawski, Nils/ Czerwinski, Stefan: "Sie sind doch auch für Videoüberwachung, oder…? Warum Umfragen zur Videoüberwachung nicht unbedingt eine Antwort auf das geben, was sie eigentlich wissen wollen, in: Der Kriminalist, 3/2007, S. 1 - 7.

Weblinks