Umweltkriminalität

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Umweltkriminalität ist ein Sammelbegriff für Straftaten gegen die Umwelt.


Schutzgüter

Geschütztes Rechtsgut der Tatbestände im 29. Abschnitt des StGB ist die Umwelt in ihren verschiedenen Medien (Boden, Wasser, Luft) und ihre sonstigen Erscheinungsformen (Tier- und Pflanzenwelt) als natürliche Lebensgrundlage des Menschen. Die Umwelt soll in ihrem natürlichen Bestand erhalten werden, um dem Menschen der gegenwärtigen und zukünftigen Generation als Grundlage für die persönliche und wirtschaftliche Entfaltung zu dienen (ökologisch- antropozentrische Rechtsgutauffassung).


Entwicklung des Umweltstrafrechts

Erste rechtliche Maßnahmen zum Schutz der Umwelt in Deutschland gab es bereits in den 50er und 60er Jahren (Bundesjagtgesetz, Wasserhaushaltsgesetz, Atomgesetz, Düngemittelgesetz, Pflanzenschutzgesetz), doch in den Fokus politischen Handelns rückte der Umweltschutz erst in den 70er Jahren. Mit ihrem Umweltprogramm wies die Bundesregierung 1971 auf gesetzlichen Nachholbedarf in diesem Bereich hin und veranlasste so die Verabschiedung weiterer Gesetze zum Schutz der Umwelt (Benzinbleigesetz, Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm, Abfallbeseitigungsgesetz, DDT- Gesetz, Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz, Waschmittelgesetz, Tierkörperbeseitigungsgesetz, Futtermittelgesetz, Abwasserabgabengesetz, Bundesnaturschutzgesetz). Darüber hinaus wurde ein Rat von Sachverständigen gebildet, zunächst beim Bundesminister des Inneren, dann beim Bundesumweltminister, der die Umweltsituation und die Umweltbedingungen in der Bundesrepublik begutachten sollte. Seit dem 18. Strafrechtsänderungsgesetz (StrÄndG) vom 28. März 1980 sind die wichtigsten im Nebenstrafrecht verstreuten Umweltvorschriften nun in das Kernstrafrecht integriert, und als selbständiger Abschnitt „Straftaten gegen die Umwelt“ in den §§ 324 StGB zu finden. Durch diese Neuordnung wollte der Gesetzgeber den sozialschädlichen Charakter des umweltschädigenden Verhaltens ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken und generalpräventive Wirkung der Umweltschutznormen verstärken. 1994 wurde der Umweltschutz als Staatszielbestimmung in Artikel 20a des Grundgesetzes aufgenommen. Damit ist der Umweltschutz zu einer vordringlichen staatlichen Aufgabe geworden.

Im selben Jahr wurden im Zuge des 2. Gesetzes zur Bekämpfung der Umweltkriminalität weitere umweltschützende Vorschriften eingefügt und für bestehende Vorschriften teilweise Strafverschärfungen eingeführt.


Verwaltungsakzessorietät

Die Mehrheit der umweltschützenden Normen finden sich jedoch nicht in strafrechtlichen Vorschriften, sondern im Verwaltungsrecht. Das Umweltstrafrecht dient der effektiven Durchsetzung des Umweltverwaltungsrechts und hat daher eine unterstützende und ergänzende Funktion. Es soll strafrechtlich grundsätzlich nicht verboten sein, was verwaltungsrechtlich erlaubt ist. Diese Verwaltungsakzessorietät zeigt sich einerseits in der begrifflichen Abhängigkeit der Strafnormen vom Umweltverwaltungsrecht, zum anderen aber auch in der Abhängigkeit der Strafbarkeit vom Umweltverwaltungsrecht (Verwaltungsrechtsakzessorietät) beziehungsweise von auf dessen Grundlage erlassenen, möglicherweise materiell fehlerhaften Verwaltungsakten (Verwaltungsaktsaksessorietät). Problematisch ist bei diesem Abhängigkeitsverhältnis jedoch die Vereinbarkeit mit verfassungsrechtlichen Vorschriften. Vor allem der verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz könnte verletzt sein. Art. 103 Abs.2 GG enthält die Verpflichtung des Gesetzgebers, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen. Zum einen soll dadurch gewährleistet werden, dass Jedermann vorhersehen kann welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist, zum anderen soll der Gesetzgeber selbst abstrakt- generell über die Strafbarkeit entscheiden. Dadurch, dass umweltstrafrechtliche Vorschriften in allgemeiner, umfassender Form auf verwaltungsrechtliche Vorschriften verweisen, und sich somit eine Strafbarkeit nicht allein aus den strafrechtlichen Vorschriften ergibt, könnte das Bestimmtheiterfordernis verletzt worden sein.

Außerdem sind möglicherweise auch der Gewaltenteilungsgrundsatz (Art.20 Abs.2 GG) und der Gleichheitssatz (Art.3 Abs.1 GG) betroffen. Eine Verletzung des Gewaltenteilungsgrundsatzes könnte in der Entmachtung des Gesetzgebers gesehen werden, der sich im Bereich des Umweltstrafrechts eine außerstrafrechtliche Ermächtigung zueigen macht und sie für das Strafrecht als verbindlich erklärt. Weiterhin könnte der Gleichheitssatz dadurch verletzt sein, dass die Strafverfolgung von verwaltungsbehördlichem Ermessen abhängig gemacht wird.

Als das Bundesverfassungsgericht über diese Fragen zu entscheiden hatte, hielt es die Verwaltungsakzessorietät des Umweltstrafrechts jedoch für verfassungsgemäß (BVerfGE 75, 329).


Registrierte Kriminalität

2005 wurden 18 376 von der Polizei bearbeitete Straftaten gegen die Umwelt (§§ 324, 324a, 325-330a StGB) registriert. Dies entspricht 0,3 % der registrierten Gesamtkriminalität. Davon entfielen fast zwei Drittel auf die umweltgefährdende Abfallbeseitigung (64,2%) und 20,5% auf den Tatbestand der Gewässerverunreinigung. 3% waren Fälle des unerlaubten Betreibens von Anlagen, die restlichen Umweltstraftaten machten jeweils nur 1% oder weniger aus. Aktenanalysen aus den 80er Jahren zeigen, dass schwere Umweltverstöße eher die Ausnahme bilden. Neuere Untersuchungen fehlen jedoch, und aus der numerischen Häufigkeitszählung der PKS lassen sich keine qualitativen Aspekte erkennen.

Strukturelle Besonderheiten der Umweltstraftaten bestehen hinsichtlich der Tatortverteilung. 47,6% der ermittelten Straftaten entfallen auf kleinere Gemeinden unter 20 000 Einwohner, auf die in der Gesamtkriminalität lediglich knapp 25% entfallen. Dies widerspricht der Erwartung Umweltverstöße träten vor allem in städtischen Ballungszentren auf. Als Gründe hierfür werden die geringe Sichtbarkeit von industrieller Umweltverschmutzung und die unterschiedliche Kontrolldichte von ländlichen Gebieten angeführt.

Die Zahl der polizeilich registrierten Umweltkriminalität (absolute Zahlen und Häufigkeitszahlen) ist bis 1998 deutlich angestiegen und seitdem stetig zurückgegangen. Die Interpretation dieser Entwicklung ist uneinheitlich. Teilweise werden Veränderungen in umweltschädigendem Verhalten, teilweise wird auch die Ausweitung einzelner Straftatbestände oder Unterschiede im Dunkelfeld durch vermehrte Anzeigen, intensivere Kontrollen und effektive Verfolgung als Erklärung herangezogen.

Schwere Formen von Umweltdelikten (§§ 330, 330a StGB) werden kaum registriert und entgegen landläufiger Meinung sind auch Unternehmen selten in Umweltstraftaten involviert. Die regional auftretenden großen Unterschiede in der Häufigkeitszahl registrierter Umweltdelikte beruhen zum Teil auf erheblich voneinander abweichenden Verfolgungsmechanismen.

Die Aufklärungsrate lag 2005 bei 60% und liegt damit über dem Durchschnitt für Straftaten insgesamt. Der Rückgang der Aufklärungsrate in den letzten Jahren ist auf die rückläufige Entwicklung der beiden großen Deliktsgruppen, Gewässerverunreinigung und Abfallbeseitigung, zurückzuführen.

Männliche, erwachsene Tatverdächtige sind bei Umweltdelikten mit 88,3% deutlich überrepräsentiert. Die Tatsache, dass 80,8% der Tatverdächtigen älter als 30 Jahre waren, deutet darauf hin, dass Umweltdelikte mit dem Erreichen bestimmter beruflicher Positionen verbunden sind.



Dunkelfeld

Allgemein wird bei der Umweltkriminalität von einem großen Dunkelfeld ausgegangen. Dessen tatsächliche Größe und Struktur sind jedoch rein spekulativ, da keine empirischen Befunde aus der Dunkelfeldforschung vorhanden sind. Die Zahl der polizeilich registrierten Fälle ist wesentlich vom Anzeigeverhalten und behördlichem Kontrollverhalten abhängig. Die überwiegende Zahl der Anzeigen werden nicht von Umweltfachbehörden, sondern von Polizeidienststellen oder Privatpersonen erstattet. Insgesamt ist die Anzeigebereitschaft in diesem Deliktsbereich jedoch eher gering. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass es bei Umweltstraftaten selten einen unmittelbar Geschädigten gibt, zum anderen werden von den Umweltbehörden verhandlungsorientierte Konfliktlösungen als effektiver eingestuft als die Einschaltung der Strafverfolgungsorgane. Auch nachdem Verwaltungsvorschriften erlassen wurden, die für bestimmte Fälle eine Anzeigepflicht der Behörde regeln, und regelmäßige Besprechungen und Erfahrungsaustausch vorschreiben, war ein merklicher Anstieg registrierten Umweltstraftaten nicht feststellbar. Nach dem Forschungsstand beruht die polizeilich registrierte Umweltkriminalität auf einer Ausschöpfung des Dunkelfelds in Richtung auf eher einfach gelagerte und bagatellhafte Fallgestaltungen.


Umweltschutzpolitik

Das deutsche Umweltstrafrecht weist im internationalen Vergleich ein hohes Schutzniveau auf. Da Umweltschutz nicht an Ländergrenzen halt macht, hat sich Deutschland auch auf europäischer Ebene durch Unterstützung des Rahmenbeschlusses 2003/80/JI des Rates über den Schutz der Umwelt durch das Strafrecht beteiligt. Ein Richtlinienentwurf der Kommission steht noch aus.

Innerstaatlich gibt es verschiedene Instrumente der Umweltpolitik, die in Zukunft zur besseren Bekämpfung der Umweltkriminalität beitragen sollen. Die Abschreckungswirkung der Strafvorschriften ist gering, weil Kontrolleinrichtungen fehlen oder personell zu schwach besetz sind. In der Diskussion ist eine Erhöhung des Misserfolgsrisikos durch die Einführung einer gesetzlichen Anzeigepflicht für Bedienstete von Verwaltungsbehörden, der Aufbau eines Überwachungsapperats und die Aufstellung einer besonderen Umweltschutzpolizei. Außerdem wird über eine Eingrenzung des Verwaltungsrechts durch die Festlegung von Grenzwerten und eine Neuregelung von Amtsträgern in Umweltverwaltungsbehörden nachgedacht. Weiterhin soll der Einsatz marktwirtschaftlicher Instrumente in Form von Sonderabgaben für Unternehmen dazu führen, dass Umweltverschmutzung sich nicht mehr lohnt.



Literatur

  • BVerfGE 75, 329, Verwaltungsakzessorietät im Umweltstrafrecht.
  • Hans-Dieter Schwind, Kriminologie, Eine praxisorientierte Einführung mit Beispielen, Kriminalistik Verlag, Heidelberg 2006, ISBN 3-7832-0017-2.
  • Erster Periodischer Sicherheitsbericht.
  • Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht.
  • Johannes Wessels, Michael Hettinger, Strafrecht Besonderer Teil1, Straftaten gegen Persönlichkeits- und Gemeinschaftswerte, C.F. Müller Verlag, Heidelberg 2000, ISBN 3-8114-2069-0.