Terror, Terrorismus

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Etymologie

Das Lexikon „Brisante Wörter“ des Instituts für deutsche Sprache bezeichnet Terror als jüngeres, ca. seit 1840 im deutschen Sprachgebrauch nachzuweisendes Substantiv, mit dem die Ausdrücke „Schrecken, Schreckensherrschaft, Verbreitung von Angst und Schrecken durch Gewaltaktionen“ (Harras u.a. 1989: 366) verbunden sind. Diese Ausdrücke wurden gegen Ende des 18. Jahrhunderts den französischen Wörtern terrorisme, terroriste entlehnt, die ihrerseits aus dem frz. terreur abgeleitet wurden, was wiederum vom lat. terror (Schrecken, Angst, Angst und Schrecken verbreitendes Geschehen) und terrere ((er-) schrecken) stammt.

Definition(en)

Waldmann versucht mit seiner Definition, das Phänomen Terrorismus in heutiger Zeit zu fassen: „Terrorismus sind planmäßig vorbereitete, schockierende Gewaltanschläge gegen eine politische Ordnung aus dem Untergrund. Sie sollen allgemeine Unsicherheit und Schrecken, daneben aber auch Sympathie und Unterstützungsbereitschaft erregen" (1998: 10). Diese Definition erweist sich vor allem anhand der Einordnung des Terrorismus als aus „dem Untergrund“ kommend weniger als deskriptiv-analytisch denn als politisch, wie anhand der Verwendungsgeschichte des Begriffs zu sehen ist. Hoffman (1999) führt vor seinem Vorschlag die Bemühungen Walter Laqueurs und Axel Schmids an, eine Definition von Terrorismus zu finden. Schmid hat einen empirischen Vergleich von 101 verschiedenen Definitionen vorgelegt. Zu den Begriffen, die in über zwanzig Prozent der untersuchten Definitionen vorkommen, zählen Gewalt und Zwang (83,5%); Politisch (65%); Hervorhebung von Furcht und Schrecken (51%); Psychologische Effekte und antizipierte Reaktion (41,5%); Opfer-Ziel-Differenzierung (37,5%); Zielgerichtetes, geplantes, systematisches, organisiertes Handeln (32,0%); Methoden des Kampfes, Strategie, Taktik (30,5%); Außerhalb der Normalität, Verletzung akzeptierter Regeln, ohne humanitäre Rücksichtsmaßnahmen (28,0%); Publizitätsaspekte (21,5%); Willkürlichkeit; unpersönlicher Zufallscharakter und Wahllosigkeit (21%) (Schmid & Jongman 1988: 5f., abgebildet bei Hoffman 1999: 51). Diverse Kategorien folgen dieser Auflistung, doch scheint die Methode quantitativen Einkreisens kein geeigneter Weg zu einem analytischen Begriff zu sein, da Erkenntnis und nicht die Mehrheit der Meinungen den Weg zur Analyse öffnet. Nach dem lobenswerten Hinweis auf die Probleme eines Definitionsversuchs schlägt Hoffman vor, anhand von Unterscheidungen von anderen Formen der Gewaltausübung zu einem besseren Verständnis von Terrorismus zu gelangen und definiert Terrorismus "als bewusste Erzeugung und Ausbeutung von Angst durch Gewalt oder die Drohung mit Gewalt zum Zweck der Erreichung politischer Veränderung" (Hoffman 1998: 56). Gelungen ist in dieser Definition zunächst die Vermeidung einer Beschreibung des Terrorismus als ‚von unten’ oder ‚von oben’ ausgeübte Strategie. Problematisch ist jedoch, das diese Offenheit durch die zweite Satzhälfte wieder eingeschränkt wird: einem Terrorregime dürfte kaum an politischer Veränderung, sondern im Gegenteil am Machterhalt gelegen sein.

Aus konstruktivistischer Perspektive lässt sich dem Problem der Begriffsbildung an sich noch das Problem der „Struktur der Forschung“ hinzufügen, um zu einem komplexen Bild der Definitionsproblematik zu gelangen. Denn die Forschung selbst ist nach Ansicht Daases Teil einer Debatte, in der Terrorismus als politischer Begriff gebraucht wird: „...politischer und wissenschaftlicher Diskurs lassen sich nicht voneinander trennen: Von Anfang an waren es nicht nur akademische Institutionen im engeren Sinne, die sich mit der Erforschung des Terrorismus beschäftigten. Auch halböffentliche und private Institutionen, Nachrichtendienste und Massenmedien, Publizisten und Journalisten haben sich maßgeblich an der Diskussion beteiligt“ (2001: 55f.). Daher finde Terrorismusforschung weniger in einer epistemic community als in einem „...invisble college...“, „ein informelles Netzwerk einflussreicher Institutionen und Persönlichkeiten, die den Terrorismusdiskurs politisch prägen“ (ebd., Hervorh. dort) statt. So befand Laqueur schon 1977, dass „eine allgemeine Definition des Terrorismus nicht existiert und in der nahen Zukunft auch nicht gefunden werden wird“ (Laqueur 1977: 5). Dieser Befund öffnet allerdings der gefährlichen Tendenz das Tor, Beliebigkeit in die Begriffsbildung einfließen zu lassen, wie sie in gewissem Maße schon an den beiden vorgestellten Definitionen zu erkennen ist und die sich meist an dem Abgrenzungsproblem von Terrorismus als ‚von oben’ oder ‚von untern’ sowie Krieg oder Gewalt (Neubacher und Walter 2002) vollzieht. Doch diese Differenzierungen sind die grundlegende Voraussetzung für einen rational-analytischen Zugang zum Phänomen Terror/Terrorismus (vgl. Scheerer 2002: 38). Genau diese Differenzierungen verwendet Hess zur Operationalisierung seiner Definition: „Terrorismus ist erstens eine Reihe von vorsätzlichen Akten direkter physischer Gewalt, die zweitens punktuell und unvorhersehbar sind, drittens aber systematisch mit der Absicht psychischer Wirkung auf weit mehr Personen als nur die unmittelbar getroffenen Opfer viertens im Rahmen einer Gruppe mit bestimmten politischen Zielen durchgeführt werden und fünftens den Gegner zu einer Reaktion provozieren sollen, die jene politischen Ziele, die man direkt nicht erreichen kann, indirekt fördert“ (Hess 2002: 84f., Hervorh. dort). Hess bildet zur Differenzierung die Kategorien des repressiven Terrorismus staatlicher Apparate; repressiven Terrorismus para-staatlicher und nicht-staatlicher Gruppen; revoltierenden Terrorismus sozialrevolutionärer Art und des revoltierenden Terrorismus ethnischer/religiöser/nationaler Art (vgl. ebd.: 86f.).

Wie der Begriff in der Vergangenheit benutzt wurde

Gödecke schrieb als einer der ersten deutschen Autoren bereits 1796 in einem Wörterbuch zu Begriffen der Französischen Revolution eine lexikalische Definition nieder: „Terroriste. Schreckensmann. Eine sehr passende Bezeichnung für die Jakobiner, die fast in ganz Frankreich Schrecken verbreiteten. Terrorisme. Schreckenssystem. Das System, welches die Jakobiner angenommen hatten, wodurch sie so viele Menschen schuldig oder unschuldig hinrichteten. Beide Ausrücke sind neu“ (Gödecke 1796: 83, zit. bei Walther 1990: 372f.). Dieser bereits kurz nach dem Ende der Herrschaft der Jakobiner, die ihr Herrschaftssystem durchaus positiv als „terreur“ bezeichneten, umgekehrte Gebrauch des Wortes als meist negativ gemeinte „Epochenbezeichnung“ (Walther 1990) legte den Grundstein für einen Bedeutungswandel des Begriffs, den Scheerer als „Konstruktion des Stigmas“ (2003: 89) bezeichnet und Walther zufolge für den Beginn einer Problematik bei der Verwendung des Begriffs steht, die wohl bis heute Bestand hat: „Für den Gebrauch des Begriffs ist es charakteristisch, dass dieser im Prozess der Ideologisierung und Politisierung zunehmend zur abgrenzenden Feindbezeichnung dient und die historischen Konstellationen ausgeblendet werden. Die ismus-Bildung hebt auf den Bewegungscharakter ab und zugleich auf die Gewalt einer Gruppierung, die sich der Staatsgewalt bemächtigt. ‚Terrorismus’ war ein reiner Feindbegriff, den im Unterschied zu ‚Terror’ zunächst niemand positiv besetzte“ (Walther 1990: 324). In Deutschland tat man sich zunächst damit schwer, ‚Terror’ und Terrorismus in den Sprachgebrauch aufzunehmen (vgl. dazu ausführlich: Walther 1990: 351ff.).

In Folge der Revolution in Frankreich fand die Idee der Auflehnung gegen die Monarchien mehr und mehr Zustimmung. Unter Anhängern der Bewegung der Anarchisten, Revolutionären, Sozialisten und Nihilisten entwickelte sich der Gedanke der "Propaganda der Tat". Diese Formel fasst nach Waldmann (1998) im Grunde das Kalkül von Terror und Terrorismus zusammen. Fürst Pjotr Alexejewitsch Kropotkin (1842-1921) führt die Formel aus: „Durch Tatsachen, die sich der allgemeinen Aufmerksamkeit aufzwingen, dringt die neue Idee in die Köpfe ein und erobert Anhänger. Manche Tat macht in einigen Tagen mehr Propaganda als Tausende von Broschüren" (Kropotkin, zitiert bei Waldmann 1998: 48). Im Russland des 19. Jahrhunderts war es eine Gruppe namens Narodnaya Wolya (Wille des Volkes), die diesen Gedanken erstmals in bemerkenswertem Ausmaß umsetzte und neben diversen anderen Vertretern des Zarentums am 1. März 1881 Zar Alexander II ermordete. Dieser Anschlag der Gruppe war gleichzeitig auch ihr letzter, in Folge der Ermordung des Zaren wurde die Gruppe binnen eines Jahres inhaftiert und getötet.

Vier Monate nach dem gewaltsamen Tod des Zaren kam es in London während eines Anarchistenkongresses zur Gründung einer ‚Anarchistischen’ oder auch ‚Schwarzen Internationale’. Hoffman bemerkt hierzu: „Obwohl diese Idee wie die meisten ihrer hochgestochenen Pläne zu nichts führte, reichte die Publizität, die durch eine auch nur vermeintliche Anarchistische Internationale geschaffen wurde, aus, um den Mythos einer globalen revolutionären Verschwörung zu schaffen. Dadurch wurden Befürchtungen und Verdächtigungen angeregt, die in keinem Verhältnis zu irgendwelchen realen Wirkungen oder politischen Erfolgen dieser Internationale standen" (1998: 22). Obwohl also kurz zuvor immerhin ein russischer Zar von Terroristen ermordet wurde, ergab sich allein aus der Fähigkeit der Narodnaya Wolya zu gezielten Attacken noch nicht zwangsläufig eine Gefahr für die politische Ordnung Russlands. Trotzdem riefen und rufen die Ermordung von Personen des öffentlichen Lebens oder Anschläge auf symbolträchtige Bauten Gefühle der Verunsicherung hervor, die schon 1901 in den USA nach der Ermordung des Präsidenten William McKinley durch einen ‚Sympathisanten’ ein gesetzliches Einreiseverbot für Anarchisten nach sich zogen. Letzten Endes hatte der Anarchismus trotz vieler aufsehen erregender ‚Erfolge’ und "abgesehen von der Aufpeitschung zumeist übertriebener Ängste, sowohl auf die Innen- wie auf die Außenpolitik der betroffenen Länder kaum greifbare Auswirkungen" (Hoffman 1998: 22).

Es wird deutlich, dass in Folge der Französischen Revolution ein bedeutender Wandel des Begriffs Terrorismus eingetreten ist: von einer Strategie zur Machterhaltung eines Regimes zur Widerstandsstrategie von Revolutionären. Walther ordnet diesen Bedeutungswandel im Deutschen in die Mitte des 19. Jahrhunderts ein: „Die Interpretationen im Umkreis der Revolution von 1848/49 bilden einen Einschnitt in die Begriffsgeschichte von ‚Terror’. (...) Zugespitzt: 1848 endete die Epoche, in der Terror unverhohlen und praktisch ausschließlich im Habit von Staatlichkeit oder offen als Instrument staatlicher Gewalt auftrat. (...) Systematisch sind die beiden Epochen – vergröbernd – dadurch zu unterscheiden, dass in der zweiten die Wirkung solcher Gewaltausübung auf das Publikum, die Motive der Handelnden und die Fragen nach dem cui bono zur Hauptsache werden. Die Wirkung von Taten auf Dritte wird wichtiger als die Taten selbst. Die Publikumswirkung erscheint als unmittelbarer Zweck, während der eigentliche Zweck zur Tat in unbestimmter zeitlicher und sachlicher Relation steht. Die Tat dient als Vehikel geschichtsphilosophischer Erwartungen. Sie schert aus einer eindeutigen Ziel-Mittel-Relation aus. Was sie damit an Rationalität verliert, soll sie im diffus bleibenden Adressatenkreis an Achtung und Nimbus gewinnen, beim Publikum an Angst und Entsetzen hervorrufen“ (1990: 385).

In den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts ist ein erneuter Bedeutungswandel des Begriffs Terrorismus zu beobachten, nun wurde er vermehrt in seiner ursprünglichen Form als Beschreibung von Mitteln zur Aufrechterhaltung von Macht durch „Massenunterdrückung“ (1998: 26) im Nationalsozialismus und von anderen totalitären Regimen verwendet – jedoch ebenfalls als negative Fremdbezeichnung, nicht wie beim terreur von den Machthabenden als positive Eigenbezeichnung. In der Terrorismusforschung spielt die Erforschung staatlichen Terrors eine im Vergleich zu der Erforschung des Terrorismus ‚von unten’ untergeordnete Rolle.

Daase erinnert an die Bedeutung des Begriffs in der Auseinandersetzung zwischen den USA und der Sowjetunion während des „Kalten Krieges“. So tauchte die im 19. Jahrhundert entstandene „Verschwörungstheorie des Terrorismus“ (2001: 71) mit Blick auf die „weltweite Verschwörung der Anarchisten“ (ebd.) 1980 in dem Buch ‚The Terror Network’ von Claire Sterling wieder auf, dessen These lautet: „Der Kern der russischen Strategie ist, das terroristische Netzwerk mit Waren und Dienstleistungen zu versehen, die notwendig sind, um die industrialisierten Demokratien des Westens zu unterminieren“ (Sterling 1980: 16). Über den Westen gibt es ähnliche Visionen, die nach Daase ebenso keiner wissenschaftlichen Überprüfung standhalten, als Beispiel hierfür zitiert er Chomsky & Herman: „Die Militärjuntas in Lateinamerika und Asien sind unsere Juntas. Viele von ihnen sind direkt von uns eingesetzt worden oder sind die Günstlinge unsere direkten Intervention, und die meisten anderen sind mit unserer indirekten Unterstützung entstanden, indem sie militärische Ausrüstung und Ausbildung durch die Vereinigten Staaten erhielten“ (Chomsky / Herman 1979, zit. ohne Seitenangabe bei Daase 2001). Bei diesen Geschichten handele es sich nicht etwa um Grotesken, vielmehr „wird die Diskussion heute in ganz ähnlicher Weise, mit ähnlichen Argumenten und Methoden geführt“ (2001: 73). Er betont, es gehe ihm nicht darum, die Verstrickung von Staaten in die Förderung terroristischer Gruppen zu leugnen oder herunterzuspielen, sondern zu zeigen, mit welch „einem Minimum an empirischen Wissen ein Maximum an theoretischer Aussagekraft erzeugt wird und wie politische Behauptungen gegen wissenschaftliche Widerlegung immunisiert werden“ (2001: 74).

In Deutschland „steht die seit dem Ende der 60er/ Anfang der 70er Jahre zu beobachtende Verbreitung und der häufige Gebrauch der Terror-Ausdrücke unmittelbar im Zusammenhang mit den Aktionen von kleineren politischen Organisationen, die sich im Anschluß an die studentische Protestbewegung von 1968 und vor allem aus der sog. außerparlamentarischen Opposition (APO) entwickelt haben und sich selbst unter Namen wie Rote Armee Fraktion (RAF) oder Revolutionäre Zellen (RZ) zu ihren gegen den Staat gerichteten Aktionen bekennen“ (Harras u.a. 1990: 367). Zweck der Aktivitäten dieser Gruppen sei es, „über den Kreis der Betroffenen hinaus weite Teile der Gesellschaft in Angst und Schrecken zu versetzen, die Hilflosigkeit des Regierungs- und Polizeiapparates gegenüber dem Terrorismus bloßzustellen, Loyalität und Autorität von den Herrschenden abzuziehen, um damit ein politisches Klima der Unsicherheit und Bedrohung in der Bevölkerung zu schaffen, das nach Auffassung der Terroristen für den Sturz der alten Ordnung oder für eine Revolution günstig ist. Dabei wird die Berichterstattung in den Massenmedien von den Terroristen bewusst einkalkuliert, denn im Gegensatz zu kriminellen Verbechern sind Terroristen um die Bekundung der Urheberschaft bei ihren Taten und deren Sensationswert bemüht“ (ebd.: 368). Waldmann (1998) hat sich mit der Beschreibung des Terrorismus als Kommunikationsstrategie einen Namen gemacht. Zwar war zu dieser Zeit durchaus eine internationalen Kooperation von u.a. palästinensischen und deutschen Gruppen zu beobachten, doch gilt für diese Epoche, dass der Begriff überwiegend für lokale Formen des Terrorismus stand und keine weltweite Problemrezeption vorlag. Schwind (1978) stellt in seiner kurzen Geschichte des deutschen Terrorismus in den 70er Jahren zwar die Verbindungen der deutschen zu internationalen Gruppen dar, eine der heutigen Problemwahrnehmung, wie sie Mayntz (2004) anhand des Netzwerktheorems vorstellt, ähnliche Wahrnehmung des Phänomens existierte jedoch nicht.

Dies änderte sich mit den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York und Washington. Als Urheber dieser sowie vorangegangener und folgender Anschläge gilt weithin die ‚Organisation al-Qaida’, die oft als weltweites Netzwerk islamistischer Extremisten und Terroristen beschrieben wird (einen Überblick hierzu bietet Mayntz 2004). Mit dieser Beschreibung entsteht ein neues Szenario weltweit vernetzter Bedrohung von Terrorismus, weshalb in Folge der Anschläge im September 2001 auch häufig davon die Rede war, nichts sei mehr so wie vorher, man befinde sich nun im Krieg gegen den Terrorismus. Scheerer macht angesichts dieser Problemrezeption einen neuerlichen Bedeutungswandel des Begriffs aus: vor dem 11. September 2001 diente der Begriff nach Scheerer vor allem zur Stigmatisierung anderer als Verbrecher; nach dem 11. September ist dem die Stigmatisierung als kriegerische Verbrecher hinzugekommen. So werden die Grenzen zwischen ‚Kriminalitätsbekämpfung’ und ‚Krieg’ aufgeweicht und bewusst unscharf gelassen. In der Konsequenz ergibt sich daraus eine Dämonisierung des Bösen, eine erneute Welle der Mythologisierung des Begriffs Terrorismus (vgl. Scheerer 2003). Hess interpretiert die Unschärfe „als Symptom für eine Übergangsperiode: Was einst eindeutig eine kriegerische Handlung gewesen wäre, wird heute überwiegend als Terrorismus, als Verbrechen empfunden; wo einst militärische Verteidigung selbstverständlich gewesen wäre, scheint heute vielen weit eher ein Strafrecht angebracht“ (2002: 85).

Zusammenhänge mit anderen Begriffen

Im Mittelalter stand ‚territio’ für die Androhung von Folter. Historisch wurde der Begriff immer wieder mit Nihilismus, Anarchismus, Sozialismus und Blanquismus in Verbindung gebracht (vgl. dazu Walther 1990: 387, insbes. 396ff.). Impliziert man mit ‚Terrorismus’ die Variante ‚von unten’, so ergeben sich Zusammenhänge des Begriffs etwa mit ‚Guerilla’, ‚Freiheitskämpfer’, ‚Extremisus’ und ‚Radikalismus’ – impliziert man hingegen die Variante von oben, so ergeben sich Überschneidungen mit ‚staatliche Willkür’, ‚Diktatur’ und ‚Schreckensherrschaft’ (siehe auch Harras u.a. 1990: 368f.).


Zusammenhang mit der materiellen Realität

Dem aktuellen Terrorismusbericht des US-Außenministeriums zu Folge gab es im Jahr 2003 insgesamt 190 „acts of international terrorism“ (2002: 198; 2001: 346, vgl. für die Definition: ebd.: xii), die niedrigste Zahl von Anschlägen dieser Art seit 1969. Dabei wurden 307 Personen getötet (2002: 725) und 1593 Personen verletzt (2002: 2013). Schwerpunktregion der Anschläge war Asien (70 Anschläge; 159 Tote; 971Verletzte). Bei Waldmann findet sich die Angabe, dass seit 1975 in Europa ca. 120.000 terroristische Anschläge registriert wurden, die cirka 10.000 Menschen das Leben kosteten. Die meisten Opfer gab es in der Türkei und Nordirland. Diese Anschläge gehen auf das Konto von etwa 15 Organisationen, die bis zu 100 Personen umfassen (vgl. Waldmann 1998: 22ff.). Sack (1993: 382ff.) macht deutlich, wie problembehaftet die rechtliche Definition von Terrorismus ist und wie vage allein schon aufgrund der Definitionsproblematik die Daten innerstaatlicher- und erst recht internationaler Statistiken über Terrorismus sind. In der materiellen Realität taucht der Begriff Terrorismus, meist mit den adjektiven "islamistisch" oder "international" qualifiziert, seit den Anschlägen vom 11. September 2001 vermehrt in den Medien sowie in den Begründungen und Titeln von Gesetzen auf. Letztere zielen meist auf eine massive Erweiterung der Kompetenzen staatlicher Strafverfolgungsbehörden und Geheimdienste.

Kriminologische Relevanz

Die kriminologische Beschäftigung mit Terrorismus in Deutschland geht auf die Zeit der RAF zurück, in diesem Zusammenhang ist als Überblick insbesondere auf den Forschungsbericht von Sack & Steinert 1984) und auf die zwei Bände von Hess (1988) zu verweisen. Aus dem dargestellten Bedeutungswandel des Begriffs Terrorismus bis heute zu einem weltumspannenden netzwerkartigen Phänomen ist eine wichtige Erkenntnis für die wissenschaftliche Beschäftigung mit Terrorismus abzuleiten. Jäger (1989: 64) betont, dass "in der Kriminalsoziologie die Tendenz des gängigen Wissenschaftsdiskurses kritisiert worden ist, den Terrorismus kleiner Gruppen zum Problem einzelner Biographien zu machen und damit zu individualisieren, während er „den politischen, sozialen und kulturellen Hauptelementen der Gesellschaft, in der es zum Terrorismus kam, implizit (oder gar explizit) eine Art Bonitätsbescheinigung ausstellt“ (Scheerer 1988: 79)". Diese Beobachtung und Kritik zu der damaligen Zeit bedeutet für Jäger, dass es sich bei "Verbrechen von Großkollektiven, insbesondere Kriegsverbrechen, umgekehrt [verhält]: sie werden zumeist aus der Makroperspektive gesehen; das Verhalten des Einzelnen wird daher als die mehr oder weniger zwangsläufige Folge kollektiver Ausnahmezustände betrachtet“ (Jäger 1989: 64). Doch diese Dichotomie von Makro- und Mikroperspektive scheint der Terrorismusdiskurs aufgegeben und stattdessen beide Aspekte miteinander vermischt zu haben. Daher spricht vieles daür, dass es sich bei Terrorismus nicht um Verbrechen oder Krieg, sondern um ein Phänomen sui generis handelt, was sich in der Dreieckskonstellationen von Terroristen, Zielen und den zu beigeisternden Dritten besonders deutlich zeigt und den politischen Aspekt betont. Terrorismusforschung kann daher nur interdisziplinär, nicht jedoch in einer genuin kriminologischen Art und Weise betrieben werden. Das Potential und damit auch die Relevanz kriminologischer Forschung kann in einer Enthysterisierung des Diskurses durch einen wissenschaftlichen Ansatz liegen, der den Akteuren "Rationalität, Authentizität, Kompetenz und Verantwortlichkeit" (Sack 1993: 335) zuerkennt. Ob die von Hess vorgeschlagene Definition von Terrorismus als Strategie und dem damit verbundenen Plädoyer gegen eine Verdinglichung einen Weg in diese Richtung weist, wird durch weitergehende Forschung zu überprüfen sein. Generell gilt es dabei zu beachten, dass im Sinne Foucaults die Beschäftigung mit als illegal definiertem Handeln kein Selbstzweck sein darf, sondern stets in den Kontext des Verstehens von als legal definiertem Handeln zu stellen ist.

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Weitere Informationen zum Stichwort Terrorismus finden Sie im Kriminologie-Lexikon ONLINE unter Terrorismus.