Tätertypologien

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Tätertypologien (v. griech. typos „Urbild, Vorbild“) erlauben die Zuordnung vergangener, gegenwärtiger und zukünftiger Straftäter zu Gruppen. Es handelt sich also um Systematiken, bzw. Systematisierungsversuche, die der Zuordnung von Individuen zu Gruppen, bzw. Klassen von Straftätern dienen, wobei zur Veranschaulichung ein charakteristischer Vertreter der Gruppe als deren "typischer Vertreter" hervorgehoben wird.

Typologien von Straftätern beziehen sich auf unterschiedliche Merkmale wie z.B. die von ihnen begangenen Straftaten, die den Taten zugrundeliegende Motivation, die Art der Tatausführung (Modus Operandi), den Grad der von den Tätern ausgehenden Gefährlichkeit o.ä.

Das erste Ziel einer jeden Tätertypologie (wie auch jeder anderen Systematik) besteht in der Verschaffung eines geordneten Überblicks. Weiterhin geht es um eine erhöhte Präzision und die Vermeidung von Wiederholungen im Informationsmanagement. Dafür ist es gut, wenn die Kategorien einer Tätertypologie sich gegenseitig ausschließen (Trennschärfe, keine Zuordnung zu zwei oder mehr der Kategorien) und wenn sie möglichst erschöpfend sind (keine Residualkategorie für "Sonstige"). Außerdem gilt für die Erstellung von Tätertypologien das Prinzip der Sparsamkeit (parsimony; keine überflüssigen Kategorien bilden!).

Tätertypologien können nach dem Grad ihrer Universalität (nicht nur regional anwendbar), ihrer Kontinuität (Anwendbarkeit über einen längeren Zeitraum), ihrer Flexibilität (durch Anpassung an neuere Erkenntnisse und evtl. Erweiterung des Klassifikationssystems) analysiert werden. Dabei zeigen sich dann nicht selten Unzulänglichkeiten im (subjektiv-weltanschaulichen) Entstehungszusammenhang, in der internen Konsistenz und in der - die Anpassung an Veränderungen im Stand des Wissens erschwerenden - Starre der Kategoriensysteme. Unzweckmäßige oder unzweckmäßig gewordene Kategorien führen dann aber häufig dazu, dass Täter in Klassen "gezwängt" werden, in die sie nicht vollständig passen. Das führt zu Informationsverlusten und Fehleinschätzungen.

In der kriminologischen Theorie sind Tätertypologien - trotz ihrer Nachteile und Risiken - ebenso unverzichtbar wie in der kriminalpolitischen und kriminalistischen Praxis. So findet sich z.B. die Ansicht, dass jugendliche Straftäter typischerweise andere Motive für ihr Verhalten haben als andere Straftäter, oder dass man die Kriminalität von psychisch kranken Rechtsbrechern gesondert zu erklären und darauf auch spezifisch zu reagieren habe. Alle solche ursachenbezogenen und zugleich die Sanktionen betreffenden Fragen lassen sich ohne Klassifizierungen von Tätern nach Alter, psychischen Besonderheiten usw. nicht untersuchen.

Tätertypologien können auch für Präventionsprogramme und für die (Sozial-) Therapie im Strafvollzug von Interesse sein. Der Erfolg solcher Bemühungen beruht ja nicht zuletzt auf dem Wissen darüber, welche spezifischen Probleme welchen Taten zugrundeliegen.

Andererseits sind die Zuordnungen zu Typen nicht ohne Informationsverlust bezüglich der einzigartigen Merkmale jedes einzelnen Falles zu haben. Die Gefahr der Vereinfachung, der "falschen Abstraktion" (Hegel) oder des Schubladen-Denkens ist mit Typologien aller Art verknüpft, ist aber im Hinblick auf die Folgen für die Betroffenen im Bereich von Überwachung, Kontrolle und Bestrafung von besonderer Bedeutung.



Geschichte

Die Vielfalt der Unterschiede zwischen den Gefängnisinsassen - die man lange Zeit für gleichbedeutend hielt mit der Vielfalt der Unterschiede zwischen Straftätern insgesamt - hat seit dem Beginn kriminologischer Erklärungsversuche zu Typenbildungen geführt. Cesare Lombroso unterschied gegen Ende des 19. Jahrhunderts zwischen "geborenen Kriminellen", "Kriminaloiden" und "Schwachsinnigen". Als einer der großen Gegenspieler Lombrosos unterschied Franz v. Liszt zwischen den "Besserungsfähigen", den "Abschreckbaren" und den "Unverbesserlichen", wobei zu den letzteren insbesondere die "unverbesserlichen Gewohnheitsverbrecher" zu zählen seien. In Deutschland gehörte die Einteilung der Täter in bestimmte Gruppen ("Typen") bis zur Entstehung der kritischen Kriminologie zu den Pflichtübungen eines jeden lehrenden oder lehrbuchschreibenden Kriminologen, so z.B. von Franz Exner und Edmund Mezger. In anderen Ländern, wo es sich während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ebenso verhielt, wurden Tätertypologien nach 1945 nicht in demselben Maße desavouiert wie in Deutschland. Speziell in den USA waren etwa die Typologien der Gluecks und ihrer Nachfolger nach 1945 von großer praktischer Bedeutung - und erlebten zudem nach einer Phase der Relativierung eine Renaissance im Rahmen der Sexualtäter-Typologien nach Robert K. Ressler bzw. der Vergewaltigungs-Täter-Typen in den 1990er Jahren.


Drittes Reich

USA

Aktuelle Tätertypologien und ihre Kritik

Richard Jenkins und Lester Hewitt unterschieden aufgrund (psychiatrischer) Erfahrung zwischen pseudosozialen Jungen und unsozialisierten aggressiven Jugendlichen. Erstere wären psychisch normale junge Leute in einem antisozialen Umfeld, während die letzteren asoziale, gewalttätige Jugendliche seien, die schwerwiegende elterliche Zurückwiesungen erlebt hätten. Aktueller ist die psychologische Tätertypologie von Marguerite Warren ("Interpersonal Maturity Levels; I-Levels"). Warren ging davon aus, dass erfolgreich sozialisierte Jugendliche durch sieben Stadien der Anpassung gingen - von infantiler Abhängigkeit bis zu erwachsener Reife und interpersoneller Kompetenz. Wer auf einer früheren Stufe nicht mehr weiterkommt, agiert in einer nicht-erwachsenen Art. Delinquente befinden sich meist auf den drei untersten Stufen der Reife (Abhängigkeit von Gleichaltrigengruppen etc.).

Die Brauchbarkeit des I-Level-Modells ist wegen des Mangels an Kontrollgruppen und anderer (Validitäts-) Schwächen bezweifelt worden (vgl. Gibbons 1970). Eine weitere psychologische Typologie beruht auf dem für Straftäter erstellten Minnesota Multiphasic Personality Inventory (Megargee et al.) - mit dem Problem, dass viele Nicht-Straftäter wahrscheinlich ähnliche Profile hätten.

Klinische Erfahrungen führten auch zu Typologien von Mördern, Sexualdeinquenten usw.

Hinzu kommen Rollentypologien, die von Mithäftlingen erstellt werden. In diesem Sinne traut z.B. Clarence Schrag der Insassen-Kategorisierung (von männlichen Gefangenen) ebenso viel Realitätsgehalt zu wie den wissenschaftlichen Typologien. Er berichtete von "square Johns," "right guys," "outlaws," bzw. "politicians" (S. 346–356). Die entscheidende Variable ist die Loyalität zu anderen Gefangenen. Der "right guy" ist seinen Mitgefangenen gegenüber loyal (Kritik: Peter Garabedian, Robert Leger).

Sociologische Tätertypologien sind oft von dem Bemühen getragen, die Eindimensionalität (und Realitätsferne) der juristischen Typologien zu überwinden, die sich an den verletzten Straftatbeständen orientieren und mit der Tatsache kollidieren, dass viele Straftäter mehrere Straftatbestände verletzen und damit in mehrere Kategorien gehören würden. So lassen sich z.B. unterschiedliche Ansammlungen von jeweils "typischen" Straftat-Mustern als "criminal behavior systems" klassifizieren. Typologische Bemühungen gelten auch den sozio-ökonomischen und sozio-kulturellen Hintergründen von Taten. Marshall B. Clinard und Richard Quinney unterschieden z.B. aufgrund von Tat- und Täterkriterien zwischen neun verschiedenen criminal behavior systems (darunter personales Gewaltverhalten, Störverhalten in bezug auf die öffentliche Ordnung, gelegentliche Eigentumsdelinquenz; S. 14–21). Daniel Glaser identifizierte zehn Täter-Muster in bezug auf die Art der begangenen Taten und den Grad der Involviertheit in kriminelle Karrieren. Der "heranwachsende Wiederholungstäter" hat Schwierigkeiten mit der Anpassung an die Erwachsenenrolle, der "berufsmäßige Räuber" hingegen hat sich für eine illegale Laufbahn entschieden (S. 27–66). Allerdings ist Glasers Klassifizierung nicht vollständig. Es fehlen z.B. Zuordnungsmöglichkeiten für strafbaren politischen Protest oder auch für Kleinkriminalität wie Schwarzfahren oder die Verletzung von Jagd- und Fischereigesetzen. Auch gehen die Kriterien durcheinander. Manche Kategorie wird nach kausalen Prozessen etabliert, während sich andere wieder auf die Tatmuster oder kriminelle Karrieren beziehen. Schließlich ist die Präzision der Klassifikation angreifbar: unterschiedliche Personen würden wohl Mühe haben, sich auf die Zuordnung einzelnen Täter zu den jeweiligen Kategorien zu einigen. Detaillierter und umfassender sind die Typologien für jugendliche und erwachsene Täter, die Don Gibbons entwickelte (1965: 75–125; 1979: 85–92). Diese Typologien (neun Typen des jugendlichen Delinquenten; 15 Typen von erwachsenen Tätern) basieren auf der aktuellen Tat, der bisherigen kriminellen Karriere, dem Selbst-Konzpet und rollenbezogenen Einstellungen. Beispielsweise gibt es den "naiven Scheck-Fälscher", der ungedeckte Schecks afu sein eigenes Bankkonto ausstellt, wenig kriminelle Fähigkeiten aufweist und sich selbst als normalen Bürger ansieht und der Ansicht ist, dass er durch bloße Ausfüllen eines Formulars doch niemandem umgebracht habe. James McKenna zufolge ist es allerdings nicht leicht, real existierende Straftäter präzise der einen oder der anderen Kategorie zuzuordnen. Joan Petersilia, Peter Greenwood und Marvin Lavin fanden zudem heraus, dass selbst "Karriere-Kriminelle" meist weniger spezialisiert arbeiteten als angenommen. Wenn aber die weitaus meisten Strafgefangenen eher in "crime-switching" als in "criminal specialization" involviert waren - dann stellte das den Sinn von Tätertypologien, die auf den begangenen Delikten aufbauten, insgesamt in Frage.


Von 1980 bis heute

Kriterien der Typenbildung

Typenbildung ist besonders problematisch und unzuverlässig, wenn sie lediglich der Intuition einer Person oder den vorherrschenden Vorurteilen in einer Gesellschaft folgt. Daher wäre es für eine wissenschaftliche oder wissenschaftlich fundierte Zwecksetzung der Typologie von Nutzen, wenn sie bestimmten Vorgaben entspräche. Erstens sollte eine Typologie klar genug sein. Zweitens sollte sie nach Möglichkeit klare Zuordnungen ermöglichen, d.h. ein Täter sollte nur einer und nicht zwei Kategorien zugeordnet werden. Drittens ist Sparsamkeit wünschenswert, d.h. eine möglichst geringe Anzahl von Typen. Viertens sollten Typologen nach Möglichkeit keine (große) Residualkategorie für die nicht zuordnungsfähigen Fälle vorsehen müssen.


Literatur

Kluge, Susann (1999) Empirisch begründete Typenbildung. Zur Konstruktion von Typen und Typologien in der qualitativen Sozialforschung. Opladen: Leske & Budrich 1999.

Links

http://law.jrank.org/pages/2213/Typologies-Criminal-Behavior-Criteria-criminal-typologies.html