Strafzurückstellung: Unterschied zwischen den Versionen

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Der Begriff der '''Strafzurückstellung''' wurde im Zusammenhang mit der Möglichkeit einer Zurückstellung der Strafvollstreckung bei betäubungsmittelabhängigen Straftätern durch spezielle Regelungen im siebten Abschnitt des Betäubungsmittelgesetztes (BtMG) geprägt. Er beschreibt den an Bedingungen geknüpften, vorläufigen Verzicht auf die Vollstreckung und damit auch auf den Vollzug einer Freiheitsstrafe unter bestimmten, gesetzlich geregelten Voraussetzungen.
==Entstehungsgeschichte und Entwicklung der rechtlichen Grundlagen==
Als das alte Opiumgesetz von 1929 nach über 40 Jahren durch das 1972 eingeführte Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln abgelöst wurde, war eines der erklärten politischen Ziele die Abwehr von Gefahren, die man von einer Zuspitzung einer Rauschgiftwelle in der Bundesrepublik Deutschland für die Allgemeinheit und jeden Einzelnen erwartete. Die Ratifizierung mehrerer internationaler Abkommen über psychotrope Stoffe (Suchtstoffe), der zunehmende Anstieg der Zahl der Drogentoten und die fortdauernde Steigerung der registrierten Rauschgiftkriminalität begleiteten Ende der 70er Jahren eine schwierige parlamentarische Auseinandersetzung zur beabsichtigten Neuregelung des Betäubungsmittelrechtes. Ein erster Gesetzentwurfes der CDU/CSU – Regierung wurde 1979 abgelehnt, da er zwar die Verschärfung der Strafandrohung für Rauschgifthändler vorsah aber keinerlei Regelungen für den Umgang mit betäubungsmittelabhängigen Straftätern enthielt.
In der darauf folgenden Wahlperiode  führte eine zweite Gesetzesinitiative der dann amtierenden SPD/FDP – Regierung im Juli 1981 zu einer grundlegenden Neufassung des Betäubungsmittelgesetztes, die schließlich am 01.01.1982 in Kraft trat. Dabei bestimmten letztlich  unterschiedliche kriminalpolitische Absichten die Ausformulierung des Gesetzes. So wurde einerseits die Formulierung einer Strafverschärfung  für den Handel mit Betäubungsmitteln beschlossen. Etwaige Aufklärungshilfen bzw. Offenbarungen konnten hingegen strafmildernd  berücksichtigt werden oder sogar dazu führen, dass gänzlich von einer Bestrafung abgesehen wird (§ 31 BtMG).
Gänzlich neu wurde der Umgang mit drogenabhängigen Straftätern geregelt, für den eigens  der 7. Abschnitt in das Gesetz eingefügt wurde. Hierbei setzte sich die Grundhaltung durch, die Sucht des Straftäters ganz im Kontext des Resozialisierungsgedankens zu betrachten. Dabei sollte die Betäubungsmittelabhängigkeit fortan als eine behandlungsbedürftige Krankheit gesehen werden und den Straftäter zu einer Therapie, vor allem auch unter Androhung einer Strafe bzw. Strafverfolgung bewegen.
So konnte fortan unter bestimmten Voraussetzungen bei betäubungsmittelabhängigen Straftätern bereits von der Erhebung einer öffentlichen Klage abgesehen werden (§ 37 BtMG), sofern sie zusagten, sich in eine Therapie zu begeben, womit die eigentliche Formel „Therapie statt Strafe“ bzw.
Therapie vor Strafverhängung ihre Rechtfertigung erhielt. 
Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik wurde es nach einer Verurteilung bzw. vor oder während der Vollstreckung einer Strafe oder Maßregel möglich, dass ein Verurteilter eine bestimmte, seiner Rehabilitation dienenden Behandlung wahrnehmen kann. Die praktische Konsequenz des wörtlich genaueren Ansatzes: „Therapie statt Strafvollstreckung“ (Malek, 2008)  war dabei, dass der bereits verurteilte betäubungsmittelabhängige Straftäter unter bestimmten Voraussetzungen auch trotz eines Aufenthaltes im Strafvollzug oder der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt eine Behandlung in einer externen Therapieeinrichtung absolvieren kann. Zu diesem Zweck sollte fortan eine an Bedingungen geknüpfte Zurückstellung der Strafvollstreckung (§ 35 BtMG), d.h. eines vorläufigen Vollstreckungsverzichtes zugunsten einer  suchttherapeutischen Intervention erfolgen.
 
Das Betäubungsmittelrecht wurde in den letzten Jahren mehrfach überarbeitet. 1994 scheiterte das Bemühen die Vorschriften so zu verändern, dass die Anordnung der Zurückstellung einer Strafvollstreckung bereits dem anerkennenden Gericht im Rahmen des Strafurteils überlassen wird, um eine schnellere Überleitung in Therapie zu ermöglichen. Seit 2004 ist zudem die Zuständigkeit für die Entscheidung von Anträgen auf eine Strafzurückstellung den Rechtspflegern der Vollstreckungsbehörden überlassen worden.
==Definition==
Die Strafzurückstellung wird als ein besonderes vollstreckungsrechtliches Mittel bezeichnet und ist konkret in § 35 BtMG festgeschrieben. Sie kann gewährt werden, wenn die urteilsrelevanten Handlungen eines Straftäters auf eine bestehende Betäubungsmittelabhängigkeit zurückzuführen sind (Kausalzusammenhang), die Höhe der Strafe eine bestimmte Grenze nicht übersteigt, der Betreffende zusagt, sich in eine seiner Rehabilitation dienenden Behandlung (Therapie) zu begeben und eine Zustimmung des Gerichtes erfolgte, das ihn verurteilte. 
Die Anzahl der Strafzurückstellungen einer Strafe oder einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist vom Gesetzgeber grundsätzlich nicht beschränkt worden.
==Voraussetzungen und Anwendungsregeln für die Strafzurückstellung==
Für die Anwendung bzw. die Gewährung einer Strafzurückstellung gemäß § 35 BtMG sind folgende Voraussetzungen festgeschrieben worden:
*Es muss ein bereits rechtskräftiges Urteil ergangen sein.
*Die Tat muss auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen worden sein.
*Der noch zu verbüßende Strafrest darf bei jeder einzelnen der zurückzustellenden (Gesamt-) Strafen nicht  mehr als zwei Jahre betragen.
*Die geplante Therapiemaßnahme muss der Rehabilitation dienen.
*Der Beginn der Behandlung muss gewährleistet sein.
*Das Gericht des ersten Rechtszuges muss der Strafzurückstellung zugestimmt haben.
===Die rechtskräftige Verurteilung===
Sofern im Verlauf des Strafverfahrens kein vorläufiger Verzicht auf die Strafverfolgung oder die  Anklageerhebung  gem. §37 BtMG zugunsten einer Therapiemaßnahme erfolgt, muss der drogenabhängige Angeklagte den Ausgang des Strafverfahrens abwarten. Vor einer rechtskräftigen Verurteilung kann keine Zurückstellung einer Strafe erfolgen.
Mögliche strafprozessuale Maßnahmen, so insbesondere die Anordnung und Vollziehung einer Untersuchungshaft, stehen einer schnellen Überleitung des betäubungsmittelabhängigen Täters in eine Drogentherapie entgegen. Der frühestmögliche Zeitpunkt für eine Strafzurückstellung in diesen Fällen ist daher unmittelbar nach dem das Urteil seine Rechtskraft erlangt und eine Entlassung aus der Untersuchungshaft angeordnet wird.
===Betäubungsmittelabhängigkeit und Umstände der Tat===
Das Vorliegen einer Betäubungsmittelabhängigkeit wird , soweit nicht im Einzelfall gutachterlich bestätigt, anhand der diagnostischen Richtlinien der World Health Organization (WHO) zum Begriff der Abhängigkeit (ICD-10) sowie dem abhängigkeitsrelevanten Konsum von Stoffen im Sinne des § 1 Abs. 1 BtMG bzw. den Anlagen I. bis III. hergeleitet. Sie muss zum Zeitpunkt der Tat aber auch zum Zeitpunkt des Zurückstellungsbegehrens vorliegen.
Nicht zuletzt die obergerichtliche Rechtsprechung verpflichtet die einzelnen Vollstreckungsbehörden vor einer Strafzurückstellung zu einer kritischen Würdigung der Umstände, unter denen der betäubungsmittelabhängige Straftäter mit den urteilsrelevanten Taten auffällig wurde. Dabei genügt nicht mehr die bloße Annahme einer Betäubungsmittelabhängigkeit zum jeweiligen Tatzeitpunkt. Es wird in der Praxis gegenwärtig vor allem die Feststellung eines ursächlichen bzw. direkten Zusammenhangs (Kausalzusammenhang) zwischen der bestehenden Betäubungsmittelabhängigkeit des Täters und seiner Tat gefordert. Diese Feststellung ist insbesondere dann erforderlich, wenn das verurteilende Gericht darüber im Rahmen der Urteilsfeststellungen keine abschließende Bewertung vorgenommen hat.
===Zurückstellungsfähigkeit der strafrechtlichen Sanktion und Höhe des Strafrestes===
Grundsätzlich gilt die Regelung, dass neben der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nur eine Freiheits- bzw. Gesamtfreiheitsstrafe zurückstellungsfähig sein kann. Für eine Geldstrafe bzw. bei deren Nichterbringung einer zu vollstreckenden Ersatzfreiheitsstrafe findet die Regelung keine Anwendung. 
Bei einer Strafe bzw. einer Reststrafe von mehr als 2 Jahren kann die Vollstreckung gem. § 35 BtMG nicht zurückgestellt werden. Über die Zurückstellung von Strafen die diesen Rahmen übersteigen kann in der Praxis nur die jeweilige Gnadenbehörde entscheiden.
Die Zurückstellung der Strafvollstreckung mehrerer Strafen ist möglich, sofern jede einzelne Strafe die Höchstgrenze von 2 Jahren nicht übersteigt. Wenn darunter allerdings eine Strafe ist, die wegen Handlungen verhängt wurde, die nicht mit der Betäubungsmittelabhängigkeit des Verurteilten im Zusammenhang standen, kann die Zurückstellung  gem. § 35 BtMG bis zu deren vollständigen Vollstreckung nicht gewährt werden.  Neben der Änderung der Vollstreckungsreihenfolge, die ebenfalls an bestimmte Vorgaben gebunden ist, bleibt auch hier dem Verurteilten nur die Möglichkeit eine Entscheidung der jeweiligen Gnadenbehörde herbeizuführen.
===Art der Rehabilitationsmaßnahme===
Formelle Anforderungen an die Art der Rehabilitationsmaßnahme (Therapie) stellt die gesetzliche Regelung nur insofern, dass diese die Abhängigkeit beheben oder einer erneuten Abhängigkeit entgegenwirken muss. Ob eine stationäre oder ambulante Maßnahme und eine entsprechende Dauer diesem Ziel genügen, ist gesetzlich nicht festgeschrieben worden. Die Arten suchtherapeutischer Interventionen sind in den letzten Jahren, nicht zuletzt mit Anerkennung der Substitutionstherapie in ihrer Anzahl und Vielfältigkeit gewachsen. Die regionalen Drogenhilfeeinrichtungen und nicht zuletzt die Therapieeinrichtungen werden zumeist von den zuständigen lokalen staatlichen Institutionen bezüglich einer Anerkennung der Voraussetzungen gem. § 35 BtMG klassifiziert.
===Sicherstellung des Behandlungsbeginns===
Die Strafzurückstellung erfolgt nur, wenn die Aufnahme der Rehabilitationsmaßnahme auch tatsächlich sichergestellt ist. Hierfür sind in der gesetzlichen Regelung  selbst keine Vorgaben gemacht. In der Praxis ist neben der Zusage des Verurteilten sich in eine Therapie zu begeben (Antrag) die Bestätigung eines Therapieplatzes (Aufnahmetermin) und zudem die Klärung der Frage der Finanzierung der Maßnahme (Kostenübernahme) erforderlich. Letztere kann z.B. durch den Rentenversicherungsträger oder die örtlichen Sozialbehörden erfolgen aber auch eine Überleitung erschweren (ausländische Staatsangehörige ohne Ansprüche in Deutschland).
Darüber hinaus wird vor allem bei wiederholten Zurückstellungsmaßnahmen die Therapiemotivation des Antragstellers hinterfragt und ggf. die Vollzugsbehörde oder das Krankenhaus des Maßregelvollzuges diesbezüglich um eine Einschätzung gebeten.
===Zustimmung des Gerichts===
Sofern die Vollstreckungsbehörde eine oder auch eine wiederholte  Strafzurückstellung gewähren will, ist in jedem Fall zuvor die Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszuges (Gericht das in der I. Instanz für die Verurteilung zuständig war) erforderlich. Hierauf kann auch nicht verzichtet werden, wenn eine Therapiemaßnahme bzw. ein Zurückstellung im Urteil bereits befürwortet oder in Aussicht gestellt wurde. Die Versagung dieser Zustimmung kann nur in Verbindung mit einer ausreichenden und nachvollziehbaren Begründung erfolgen, stellt dann aber ein absolutes Zurückstellungshindernis dar, dass die Ablehnung des Ersuchens durch die Vollstreckungsbehörde zur Folge hat.
==Der Verlauf und Beendigung der Strafzurückstellung==
Die Strafzurückstellung wird nicht von Amtes wegen sondern auf Antrag des Verurteilten geprüft und von der Vollstreckungsbehörde zeitlich befristet (maximal für 2 Jahre) bewilligt. Nach dem erfolgreichen Abschluss einer Behandlung besteht eine besondere Möglichkeit die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung (§ 36 Abs. 2 BtMG) zu prüfen. Die Gewährung der Strafaussetzung beendet dann formal die Zurückstellung der Strafvollstreckung.
Wird die jeweils geplante Therapiemaßnahme nicht angetreten oder nicht erfolgreich beendet und ist nicht gewährleistet, dass der Betroffene eine andere Behandlung antritt, ist ein Widerruf der Strafzurückstellung zu prüfen. Dieser Widerruf erfolgt durch die Strafvollstreckungsbehörde, steht aber einer wiederholten Zurückstellungsentscheidung nicht entgegen.
Die Widerrufsprüfung muss auch erforderlich, wenn zwischenzeitlich eine weitere Verurteilung erfolgt und die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nicht zurückgestellt werden kann.
Die Dauer des Aufenthaltes in der Therapie auf kann auf eine unter Umständen fortzuführende Strafvollstreckung (vgl. § 36 Abs. 1 und Abs. 3 BtMG) angerechnet werden.
==Alternative Regelungen==
Das Strafrecht in Deutschland beschreibt neben der „Zurückstellungslösung“  in § 35 BtMG verschiedene andere Möglichkeiten des Umganges mit drogenabhängigen Straftätern und offeriert dabei mehrere Wege, die eine Überleitung in eine Drogentherapie zulassen.
Soweit nicht bereits vor der Erhebung einer Anklage zugunsten einer Therapiemaßnahme abgesehen wird, kann einem Verurteilten eine ggf. mit einer Therapieweisung verbundene Strafaussetzung zur Bewährung (vgl. §§ 56 ff. StGB) gewährt werden. Der sogenannten „Bewährungslösung“ soll der Strafzurückstellung grundsätzlich vorgezogen werden. Das scheitert jedoch zumeist an der ungünstigen Prognose, die mit der fortbestehenden Betäubungsmittelabhängigkeit begründet wird.
Die Strafprozessordnung (StPO) bietet dem verurteilten Drogenabhängigen vor einer Strafzurückstellung oder dem Antritt einer Strafe zudem die Möglichkeit, einen Strafaufschub (§ 455 StPO) zu erwirken, um eine Therapiemaßnahme außerhalb des Vollzuges zu absolvieren.
Bei einer zunehmende Anzahl von Betäubungsmittelabhängigen wird zudem die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) angeordnet. Diese Form der Maßregel, die auch als „Unterbringungslösung“ bezeichnet wird, kann ebenfalls durch eine Zurückstellungsmaßnahme unterbrochen werden. Nicht nur nach der Beendigung einer Maßregel, sondern auch bei Nichtgewährung einer Strafzurückstellung kann eine Behandlung des Drogenabhängigen im Strafvollzug erforderlich werden. Diese „Strafvollzugslösung“ kann beispielsweise durch das Angebot einer Substitutionstherapie oder in seltenen Fällen auch in einer Einrichtung des offenen Vollzuges (§ 10 StVollzG) realisiert werden.
==Statistik der Strafzurückstellungen in Deutschland==
Eine zentrale, bundesweite Erfassung der Anzahl aller Strafzurückstellungen gem. § 35 BtMG in Deutschland gibt es nicht. Es erfolgt lediglich eine Erfassung der Anzahl der Einzelmaßnahmen im Bundeszentralregister für den jeweiligen Verurteilten.  Einzelne Institutionen bzw. unterschiedliche Strafvollstreckungsbehörden der Länder erheben zudem jeweils eigene Daten. Hervorzuheben sind hier die Hessische Zentralstelle für die Bekämpfung der Betäubungsmittelkriminalität (ZfB) bei der Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt/Main sowie das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) in Köln, dass in der Datenbank BIFOS alle Zurückstellungen während einer Hauptverhandlung erfasst. Nach deren Angaben bzw. einer Erhebung der Generalbundesanwaltschaft beim Bundesgerichtshof  wird von einer stetig steigenden Anzahl von Strafzurückstellungen ausgegangen. Wurden 1993 noch knapp 4.500 Fälle von Strafverfahren mit Zurückstellung der Strafvollstreckung gezählt, waren es 2003 bereits nahezu 11.000 Fälle.
Die Statistiken des Bundes und der Länder zeigt zudem, dass zwischen 70 und 90 % aller Anträge auf eine Strafzurückstellung positiv entschieden werden (Patzak, 2012).
==Kritik und kriminologische Relevanz==
Die kritische Diskussion des Betäubungsmittelgesetzes von 1982 bewegte sich zwischen den gegensätzlichen Polen „Legalisierung des Drogengebrauchs“ auf der einen Seite und „konsequente Sanktionierung jeglichen Drogengebrauchs“ auf der anderen Seite. Der minimale Konsens der Neuregelung schien auf der Erkenntnis zu beruhen, dass es sich bei einer Betäubungsmittel- oder Drogenabhängigkeit um eine behandlungsbedürftige Krankheit handelt. Das jedoch der geplante Ansatz des Konzeptes „Therapie statt Strafe“ aus den Augen verloren ging, zeigt sein Eingang in einer lediglich abgemilderten Form in § 37 BtMG.
Der weit gewichtigere Kern der Neuausrichtung des Umganges mit betäubungsmittelabhängigen Straftätern wurde an die „Vollstreckungslösung“ des § 35 BtMG gebunden und beruht auf zwei ebenfalls der Kritik ausgesetzten Annahmen. Dies ist zum einen das Festhalten am Glauben um die zwingende Notwendigkeit einer Bestrafung und damit auch die fortgesetzte zwangsläufige Kriminalisierung von Betäubungsmittelabhängigen bei der Drogenbeschaffung. Zum anderen die Annahme, dass die verhängte Strafe oder ihre Vollstreckung eine zusätzliche Motivation für den drogenabhängigen Täter sei, sich in eine Therapie zu begeben. Bei letzterem wird auch vom sogenannten „Initialzwang“ gesprochen, der die Strafe und ihre Funktion in einen besonderen Kontext zur Behandlung und dem dafür nötigen Leidensdruck setzt (Baumgart 1994, S. 105).
 
Bereits im Rahmen der ersten Berichte von Richtern, Staatsanwälten aber auch von Drogenberatungsstellen, Therapieeinrichtungen und Drogentherapeuten wurden zahlreiche Punkte der Regelung zur Strafzurückstellung kritisiert. Allen voran wurde die strafrechtliche Bevorzugung von drogenabhängigen gegenüber alkoholkranken oder anderweitig, nicht stoffgebunden - abhängigen (z.B. spielsüchtigen) Straftätern in Frage gestellt. Gleichzeitig wurden die Komplexität der Anwendung der Vorschrift zur Strafzurückstellung und die damit einhergehenden Schwierigkeiten hervorgehoben. Dabei ist insbesondere die erforderliche Einigkeit unter einer Vielzahl von Beteiligten (der Verurteilte, die Therapieeinrichtung, der Kostenträger, die Vollstreckungsbehörde und das zuständige Gericht) und die teils längere Zeitspanne zwischen Antragstellung und Zurückstellungsentscheidung kritisiert worden (Becker/Lück, 1990, S. 76 ff.). So wie die Vollzugsanstalten vom „Behandlungsauftrag“ durch die Vorschrift scheinbar entlastet wurden bot sich in den Therapieeinrichtungen ein verändertes Bild und das Erleben sekundärer Motive bei den aus der Haftanstalt aufzunehmenden Klienten (a.a.O., S. 82 ff.).
Die in der Vergangenheit immer wieder diskutierte Ausrichtung auf den gänzlichen Strafverzicht zugunsten der Therapie hat sich trotz der Zurückstellungsmöglichkeit ebenso wenig durchgesetzt, wie die Entkriminalisierung von Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz an sich. Tatsächlich hatte die Legislative den strittig diskutierten Einschnitt in das Legalitätsprinzip nicht vorgenommen, sondern den Behandlungsaspekt lediglich der Strafverhängung nachgestellt und zeitlich auf den Beginn der Strafvollstreckung verschoben (Baumgardt 1994, S. 113).
So bleibt die mit dem Gedanken der Strafzurückstellung verbundene Grundaussage bestehen, dass Strafe grundsätzlich sein muss, aber tatsächlich einer Therapie der betäubungsmittelabhängigen Straftäter nicht entgegenstehen darf.
==Literatur/Quellen:==
*Baumgart, Marc Christoph (1994):"Illegale Drogen – Strafjustiz – Therapie", Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und Internationales Strafrecht (Band 67), Freiburg i. Br. (1994) ISBN 3-86113-014-9
*Becker, Martin u. Lück van, Wilhelm G. (1990):"Die Therapievorschriften des Betäubungsmittelgesetzes" Lambertus Verlag Freiburg i.Br. (1990)  ISBN 3-7841-0447-9
*Egg, Rudolf (Hrsg.) (1988):"Drogentherapie und Strafe" Schriftenreihe Kriminologie und Praxis (KUP) Bd. 3, Eigenverlag Kriminologische Zentralstelle Wiesbaden (1988) ISBN 978-3-926371-03-4
*Körner , Patzak , Volkmer (2012):"Betäubungsmittelgesetz" 7. Auflage, C.H.Beck München (2012) ISBN 978-3-406-62465-0
*Klein, Lutz (1997): „Heroinsucht: Ursachenforschung und Therapie“, Campus Verlag New-York, Frankfurt am Main (1997), ISBN 3-593-35827-X
*Kröber, Dölling, Leihgraf, Sass (2009):"Handbuch der Forensischen Psychiatrie" Band 4: Kriminologie und Forensische Psychiatrie, Springer Verlag Heidelberg- Berlin (2009), ISBN 978-3-7985-1448-5,
*Kurze, Martin (1994):"Strafrechtspraxis und Drogentherapie" Schriftenreihe Kriminologie und Praxis (KUP) Bd. 12, Eigenverlag Kriminologische Zentralstelle e.V. (1994) ISBN 3-926371-23-4
*Malek, Klaus (2008):"Betäubungsmittelstrafrecht", C.H. Beck München (2008), ISBN  978-3-54605-1
*Wilms, Yvonne (2005):"Drogenabhängigkeit und Kriminalität", LIT Verlag Müster (2005),ISBN  3-8258-8864-9
==Weblinks==
*Gesetzestext "Betäubungsmittelgesetz" [http://www.gesetze-im-internet.de/btmg_1981/BJNR106810981.html]
*Gesetzentwurf zur Neuregelung des BtMG (BT – Drucksache 7/27)[http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/09/000/0900027.pdf]
*Beschlussempfehlung des Ausschuß für Jugend Familie und Gesundheit (BT - Drs. 9/443 und 9/500)[http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/09/004/0900443.pdf]
[http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/09/005/0900500.pdf]
*Bundestagsprotokoll der 38. Sitzung in der 9. Wahlperiode (S. 2010-2024)[http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/09/09038.pdf]
*Protokoll der 501. Sitzung des Bundesrates vom 26.06.1981 (S.203-208)[http://www.bundesrat.de/cln_152/nn_1959764/SharedDocs/Downloads/DE/Plenarprotokolle/1981/Plenarprotokoll-501,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/Plenarprotokoll-501.pdf]
*Gerichtsentscheidung Datenbank Berlin Brandenburg:
#zur Kausalität zwischen Abhängigkeit und Straftat[http://www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de/jportal/portal/t/20q5/bs/10/page/sammlung.psml?doc.hl=1&doc.id=KORE211572008%3Ajuris-r02&documentnumber=7&numberofresults=10&showdoccase=1&doc.part=K&paramfromHL=true#focuspoint]
#zur Umstellung der Vollstreckungsreihenfolge[http://www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de/jportal/portal/t/20ro/bs/10/page/sammlung.psml?doc.hl=1&doc.id=KORE203182011%3Ajuris-r02&documentnumber=1&numberofresults=10&showdoccase=1&doc.part=K&paramfromHL=true#focuspoint]
*Deutsche Suchthilfestatistik[http://www.suchthilfestatistik.de/cms/images/publikationen/jahresbericht%202010%20dshs.pdf]

Version vom 26. Februar 2012, 22:29 Uhr

wird als Prüfungsleistung bearbeitet von Michael N.


Der Begriff der Strafzurückstellung wurde im Zusammenhang mit der Möglichkeit einer Zurückstellung der Strafvollstreckung bei betäubungsmittelabhängigen Straftätern durch spezielle Regelungen im siebten Abschnitt des Betäubungsmittelgesetztes (BtMG) geprägt. Er beschreibt den an Bedingungen geknüpften, vorläufigen Verzicht auf die Vollstreckung und damit auch auf den Vollzug einer Freiheitsstrafe unter bestimmten, gesetzlich geregelten Voraussetzungen.


Entstehungsgeschichte und Entwicklung der rechtlichen Grundlagen

Als das alte Opiumgesetz von 1929 nach über 40 Jahren durch das 1972 eingeführte Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln abgelöst wurde, war eines der erklärten politischen Ziele die Abwehr von Gefahren, die man von einer Zuspitzung einer Rauschgiftwelle in der Bundesrepublik Deutschland für die Allgemeinheit und jeden Einzelnen erwartete. Die Ratifizierung mehrerer internationaler Abkommen über psychotrope Stoffe (Suchtstoffe), der zunehmende Anstieg der Zahl der Drogentoten und die fortdauernde Steigerung der registrierten Rauschgiftkriminalität begleiteten Ende der 70er Jahren eine schwierige parlamentarische Auseinandersetzung zur beabsichtigten Neuregelung des Betäubungsmittelrechtes. Ein erster Gesetzentwurfes der CDU/CSU – Regierung wurde 1979 abgelehnt, da er zwar die Verschärfung der Strafandrohung für Rauschgifthändler vorsah aber keinerlei Regelungen für den Umgang mit betäubungsmittelabhängigen Straftätern enthielt.

In der darauf folgenden Wahlperiode führte eine zweite Gesetzesinitiative der dann amtierenden SPD/FDP – Regierung im Juli 1981 zu einer grundlegenden Neufassung des Betäubungsmittelgesetztes, die schließlich am 01.01.1982 in Kraft trat. Dabei bestimmten letztlich unterschiedliche kriminalpolitische Absichten die Ausformulierung des Gesetzes. So wurde einerseits die Formulierung einer Strafverschärfung für den Handel mit Betäubungsmitteln beschlossen. Etwaige Aufklärungshilfen bzw. Offenbarungen konnten hingegen strafmildernd berücksichtigt werden oder sogar dazu führen, dass gänzlich von einer Bestrafung abgesehen wird (§ 31 BtMG).

Gänzlich neu wurde der Umgang mit drogenabhängigen Straftätern geregelt, für den eigens der 7. Abschnitt in das Gesetz eingefügt wurde. Hierbei setzte sich die Grundhaltung durch, die Sucht des Straftäters ganz im Kontext des Resozialisierungsgedankens zu betrachten. Dabei sollte die Betäubungsmittelabhängigkeit fortan als eine behandlungsbedürftige Krankheit gesehen werden und den Straftäter zu einer Therapie, vor allem auch unter Androhung einer Strafe bzw. Strafverfolgung bewegen. So konnte fortan unter bestimmten Voraussetzungen bei betäubungsmittelabhängigen Straftätern bereits von der Erhebung einer öffentlichen Klage abgesehen werden (§ 37 BtMG), sofern sie zusagten, sich in eine Therapie zu begeben, womit die eigentliche Formel „Therapie statt Strafe“ bzw. Therapie vor Strafverhängung ihre Rechtfertigung erhielt. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik wurde es nach einer Verurteilung bzw. vor oder während der Vollstreckung einer Strafe oder Maßregel möglich, dass ein Verurteilter eine bestimmte, seiner Rehabilitation dienenden Behandlung wahrnehmen kann. Die praktische Konsequenz des wörtlich genaueren Ansatzes: „Therapie statt Strafvollstreckung“ (Malek, 2008) war dabei, dass der bereits verurteilte betäubungsmittelabhängige Straftäter unter bestimmten Voraussetzungen auch trotz eines Aufenthaltes im Strafvollzug oder der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt eine Behandlung in einer externen Therapieeinrichtung absolvieren kann. Zu diesem Zweck sollte fortan eine an Bedingungen geknüpfte Zurückstellung der Strafvollstreckung (§ 35 BtMG), d.h. eines vorläufigen Vollstreckungsverzichtes zugunsten einer suchttherapeutischen Intervention erfolgen.

Das Betäubungsmittelrecht wurde in den letzten Jahren mehrfach überarbeitet. 1994 scheiterte das Bemühen die Vorschriften so zu verändern, dass die Anordnung der Zurückstellung einer Strafvollstreckung bereits dem anerkennenden Gericht im Rahmen des Strafurteils überlassen wird, um eine schnellere Überleitung in Therapie zu ermöglichen. Seit 2004 ist zudem die Zuständigkeit für die Entscheidung von Anträgen auf eine Strafzurückstellung den Rechtspflegern der Vollstreckungsbehörden überlassen worden.


Definition

Die Strafzurückstellung wird als ein besonderes vollstreckungsrechtliches Mittel bezeichnet und ist konkret in § 35 BtMG festgeschrieben. Sie kann gewährt werden, wenn die urteilsrelevanten Handlungen eines Straftäters auf eine bestehende Betäubungsmittelabhängigkeit zurückzuführen sind (Kausalzusammenhang), die Höhe der Strafe eine bestimmte Grenze nicht übersteigt, der Betreffende zusagt, sich in eine seiner Rehabilitation dienenden Behandlung (Therapie) zu begeben und eine Zustimmung des Gerichtes erfolgte, das ihn verurteilte.

Die Anzahl der Strafzurückstellungen einer Strafe oder einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist vom Gesetzgeber grundsätzlich nicht beschränkt worden.


Voraussetzungen und Anwendungsregeln für die Strafzurückstellung

Für die Anwendung bzw. die Gewährung einer Strafzurückstellung gemäß § 35 BtMG sind folgende Voraussetzungen festgeschrieben worden:

  • Es muss ein bereits rechtskräftiges Urteil ergangen sein.
  • Die Tat muss auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen worden sein.
  • Der noch zu verbüßende Strafrest darf bei jeder einzelnen der zurückzustellenden (Gesamt-) Strafen nicht mehr als zwei Jahre betragen.
  • Die geplante Therapiemaßnahme muss der Rehabilitation dienen.
  • Der Beginn der Behandlung muss gewährleistet sein.
  • Das Gericht des ersten Rechtszuges muss der Strafzurückstellung zugestimmt haben.


Die rechtskräftige Verurteilung

Sofern im Verlauf des Strafverfahrens kein vorläufiger Verzicht auf die Strafverfolgung oder die Anklageerhebung gem. §37 BtMG zugunsten einer Therapiemaßnahme erfolgt, muss der drogenabhängige Angeklagte den Ausgang des Strafverfahrens abwarten. Vor einer rechtskräftigen Verurteilung kann keine Zurückstellung einer Strafe erfolgen. Mögliche strafprozessuale Maßnahmen, so insbesondere die Anordnung und Vollziehung einer Untersuchungshaft, stehen einer schnellen Überleitung des betäubungsmittelabhängigen Täters in eine Drogentherapie entgegen. Der frühestmögliche Zeitpunkt für eine Strafzurückstellung in diesen Fällen ist daher unmittelbar nach dem das Urteil seine Rechtskraft erlangt und eine Entlassung aus der Untersuchungshaft angeordnet wird.


Betäubungsmittelabhängigkeit und Umstände der Tat

Das Vorliegen einer Betäubungsmittelabhängigkeit wird , soweit nicht im Einzelfall gutachterlich bestätigt, anhand der diagnostischen Richtlinien der World Health Organization (WHO) zum Begriff der Abhängigkeit (ICD-10) sowie dem abhängigkeitsrelevanten Konsum von Stoffen im Sinne des § 1 Abs. 1 BtMG bzw. den Anlagen I. bis III. hergeleitet. Sie muss zum Zeitpunkt der Tat aber auch zum Zeitpunkt des Zurückstellungsbegehrens vorliegen. Nicht zuletzt die obergerichtliche Rechtsprechung verpflichtet die einzelnen Vollstreckungsbehörden vor einer Strafzurückstellung zu einer kritischen Würdigung der Umstände, unter denen der betäubungsmittelabhängige Straftäter mit den urteilsrelevanten Taten auffällig wurde. Dabei genügt nicht mehr die bloße Annahme einer Betäubungsmittelabhängigkeit zum jeweiligen Tatzeitpunkt. Es wird in der Praxis gegenwärtig vor allem die Feststellung eines ursächlichen bzw. direkten Zusammenhangs (Kausalzusammenhang) zwischen der bestehenden Betäubungsmittelabhängigkeit des Täters und seiner Tat gefordert. Diese Feststellung ist insbesondere dann erforderlich, wenn das verurteilende Gericht darüber im Rahmen der Urteilsfeststellungen keine abschließende Bewertung vorgenommen hat.


Zurückstellungsfähigkeit der strafrechtlichen Sanktion und Höhe des Strafrestes

Grundsätzlich gilt die Regelung, dass neben der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nur eine Freiheits- bzw. Gesamtfreiheitsstrafe zurückstellungsfähig sein kann. Für eine Geldstrafe bzw. bei deren Nichterbringung einer zu vollstreckenden Ersatzfreiheitsstrafe findet die Regelung keine Anwendung.

Bei einer Strafe bzw. einer Reststrafe von mehr als 2 Jahren kann die Vollstreckung gem. § 35 BtMG nicht zurückgestellt werden. Über die Zurückstellung von Strafen die diesen Rahmen übersteigen kann in der Praxis nur die jeweilige Gnadenbehörde entscheiden. Die Zurückstellung der Strafvollstreckung mehrerer Strafen ist möglich, sofern jede einzelne Strafe die Höchstgrenze von 2 Jahren nicht übersteigt. Wenn darunter allerdings eine Strafe ist, die wegen Handlungen verhängt wurde, die nicht mit der Betäubungsmittelabhängigkeit des Verurteilten im Zusammenhang standen, kann die Zurückstellung gem. § 35 BtMG bis zu deren vollständigen Vollstreckung nicht gewährt werden. Neben der Änderung der Vollstreckungsreihenfolge, die ebenfalls an bestimmte Vorgaben gebunden ist, bleibt auch hier dem Verurteilten nur die Möglichkeit eine Entscheidung der jeweiligen Gnadenbehörde herbeizuführen.


Art der Rehabilitationsmaßnahme

Formelle Anforderungen an die Art der Rehabilitationsmaßnahme (Therapie) stellt die gesetzliche Regelung nur insofern, dass diese die Abhängigkeit beheben oder einer erneuten Abhängigkeit entgegenwirken muss. Ob eine stationäre oder ambulante Maßnahme und eine entsprechende Dauer diesem Ziel genügen, ist gesetzlich nicht festgeschrieben worden. Die Arten suchtherapeutischer Interventionen sind in den letzten Jahren, nicht zuletzt mit Anerkennung der Substitutionstherapie in ihrer Anzahl und Vielfältigkeit gewachsen. Die regionalen Drogenhilfeeinrichtungen und nicht zuletzt die Therapieeinrichtungen werden zumeist von den zuständigen lokalen staatlichen Institutionen bezüglich einer Anerkennung der Voraussetzungen gem. § 35 BtMG klassifiziert.


Sicherstellung des Behandlungsbeginns

Die Strafzurückstellung erfolgt nur, wenn die Aufnahme der Rehabilitationsmaßnahme auch tatsächlich sichergestellt ist. Hierfür sind in der gesetzlichen Regelung selbst keine Vorgaben gemacht. In der Praxis ist neben der Zusage des Verurteilten sich in eine Therapie zu begeben (Antrag) die Bestätigung eines Therapieplatzes (Aufnahmetermin) und zudem die Klärung der Frage der Finanzierung der Maßnahme (Kostenübernahme) erforderlich. Letztere kann z.B. durch den Rentenversicherungsträger oder die örtlichen Sozialbehörden erfolgen aber auch eine Überleitung erschweren (ausländische Staatsangehörige ohne Ansprüche in Deutschland). Darüber hinaus wird vor allem bei wiederholten Zurückstellungsmaßnahmen die Therapiemotivation des Antragstellers hinterfragt und ggf. die Vollzugsbehörde oder das Krankenhaus des Maßregelvollzuges diesbezüglich um eine Einschätzung gebeten.


Zustimmung des Gerichts

Sofern die Vollstreckungsbehörde eine oder auch eine wiederholte Strafzurückstellung gewähren will, ist in jedem Fall zuvor die Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszuges (Gericht das in der I. Instanz für die Verurteilung zuständig war) erforderlich. Hierauf kann auch nicht verzichtet werden, wenn eine Therapiemaßnahme bzw. ein Zurückstellung im Urteil bereits befürwortet oder in Aussicht gestellt wurde. Die Versagung dieser Zustimmung kann nur in Verbindung mit einer ausreichenden und nachvollziehbaren Begründung erfolgen, stellt dann aber ein absolutes Zurückstellungshindernis dar, dass die Ablehnung des Ersuchens durch die Vollstreckungsbehörde zur Folge hat.


Der Verlauf und Beendigung der Strafzurückstellung

Die Strafzurückstellung wird nicht von Amtes wegen sondern auf Antrag des Verurteilten geprüft und von der Vollstreckungsbehörde zeitlich befristet (maximal für 2 Jahre) bewilligt. Nach dem erfolgreichen Abschluss einer Behandlung besteht eine besondere Möglichkeit die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung (§ 36 Abs. 2 BtMG) zu prüfen. Die Gewährung der Strafaussetzung beendet dann formal die Zurückstellung der Strafvollstreckung.

Wird die jeweils geplante Therapiemaßnahme nicht angetreten oder nicht erfolgreich beendet und ist nicht gewährleistet, dass der Betroffene eine andere Behandlung antritt, ist ein Widerruf der Strafzurückstellung zu prüfen. Dieser Widerruf erfolgt durch die Strafvollstreckungsbehörde, steht aber einer wiederholten Zurückstellungsentscheidung nicht entgegen. Die Widerrufsprüfung muss auch erforderlich, wenn zwischenzeitlich eine weitere Verurteilung erfolgt und die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nicht zurückgestellt werden kann.

Die Dauer des Aufenthaltes in der Therapie auf kann auf eine unter Umständen fortzuführende Strafvollstreckung (vgl. § 36 Abs. 1 und Abs. 3 BtMG) angerechnet werden.


Alternative Regelungen

Das Strafrecht in Deutschland beschreibt neben der „Zurückstellungslösung“ in § 35 BtMG verschiedene andere Möglichkeiten des Umganges mit drogenabhängigen Straftätern und offeriert dabei mehrere Wege, die eine Überleitung in eine Drogentherapie zulassen. Soweit nicht bereits vor der Erhebung einer Anklage zugunsten einer Therapiemaßnahme abgesehen wird, kann einem Verurteilten eine ggf. mit einer Therapieweisung verbundene Strafaussetzung zur Bewährung (vgl. §§ 56 ff. StGB) gewährt werden. Der sogenannten „Bewährungslösung“ soll der Strafzurückstellung grundsätzlich vorgezogen werden. Das scheitert jedoch zumeist an der ungünstigen Prognose, die mit der fortbestehenden Betäubungsmittelabhängigkeit begründet wird. Die Strafprozessordnung (StPO) bietet dem verurteilten Drogenabhängigen vor einer Strafzurückstellung oder dem Antritt einer Strafe zudem die Möglichkeit, einen Strafaufschub (§ 455 StPO) zu erwirken, um eine Therapiemaßnahme außerhalb des Vollzuges zu absolvieren. Bei einer zunehmende Anzahl von Betäubungsmittelabhängigen wird zudem die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) angeordnet. Diese Form der Maßregel, die auch als „Unterbringungslösung“ bezeichnet wird, kann ebenfalls durch eine Zurückstellungsmaßnahme unterbrochen werden. Nicht nur nach der Beendigung einer Maßregel, sondern auch bei Nichtgewährung einer Strafzurückstellung kann eine Behandlung des Drogenabhängigen im Strafvollzug erforderlich werden. Diese „Strafvollzugslösung“ kann beispielsweise durch das Angebot einer Substitutionstherapie oder in seltenen Fällen auch in einer Einrichtung des offenen Vollzuges (§ 10 StVollzG) realisiert werden.


Statistik der Strafzurückstellungen in Deutschland

Eine zentrale, bundesweite Erfassung der Anzahl aller Strafzurückstellungen gem. § 35 BtMG in Deutschland gibt es nicht. Es erfolgt lediglich eine Erfassung der Anzahl der Einzelmaßnahmen im Bundeszentralregister für den jeweiligen Verurteilten. Einzelne Institutionen bzw. unterschiedliche Strafvollstreckungsbehörden der Länder erheben zudem jeweils eigene Daten. Hervorzuheben sind hier die Hessische Zentralstelle für die Bekämpfung der Betäubungsmittelkriminalität (ZfB) bei der Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt/Main sowie das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) in Köln, dass in der Datenbank BIFOS alle Zurückstellungen während einer Hauptverhandlung erfasst. Nach deren Angaben bzw. einer Erhebung der Generalbundesanwaltschaft beim Bundesgerichtshof wird von einer stetig steigenden Anzahl von Strafzurückstellungen ausgegangen. Wurden 1993 noch knapp 4.500 Fälle von Strafverfahren mit Zurückstellung der Strafvollstreckung gezählt, waren es 2003 bereits nahezu 11.000 Fälle. Die Statistiken des Bundes und der Länder zeigt zudem, dass zwischen 70 und 90 % aller Anträge auf eine Strafzurückstellung positiv entschieden werden (Patzak, 2012).


Kritik und kriminologische Relevanz

Die kritische Diskussion des Betäubungsmittelgesetzes von 1982 bewegte sich zwischen den gegensätzlichen Polen „Legalisierung des Drogengebrauchs“ auf der einen Seite und „konsequente Sanktionierung jeglichen Drogengebrauchs“ auf der anderen Seite. Der minimale Konsens der Neuregelung schien auf der Erkenntnis zu beruhen, dass es sich bei einer Betäubungsmittel- oder Drogenabhängigkeit um eine behandlungsbedürftige Krankheit handelt. Das jedoch der geplante Ansatz des Konzeptes „Therapie statt Strafe“ aus den Augen verloren ging, zeigt sein Eingang in einer lediglich abgemilderten Form in § 37 BtMG. Der weit gewichtigere Kern der Neuausrichtung des Umganges mit betäubungsmittelabhängigen Straftätern wurde an die „Vollstreckungslösung“ des § 35 BtMG gebunden und beruht auf zwei ebenfalls der Kritik ausgesetzten Annahmen. Dies ist zum einen das Festhalten am Glauben um die zwingende Notwendigkeit einer Bestrafung und damit auch die fortgesetzte zwangsläufige Kriminalisierung von Betäubungsmittelabhängigen bei der Drogenbeschaffung. Zum anderen die Annahme, dass die verhängte Strafe oder ihre Vollstreckung eine zusätzliche Motivation für den drogenabhängigen Täter sei, sich in eine Therapie zu begeben. Bei letzterem wird auch vom sogenannten „Initialzwang“ gesprochen, der die Strafe und ihre Funktion in einen besonderen Kontext zur Behandlung und dem dafür nötigen Leidensdruck setzt (Baumgart 1994, S. 105).

Bereits im Rahmen der ersten Berichte von Richtern, Staatsanwälten aber auch von Drogenberatungsstellen, Therapieeinrichtungen und Drogentherapeuten wurden zahlreiche Punkte der Regelung zur Strafzurückstellung kritisiert. Allen voran wurde die strafrechtliche Bevorzugung von drogenabhängigen gegenüber alkoholkranken oder anderweitig, nicht stoffgebunden - abhängigen (z.B. spielsüchtigen) Straftätern in Frage gestellt. Gleichzeitig wurden die Komplexität der Anwendung der Vorschrift zur Strafzurückstellung und die damit einhergehenden Schwierigkeiten hervorgehoben. Dabei ist insbesondere die erforderliche Einigkeit unter einer Vielzahl von Beteiligten (der Verurteilte, die Therapieeinrichtung, der Kostenträger, die Vollstreckungsbehörde und das zuständige Gericht) und die teils längere Zeitspanne zwischen Antragstellung und Zurückstellungsentscheidung kritisiert worden (Becker/Lück, 1990, S. 76 ff.). So wie die Vollzugsanstalten vom „Behandlungsauftrag“ durch die Vorschrift scheinbar entlastet wurden bot sich in den Therapieeinrichtungen ein verändertes Bild und das Erleben sekundärer Motive bei den aus der Haftanstalt aufzunehmenden Klienten (a.a.O., S. 82 ff.).

Die in der Vergangenheit immer wieder diskutierte Ausrichtung auf den gänzlichen Strafverzicht zugunsten der Therapie hat sich trotz der Zurückstellungsmöglichkeit ebenso wenig durchgesetzt, wie die Entkriminalisierung von Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz an sich. Tatsächlich hatte die Legislative den strittig diskutierten Einschnitt in das Legalitätsprinzip nicht vorgenommen, sondern den Behandlungsaspekt lediglich der Strafverhängung nachgestellt und zeitlich auf den Beginn der Strafvollstreckung verschoben (Baumgardt 1994, S. 113). So bleibt die mit dem Gedanken der Strafzurückstellung verbundene Grundaussage bestehen, dass Strafe grundsätzlich sein muss, aber tatsächlich einer Therapie der betäubungsmittelabhängigen Straftäter nicht entgegenstehen darf.




Literatur/Quellen:

  • Baumgart, Marc Christoph (1994):"Illegale Drogen – Strafjustiz – Therapie", Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und Internationales Strafrecht (Band 67), Freiburg i. Br. (1994) ISBN 3-86113-014-9
  • Becker, Martin u. Lück van, Wilhelm G. (1990):"Die Therapievorschriften des Betäubungsmittelgesetzes" Lambertus Verlag Freiburg i.Br. (1990) ISBN 3-7841-0447-9
  • Egg, Rudolf (Hrsg.) (1988):"Drogentherapie und Strafe" Schriftenreihe Kriminologie und Praxis (KUP) Bd. 3, Eigenverlag Kriminologische Zentralstelle Wiesbaden (1988) ISBN 978-3-926371-03-4
  • Körner , Patzak , Volkmer (2012):"Betäubungsmittelgesetz" 7. Auflage, C.H.Beck München (2012) ISBN 978-3-406-62465-0
  • Klein, Lutz (1997): „Heroinsucht: Ursachenforschung und Therapie“, Campus Verlag New-York, Frankfurt am Main (1997), ISBN 3-593-35827-X
  • Kröber, Dölling, Leihgraf, Sass (2009):"Handbuch der Forensischen Psychiatrie" Band 4: Kriminologie und Forensische Psychiatrie, Springer Verlag Heidelberg- Berlin (2009), ISBN 978-3-7985-1448-5,
  • Kurze, Martin (1994):"Strafrechtspraxis und Drogentherapie" Schriftenreihe Kriminologie und Praxis (KUP) Bd. 12, Eigenverlag Kriminologische Zentralstelle e.V. (1994) ISBN 3-926371-23-4
  • Malek, Klaus (2008):"Betäubungsmittelstrafrecht", C.H. Beck München (2008), ISBN 978-3-54605-1
  • Wilms, Yvonne (2005):"Drogenabhängigkeit und Kriminalität", LIT Verlag Müster (2005),ISBN 3-8258-8864-9


Weblinks

  • Gesetzestext "Betäubungsmittelgesetz" [1]
  • Gesetzentwurf zur Neuregelung des BtMG (BT – Drucksache 7/27)[2]
  • Beschlussempfehlung des Ausschuß für Jugend Familie und Gesundheit (BT - Drs. 9/443 und 9/500)[3]

[4]

  • Bundestagsprotokoll der 38. Sitzung in der 9. Wahlperiode (S. 2010-2024)[5]
  • Protokoll der 501. Sitzung des Bundesrates vom 26.06.1981 (S.203-208)[6]


  • Gerichtsentscheidung Datenbank Berlin Brandenburg:
  1. zur Kausalität zwischen Abhängigkeit und Straftat[7]
  2. zur Umstellung der Vollstreckungsreihenfolge[8]
  • Deutsche Suchthilfestatistik[9]