Spezialprävention

Theorie der Spezialprävention

Die Theorie der Spezialprävention ist eine Straftheorie bzw. eine Zwecktheorie, d.h. sie versucht die Verhängung einer Freiheitsstrafe durch den Staat anhand verschiedener Vollzugsziele zu rechtfertigen. Bei den Straftheorien ist zwischen den absoluten und den relativen Theorien zu unterscheiden. Während die ersten die Verhängung einer Strafe durch den in Straftat enthaltenen Unrechtsgehalt rechtfertigen und sich deswegen eher auf einen retributiven Gedanken stützen, spielt bei den zweiten (auch Zwecktheorien genannt) der Zweck der Strafe eine Zentrale Rolle, wobei der Eingriff des Strafrechts nur dann gerechtfertigt ist, wenn durch das Übel - seine Ankündigung, Verhängung oder reale Zufügung - bestimmte, der Verbrechensvorbeugung dienende Zwecke erstrebt werden (weil eine zweckgelöste Übelzufügung sinnwidrig ist).(Maurach/Zipf, Strafrecht AT, §6I Rn.5)

Laut Theorie der Spezialprävention ist es die Funktion der Strafe den Täter von weiteren Straftaten abzuhalten, dabei ist die Strafe nicht an einen potentiellen Täter, sondern an den konkreten individualisierten schon bestraften Täter gerichtet - die Theorie der Spezialprävention hat ihr "Wirkungsmomentum" a posteriori, d.h. nachdem der Täter die Rechtsordnung schon gebrochen hat.

Die Verfechter der Spezialprävention bestimmen sich nach weitläufigen empirischen Bedingungen (der Gefährlichkeit) des Täters. Die Tat wird nur als eine Bedingung unter anderen für eine weiterreichende Gefahrenpotentialbeurteilung und darauf reagierenden Präventionszwang genommen. (August Köhler, Der Vergeltungsgedanke und seine Politische Bedeutung, 1978)

Positive/Negative Spezialprävention

Der spezialpräventive Zweck der Strafe kann auf zwei verschiedene Weisen erreicht werden, entweder durch negative (repressive) oder positive (Integrations- und sozialisierungsfördernde) Methoden:

Negative Spezialprävention (Individuelle Abschreckung):

Dadurch dass dem Täter ein Leid angetan wird (Freiheitsentzug), verhindert man dass er in Zukunft rückfällig wird weil er die Wiederholung dieses Leids verhindern will. Dadurch dass der Täter die Strafe "absitzt", hat er die Möglichkeit sich des Unrechtsgehalts der Tat bewusst zu werden und auf diese Weise zurück in die Legalität finden.

Positive Spezialprävention (Die Resozialisierung des Täters):

Mit dem Vollzug der Strafe und der Anwendung sog. Maßnahmen der Besserung wird angestrebt, den Täter im Wege der Sozialisierung (wieder) in die Gesellschaft zu integrieren. (Otto, Grundkurs Strafrecht, Allgemeine Strafrechtslehre, S.14) Deswegen forderte Liszt den Wegfall des Schuldprinzips (wonach die Schuld die Voraussetzung und Maß der Strafe ist), so dass das Maß der Strafe allein durch präventive Gesichtspunkte bestimmt wird und nicht durch eine Schulderwägung nach oben oder unten begrenzt werden kann. (Roxin, Strafrechtliche Grundlagenprobleme, 1973, s.53)

Rechtsprechung:

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Liepmann -Urteil die lebenslängliche Freiheitsstrafe ausgesetzt und ein Anspruch auf Resozialisierung fuer den Taeter bejaht:

Zu den Voraussetzungen eines menschenwürdigen Strafvollzugs gehört, daß dem zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten grundsätzlich eine Chance verbleibt, je wieder der Freiheit teilhaftig zu werden. Die Möglichkeit der Begnadigung allein ist nicht ausreichend; vielmehr gebietet das Rechtsstaatsprinzip, die Voraussetzungen, unter denen die Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe ausgesetzt werden kann, und das dabei anzuwendende Verfahren gesetzlich zu regeln.

Kritik:

Man müsste einen Täter so lang gefangen halten bis er wieder sozialisierungsfähig wäre.(Roxin, Seite 77f.) Diese Lösung würde gegen das Prinzip der Bestimmtheit der Strafe gehen – „nullum crimen nulla poena sine lege certa“ da im Straftatbestand die Schwere der ausgelösten Reaktion des Strafrechtsapparats gegenüber dem Täter absehbar ist. Dieses Prinzip ist eine Grundlage jedes westlichen demokratischen Strafrechtssystems und kann nicht beiseite geschoben werden. Man kann nicht nur einfach auf die Gefährlichkeit des Täters als Faktor für die Strafzumessung abstellen.

Die Strafe tendiert zur Unbestimmtheit: Die vielfältig empirisch bedingte Gefährlichkeits – und Einwirkungsprognose nach Tätertypologien, Prognoseverfahren etc. muss sich, je nach Beurteilungsgrundlage und Erfahrungswissen, mit einer mehr oder weniger grossen bzw. geringen Wahrscheinlichkeit begnügen.

Dies hat zur folge, dass eine Tat geringeren Gewichts schwerwiegende und langfristige Sanktionen zur Folge haben kann wenn sich aus den Umständen ein entsprechendes Gefährlichkeitsurteil ergibt ((der Täter etwa ein beharrlicher Rückfalltäter ist). Zum anderen kann es passieren dass, eine Tat schwersten Gewichts, wenn sie unter bestimmten (politischen) Ausnahmebedingungen begangen wurde und zum Urteilspunkt keine Wiederholungsgefahr besteht (weil sich die Umstände geändert haben – z.B. Ende einer Diktatur), unter spezialpräventivem Gesichtspunkt keine Strafbedürfnis besteht. (August Köhler, Op. Cit) Auch in einer solchen Situation würde eine reine Anwendung der Theorie Spezialprävention im krassen Gegensatz zum Schuldausgleich und Sühnetheorie stehen.


Entstehungsgeschichte

Einer der bedeutesten Verfechter (wenn nicht Erfinder) der Theorie der Spezialprävention war Franz von Liszt. Er setze sich mit seiner 1882 erschienen Marburger Programmschrift „Der Zweckgedanke im Strafrecht“ von der bis dahin dominierenden Positiven Schule Bindings ab, indem er ein retributives, vom Schuldbegriff geprägtes Strafrecht ablehnte und an dessen Stelle ein Zweckgerichtetes Sanktionensystem befürwortete.

Binding bestimmte die Strafe als „Einbuße an Rechtsgütern, welche der Staat einem Delinquenten von Rechts wegen (Gesetzes wegen) zur Genugtuung für seinen irreparablen Rechtsbruch, um die Autorität des verletzten Gesetzes aufrechtzuerhalten auferlegt.“ (Eberhard Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege §273)

Franz von Liszt hingegen setzte sich für eine völlige Gebundenheit der Strafgewalt durch den Zweckgedanken ein. Er setzte voraus, dass die Bestimmung des Zweckes im Bereiche der Strafrechtspflege nur aus absolut sachlicher Einstellung gegenüber der kriminalistischen Sachaufgabe erfolgt und dass nicht etwa sachfremde Zwecke machpolitischer und sonstiger Art sich störend einmischen. Er sieht die Gefahr, die dadurch gegeben ist, dass die Strafe als „zweischneidiges Schwert“ „Rechtsgüterschutz durch Rechtsgüterverletzung“ bewirkt, dass also mit jeder Bestrafung ein neues Übel in die Welt gebracht wird. Aber gerade diese Gefahr bannt der Zweckgedanke, wenn er nur, der Entwicklung und dem mit ihr gewiesenen Fortschritt entsprechend, richtig eingesetzt wird. (Eberhard Schmidt, §316)

Seine Forderungen nach einem Zweckgedanken im Strafrecht fanden weitere Anhänger und wurden von der von ihm gegründeten "soziologischen" Strafrechtsschule weiterentwickelt (Schulenstreit mit der positiven Schule Bindings).


Franz von Liszt und sein Marburger Programm

In seinem Marburger Programm verteidigte Franz von Liszt die Spezialpräventive Behandlung und teilte sie nach drei Tätertypen auf:

1) Die Unschädlichmachung der weder abzuschreckenden noch zu bessernden Gewohnheitsverbrechern (Die allgemeinheit (Gesellschaft) wird durch die Einsperrung des Täters gesichert )

2) Abschreckung der bloßen Gelegenheitsverbrechern (Der Täter wird von der Begehung weiterer Straftaten abgeschreckt)

3) Besserung der Besserungsfähigen (Durch Besserung wird der Täter wieder "geheilt")


Weitere im Marburger Programm entahltene Forderungen/Massnahmen (wurden später zum Teil im Alternativentwurf – siehe unten- des StGB´s mit einbezogen) waren, unter anderem:

  • Ersetzen der Vergeltungs- durch die Zweckstrafe
  • Zwischen den verbleibenden Zweckstrafen wird die Spezialprävention der Generalprävention übergeordnet
  • Rechtfertigungsvoraussetzungen der Strafe:
  • Notwendigkeit (prinzip der subsidiarität)- wo andere sozialpolitische Massnahmen oder eigene, freiwillige Leistungen des Täter ausreichenden Rechtsgüterschutz gewährleisten können, darf mangels Notwenidigkeit nicht bestraft werden
  • Eignung (Prinzip der effektivität) – wenn mildere Möglichkeiten nicht zur verfügung stehen, ist auf die Strafe mangels eignung, zu verzichten, wo sie kriminalpolitisch wirkungslos oder gar schädlich ist. Heute prinzipien der subs. Und eff. Der Staatlichen Strafe.
  • Blosse Moralwidrigkeiten bedrohen die “Sicherheit der Gesellschaft” nicht, die Strafe ist folglich zu ihrer bekämpfung weder “notwendig” noch “geeignet” und deswegen müssen diese von vorneherein als Rechtsgüter ausscheiden.

Die bis in die Gegenwart erstreckende Bedeutung Liszts liegt vor allem darin, daß er als Erster Verbrechen und Strafe als Erscheinung der Wirklichkeit, als Phänomen des sozialen Lebens und des einzelmenschlichen Schicksals deutet und damit den Brückenschlag zwischen Strafrecht und Kriminologie ermöglicht, die bis dahin einander abgewandt dagestanden hatten. ((Maurach/Zipf, §6I, Rn.28)


Tätertypen (aktuelle Version)

Eine der modernere, den heutigen Zuständen Umformulierung der Tätertypen des Marburger Programms liefern Baumann/Weber/Mitsch (Strafrecht AT, §3, Rn.39 ff.). Sie unterscheiden zwischen:

1.Den Straftätern die von der Generalprävention von vornherein nicht erfasst werden, weil sie infolge seelischer Störungen durch die Strafdrohung nicht beeinflussbar sind, sei es wegen fehlender Unrechtseinsicht z.B. Geisteskrankheit oder wegen - trotz vorhandener Unrechtseinsicht - fehlender Steuerungsfähigkeit z.B. Triebtäter. Da diese Tätergruppen Schuldunfähig sind wäre eine Bestrafung unter Berufung des Schuldprinzips wie sie die absoluten Straftheorien anprangern nicht möglich. Bleiben solche Täter nach der Begehung der Tat gefährlich (was meistens der Fall ist), so werden Maßregeln der Besserung oder Sicherung angeordnet, etwa Unterbringung in einem psychatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsantsalt. Die 1933 als "zweite Spur" ins StGB eingeführten Maßregeln, sind ausschliesslich Instrumente der Spezialprävention und basieren primär auf die schon aus dem Marburger Programm bekannten Zielen der Besserung durch Heilung oder, falls diese nicht möglich ist, Sicherung der Gesellschaft.

2. Die Straftäter die kraft ihrer Persönlichkeitsstruktur durch die Strafandrohung beeindruckbar sind, die aber das Risiko, erwischt zu werden, zu gering eingeschätzt haben. Die Strafe besteht in rund 80% aus einer Geldstrafe und in den übrigen Fällen eine Freiheitsstrafe die die Aufgabe den Täter zu bessern, ihn zu künftigem rechtstreuen Verhalten zu erziehen und zumindest durch das zugefügte Übel vor einer neuen Tat abzuschrecken.

Der Alternativentwurf

Im Oktober 1966 wurde der Alternativentwurf – AE – von Strafrechtslehreren zum Regierungsentwurf eines Strafgesetzbuches – E 62 – fertiggestellt. In ihm wurden viele Ideen eines zweckgerichteten Strafrechts Liszts übernommen.

Im Gegensatz zum damaligen Regierungsentwurf E 62 kennt der Alternativentwurf nur eine Art von Freiheitsstrafe. §2 Abs. 1 AE bestimmt, „dass das Strafrecht als Sanktionsrecht der Bewahrung der dem Menschen notwendigen Friedensordnung des Rechts dient.“ „Die Rechtsordnung werde am besten gesichert, wenn der Rechtsbrecher dahin geführt werde, nicht wieder gegen das Recht zu verstoßen. Deshalb seien die Sanktionen so zu formen, dass sie auf die Wiedereingliederung hinwirken und so wenig Schaden wie möglich beim Delinquenten stiften.“ Dem Schuldausgleich oder Vergeltung kommt nach diesem Konzept keine selbstständige Bedeutung mehr zu. Durch Vergeltung wird nur noch der Rahmen bestimmt, innerhalb dessen die Spezialprävention in Form der Resozialisierung dominiert. Durch den Alternativentwurf wurde auf die laufenden Gesetzgebungsarbeiten Einfluss genommen mit dem Ziel, das Sanktionensystem konsequent am Resozialisierungsgedanken auszurichten.


Literatur

  • Peter Hoffman, Vergeltung und Generalprävention im heutigen Strafrecht, S. 139 f., Verlag Shaker, 1995
  • Eberhard Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege – 3. Auflage, V&R, 1995
  • Roxin, Strafrecht Allgmeiner Teil I, Verlag CH Beck, München 2003
  • Baumann/ Weber/ Mitsch, Strafrecht Allgemeiner Teil, 10. Auflage, 1995, Verlag Ernst und Werner Gieseking, Bielefeld
  • August Köhler, Der Vergeltungsgedanke und seine Politische Bedeutung, 1978
  • Roxin, Strafrechtliche Grundlagenprobleme, 1973
  • Harro Otto, Grundkurs Strafrecht, Allgemeine Strafrechtslehre, 5. Auflage, 1996, Walter de Gruyter, Berlin, New York
  • Maurach/Zipf, Strafrecht Allgemeiner Teil, 8, Auflage, C.F. Mueller, 1993