Sinnprovinz

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Der von Alfred Schütz im Anschluss an William James' Konzept des Sub-Universums geprägte Begriff der Sinnprovinz bezeichnet einen durch eine spezifische Ausprägung der Aufmerksamkeitsstruktur, des Relevanzsystems und des kognitiven Stils gekennzeichneten Bereich innerhalb des menschlichen Erfahrungsraums. Die wichtigste Sinnprovinz ist diejenige der Alltagswelt. Als weitere Sinnprovinzen erwähnte Schütz noch diejenigen des Traumes, des Spiels, der Wissenschaft, der Religion und der Kunst. Fruchtbar machen lässt sich das Konzept darüber hinaus laut Hess & Scheerer (2003) auch im Hinblick auf die Kriminalität.


Die Alltagswelt als dominierende Sinnprovinz

Die Alltagswelt liefert den „Archetyp unserer Erfahrung der Wirklichkeit“ (Schütz 1972 I: 267). Sie ist unsere "paramount reality" - unsere Hauptwirklichkeit. Die Alltagswelt wird mit einem spezifischen kognitiven Stil erlebt, der durch besondere Wachheit und völlige Aufmerksamkeit auf die Wirklichkeit gekennzeichnet ist. Dadurch hebt sich die Alltagswelt zum Beispiel von der Welt des Traumes ab. In der Alltagswelt erleben sich Menschen zudem als Realisten, die an der Existenz der Welt nicht zweifeln und sich in der Welt als Handelnde erleben. Die Alltagswelt ist zudem eine soziale Welt: sie ist auf Kommunikation und soziales Handeln ausgerichtet. Hinzu kommen Selbsterfahrung und Zeitperspektive. „Jede Welt besitzt während man ihr zugewandt ist, ihre eigene Art von Wirklichkeit: nur verringert sich ihr Wirklichkeitsgehalt mit dem Nachlassen der Aufmerksamkeit“ (James 1890Schütz 1945: 393). Anders ausgedrückt ist für James jede dieser Wirklichkeiten eben wirklich für denjenigen, der ihr in diesem Moment Aufmerksamkeit zukommen lässt. Alfred Schütz löst das Konzept von James aus dem psychologischen Rahmen und spricht nicht mehr von Subuniversen, sondern von geschlossenen Sinnbereichen, denen wir einen 'Wirklichkeitsakzent' verleihen. Die Wirklichkeiten werden nach Schütz nicht von ihrer ontologischen Struktur, sondern vom Sinn unserer Erfahrung konstituiert. Innerhalb der geschlossenen Sinnbereiche sind alle Erfahrungen in sich stimmig und verträglich, auch wenn sie mit der Sinnstruktur des Alltags nicht verträglich sind. Schütz beschreibt die Wirklichkeit des Alltags, die so genannte ausgezeichnete Wirklichkeit, in vier Punkten: a) Durch unseren Leib sind wir an diese Wirklichkeit gebunden, wir nehmen immer körperlich an ihr Teil. b) Die ausgezeichnete Wirklichkeit setzt uns mit ihren Gegenständen und Gesetzen Grenzen, wie dies keine andere Wirklichkeit tut und c) wir können in die ausgezeichnete Welt körperlich eingreifen und sie verändern und gestalten. d) Nur in dieser ausgezeichneten Wirklichkeit können wir uns mit unseren Mitmenschen verständigen und eine im Einverständnis konstituierende Umwelt begründen (ebd.:395). Schützs Konzept von den mannigfachen Wirklichkeiten liefert zentrale Leitplanke

Grenz-Übergänge

Der Übergang von einer Sinnprovinz in eine andere kann die Identität einer Person infragestellen (vgl. Schütz 1944, 1945a,b). Schütz unterscheidet die "kleine" Transzendenz (den Übergang von einer Sinnprovinz in eine ähnliche andere) von einer "mittleren" und einer "großen Transzendenz" (dem Übergang von einer Sinnprovinz in eine ganz andere wie z.B. von der Alltagswirklichkeit in die Sinnprovinz des Traums oder der Ekstase).



Literatur

  • Hess, Henner & Scheerer, Sebastian (2003) Theorie der Kriminalität. In: D. Oberwittler/S. Karstedt (Hg.): Soziologie der Kriminalität, Sonderheft 43 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 69-92.
  • Schütz, Alfred (1932) Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt: eine Einleitung in die verstehende Soziologie. Wien: J. Springer.
  • Schütz, Alfred /1944) The Stranger. An Essay in Social Psychology.
  • Schütz, Alfred (1945a) The Homecomer.
  • Schütz, Alfred (1945b) On Multiple Realities. Philosophy and Phenomenological Research 5: 533-576. [[1]]
  • Schütz, Alfred (1972) Gesammelte Aufsätze in drei Bänden (I: Das Problem der Sozialen Wirklichkeit; II: Studien zur Soziologischen Theorie; III: Studien zur Phänomenologischen Philosophie. Dordrecht, NL: Martinus Nijhoff.

Weblinks

  • James, William (1890) The Principles of Psychology. Darin Kap. XXI: The Perception of Reality [[2]]
  • Alfred Schütz, in: Wikipedia dt. [[3]]