Robert K. Merton

Robert K. Merton (geboren am 04.07.1910 oder 05.07.1910 als Meyer Robert Schkolnick in Philadelphia, Pa.; gestorben am 23.02.2003 in New York, N.Y.) war ein amerikanischer Soziologe mit bedeutenden Beiträgen zur Kriminalitätstheorie ("Anomie-Theorie"), Wissenssoziologie ("Self-fulfilling prophecy" und Methodologie der empirischen Sozialforschung ("Focus Groups").

Familie

Robert K. Mertons Eltern waren jüdische Einwanderer aus Osteuropa. Tatsächlich kam Robert K. Merton als Meyer Robert Schkolnick zur Welt und änderte seinen Namen dann selbst - erst aufgrund seiner Tätigkeit als Zauberer in jungen Jahren in Robert King Merlin, ab 1924 sodann in Robert King Merton. Die Familie war alles andere als wohlhabend. Nachdem ihr kleiner und leider unversicherter Milchladen in Süd-Philadelphia abgebrannt war, arbeitete Robert K. Mertons Vater als Gehilfe eines Tischlers. Robert K. Merton selbst betonte später aber immer wieder. dass er als junger Mensch durchaus über alle möglichen Arten von Kapital verfügt habe - über kulturelles, menschliches und öffentliches Kapitel, nur eben nicht über individuell-finanzielles.

Merton hatte eine Schwester. In erster Ehe war er mit Suzanne Carhart verheiratet (Heirat 1934; Trennung 1968). Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor, nämlich Stephanie Merton; der Wirtschaftsnobelpreisträger von 1977 Robert Carhart Merton und Vanessa Merton. Seine zweite Ehe ging er erst 1993 mit Harriet Zuckerman ein - einer Frau, mit der er seit 1968 zusammen gelebt hatte.

Nach seinem Studium an der Temple University in Philadelphia (1931 B.A. with honors) lernte er Pitirim A. Sorokin (1889-1968) kennen, dessen Schüler er dann an der Harvard University wurde, wo er auch mit dem Werk von Talcott Parsons Bekanntschaft schloss (1932 M.A.; 1936 Ph.D. in Soziologie). Von 1936-1939 war er Instructor in Sociology an der Harvard University; 1939-1940 Associate und 1940-1941 Full Professor of Sociology und Chairman des Department of Sociology an der Tulane University in New Orleans, Louisiana. 1941 wechselte er als Assistant Professor an die Columbia University in New York City, wo er von 1947-1963 Full Professor of Sociology, 1963-1974 Giddings Professor of Sociology und 1974-1979 Full Professor of Sociology war. Nach seiner Emeritierung (1979) war er noch bis 1984 als Special Service Professor tätig. An der Columbia University arbeitete Merton auch mit zahlreichen Sozialwissenschaftlern zusammen wie z.B. mit Daniel Bell, Kingsley Davis, Marie Jahoda und Paul F. Lazarsfeld.


Werk

Merton prägte unter anderem die Begriffe selbsterfüllende Prophezeiung (englisch self-fulfilling prophecy), Focus Group, Rollenmodell (role model), Matthäuseffekt und Wissenskommunismus und rief das Gleichnis Auf den Schultern von Giganten wieder in Erinnerung.

Bekannt geworden ist Merton für seine Position, dass der Soziologie zur Entwicklung von Großtheorien (grand theories) die empirische Grundlage fehle. Dementsprechend plädierte er dafür, sich auf Theorien mittlerer Reichweite zu konzentrieren, bei denen die Theoriegenerierung mit einer empirischen Fundierung verknüpft werden kann.

Echte und unechte Wissenschaft

Mitte der 1930er Jahre zeigte sich Merton beunruhigt vom Phänomen des Nationalsozialismus und besonders von der Bereitschaft deutscher Wissenschaftler, sich in den Dienst des NS-Regimes zu stellen. Daher versuchte er in einer Vorlesung aus dem Jahr 1937 („Science and the Social Order“) und einem Essay aus dem Jahr 1942 („Science and Democratic Social Structure“) eine strenge Trennlinie zwischen „echter“, das heißt demokratischer und ethischer Wissenschaft auf der einen und unethischer, antiintellektueller „Anti-Wissenschaft“ auf der anderen Seite zu ziehen. Vier Charakteristika zeichneten nach Merton echte Wissenschaft aus (die genannten Beiträge sind in Merton (1949) wiederabgedruckt):

1. Kommunitarismus (communitarianism – nicht zu verwechseln mit der Doktrin des Kommunitarismus in der politischen Philosophie) Die Ergebnisse wissenschaftlicher Wissensproduktion sind das Produkt kooperativer Anstrengungen und sie stehen grundsätzlich allen Mitgliedern der Wissenschaftsgemeinschaft jederzeit zur freien Verfügung.

2. Universalismus (universalism) Die Bewertung wissenschaftlicher Forschung muss unabhängig von der Person oder den sozialen Attributen des verantwortlichen Wissenschaftlers erfolgen. Das heißt dass Ethnie, Nationalität, Religion, sozialer Stand und persönliche Eigenschaften des Forschers nicht herangezogen werden dürfen um dessen Forschungen zu diskreditieren oder um deren Glaubwürdigkeit zu unterstreichen. (Dieses Prinzip wandte sich vor allem gegen den Ausschluss der Juden aus dem deutschen Wissenschaftsbetrieb.)

3. Uneigennützigkeit (disinterestedness) Antriebsfeder echter Wissenschaft ist nicht Eigennutz, sondern die Leidenschaft zu wachsender Erkenntnis, Neugier im positiven Sinne und altruistisches Interesse am Wohlergehen der Menschheit.

4. organisierter Skeptizismus (organized scepticism) Sowohl in den Forschungsmethoden wie in der institutionellen Absicherung der Forschung muss gewährleistet sein, dass ein abschließendes Urteil erst gefällt wird, wenn alle nötigen Fakten zur Verfügung stehen.

Diese Charakteristika, nach den englischen Anfangsbuchstaben auch CUDOS-Prinzipien genannt, hatten insbesondere in Großbritannien und den USA Einfluss auf die extrem negative Wahrnehmung der deutschen Wissenschaft der NS-Zeit, die in ihrer Gesamtheit als „unethisch“ oder sogar als „wertlos“ verworfen wurde. Das stand natürlich im Widerspruch zu dem bereits während des Krieges zutage tretenden Interesse aller alliierten Kriegsparteien, möglichst vieler deutscher Wissenschafter habhaft zu werden, um von deren Erkenntnissen zu profitieren (siehe Operation Overcast).

Anomietheorie

Publikationen

  • 2003: The Travels and Adventures of Serendipity: A Study in Sociological Semantics and the Sociology of Science (mit Elinor Barber). Princeton University Press, ISBN 0691117543
  • 1993: (1965) On the Shoulders of Giants: A Shandean Postscript: The Post-Italianate Edition (mit Umberto Eco und Denis Donoghue). University of Chicago Press; Reprint edition. ISBN 0226520862
  • 1985: Entwicklung und Wandel von Forschungsinteressen. Aufsätze zur Wissenschaftssoziologie, Frankfurt am Main
  • 1976: Sociological Ambivalence
  • 1973: The Sociology of Science. ISBN 0226520919
  • 1968: The Matthew effect in science. Science 159, 59-63
  • 1965: On the shoulders of giants (siehe 1993) (deutsche Ausgabe) Auf den Schultern von Riesen. Ein Leitfaden durch das Labyrinth der Gelehrsamkeit, Frankfurt: Syndikat, 1980, ISBN 3-8108-0128-3; auch Frankfurt a. M.: Suhrkamp (suhrkamp taschenbuch wissenschaft)
  • 1949: Social Theory and Social Structure. Toward the codification of theory and research, Glencoe: Ill. (Revised and enlarged edition 1959)

Literatur

  • Charles Crothers: Robert K. Merton. Ellis Horwood, Chichester 1987. ISBN 0-7458-0122-6
  • Piotr Sztompka: Robert K. Merton. An intellectual profile. Macmillan, Basingstoke 1986. ISBN 0-333-37210-7

Weblinks