Restorative Justice: Unterschied zwischen den Versionen

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== Qualitätssicherung ==  
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John Braithwaite unterscheidet drei Arten von Qualitäts-Standards: begrenzende, maximierende und ermöglichende (limiting, maximizing, enabling).  
John Braithwaite unterscheidet drei Arten von Qualitäts-Standards: begrenzende (die unbedingt einzuhalten sind), maximierende (die bestmöglich entwickelt werden sollten) und emergente oder ermöglichende (die nicht erzwungen werden dürfen, aber überaus hilfreich sein können). Diese drei Standards - limiting, maximizing, emerging/enabling - beruhen zum Teil auf dem Prinzip der Nicht-Beherrschung und zum Teil auf Werten, die sich in internationalen Normen (vor allem UNO-Konventionen und Erklärungen) finden.  


Das Prinzip der Nicht-Beherrschung
Das Prinzip der Nicht-Beherrschung
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Respekt für die Menschenrechte in ihren Ausprägungen in verschiedenen UNO-Normenwerken  
Respekt für die Menschenrechte in ihren Ausprägungen in verschiedenen UNO-Normenwerken  


Maximierende Standards, die sich aus den UNO-Normen ebenso ableiten lassen wie aus den empirisch erhobenen Erwartungen der an Restorative Justice Programmen Beteiligten, beziehen sich auf die Vermeidung künftiger Ungerechtigkeiten und auf die bestmögliche Unterstützung aller Beteiligten bei der künftigen Entwicklung ihrer Fähigkeiten sowie auf die bestmögliche Wiederherstellung von menschlicher Würde, Eigentums, körperlicher Integrität, Gesundheit, menschlichen Beziehungen, Gemeinschaften, Umwelt, Freiheit, Mitgefühl und Sorge, Frieden, Verantwortungsgefühl und Gefühlen.  
Maximierende Standards, die sich aus den UNO-Normen ebenso ableiten lassen wie aus den empirisch erhobenen Erwartungen der an Restorative Justice Programmen Beteiligten, beziehen sich auf die Vermeidung künftiger Ungerechtigkeiten und auf die bestmögliche Unterstützung aller Beteiligten bei der künftigen Entwicklung ihrer Fähigkeiten sowie auf die bestmögliche Wiederherstellung von menschlicher Würde, Eigentums, körperlicher Integrität, Gesundheit, menschlichen Beziehungen, Gemeinschaften, Umwelt, Freiheit, Mitgefühl und Sorge, Frieden, Verantwortungsgefühl und Gefühlen.




Emergente Standards


Bereuen von Ungegerechtigkeit
Bitte um Entschuldigung
Negative Bewertung der Handlung
Gewährung von Entschuldigung
Gnadengewährung


Daraus folgt für Braithwaite, dass es gut wäre, vor der Etablierung künftiger Programme der Restorative Justice folgende Schritte zu unternehmen:


(1) Interessenten (stakeholders) versammeln, um die normativen Ausgangsbedingungen und Prinzipien zu klären, denen man folgen will.
(2) Örtliche Verpflichtung auf die Standards sicherstellen. Sicherstellen, dass die nicht geteilten Werte zumindest weiter Gegenstand der Diskussion sein können.
(3) Versuche, die umstrittenen Standards durch reflexive Praxis einer Klärung zuzuführen - durch eine Praktizierung der wiederherstellenden Gerechtigkeit auf eine Art und Weise, die ihre eigenen Grundlagen reflektiert.
(4) Vermeidung von didaktischen Übungen. Training-Sitzungen sollten besser Teil der örtlichen reflexiven Praxis sein.
(5) Nutzung von peer reviews, um problematische Praktiken, die gegen die Werte verstoßen könnten, zu  verhindern, aber auch, um das Verständnis umstrittener Standards durch regulatorische Deliberation zu verbessern.
(6) Örtliche Erfahrungen auf nationaler Ebene sammeln, auswerten und nach Möglichkeit staatliche Unterstützung für konsentierte Praktiken mobilisieren.


== Literatur ==  
== Literatur ==  


Braithwaite, John (2002) Setting Standards for Restorative Justice. British Journal of Criminology 42: 563-577.
Braithwaite, John (2002) Setting Standards for Restorative Justice. British Journal of Criminology 42: 563-577.

Version vom 20. Januar 2008, 20:59 Uhr

Restorative Justice (to restore: wiederherstellen; justice: Gerechtigkeit) ließe sich als "wiederherstellende Gerechtigkeit" übersetzen und ist eine Form alternativer Konfliktregelung - das heißt: eine Alternative zum Gerichtsverfahren. In verschiedenen Ausprägungen und mit wechselndem Erfolg wird wird "wiederherstellende Gerechtigkeit" vor allem in englischsprachigen Weltgegenden praktiziert, und zwar vornehmlich in Australien, Kanada und Neuseeland.

Grundidee

Geschichte

Qualitätssicherung

John Braithwaite unterscheidet drei Arten von Qualitäts-Standards: begrenzende (die unbedingt einzuhalten sind), maximierende (die bestmöglich entwickelt werden sollten) und emergente oder ermöglichende (die nicht erzwungen werden dürfen, aber überaus hilfreich sein können). Diese drei Standards - limiting, maximizing, emerging/enabling - beruhen zum Teil auf dem Prinzip der Nicht-Beherrschung und zum Teil auf Werten, die sich in internationalen Normen (vor allem UNO-Konventionen und Erklärungen) finden.

Das Prinzip der Nicht-Beherrschung Konfliktlösungsprozesse müssen versuchen, Betroffene weder auszugrenzen noch mundtot zu machen oder sonstwie einzuschüchtern. Wenn Personen mit einem legitimen Interesse an einer Sitzung teilnehmen wollen, sollten sie nicht ausgeschlossen werden. Bei jungen Tätern ist es wichtig, sie nicht in eine Situation zu zwingen, wo sie einem ganzen Raum voller Erwachsener schutzlos ausgeliefert sind. Auf jeden Fall bedarf es starker erwachsener Persönlichkeiten, die sich trauen, als Interessensvertreter der Jugendlichen den Mund aufzumachen. Wo das Risiko eines Machtungleichgewichts zwischen Tätern und Opfern besteht, bedarf es einer Menge Vorbereitungsarbeit, bevor eine Sitzung anberaumt wird. In den Ländern, in denen Polizeibeamte das Recht haben, Jugendliche an Programme wiederherstellender Gerechtigkeit zu überweisen, bedeutet das Prinzip der Nicht-Beherrschung, dass die Jugendlichen auf jeden Fall gleichzeitig die Möglichkeit erhalten, kostenlos einen Rechtsanwalt zu kontaktieren, der sich in der Materie auskennt und sich dem Jugendlichen gegenüber äußern kann, welche Alternativen es zur Teilnahme gibt, welche Risiken und Chancen die Teilnahme bietet, worauf zu achten ist und so weiter. Andererseits sollte die Verfügbarkeit von rechtlicher Beratung nicht dazu führen, dass der Konflikt dem Täter (oder dem Opfer) von Rechtsanwälten aus den Händen genommen und nur noch zwischen den Anwälten ausgetragen wird. Auch das widerspräche dem Prinzip der Nicht-Beherrschung. Geradezu widersinnig wäre es andererseits, wenn die Gruppe, innerhalb derer sich die Konfliktlösung abspielt, das Recht verliehen wäre, in ihren Sanktionen über das für die in Frage stehenden Taten vorgesehene gesetzliche Strafmaximum hinauszugehen. Derartige Exzesse wären zweifellos ebenfalls ein Verstoß gegen dieses Prinzip. Um Stimatisierung zu vermeiden und um einen möglichst herrschaftsfreien Dialog zu ermöglichen, ist es einerseits auch gut, die Öffentlichkeit von den Sitzungen solcher alternativen Verfahren auszuschließen. Um den Verlust an Konrolle zu kompensieren, ist es andererseits unabdingbar, solche Sitzungen für Forscher, Kritiker, Journalisten, Politiker, Richter und KollegInnen von anderen alternativen Konfliktregelungsgremien weit zu öffnen. Am allerwichtigsten ist die Öffnung von solchen Sitzungen für "peer reviewers", d.h. für Gleichgestellte, die Erfahrung mit der alterenativen Konfliktregelung haben und die in der Lage sind, die Einhaltung der Standards zu überprüfen.

Internationale Standards Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte formuliert in ihrer Präambel die Werte der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens, hat aber in ihren 30 Artikeln noch mehr zu bieten, nämlich nicht zuletzt das Recht, nicht willkürlich seines Eigentums, seines Lebens, seiner Freiheit oder seiner Sicherheit beraubt zu werden (Artikel 17, 3, 25) - auch gibt es ein Menschenrecht auf Gesundheitsfürsorge (Artikel 25) und demokratische Teilhabe (Artikel 21). Für wiederherstellende Gerechtigkeit ist Artikel 5 von großer Bedeutung: "Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden."

Die beharrliche Arbeit für eine extensive Auslegung der Bestimmung liegt im Interesse derjenigen, die in wiederherstellender Gerechtigkeit eine weniger grausame und erniedrigende Behandlung oder Strafe sehen als in der staatlichen Konfliktregelung, die bekanntlich Boot Camps und einen oftmals erniedrigenden Strafvollzug in Haftanstalten ebenso für "normal" hält wie - in manchen Ländern - tödliche Injektionen (USA), tausendfache Erschießungen (China: vielleicht pro Jahr zehntausend) oder Steinigungen von Ehebrecherinnen (Iran).

Wertvorstellungen, die für die Beurteilung von Restorative Justice weitere Orientierung geben könnten, sind z.B. auch in der UNO-Deklaration von 1985 gegen Machtmissbrauch und im Second Optional Protocol on the Covenant on Civil and Political Rights enthalten.

Braithwaite leitet aus seiner "republikanischen Perspektive" und den aus dem Menschenrechtsinstrumentarium der Vereinten Nationen gewonnenen Wertorientierungen heuristisch folgende vorläufige Standards ab:

Einschränkende Standards

Nicht-Beherrschung Stärkung (Empowerment) Respektierung der gesetzlichen Strafobergrenze Respektvolles Zuhören Gleiche Sorge für alle Betroffenen Verantwortung, Berufungsmöglichkeiten Respekt für die Menschenrechte in ihren Ausprägungen in verschiedenen UNO-Normenwerken

Maximierende Standards, die sich aus den UNO-Normen ebenso ableiten lassen wie aus den empirisch erhobenen Erwartungen der an Restorative Justice Programmen Beteiligten, beziehen sich auf die Vermeidung künftiger Ungerechtigkeiten und auf die bestmögliche Unterstützung aller Beteiligten bei der künftigen Entwicklung ihrer Fähigkeiten sowie auf die bestmögliche Wiederherstellung von menschlicher Würde, Eigentums, körperlicher Integrität, Gesundheit, menschlichen Beziehungen, Gemeinschaften, Umwelt, Freiheit, Mitgefühl und Sorge, Frieden, Verantwortungsgefühl und Gefühlen.


Emergente Standards

Bereuen von Ungegerechtigkeit Bitte um Entschuldigung Negative Bewertung der Handlung Gewährung von Entschuldigung Gnadengewährung

Daraus folgt für Braithwaite, dass es gut wäre, vor der Etablierung künftiger Programme der Restorative Justice folgende Schritte zu unternehmen:

(1) Interessenten (stakeholders) versammeln, um die normativen Ausgangsbedingungen und Prinzipien zu klären, denen man folgen will.

(2) Örtliche Verpflichtung auf die Standards sicherstellen. Sicherstellen, dass die nicht geteilten Werte zumindest weiter Gegenstand der Diskussion sein können.

(3) Versuche, die umstrittenen Standards durch reflexive Praxis einer Klärung zuzuführen - durch eine Praktizierung der wiederherstellenden Gerechtigkeit auf eine Art und Weise, die ihre eigenen Grundlagen reflektiert.

(4) Vermeidung von didaktischen Übungen. Training-Sitzungen sollten besser Teil der örtlichen reflexiven Praxis sein.

(5) Nutzung von peer reviews, um problematische Praktiken, die gegen die Werte verstoßen könnten, zu verhindern, aber auch, um das Verständnis umstrittener Standards durch regulatorische Deliberation zu verbessern.

(6) Örtliche Erfahrungen auf nationaler Ebene sammeln, auswerten und nach Möglichkeit staatliche Unterstützung für konsentierte Praktiken mobilisieren.

Literatur

Braithwaite, John (2002) Setting Standards for Restorative Justice. British Journal of Criminology 42: 563-577.