RAF und DDR

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Kontakte mit der 1. RAF-Generation

Die DDR respektierte den revolutionären Opfermut von Ulrike Meinhof, der man "als Einzelperson" auch gerne Asyl gewährt hätte. Die Politik der RAF lehnte die DDR allerdings als Abweichung von der richtigen Linie des Marxismus-Leninismus strikt ab. Nachdem Meinhofs Bitte um ein kollektives RAF-Asyl bei einem Treffen mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) im August 1970 unerhört geblieben war, reiste Meinhof denn auch mit den anderen in ein El-Fatah-Ausbildungslager nach Jordanien. Als Hans-Jürgen Bäcker ebenfalls im August 1970 aus Jordanien kommend in Berlin-Schönefeld landete und verhaftet wurde, gab er viele Informationen über Tatbeteiligungen, Anschlagsvorbereitungen und taktische Ziele der RAF preis. So blieb die DDR jedenfalls informiert.

Verhältnis zur 2. RAF-Generation

Sowohl die RAF als auch die DDR griffen die Politik der USA, der EU und Israels als imperialistisch an - und erklärten sich solidarisch mit anti-imperialistischen Bewegungen und nationalen Befreiungsbewegungen überall auf der Welt. Dennoch genügte das nicht für aktive Kooperationen. Nachdem man anlässlich der Verhaftung von Michael „Bommi“ Baumann am 30.11.1973 ein detailliertes Bild der westdeutschen Anarchoszene erhalten hatte, gründete die DDR 1975 die zunächst mit 150 Mitarbeitern ausgestattete Hauptabteilung XXII zur „Abwehr, Kontrolle und Bearbeitung terroristischer Gefahren“ unter der Leitung von Oberst Harry Dahl. Man sah sich potentiell auch selbst bedroht. Spätestens die 2. RAF-Generation war gegenüber dem "real existierenden Sozialismus" sehr skeptisch. 1976 hieß es in der „Erklärung zur Sache“: „Der Rückzug von der Führung des internationalen Klassenkampfes und ihre Ersetzung durch die Außenpolitik der ‚friedlichen Koexistenz’ und die Instrumentalisierung der kommunistischen Parteien für diese Politik der Sowjetunion konnte auch den Antifaschismus in Europa nur ohne Orientierung vom Klassenkampf aus lassen, ihn nicht auf seinen Begriff bringen: Zerschlagung des monopolkapitalistischen Systems, die soziale Revolution.“

Sonderfall Inge Viett

Die DDR beschränkte sich zunächst darauf, RAF-Mitgliedern Transitmöglichkeiten zu gewähren. Mehr wurde es erst durch die Rolle von Inge Viett. Sie, die für die Fusionsgespräche zwischen der RAF und der Bewegung 2. Juni zuständig war, war nach der am 27. Mai 1978 erfolgten Befreiung von Bewegung-2.-Juni-Mitglied Till Meyer aus der JVA Berlin-Moabit während einer Transitreise durch DDR-Gebiet von Harry Dahl festgehalten worden. Dahl und Viett einigten sich, dass der flüchtige Meyer mit anderen Gesinnungsgenossen Ost-Berlin als Rückzugsraum benutzen durfte. Den Transit von Meyer, Viett und drei weiteren Mitgliedern der Bewegung 2. Juni nach Bulgarien gestattete die DDR ausdrücklich. Während der am 21.06.1978 von einer Sondereinheit des BKA in Bulgarien festgenommene Meyer mit Zustimmung der bulgarischen Regierung an die Bundesrepublik ausgeliefert wurde, lieferte Prag die am 27.06.1978 dort festgenommene Viett an das MfS der DDR aus. Eine MfS-Analyse von 1978 erklärte zu den Mitgliedern der Bewegung 2. Juni, die sich in der DDR aufhielten: „In der Zeit vom 28. Juni bis 12. Juli waren sie in der DDR in einem konspirativen Objekt untergebracht und wurden anschließend unter operativer Kontrolle nach Bagdad/Irak ausgeflogen, wo sich nach eigenen Angaben ihre Operationsbasis befindet.“

Inge Vietts Verbindungen zum MfS bahnten auch den Weg für aussteigewillige RAF-Mitglieder nach dem Deutschen Herbst von 1977. Sie, die seit 1980 auch der RAF angehörte, vereinbarte mit Harry Dahl, dass RAF-Aussteiger eine neue Identität in der DDR erhalten könnten. Die Einbürgerung mit neuen Namen, Biographien, Unterkünften und Beschäftigungen von Susanne Albrecht, Werner Lotze, Christine Dümlein, Monika Helbing, Ekkehard von Seckendorff-Gudent, Sigrid Sternebeck, Ralf Baptist Friedrich und Silke-Maier Witt erfolgte im Frühjahr 1980 - die von Inge Viett 1982.

Allerdings bedurften Viett, Albrecht und Maier-Witt wegen wiederholter Enttarnungen durch DDR-Bürger wiederholt neuer Identitäten und Wohnsitze. Letztere war von einer Nachbarin, die sich auf Westreise befand, durch Blick auf ein Fahndungsfoto erkannt und gegenüber dem BKA enttarnt worden und unterzog sich deshalb 1987 einer Gesichtsoperation. Von 1980-82 ermöglichte die DDR der RAF paramilitärisches Training an diversen Schusswaffen. Wolfgang Beer, Adelheid Schulz und Inge Viett trainierten bei einem Treffen mit dem MfS auf einem Stasi-Gelände. Später wurde Christian Klar mit einer sowjetischen Panzerfaust vom Typ RPG-7 ausgebildet. Nicht geklärt ist, ob das Training vor oder nach dem Anschlag gegen US-General Frederick Kroesen, der am 15.09.1981 mit einer Waffe desselben Typs durchgeführt wurde, stattfand.

Nicht-Verhältnis zur 3. Generation

1983 endete die Kooperation. Helmut Pohl kommentierte das in einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau“: „Mit dem realen Sozialismus hatten wir nichts am Hut. Das Aufgesetzte, Formelhafte – da gab es Reibungen an allen Ecken und Enden. Wir waren wahrscheinlich für sie manchmal so unerträglich wie sie für uns.“


Quellen

  • Allertz, Robert (2008) Die RAF und das MfS. Fakten und Fiktionen. Berlin: Edition Ost.
  • DDR-Lexikon "Hauptabteilung XXII" http://www.ddr-wissen.de/wiki/ddr.pl?Hauptabteilung_XXII
  • ID-Verlag (Hg.), (1997) Rote Armee Fraktion. Texte und Materialien zur Geschichte der RAF, Berlin
  • Jander, Martin (2006) Differenzen im antiimperialistischen Kampf. Zu den Verbindungen des Ministeriums für Staatssicherheit mit der RAF und dem bundesdeutschen Linksterrorismus, in: Wolfgang Kraushaar (Hg.), „Die RAF und der linke Terrorismus“, Bd. 1, Hamburg, S. 696-714
  • Praschl, Gerald (2009) „Terror von Links: Warum die DDR-Staatssicherheit bei der RAF mitmischte“ superillu - Interview mit Tobias Wunschik http://www.superillu.de/aktuell/RAF_1230527.html
  • Schulz, Jan-Hendrik (2007) Die Beziehungen zwischen der Roten Armee Fraktion (RAF) und dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in der DDR in: Zeitgeschichte-online, Thema: Die RAF als Geschichte und Gegenwart, hg. von Jan-Holger Kirsch und Annette Vowinckel, Mai 2007, URL: <http://www.zeitgeschichte-online.de/md=RAF-Chronik-Stasi>.
  • Schulze, Udo (2009) „RAF-Unterstützer unterhielten DDR-Kontakte“ http://www.heise.de/tp/r4/artikel/31/31284/1.html
  • Winkler, Willi (2007), „Die Geschichte der RAF“, Berlin: Rowohlt, S. 380-392;
  • Wunschik, Tobias (1999), „Abwehr“ und Unterstützung des internationalen Terrorismus – Die Hauptabteilung XXII, in: Hubertus Knabe (Hg.), Westarbeit des MfS. Das Zusammenspiel von „Aufklärung“ und „Abwehr“, Berlin
  • Wunschik, Tobias (2002) . „Das Ministerium für Staatssicherheit und der Terrorismus in Deutschland“ Aktualisierte Online-Version des Artikels in Heiner Timmermann (Hrsg.): Diktaturen in Europa im 20. Jahrhundert - Der Fall DDR, Berlin 1996 http://www.extremismus.com/texte/rafmfs.htm
  • Wunschik, Tobias (2007), „Baader-Meinhof international?“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 57 40-41, S. 23-29, auch online unter <http://www.bpb.de/publikationen/943TNV.html>.