Motiv

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Wortbedeutung und Definition

Das Motiv ist der "Beweggrund, Anlass, Antrieb". Das Wort kommt über das gleichbedeutende mittellateinische "motivum" aus dem Wortstamm des lateinischen Verbs "movere": "bewegen". Die Frage nach dem Motiv einer Handlung ist die Frage nach eben den Beweggründen der handelnden Person und damit nach – womöglich nicht unmittelbar aus der Beobachtung erschließbaren – Ursachen für ein Verhalten.

Grundlagen

Das Interesse an Motiven setzt einerseits die Annahme voraus, dass ein Motiv mit der Persönlichkeit eines Handelnden verknüpft ist, und andererseits die Annahme, dass sich aus dem insofern persönlichkeitsgebundenen Motiv Aufschlüsse über Hintergründe einer Handlung ergeben können.

In der Psychologie wird das Motiv als "relativ überdauernde Disposition" unterschieden von der Motivation als Beweggrund "für das Hervorbringen einer konkreten Handlung" (GREUEL u. a., 1998, S.169). Solche Unterscheidung ist in der kriminologischen Literatur eher implizit zu finden: Solange in der Kriminologie die Vorstellung herrschte, dass ein Verbrecher verbrecherische Persönlichkeits-/Charakterzüge hat, war es naheliegend, ihm überdauernde verbrecherische Motive zu unterstellen. Wenn die Situation, in der Devianz auftritt, in den Mittelpunkt rückt, werden die womöglich wechselnden Motivationen interessanter, die auf ein Handlungsmotiv zurückwirken und es verändern können (vgl. die Bedingungen, die FELSON in seinem Routineaktivitäten-Ansatz als Voraussetzung einer Tat postuliert). SUTHERLAND geht in der Theorie der differenziellen Assoziation davon aus, dass nicht die Motive selbst gelernt werden, die im Zusammenhang mit deviantem Verhalten stehen, wohl aber die Richtung und Bewertung der Motive (SUTHERLAND in: SACK & KÖNIG, 1974, S.396ff).

Facetten des Motivbegriffs

Es gibt eine Reihe von sich z.T. überschneidenden Facetten des Motivbegriffs, die für die Kriminologie Bedeutung haben.

intrinsisch/extrinsisch

Motive können als intrinsisch oder extrinisch beschrieben werden: Der Besitz eines bestimmten Kleidungsstücks ist für mich so eng mit meinem Selbstwertempfinden verknüpft, dass ich es besitzen muss; wenn ich es nicht kaufen kann, stehle ich es (intrinsisch). Ohne dies Kleidungsstück zu stehlen, werde ich niemals die Anerkennung meiner peer-group erlangen (extrinisch). Intrinsische Motive sind so eher intrapsychisch angesiedelt, während extrinsische soziale Prozesse spiegeln. Gleichzeitig lassen extrinsische Motive wieder nach deren intrinsischer Verankerung fragen (warum ist mit die Anerkennung durch die peer-group wichtiger als die Norm?).

Die Annahmen der Kontrolltheorie könnten als Widerstreit intrinsischer und extrinsischer Motive beschrieben werden: Das intrinsische Motiv zu einer kriminellen Handlung steht den extrinsischen Motiven gegenüber, die sich aus den sozialen Bezügen ergeben.

Attribution

Motive können selbst- oder außenattribuiert werden: Ich sehe mich selbst für mein Handeln verantwortlich oder mache andere (die Gesellschaft, schlechte Einflüsse, eine psychische Erkrankung…) dafür verantwortlich.

Die Theorie der rationalen Wahl betont den Selbstattribuierungaspekt und die daraus folgende Eigenverantwortung, während der Etikettierungsansatz eher Einflüsse von Fremdattribuierung nahe legt.

Wessen Motiv?

Ein Motiv kann ein Verbrechen betreffen und ist dann das "Tatmotiv". Die Klärung des Tatmotivs trägt für den Außenstehenden dazu bei, eine Tat verstehen und damit in gewisser Weise kontrollieren und bewältigen zu können. Das Tatmotiv wird typischerweise ausführlich in der allgemeinen Presse erörtert und manche psychoanalytische Taterklärungen erreichen gewisse Berühmtheit (z.B. SCHORSCH 1995).

Auch andere Akteure im Umfeld eines Verbrechens haben Motive: Welches Motiv hat jemand, eine Anzeige zu erstatten (vgl. z.B. SCHWIND, 2007, §20, 4ff)? Welches Motiv hat ein Zeuge, seine Aussage so und nicht anders zu gestalten (hierzu z.B. GREUEL u.a., 1998, S.169ff)?

Literatur

Albrecht, G.: Soziologische Erklärungsansätze individueller Gewalt und ihre empirische Bewährung. In: Heitmeyer, W., Hagan, J. (Hrsg.): Internationales Handbuch der Gewaltforschung. Wiesbaden 2002

Greuel, L., Offe, S., Fabian, A., Wetzels, P., Fabian, T., Offe, H., Stadler, M.: Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage. Theorie und Praxis der forenisch-psychologischen Begutachtung. Weinheim 1998

Schorsch, E.: Kurzer Prozess? Ein Sexualstraftäter vor Gericht. Hamburg 1995

Schwind, H.-D.: Kriminologie. Eine praxisorientierte Einführung mit Beispielen. 17., neuberabeitete und erweiterte Auflage. Heidelberg u.a. 2007

Sutherland, E.H.: Die Theorie der differentiellen Kontakte. In: Sack, F. & König, R. (Hrsg.): Kriminalsoziologie. Frankfurt 1974

http://de.wikipedia.org/wiki/Motiv_%28Psychologie%29