Mitwirkungspflicht der Gefangenen: Unterschied zwischen den Versionen

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Weiter wird argumentiert, dass ein Resozialisierungsvollzug ohne die Bereitschaft des Gefangenen, an seiner Behandlung mitzuwirken, nicht möglich sei.[7] Die Resozialisierung könne „nicht nur Ansprüche des Gefangenen begründen, sondern unter Umständen auch grundrechtsbeschränkende Maßnahmen rechtfertigen, die erforderlich seien, um die inneren Voraussetzungen für eine spätere straffreie Lebensführung des Gefangenen zu fördern“.  Arbeits- und Ausbildungsangebote der Vollzugsanstalten seien nach wie vor Kernstücke in einem System von Maßnahmen, welche die Resozialisierung des Gefangenen und die Angleichung an allgemeine Lebensverhältnisse ermöglichen sollen.[11]  
Weiter wird argumentiert, dass ein Resozialisierungsvollzug ohne die Bereitschaft des Gefangenen, an seiner Behandlung mitzuwirken, nicht möglich sei.[7] Die Resozialisierung könne „nicht nur Ansprüche des Gefangenen begründen, sondern unter Umständen auch grundrechtsbeschränkende Maßnahmen rechtfertigen, die erforderlich seien, um die inneren Voraussetzungen für eine spätere straffreie Lebensführung des Gefangenen zu fördern“.  Arbeits- und Ausbildungsangebote der Vollzugsanstalten seien nach wie vor Kernstücke in einem System von Maßnahmen, welche die Resozialisierung des Gefangenen und die Angleichung an allgemeine Lebensverhältnisse ermöglichen sollen.[11]  


Die Mitwirkungsbereitschaft i. S. der VV Nr. 4 zu § 13 StVollzG bedeute nicht hausordungsgemäßes oder möglichst unauffälliges Verhalten, sondern das Bemühen des Gefangenen, an seiner „Ersatzsozialisierung“ mitzuarbeiten, also insbesondere seine Aufgeschlossenheit für rückfallverhindernde Behandlungs- Trainings- und Ausbildungsmaßnahmen. Liege diese Bereitschaft vor, so sei z. B. das mit einem Hafturlaub verbundene Sicherheitsrisiko geringer und die Chance für eine Bewährung in Freiheit größer. Es sei auch legitim, einen solchen Hafturlaub i. S. einer „differenzierenden Strategie zur Motivation des Gefangenen“ einzusetzen, wenn die Anforderungen nicht überspannt würden.  
Die Mitwirkungsbereitschaft i. S. der VV Nr. 4 zu § 13 StVollzG bedeute nicht hausordungsgemäßes oder möglichst unauffälliges Verhalten, sondern das Bemühen des Gefangenen, an seiner „Ersatzsozialisierung“ mitzuarbeiten, also insbesondere seine Aufgeschlossenheit für rückfallverhindernde Behandlungs- Trainings- und Ausbildungsmaßnahmen.[10] Liege diese Bereitschaft vor, so sei z. B. das mit einem Hafturlaub verbundene Sicherheitsrisiko geringer und die Chance für eine Bewährung in Freiheit größer. Es sei auch legitim, einen solchen Hafturlaub i. S. einer „differenzierenden Strategie zur Motivation des Gefangenen“ einzusetzen, wenn die Anforderungen nicht überspannt würden.[11]


Gegen die kritische Ansicht wird argumentiert, dass die festzustellende Tendenz, das Vollzugsziel nur als Mittel zur Erweiterung der Rechte des Gefangenen, zur „Emanzipation“ oder „Chancenverbesserung“ auszuschöpfen, im Übrigen aber Resozialisierungsbemühungen im Strafvollzug als ineffiziente, stigmatisierende und menschenunwürdige Zwangstherapie abzulehnen, auf selektiver Wahrnehmung empirischer Befunde beruhe; ferner leide sie an kriminalitätstheoretischer Einseitigkeit und auf der Verkennung der realen Bedingungen und Möglichkeiten des Behandlungsvollzugs.
Gegen die kritische Ansicht wird argumentiert, dass die festzustellende Tendenz, das Vollzugsziel nur als Mittel zur Erweiterung der Rechte des Gefangenen, zur „Emanzipation“ oder „Chancenverbesserung“ auszuschöpfen, im Übrigen aber Resozialisierungsbemühungen im Strafvollzug als ineffiziente, stigmatisierende und menschenunwürdige Zwangstherapie abzulehnen, auf selektiver Wahrnehmung empirischer Befunde beruhe; ferner leide sie an kriminalitätstheoretischer Einseitigkeit und auf der Verkennung der realen Bedingungen und Möglichkeiten des Behandlungsvollzugs.[12]


Überdies sei die kritische Literaturmeinung kriminalpolitisch bedenklich, weil die besonderen Aufwendungen und Risiken des offenen Resozialisierungsvollzugs in der Öffentlichkeit kaum dauerhaft vertretbar sein dürften, wenn einzelne Gefangene sich die Freiheit nehmen könnten, nur die Annehmlichkeiten und nicht die mühsame Arbeit an ihrer Persönlichkeit auf sich zu nehmen. Sie sei letztlich auch inhuman und bequem, weil sie den in seinen Persönlichkeitsstörungen verstrickten, oft uneinsichtigen Gefangenen ohne Hilfe alleine lasse, einen Menschen also, der gerade im Zustand der Freiheit an sich und seiner Umwelt gescheitert sei.   Der dem Strafvollzug entsprechende, human gestaltete Strafvollzug dürfe nicht von vornherein als für die Behandlung ungeeignet denunziert werden; trotz vieler Schwierigkeiten sei es nicht unmöglich, positive Verhaltensänderungen auch unter den Bedingungen des Freiheitsentzugs zu erreichen.
Überdies sei die kritische Literaturmeinung kriminalpolitisch bedenklich, weil die besonderen Aufwendungen und Risiken des offenen Resozialisierungsvollzugs in der Öffentlichkeit kaum dauerhaft vertretbar sein dürften, wenn einzelne Gefangene sich die Freiheit nehmen könnten, nur die Annehmlichkeiten und nicht die mühsame Arbeit an ihrer Persönlichkeit auf sich zu nehmen. Sie sei letztlich auch inhuman und bequem, weil sie den in seinen Persönlichkeitsstörungen verstrickten, oft uneinsichtigen Gefangenen ohne Hilfe alleine lasse, einen Menschen also, der gerade im Zustand der Freiheit an sich und seiner Umwelt gescheitert sei.[13] Der dem Strafvollzug entsprechende, human gestaltete Strafvollzug dürfe nicht von vornherein als für die Behandlung ungeeignet denunziert werden; trotz vieler Schwierigkeiten sei es nicht unmöglich, positive Verhaltensänderungen auch unter den Bedingungen des Freiheitsentzugs zu erreichen.


====Kritische Stimmen in der Literatur====
====Kritische Stimmen in der Literatur====

Version vom 13. August 2008, 19:27 Uhr

Mitwirkungsflicht des Gefangenen


Einleitung

Gefangene sind in ihrer staatsbürgerlichen, bürgerlichen und sozialen Rechtsstellung durch das Strafvollzugsgesetz nicht berührt. Die Rechtsfigur des „besonderen Gewaltverhältnisses“ wurde durch das Bundesverfassungsgericht abgeschafft.[1] Es gilt daher der Grundsatz, dass die allgemeine Rechtsstellung der Gefangenen, die der der übrigen Bürger entspricht, erhalten bleibt, soweit nicht das Strafvollzugsgesetz Beschränkungen dieser Freiheit vorsieht. Die besondere Stellung des Gefangenen ergibt sich aus den Einzelregelungen des Strafvollzugsgesetzes. Der Begriff der Stellung erhält seinen wesentlichen Inhalt durch die Ausgestaltung des gesamten Vollzugs. Dazu gehört unter anderem der in § 4 I 1 StVollzG genannte Grundsatz der Mitwirkung des Gefangenen an der Gestaltung seiner Behandlung und an der Erreichung des Vollzugsziels. Ausdrücklich wurde hierbei weder ein Mitwirkungsrecht, noch eine Mitwirkungspflicht gesetzlich verankert. Aus § 4 I 2 StVollzG, wonach die Bereitschaft des Gefangenen zur Mitwirkung zu wecken und zu fördern ist, folgt lediglich, dass der Gesetzgeber von einer Mitwirkungsnotwendigkeit ausgeht.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob Art und Umfang der Mitwirkung an der Erreichung des Vollzugsziels bei anderen Vollzugsentscheidungen eine Rolle spielen darf.

Begriffsbestimmungen

Unter Mitwirkung ist die selbständige und aktive Teilnahme an der Planung und Gestaltung der Behandlung zu verstehen, ganz gleich, ob diese sich in Gruppenprozessen vollzieht oder sich in Form der Einzelfallhilfe abspielt. Zur Gestaltung der Behandlung gehören nicht nur die thematisch-gegenstandsbezogenen Lernprozesse im Bereich der Arbeit oder Ausbildung, der sozialen Therapie oder Freizeit, sondern auch die Mitwirkung in den Wohn- und Betreuungsgruppen sowie im Rahmen der sonstigen Gefangenenmitverantwortung.[2]

Der Begriff der Behandlung ist im Gesetz nicht näher definiert. Der Gesetzgeber wollte und konnte die Vollzugsbehörde nicht auf nicht auf eine bestimmte Behandlung festlegen; überdies sollten neue sozialwissenschaftliche Erkenntnisse Berücksichtigung finden.[3] Der Begriff umfasst sowohl die besonderen therapeutischen Maßnahmen als auch Maßnahmen allgemeiner Art, die den Gefangenen durch Ausbildung und Unterricht, Beratung bei der Lösung persönlicher und wirtschaftlicher Probleme und Beteiligung an gemeinschaftlichen Aufgaben der Anstalt in das Sozial- und Wirtschaftsleben einbeziehen und der Behebung krimineller Neigungen dienen.[4]

Problemaufriss

Für die Gewährung von Vollzugslockerungen bestimmen die VV Nr. 6 I 2 zu § 11 StVollzG ausdrücklich, dass zu berücksichtigen ist, ob ein Gefangener durch sein Verhalten im Vollzug die Bereitschaft gezeigt hat, an der Erreichung des Vollzugszieles mitzuwirken. Dasselbe gilt für die Gewährung von Hafturlaub.

Beantragt beispielsweise ein Gefangener, der sich während der gesamten Dauer des Vollzugs geweigert hat, an Gruppengesprächen und anderen gemeinsamen Aktivitäten teilzunehmen, wenige Monate vor seiner Haftentlassung zwei Wochen Hafturlaub, so wird auch hier die aufgeworfene Frage bei der Entscheidung über diesen Antrag relevant. Rechtstechnisch ist vorauszuschicken, dass ein Gefangener trotz Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen des Urlaubs keinen Anspruch auf Urlaub hat, sondern nur ein Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung bei der Entscheidung über den Urlaubsantrag. Bei der Ermessensausübung ist die Anstalt an den zentralen Gesetzeszweck der Resozialisierung und an die in § 3 StVollzG geregelten Vollzugsgrundsätze gebunden. Eine weitere Orientierungshilfe für die Ermessensausübung findet sich in den bereits erwähnten Verwaltungsvorschriften zum Strafvollzugsgesetz (hier: VV Nr. 4 I 2 zu § 13 StVollzG).

Unstreitig ist, dass jenseits der ausdrücklichen Regelungen des Gesetzes, wie z. B. die Verpflichtung zur Arbeit, für den Gefangenen keine Pflicht besteht, an seiner Behandlung mitzuwirken. Mangels einer ausdrücklichen Rechtspflicht ist es daher unzulässig, gegen ihn eine Disziplinierungsmaßnahme anzuordnen, weil er sich weigert, z. B. einen für seine Eingliederung nützlichen Fortbildungskurs zu besuchen. Dass der Gefangene mitwirkt, ist vielmehr der Wunsch des Gesetzgebers. Aus § 4 I 2 StVollzG ergibt sich, dass der Gesetzgeber nicht davon ausging, dass der Gefangene von Beginn des Vollzugs an bereits ist, an der Gestaltung seiner Behandlung und an der Erreichung des Vollzugsziels mitzuwirken. Deshalb muss seine Bereitschaft hierzu geweckt und ständig gefördert werden.

Legt nun die Anstalt bei ihrer Entscheidung über den beispielhaft genannten Urlaubsantrag den Wortlaut der Verwaltungsvorschrift zugrunde, wertet die Verweigerung des Gefangenen als fehlende Bereitschaft, an der Erreichung des Vollzugsziels mitzuwirken und versagt ihm mit dieser Begründung den Hafturlaub, so läge nach der von der Praxis und einem Teil des Schrifttums vertretenen Ansicht kein Ermessensfehlgebrauch vor.

Demgegenüber wird von kritischen Stimmen in der Literatur die Ansicht vertreten, dass die in den VV Nr. 4 I 2 zu § 13 StVollzG vorgesehene Berücksichtigung der Mitwirkungsbereitschaft ein fehlerhaftes und unzulässiges Ermessenskriterium sei; danach wäre die Versagung des Hafturlaubs ermessenfehlerhaft.

Meinungsstand

Die für die jeweiligen Ansichten vorgebrachten Argumente, die für die Gewährung von Lockerungen und Hafturlaub gleichermaßen gelten, sollen im Folgenden skizziert werden:

Ansicht der Rechtsanwender und eines Teils des Schrifttums

Es sei verfehlt, die modische Idee zu kultivieren, Behandlung sei nur mit Zustimmung des zu Behandelnden auf der Ebene der Freiwilligkeit möglich.[5] Menschen bewährten sich, lebten und lernten sei eh und je in Situationen und unter Bedingungen, die sie nicht ausgewählt hätten und in die sie unwillentlich geraten seien. Es sei allerdings richtig, dass derjenige am weitesten komme und am besten lerne, der die Lage als Realität annehme und den Zielen einer Entwicklung oder Veränderung zustimme. Dies werde für den Behandlungsprozess richtigerweise nicht vorausgesetzt, in seinem Verlauf aber angestrebt.

Es sei für das Gesamtsystem des Resozialisierungsvollzugs unter Einschluss der Arbeitserziehung von elementarer Bedeutung, ob ein Gefangener aktiv an der Erreichung des Vollzugsziels mitarbeite oder ob er sich weigere, Resozialisierungsangebote anzunehmen.[6] Zwar sei im Gesetz auf die Verankerung der Mitwirkungspflicht verzichtet worden. Hieraus lasse sich aber lediglich folgern, dass eine Ahndung mit Disziplinarmaßnahmen nicht möglich sei; er schließe eine am Vollzugsziel orientierte Ausübung des Ermessens nicht aus.

Weiter wird argumentiert, dass ein Resozialisierungsvollzug ohne die Bereitschaft des Gefangenen, an seiner Behandlung mitzuwirken, nicht möglich sei.[7] Die Resozialisierung könne „nicht nur Ansprüche des Gefangenen begründen, sondern unter Umständen auch grundrechtsbeschränkende Maßnahmen rechtfertigen, die erforderlich seien, um die inneren Voraussetzungen für eine spätere straffreie Lebensführung des Gefangenen zu fördern“. Arbeits- und Ausbildungsangebote der Vollzugsanstalten seien nach wie vor Kernstücke in einem System von Maßnahmen, welche die Resozialisierung des Gefangenen und die Angleichung an allgemeine Lebensverhältnisse ermöglichen sollen.[11]

Die Mitwirkungsbereitschaft i. S. der VV Nr. 4 zu § 13 StVollzG bedeute nicht hausordungsgemäßes oder möglichst unauffälliges Verhalten, sondern das Bemühen des Gefangenen, an seiner „Ersatzsozialisierung“ mitzuarbeiten, also insbesondere seine Aufgeschlossenheit für rückfallverhindernde Behandlungs- Trainings- und Ausbildungsmaßnahmen.[10] Liege diese Bereitschaft vor, so sei z. B. das mit einem Hafturlaub verbundene Sicherheitsrisiko geringer und die Chance für eine Bewährung in Freiheit größer. Es sei auch legitim, einen solchen Hafturlaub i. S. einer „differenzierenden Strategie zur Motivation des Gefangenen“ einzusetzen, wenn die Anforderungen nicht überspannt würden.[11]

Gegen die kritische Ansicht wird argumentiert, dass die festzustellende Tendenz, das Vollzugsziel nur als Mittel zur Erweiterung der Rechte des Gefangenen, zur „Emanzipation“ oder „Chancenverbesserung“ auszuschöpfen, im Übrigen aber Resozialisierungsbemühungen im Strafvollzug als ineffiziente, stigmatisierende und menschenunwürdige Zwangstherapie abzulehnen, auf selektiver Wahrnehmung empirischer Befunde beruhe; ferner leide sie an kriminalitätstheoretischer Einseitigkeit und auf der Verkennung der realen Bedingungen und Möglichkeiten des Behandlungsvollzugs.[12]

Überdies sei die kritische Literaturmeinung kriminalpolitisch bedenklich, weil die besonderen Aufwendungen und Risiken des offenen Resozialisierungsvollzugs in der Öffentlichkeit kaum dauerhaft vertretbar sein dürften, wenn einzelne Gefangene sich die Freiheit nehmen könnten, nur die Annehmlichkeiten und nicht die mühsame Arbeit an ihrer Persönlichkeit auf sich zu nehmen. Sie sei letztlich auch inhuman und bequem, weil sie den in seinen Persönlichkeitsstörungen verstrickten, oft uneinsichtigen Gefangenen ohne Hilfe alleine lasse, einen Menschen also, der gerade im Zustand der Freiheit an sich und seiner Umwelt gescheitert sei.[13] Der dem Strafvollzug entsprechende, human gestaltete Strafvollzug dürfe nicht von vornherein als für die Behandlung ungeeignet denunziert werden; trotz vieler Schwierigkeiten sei es nicht unmöglich, positive Verhaltensänderungen auch unter den Bedingungen des Freiheitsentzugs zu erreichen.

Kritische Stimmen in der Literatur

Gegen die zuvor erörterte Meinung wird vorgebracht, dass das Gesetz keine Mitwirkungspflicht des Gefangenen begründet habe. Dies folge auch aus dem Wortlaut von § 4 I 2 StVollzG, wonach bloß die Bereitschaft zu wecken und zu fördern sei und ferner daraus, dass die noch im Regierungsentwurf vorgesehene Mitwirkungspflicht im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens ausdrücklich verzichtet worden sei. Die fehlende Mitwirkungsbereitschaft dürfe daher weder direkt mit Disziplinarmaßnahmen noch indirekt, etwa durch die Versagung von Lockerungen geahndet werden. Es gebe im Übrigen auch keinen Erfahrungssatz, wonach mangelnde Kooperation von Gefangenen im Vollzug das Missbrauchsrisiko bei Lockerungen erhöhe.

Die Befähigung zu einem selbständigen und rechtmäßigen Leben könne nicht erreicht werden, wenn der Gefangene zum bloßen Objekt von Vollzugsmaßnahmen werde; der in § 4 I StVollzG enthaltene Grundsatz der Mitgestaltung bei Vollzugsangeboten ergebe sich daher nicht nur aus verfassungsrechtlichen Gründen, sondern auch aus pädagogischer Notwendigkeit. Individuelle Therapie, Beratung und sonstige Vollzugsangebote setzten, um erfolgreich zu sein, Information, Transparenz und geeignete Formen individueller Mitgestaltung voraus.

Gleichwohl sei die Berücksichtigung der Mitwirkungsbereitschaft des Gefangenen an der Erreichung des Vollzugsziels ein fehlerhaftes und unzulässiges Ermessenkriterium. Die Subjektstellung des Gefangenen müsse gewährt werden. Der Gefangene dürfe durch die Art und Weise der Behandlung nicht zum bloßen Objekt einer sozialautoritären Leistungsverwaltung gemacht werden. Er solle zu den angebotenen Behandlungsmaßnahmen auch nein sagen können. Jeder direkte Zwang führe zu einer Blockade jenes Lernprozesses, den gerade einzuleiten zu den Aufgaben des Vollzugs gehöre. Bei vielen Gefangenen sei zu Beginn der Haft die Motivation zur Mitwirkung nicht vorhanden. Die Vollzugsbehörden treffe dann eine allgemeine Motivierungs- und Förderungspflicht. Die Bediensteten müssten daher versuchen, eine „Zweiweg-Kommunikation“ mit den Gefangenen herzustellen, deren Probleme und Hintergründe zu verstehen und gemeinsame Problemlösungsstrategien zu entwickeln. Sie müssten die Bereitschaft des Gefangenen fördern , indem sie ihn nicht nur verbal ansprächen, sondern ihn auch sukzessive in die Lern- und Gruppenprozesse einbezögen.

Lesting fordert in diesem Zusammenhang, dass sowohl in rechtlicher als auch in sozialer Hinsicht die Verhältnisse im Strafvollzug an gesellschaftliche Standards angepasst werden müssten. Es sei zu berücksichtigen, dass ein resozialisierender Vollzug wesentlich intensiver auf den Verurteilten zugreife als ein Vollzug, der es nicht auf Behandlung anlege. Zudem sei zu bedenken, dass zwar eine medizinische Behandlung auf einer freiwilligen Übereinkunft zwischen Therapeut und Klient beruhe. Demgegenüber habe der Gefangene im Strafvollzug jedoch weder die Möglichkeit, bei der Wahl des Therapeuten, noch bei Verlauf, Zeitpunkt und Form der Behandlung mit zu entscheiden. Auch könne er keine eigenen Wünsche gegen den Willen des Anstaltsleiters oder des Therapeuten durchsetzen. Die Problemdefinition liege nicht mehr in der Hand des Klienten, sondern in der Hand der Helfer. Der Gefangene werde in einen Klientenrolle genötigt, wenn etwa die Entlassung mit der Teilnahme an Behandlungsprogrammen notfalls auch zwangsweise durchgeführt werde. Zwar sei im Strafvollzugsgesetz auf die ausdrückliche Normierung einer Mitwirkungspflicht des Gefangenen an seiner Behandlung verzichtet worden, aber sanktionierende oder belohnende Reaktionen der Verwaltung bei Vollzugsentscheidungen seien damit nicht ausgeschlossen. Indem Straf- und Behandlungsmaßnahmen ineinander übergingen, würden schließlich Entscheidungen notfalls auch als Behandlungsmaßnahmen legitimierbar, wodurch Rechte verkürzt und Kontrollmöglichkeiten abgebaut würden.

Noch weitergehender äußert sich Baratta; man könne keine Menschen absondern und gleichzeitig behaupten, sie dadurch zu reintegrieren. Der juristische Begriff der sozialen Reintegration sei problematisch. Denn abgesehen von den mangelnden Erfolgschancen existiere nicht einmal eine juristische Legitimation für die Durchführung einer Behandlung bzw. Resozialisierung, die als Manipulation des eingesperrten Subjekts konzipiert werde. In einer solchen Betrachtung werde der Gefangene nicht als Subjekt sondern als Objekt der Einwirkung externer Instanzen, denen er unterworfen sei, aufgefasst. Folglich müssten angebotenen Programme und Dienstleistungen ohne jegliche Interferenz mit dem disziplinarischen Kontext der Bestrafung aufgestellt und realisiert werden. Die zwei Bezugspunkte des Begriffs der Behandlung, d. h. die Strafdisziplin auf der einen und die Resozialisierungs- und Fürsorgeprogramme auf der anderen Seite, seien durch eine eindeutige funktionale Differenzierung gekennzeichnet. Im ersten Fall handele es sich um Praktiken, denen der Gefangene unterworfen wird und deren „Objekt“ er sei, im zweiten Fall handele es sich um Dienstleistungen und Chancen, die dem Gefangenen angeboten würden und deren „Subjekt“ er sei, auch in dem Sinne, dass ihr Angebot und Inhalt von seinen Forderungen und Bedürfnissen abhängig sei.

Stellungnahme und Blick in das neue Hamburgische Strafvollzugsgesetz

Nach hier vertretener Ansicht lehrt die Erfahrung dass es nie zu spät ist, auch bei scheinbar hoffnungslos verstockten Gefangenen durch geduldige und einfühlsame Beharrlichkeit die Bereitschaft zur Mitwirkung zu wecken. Die jeweiligen Bezugspersonen des Gefangenen müssen insoweit zusammenarbeiten. Viel zu schnell wird der Gefangene als unfähig oder unwillig eingeordnet, statt zu bedenken, ob das Behandlungsangebot für den Gefangenen nach seiner bisherigen Entwicklung und seinen gegenwärtigen Verfassung zumutbar und hilfreich ist. Es darf auch nicht übersehen werden, dass Behandlungsvorschläge nicht selten mit wirklichen oder vermuteten Nachteilen wie z. B. weniger Freizeit, geringerer Einkauf verbunden sind. Dem ist entgegen zu wirken.

Überdies überzeugt das Argument der fehlenden Rechtsgrundlage. Solange es keine gesetzliche Verankerung der Mitwirkungspflicht gibt, darf die mangelnde Mitwirkungsbereitschaft bei anderen Vollzugsentscheidungen weder eine direkte oder indirekte Rolle spielen.


Jedenfalls für Hamburg wurde der hier vorgestellte Diskurs durch den Gesetzgeber entschieden. Das Land Hamburg hat von seiner ihm durch die Föderalismusreform eingeräumten Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht und am 14.12.2007 ein eigenes Strafvollzugsgesetz erlassen, welches am 01.01.2008 in Kraft getreten ist.

Hierin ist die Mitwirkungspflicht der Gefangenen nunmehr gesetzlich verankert.

In § 5 Abs. 1 HmbStVollzG heißt es:

Die Gefangenen im Vollzug der Freiheitsstrafe sind verpflichtet, an der Gestaltung ihrer Behandlung und an der Erfüllung des Behandlungsauftrags nach Maßgabe des Vollzugsplans mitzuwirken.


In Abs. 2 wird –entsprechend für den Jugendstrafvollzug geregelt:

Die Gefangenen im Vollzug der Jugendstrafe sind verpflichtet, an der Erfüllung des Erziehungsauftrags nach Maßgabe des Vollzugsplanes mitzuwirken.

Die weiteren Absätze enthalten die ausdrückliche Befugnis der Anstalt, auf die fehlende oder nicht ausreichende Mitwirkung des Gefangenen zu reagieren:

Abs. 3: Solange Gefangene zur Mitwirkung nach den Absätzen 1 und 2 ganz oder teilweise nicht bereit sind, werden ihnen Maßnahmen angeboten, die ihrer Mitwirkung ganz oder teilweise nicht bedürfen, insbesondere Maßnahmen der Gestaltung ihrer Unterbringung, der Zuweisung von Arbeit und der Freizeit.

Abs. 4: Die Gefangenen sind zur Mitarbeit zu motivieren. Auf die Gefangenen im Vollzug der Jugendstrafe ist zu diesem Zweck erzieherisch einzuwirken.

Es bleibt abzuwarten, welche Folgen dies in der Praxis haben wird.


Anmerkungen

[1] BVerfG 33, 1 ff. [2] Callies, 1992, S. 58. [3] Arloth, 2004, § 4 Rn. 3. [4] Feest/Lesting, 2006, § 4 Rn. 2. [5] Böhm, 1983, § 4 Rn. 5. [6] Schöch, 2006, S. 240 Rn. 47. [7] Schöch, 2006, S. 230 Rn. 44. [8] BVerG 40, 276/284 f. [9] Kaiser/Schöch 2002, S. 230 ff.

Literaturverzeichnis

  • Arltoth, F.: Kommentar zum Strafvollzugsgesetz, München 2004
  • Baratta, A.: Grundfragen staatlichen Strafens. In: Festschrift für Heinz-Müller Dietz zum 70. Geburtstag, München
  • Böhm, A.: Strafvollzug, 3. Aufl., Frankfurt/M. 2003
  • Callies, R.-P.: Strafvollzugsrecht, München 1992
  • Feest, J. (Hrsg.): Kommentar zum Strafvollzugsgesetz, 5. Aufl., Bremen 2006
  • Kaiser / Schöch: Kriminologie - Jugendstrafrecht - Strafvollzug, 6. Aufl., München 2006
  • Kaiser / Schöch: Strafvollzug. Lehr- und Handbuch, 5. Aufl., München 2002
  • Lesting, W.: Normalisierung im Strafvollzug, Pfaffenweiler 1988
  • Schwind / Böhm: Kommentar zum Strafvollzugsgesetz, Berlin - New York 1983