Mediationsgesetz

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Das als verspätete Umsetzung einer EU-Verordnung (erst) 2012 in Kraft getretene Mediationsgesetz soll außergerichtliche Konfliktregelungen erleichtern. Die Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger sprach von einem "Meilenstein zur Verbesserung der Streitkultur in Deutschland", von einem klugen Recht "für eine fortgeschrittene Zivilgesellschaft":

  1. Mediatoren und Güterichter dürfen nunmehr Konflikte lösen. Ursprünglich waren die Güterichter nicht vorgesehen. Die Länderjustizminister wollten aber nicht, dass Mediation künftig nur mehr von Rechtsanwälten, Psychologen, Pädagogen oder Sozialwissenschaftlern betrieben werden dürfe. Sie wollten auch Richter dabei haben. Im Vermittlungsausschuss kamen dann die Güterichter hinzu.
  2. Gerichtliche Mediationsverfahren, wie sie in vielen Bundesländern auf der Grundlage des "Gesetzes zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung" vom 15. Dezember 2011 ausprobiert worden waren, wurden in das Mediationsgesetz integriert. Die gerichtliche und gerichtsnahe Mediation muss sich jetzt allerdings Güteverfahren nennen. Das Güteverfahren ist billiger als die privat (meist anwaltlich) organisierte Mediation.
  • Anders als ein Schlichter macht der Mediator keine eigenen Vorschläge. Er fördert nur die Kommunikation der Parteien und ist dabei "allen Parteien gleichermaßen verpflichtet". Die Beteiligten bleiben also autonom, lassen sich aber helfen.
  • Beteiligte können auch Unternehmen sein. Es wird auch damit gerechnet, dass z.B. deutsch-französische Wirtschaftskonflikte auf diesem Wege besser gelöst werden können.
  • Die Einigung wird rechtlich anerkannt und kann, wie ein Urteil, vom Gericht oder Notar "für vollstreckbar erklärt" werden.
  • Im Familienrecht können Mediationen das Sorgerecht klären oder die finanziellen Scheidungsfragen regeln.
  • Verwaltungsgerichte können eine Mediation vorschlagen und komplexe Prozesse vermeiden.
  • Mediatoren sind zur Verschwiegenheit verpflichtet (Vertraulichkeit). Ihre Aus- und Weiterbildung wird noch "gesetzlich weiter abgesichert", indem Grundkenntnisse und Kernkompetenz definiert werden und die Bezeichnung "zertifizierter Mediator" im Gesetz verankert wird (Standards werden per Rechtsverordnung festgelegt).
  • Der "Güterichter" ist nicht zur hoheitlichen Regelung befugt, darf aber - anders als der Mediator - auch eine rechtliche Bewertung vornehmen und den Parteien eine Lösung vorschlagen. Er darf die Prozessakten ohne Zustimmung der Streitparteien einsehen und einen vollstreckbaren Vergleich gerichtlich protokollieren.
  • Freiwilligkeit bedeutet: die Beteiligten können jederzeit die Gespräche abbrechen und sich an ein richtiges Gericht wenden.
  • Das Bundesverfassungsgericht hatte schon 2007 seinen Segen gegeben: "Eine zunächst streitige Problemlage durch eine einverständliche Lösung zu bewältigen, ist auch in einem Rechtsstaat grundsätzlich vorzugswürdig gegenüber einer richterlichen Streitentscheidung."


Das neue Gesetz zur gütlichen Streit-Einigung kommt unscheinbar daher. Doch es ist ein Jahrhundertgesetz, das die Rechtskultur in Deutschland völlig verändern könnte. Es fördert mündige Bürger und zufriedene Menschen - statt Sieger und Verlierer zu schaffen. Im Leben des Rechts gibt es, wie im Leben des Menschen, Tage, die fast alles verändern - Schicksalstage. Der 1. Januar 1900 war so ein Tag; da ist das Bürgerliche Gesetzbuch in Kraft getreten. Oder der 23. Mai 1949, der Tag des Grundgesetzes. Der 1. Juli 1958; das Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Oder der 1. Juli 1977, an dem das neue Scheidungsrecht wirksam wurde und an die Stelle des Schuldprinzips das Zerrüttungsprinzip rückte. Diesen Tagen und diesen Gesetzen hat man das Bedeutende angesehen, Aufmerksamkeit und Aufregung waren groß. Dem "Gesetz zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung", das nun in Kraft tritt, sieht man diese Bedeutung nicht an. Der Name ist sperrig, er klingt nach Rechtskram. Doch dieser vermeintliche Kram hat das Zeug, die Streitkultur in Deutschland völlig zu verändern: Zum ersten Mal gibt es ein umfassendes Gesetz, das regelt, wie Streitigkeiten ohne Gerichtsprozess beigelegt werden. Das neue Mediationsgesetz gibt den Konfliktparteien die Freiheit, auch ein vom gesetzlichen Recht abweichendes Ergebnis für sich zu wählen. Das neue Gesetz will Abschied nehmen vom Recht als Kampf, vom Kampf bis zur letzten Instanz. Die neuen Regelungen werden, das Strafrecht ausgenommen, in alle Prozessordnungen eingearbeitet. Eine Mediation soll möglichst jedem Gerichtsverfahren vorausgehen. Der Mediator, der Vermittler, richtet nicht; er vermittelt. Unter seiner Leitung sollen die Konfliktparteien freiwillig eine ausgleichende Lösung erarbeiten. Das klingt nach einem Traum, nach einer schönen Vision. "Rechtsfrieden" mit neuer Bedeutung Aber die Praxis zeigt: Es funktioniert, jedenfalls sehr oft. Seit Jahren wird etwa an Familiengerichten oder Verwaltungsgerichten mit solchen Modellen experimentiert; Rechtsanwälte haben sich (ein Geschäftsmodell ist das ja auch) zu Mediatoren ausbilden lassen. Und der Zugang zum streitigen Prozess bleibt02.07.12 Mediation statt Rechtsstreit - Abschied vom Kampf bis zur letzten Instanz -- sueddeutsche.de sueddeutsche.de/…/mediation-statt-rechtsstreit-abschied-vom-kampf-bis-zur-letzten-instanz-1.139… 2/2 URL: Copyright: Quelle: natürlich offen - das ist der erforderliche Hintergrund für wirksame Mediation. Das Mediationsgesetz brauchte erst selbst eine Mediation. Bundestag und Bundesrat stritten heftig drüber, ob eine Mediation auch an Gerichten stattfinden darf. Der Vermittlungsausschuss hat den Streit gelöst: Sie darf. Sie darf dort nur nicht so heißen. Bei Gericht heißt der Mediator "Güterichter". Und er ist ganz billig, womöglich umsonst. Das können die Länder selbst entscheiden. Wenn Mediation funktioniert, regeln die Bürger ihre Interessen selbst. Aus einer solchen Mediation kommt man nicht als Sieger oder Verlierer heraus, sondern als zufriedener Mensch. Das Wort "Rechtsfrieden" erhält so neue Bedeutung. Es meint nicht einfach nur, dass die Sache nun zu Ende und rechtskräftig ist. Das Mediationsgesetz führt zu einer Bemündigung des Bürgers. Im dornenreichen Paragrafenwald gibt es nur selten Blumen; das Mediationsgesetz ist eine Orchidee. Sie sollte bald heimisch werden in der Flora des deutschen

Literatur

  • Prantl, Heribert (02.07.2012) Streitende Bürger bekommen Hilfe zur Selbsthilfe. Süddeutsche Zeitung.
  • Prantl, Heribert (02.07.2012) Mediation statt Rechtsstreit. Abschied vom Kampf bis zur letzten Instanz. Süddeutsche Zeitung.